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Das Leben der Juden in der Bundesrepublik Nach dem Holocaust schien es undenkbar, dass in Deutschland wieder Juden leben könnten. Doch viele, die überlebt hatten, blieben, andere kehrten zurück, zum Missfallen der Juden im Ausland. So war das Leben in der Bundesrepublik zunächst geprägt von fehlendem Schuldbewusstsein bei Nichtjuden und Schuldgefühlen bei Juden, die sich für ihr Bleiben rechtfertigen mussten. Wie sich das komplizierte Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden entwickelte, welche Rolle jüdisches Leben in der jungen deutschen Demokratie spielte und wie jüdische Gemeinden wieder…mehr

Produktbeschreibung
Das Leben der Juden in der Bundesrepublik
Nach dem Holocaust schien es undenkbar, dass in Deutschland wieder Juden leben könnten. Doch viele, die überlebt hatten, blieben, andere kehrten zurück, zum Missfallen der Juden im Ausland. So war das Leben in der Bundesrepublik zunächst geprägt von fehlendem Schuldbewusstsein bei Nichtjuden und Schuldgefühlen bei Juden, die sich für ihr Bleiben rechtfertigen mussten. Wie sich das komplizierte Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden entwickelte, welche Rolle jüdisches Leben in der jungen deutschen Demokratie spielte und wie jüdische Gemeinden wieder Fuß fassten, beschreibt Anthony Kauders erstmals auf breiter Quellengrundlage. Die erste umfassende Geschichte der Juden in der Bundesrepublik nach 1945 Eine Geschichte der Bundesrepublik aus der Perspektive des deutsch-jüdischen Verhältnisses
Autorenporträt
Anthony D. Kauders, geboren 1967 in Zürich, studierte Geschichte an der London School of Economics und der Universität Oxford. Forschungs- und Lehrtätigkeiten führten ihn an die Universitäten Tel Aviv, Jerusalem und München. Zurzeit unterrichtet er neuere europäische Geschichte an der Keele University in England.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.09.2008

