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Zwei Brüder stehen im Mittelpunkt dieses Romans: Vor vierzig Jahren sind sie aus Nordkorea geflohen, zunächst nach Südkorea, dann in die USA. Nun hat Joseop eine Einreiseerlaubnis für Nordkorea bekommen. Drei Tage vor der Abreise in die Heimat stirbt ganz plötzlich der ältere Bruder Johan.
Dieser hatte als Anhänger einer reaktionären Gruppe junger Christen den amerikanischen Besatzern in Nordkorea als Handlanger gedient und brutale Morde vor allem an den Kommunisten, sogar in der eigenen Familie, begangen. Joseop weiß um die Gräueltaten, gesprochen aber wurde kaum darüber. Erst jetzt, da er…mehr

Produktbeschreibung
Zwei Brüder stehen im Mittelpunkt dieses Romans: Vor vierzig Jahren sind sie aus Nordkorea geflohen, zunächst nach Südkorea, dann in die USA. Nun hat Joseop eine Einreiseerlaubnis für Nordkorea bekommen. Drei Tage vor der Abreise in die Heimat stirbt ganz plötzlich der ältere Bruder Johan.

Dieser hatte als Anhänger einer reaktionären Gruppe junger Christen den amerikanischen Besatzern in Nordkorea als Handlanger gedient und brutale Morde vor allem an den Kommunisten, sogar in der eigenen Familie, begangen. Joseop weiß um die Gräueltaten, gesprochen aber wurde kaum darüber. Erst jetzt, da er die noch lebenden Familienangehörigen in seinem Dorf wieder trifft, wird das Tabu gebrochen. Die Geister der Toten erscheinen ihm und die grausamen Morde ereignen sich wie zum zweiten Mal.
Autorenporträt
Hwang, Sok-Yong
Hwang Sok-yong wurde 1943 in der Mandschurei geboren. Seine Werke erzählen von der bewegten Geschichte des Landes und wurden mehrfach ausgezeichnet. Hwang Sok-yong veröffentlicht 1962 seine ersten Erzählungen und erhält sofort einen Nachwuchspreis. Es folgen zahlreiche weitere Erzählungen, bis er im Jahr 1972 mit seinem ersten Roman 'Die Geschichte des Herrn Han' den großen Durchbruch schafft. 1978 zieht er aus Seoul nach Gwangju, wo er 1980 den Aufstand gegen die Militärdiktatur miterlebt, dessen blutiger Ausgang ihn für eine Weile auf die Insel Jeju zwingt. 1982 kehrt er nach Gwangju zurück und veröffentlicht zwei Jahre später den zehnbändigen Roman 'Dschang Gilsan'.

1989 reist er auf Einladung des Literatur- und Kunstverbandes zum ersten Mal nach Nordkorea, gefolgt von einer weiteren Reise im folgenden Jahr zur Versammlung aller Völker nach Pjöngjang. 1989/90 Aufenthalt als Gastschriftsteller in der Akademie der Künste in Berlin, 1991 bis 1993 Aufenthalt als Gastschriftsteller an der Long Island University in den USA. 1993 kehrt er nach Südkorea zurück und wird wegen seiner Reisen nach Nordkorea zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.

1998 wurde er im Rahmen einer Amnestie für politische Gefangene vom neugewählten Präsidenten Südkoreas, Kim Dae-jung, nicht nur freigelassen, sondern danach sogar offiziell als südkoreanischer Kulturvertreter nach Nordkorea geschickt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2008

Als würden Unzählige ihren eigenen Film drehen

Zu Gast im Geisterland: Hwang Sok-yongs Bürgerkriegsroman ist der Versuch einer literarischen Austreibung des Leids aus der jüngeren koreanischen Geschichte.

Der im Jahre 1943 geborene Hwang Sok-yong, der sich in Koreas Demokratiebewegung der siebziger und achtziger Jahre engagierte, zählt zu den renommiertesten Romanciers und Chronisten der Teilung Koreas. Die Sinnlosigkeit jedweder Kriege und politischer Repression wie die gewaltsame Niederschlagung des Gwangju-Aufstands 1980 prangerte er in expressiven Texten, Romanen und Manifesten wie "Über den Tod hinaus, über die Finsternis der Zeit hinaus" oder "Der Schatten der Waffen" an. So ist auch Hwang Sok-yongs jüngster Roman "Der Gast", der nach seinem Erscheinen 2001 in Südkorea kontroverse Debatten auslöste, ein belletristisches Aufarbeitungsprojekt des Bürgerkriegs. Im Erzählfokus liegen die Wirren in der Frühphase des Koreakriegs im Herbst 1950: In Sincheon in der nordkoreanischen Provinz Hwanghae forderten Kämpfe zwischen christlichen und kommunistischen Koreanern 35 000 Tote.