Ausgepackte Koffer
Das Leben der Juden im Nachkriegsdeutschland
Anthony D. Kauders stellt in seinem fein ironischen und kritischen, mit Verve geschriebenen Essay die Frage: Wie ist das, wenn man sich in dem Wirtshaus wiederfindet, aus dem man einmal rausgeschmissen wurde? Dabei waren die Juden ja gar keine Gäste gewesen, sondern Alteingesessene.
Rechtfertigungsgründe für ein Leben in Deutschland nach dem Holocaust gab es genug. Der am meisten genannte Grund war, sicher zu gehen, dass der Staat Wiedergutmachung zahlte. Andere gaben das besondere Verhältnis zum deutschen „Kultur- und Sprachkreis” an oder glaubten, eine Vermittlerrolle zwischen Deutschland und Israel spielen zu könnenoder hegten die ehrgeizige Hoffnung, beim Aufbau der Demokratie mitzuhelfen. Mit anderen Worten: Juden in Deutschland erhofften sich einen Gabentausch zwischen jüdischen und deutschen Führungsschichten. Die Existenz jüdischen Lebens wurde gewissermaßen zu einem Ausweis der neuen demokratischen Kultur. Dafür wurden jüdische Vertreter hofiert und mit Repräsentativfunktionen versehen.
Ein Jahr nach Gründung der BRD wurde der „Zentralrat der Juden in Deutschland” gegründet. Damit war der Grundstein für eine längerfristige Infrastruktur der noch etwa 15 000 hier lebenden Juden gelegt. Dennoch blieb die Diskussion bestimmt von der Frage „Bleiben oder Gehen?”. Indem sich 1985 Juden auf die Bühne des Frankfurter Schauspielhauses wagten, um Fassbinders antisemitisch aufgeladenes Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod” zu verhindern, gingen sie gleichzeitig in die Öffentlichkeit – und suchten nicht mehr demutsvoll Beistand hinter verschlossenen Türen. Kauders datiert das „eigentliche jüdische Dasein” in der Bundesrepublik auf das Jahr 1986, die Einweihung des Frankfurter Jüdischen Gemeindezentrums. Bei diesem Anlass prägte Salomon Korn den seitdem oft zitierten Satz „Wer ein Haus baut, will bleiben”. Die Juden begannen, die gepackten Koffer, auf denen sie lange gesessen hatten, wieder auszupacken.
Ihrem eigenen Selbstverständnis nach war die emotionale Bindung der meisten in der BRD lebenden Juden irgendwo zwischen Deutschland und Israel angesiedelt. Die Gründung und Existenz des Staates Israel galt ihnen als Lebensversicherung, als Identitätsersatz. Doch bald nahmen immer mehr Juden die israelische Politik nicht mehr kritiklos hin, insbesondere Studenten begannen, sich vom Zionismus zu emanzipieren. Die Unnachgiebigen, die glaubten, Israel-Kritik verbiete sich a priori, ließen nicht lange auf sich warten. Ihre Schuldgefühle gegenüber dem Judenstaat erlaubten es nicht, zu hart mit ihm ins Gericht zu gehen. Loyalität zum Staat Israel sowie der unermüdliche Einsatz für die Demokratie in Deutschland blieben bis in die achtziger Jahre hinein die Grundpfeiler ihres jüdischen Selbstverständnisses.
Eigentlich ist die Geschichte der Juden in Deutschland nach dem Holocaust unspektakulär. Die jüdische Bevölkerung war zahlenmäßig unbedeutend, überaltert, nahezu unsichtbar. Dagegen war der real existierende Antisemitismus, der ohne Juden auskam, geradezu imposant. Einen Gabriel Rießer, eine Elke Lasker-Schüler, einen Walter Benjamin, einen Walther Rathenau, pars pro toto, konnte das bundesrepublikanische Judentum nicht hervorbringen. Das war nach Auschwitz auch kaum zu erwarten. Bis in die 70er Jahre waren die Juden in Deutschland, sagt Kauders, eine „antiintellektuelle Gemeinschaft”. Und darum kommt in seinem Buch jüdische Geistesgeschichte so gut wie gar nicht vor.
Etwa zeitgleich mit dem Fall der Berliner Mauer setzte die Zuwanderung aus den GUS-Staaten ein, eine sozialpolitische Herausforderung ersten Ranges. Die Russen, ausgestattet mit dem Status von „Kontingentflüchtlingen”, begriffen Deutschland als einen Ort, in dem man ohne Schuldgefühle leben kann. Früher verband die Israel-Fixierung die einzelnen Gemeinden, nun fühlte man sich dem Judenstaat gegenüber nicht mehr zur Rechenschaft verpflichtet und man begann, die Aufgabe zu entdecken, die Zuwanderer zu integrieren.
60 Jahre lang sind die Juden in Deutschland vergeblich gegen eine Zukunft angerannt und haben sich an der Opferrolle orientiert. Doch Juden in Deutschland kommen nicht umhin, zukunftsorientierte Ansprechpartner für die Umgebungsgesellschaft sein, Juden, die nicht nur eine Rechnung begleichen wollen, sondern sich in bester jüdischer Tradition auseinandersetzen mit den Anforderungen des Lebens – nicht des Todes. Diese Gemeinschaft, so scheint es, könnte in der europäischen Idee verortet sein, in einem Raum, in dem jüdische Religion eine wichtigere Rolle spielt als jüdische Ethnizität. LUDGER HEID
ANTHONY D. KAUDERS: Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik. DVA, München 2007. 302 Seiten, 22,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Positiv aufgenommen hat Ludger Heid diese Geschichte der Juden im Nachkriegsdeutschland, die Anthony D. Kauders vorgelegt hat. Er rekapituliert die unterschiedlichen Phasen deutsch-jüdischer Geschichte in der BRD der fünfziger bis achtziger Jahre, beleuchtet die Gründe von Juden, sich nach dem Holocaust für ein Leben in Deutschland zu entscheiden, und berichtet über ihr Verhältnis zu Israel und die Zuwanderung von Juden aus den GUS-Staaten nach dem Fall der Mauer. Dabei konstatiert er auch, dass die Geschichte der Juden in der BRD nach dem Holocaust im Grunde "unspektakulär" sei. Die jüdische Bevölkerung sei "zahlenmäßig unbedeutend, überaltert, nahezu unsichtbar" gewesen, der real existierende Antisemitismus dagegen "geradezu imposant". Insgesamt schätzt Heid Kauders' Buch als einen ironischen und mit Schwung geschriebenen Essay.

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