Der dokumentarisch angehauchte Roman über die schwierige Heimat Nordkorea ist auch ein Beitrag zur Erinnerungskultur. Während in Sincheon ein "Museum zum Gedenken an die Opfer der US-imperialistischen Greuel" existiert, widerspricht Hwang unter Berufung auf Augenzeugenberichte von Exilkoreanern der These der Täterschaft der Amerikaner, die seinen Recherchen zufolge zum fraglichen Zeitpunkt Sincheon noch nicht erreicht hatten: "Es waren keine Fremden, die diese Verbrechen begangen haben", heißt es in einer zentralen Passage: "Wir selbst waren es, wir alle ..., dieselben Menschen, die friedlich zusammen im Dorf gelebt hatten."

Die Rahmenhandlung bildet der Heimatbesuch eines nach New York emigrierten Priesters namens Ryu Yoseop nach fast fünfzig Jahren Abwesenheit. Er besichtigt neben dem obligatorischen Pjöngjang auch seine Heimat Sincheon. Kurz vor der Abreise stirbt sein vereinsamter, ebenfalls in die Vereinigten Staaten emigrierter Bruder Yohan. Die Familienzusammenführungen - Yoseop begegnet Yohans in Nordkorea zurückgelassener Frau, seinem Onkel sowie seinem Neffen - waren Teil der sogenannten "Sonnenscheinpolitik" Ende der neunziger Jahre. Gelungen fängt der Roman die Tragikomik der inszenierten und von Parteifunktionären begleiteten Wiederfindungsszenen ein.

Doch findet Yoseop als Fremder im eigenen Land keinen rechten Zugang zur Heimat mehr. Eine geführte Stadtrundfahrt führt durch die "Hauptstadt der Revolution": "Die Stadt lag wie ein Standbild aus einem Film als viereckige Fläche in einiger Entfernung vor ihm. Yoseop kam es vor, als existiere er nicht länger als dreidimensionaler Körper. Ihm schien, als würden hier unzählige Menschen ihren eigenen Film drehen und alles tun, um ihn nicht hereinzulassen in ihre Szenen, sosehr er sich auch anstrengte dazuzugehören."

Beim Versuch, gegen die kollektive Amnesie und die Schwerkraft der Vergangenheit anzuschreiben, lässt Hwang außer den überlebenden Familienangehörigen die Geister der Toten von Sincheon - Opfer wie Täter - als Wiedergänger der verdrängten Geschichte zu Wort kommen. In Abkehr vom objektiven Ton früherer Werke flüchtet Hwang hier in einen magischen Realismus nach Art von Gabriel García Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit", eine über das Medium der Geister zwischen den Religionen und Ideologien vermittelnde "Überkreuzung und Überlagerung verschiedener Protagonisten und ihrer jeweiligen Perspektiven", wie er im Nachwort schreibt.

Die Familiensaga des Grundbesitzerclans der Ryu reicht von der amerikanischen Missionierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die japanische Besatzung zwischen 1910 und 1945, die Befreiung und Landesteilung bis hin zum Kommunismus als Antwort auf den Kolonialismus. Der Roman rekonstruiert am Fallbeispiel der Ryu die Lagerkämpfe und gesellschaftlichen Verhärtungszustände etwa durch die Landreform von 1946, die zur Konfiszierung des Familienguts führte.

Die an ein Totengericht, aber auch an Verfahren der Psychoanalyse gemahnenden Geistersitzungen geben dem Leser Einblicke in die Identität eines zunächst kolonialisierten und später als Spielball der Mächte gespaltenen Volkes. Im Wechselbad der Gefühle offenbart sich Yoseop, der als Kind das Ausmaß der Verbrechen nur ahnen konnte, die schuldbeladene Rolle seines auf Seiten der Christen kämpfenden älteren Bruders Yohan in dem fünfzig Tage währenden Massaker. In der Polyphonie der Stimmen werden die ideologischen Verblendungen und die historischen Weggabelungen der Gewalt schlaglichtartig deutlich.

"Der Gast" zählt zum Genre koreanischer Heimkehrerromane. Gleichwohl hat bei Hwang Sok-yong der Topos des Heimatdorfs als Ort der familiären Bande, Bodenhaftung und Ahnenverehrung aufgrund von Krieg, Flucht und Vertreibung einen bitteren Beigeschmack: "Die Toten konnten nichts mehr sagen, aber für uns Überlebende, die wir in unsere Dörfer zurückgingen, war nichts mehr wie vorher. Aber auch wenn sich schon niemand mehr erinnert, ist es da, tief in deinem Herzen. Das Wissen, dass wir dieses Land, in dem unsere Nabelschnüre begraben liegen, mit Blut getränkt haben."

Das Buch spielt mit der Mehrdeutigkeit des Titels "Gast" (Sonnim). In einem übertragenen Sinn verweist er auf die außengelenkte Modernisierung und auf importierte Lehren wie Christentum und Marxismus. Ferner wurden seit dem Mittelalter die Pocken als Seuche aus dem Westen in Korea im Volksmund "Gast" genannt. Zur Abwehr entwickelte sich ein kultischer Brauch namens "Sonnim-Kut". So stellt auch Hwangs Roman, der in seiner zwölfteiligen Gliederung ein schamanistisches Ritual strukturell nachzuahmen versucht, eine Art literarisches Austreibungsexerzitium der koreanischen Leidensgeschichte dar.

Auf die in der Rückbesinnung auf gemeinsame autochthone Traditionen anklingende Katharsis und die Möglichkeit der Heilung der Wunden der Vergangenheit verweist auch die metaphorische, wenngleich etwas melodramatische Schlussszene, in der Yoseop ein bei der Kremation übrig gebliebenes Knochenstück Yohans in der nordkoreanischen Heimaterde vergräbt.

In traumgleichen Allegorien und Halluzinationen ziehen in Hwang Sok-yongs meisterlich komponiertem Roman die historischen Traumata Koreas, das unauflösliche Geflecht von Schuld, Sühne und Versöhnung vor dem geistigen Auge Yoseops vorüber. Sie sind Ausdruck einer auf unprätentiöse Weise vom Wiedervereinigungs- und Erlösungsgedanken getragenen Literatur: "Eine lange Reihe Menschen marschiert mit gebeugtem Rücken vorbei. Sie sehen aus, als seien sie dabei, an einem Seil über ihren Schultern etwas Schweres wegzuziehen. Es sind so viele, dass kein Anfang und kein Ende auszumachen ist. Der gewundene Pfad führt an den Wiesen vorbei zu einem großen, blassvioletten Gebirge weit hinten in der Ferne."

STEFFEN GNAM

Hwang Sok-yong: "Der Gast". Roman. Aus dem Koreanischen übersetzt von Young Lie, Katrin Mensing und Matthias Augustin. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007. 300 S., geb., 15,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Einen sehr intensiven und guten Eindruck hat Rezensent Ludger Lütkehaus von diesem südkoreanischen Roman, dessen Autor er als gebranntes Kind der politischen Verhältnisse des geteilten Landes einführt. Diese Verhältnisse sind Lütkehaus zufolge auch in den Roman eingegangen, und zwar inhaltlich ebenso wie formal. Denn um die Zerrissenheit abzubilden, habe Hwang Sok eine polyperspektivische Erzählhaltung gewählt. Erzählt werde die Geschichte zweier Brüder, die als presbyterianische Geistliche aus Südkorea in die USA ausgewandert seien. Einer von ihnen reise im Rahmen eines Programms für  Familienzusammenführung aus den USA nach Nordkorea, während der andere Bruder kurz vor der Abreise stirbt. Dabei ist das Christentum keinesfalls ein Sympathiefaktor, wie man ließt, sondern fundamentalistischer Gegenpol zum marxistischen Staatsterror. Auf das importierte Christentum beziehe sich auch der Titel "Gast", der den Informationen des Rezensenten zufolge auf Koreanisch einst die aus dem Westen eingeschleppten Pocken bezeichnete. Den Rezensenten beeindrucken Hwangs drastische Schilderungen des politischen Terrors ebenso, wie seine bitterböse Symbolik. Aber auch die Komposition des Romans, in der Objektivität und Subjektivität nicht via Erzählerstandpunkt getrennt werden, machen sichtlich Eindruck auf ihn.

© Perlentaucher Medien GmbH