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Eine Auseinandersetzung mit den 68ern aus Sicht ihrer Kinder. Dies ist der erste Roman über 68 aus diesem Blickwinkel. All die großen Projekte wie antiautoritäre Erziehung, Emanzipation, freie Sexualität werden von Grund auf in Zweifel gezogen.
Im Mittelpunkt steht Kitty Caspari, Tochter eines 68er Paares der ersten Stunde. Was als freiheitliche Erziehung gedacht war, entwickelt sich zur seelischen Demütigung des heranwachsenden Mädchens. Doch Kitty geht ihren Weg. Zweite Hauptfigur ist Hieronymus Arber, auf dem Höhepunkt der Revolte Assistent am Frankfurter Institut. Um ihn arrangiert sich…mehr

Produktbeschreibung
Eine Auseinandersetzung mit den 68ern aus Sicht ihrer Kinder. Dies ist der erste Roman über 68 aus diesem Blickwinkel. All die großen Projekte wie antiautoritäre Erziehung, Emanzipation, freie Sexualität werden von Grund auf in Zweifel gezogen.

Im Mittelpunkt steht Kitty Caspari, Tochter eines 68er Paares der ersten Stunde. Was als freiheitliche Erziehung gedacht war, entwickelt sich zur seelischen Demütigung des heranwachsenden Mädchens. Doch Kitty geht ihren Weg. Zweite Hauptfigur ist Hieronymus Arber, auf dem Höhepunkt der Revolte Assistent am Frankfurter Institut. Um ihn arrangiert sich eine akademische Intrige und ein weltberühmter Mord. Auch die Kriegsgeneration nimmt der Roman in den Blick und fragt nach den historischen Gründen für den Aufruhr in den 60er Jahren. Das bleiche Herz der Revolution betrachtet 68 von innen: es stellt sich auf die Seite der Schwachen und demontiert Autoritäten, nur daß in diesem Fall die Autoritäten die 68er sind.

Autorenporträt
Sophie Dannenberg, geboren 1971, hat Literaturwissenschaft und Philosophie studiert mit Studienaufenthalten in Dublin, New Albany und auf Capri. Sie lebt in Berlin. Das bleiche Herz der Revolution ist ihr erster Roman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2004

Ganz unten
Heimschläfer auf Höllenfahrt: Die Belletristik in diesem Herbst

Kurz und Gut steht jeden Morgen an der Ecke und erzählt. Man nennt ihn Kurz und Gut, weil er, ständig hustend und lungenkrank, nicht mehr ausreichend Luft für eine ausführliche Erzählung hat. "Also kurz und gut, sagte er dann: Viele kurze Geschichten ergeben auch eine lange, ist vielleicht auch interessanter." So rezitiert er wörtlich den Beginn von Dostojewskis "Idiot" und erzählt dann, kurz und gut, dessen Quintessenz in einem einzigen Satz. Dieser Kurz und Gut ist nur eine der unvergeßlichen Figuren in Dieter Fortes neuem Roman "Auf der anderen Seite der Welt" (S. Fischer), eine Gestalt wie ein orientalischer Geschichtenerzähler, der sich ins Nachkriegs-Düsseldorf verirrt hat. Wie alle diese Figuren ist er ein Führer in die Unterwelt. Zu Beginn des Romans reist der Erzähler, das Kind aus Fortes autobiographischer Trilogie "Das Haus auf meinen Schultern", ans Meer, in ein Lungensanatorium, eine Hadesfahrt ohne Wiederkehr. Fortes Buch ist eines der düstersten dieses Herbstes und zugleich eines der reichsten, eine postapokalyptische Version des "Zauberbergs", die die "Stunde Null" nicht als Tor zu hellen Wirtschaftswundertagen versteht, sondern als schwarzes Loch, das Vergangenheit wie Zukunft in seinen Sog reißt.

Höllenwanderungen, Schattenreiche, Grubenfahrten in die Stollen der Erinnerung - in diesem Herbst, in dem die Deutschen im Kino mit dem Führerbunker das dunkelste Verlies ihrer Geschichte betreten, ist auch die Belletristik voller Abstiege ins Inferno, allerorten Erkundungen dunkler Geschichtsflecken. Es ist kein Zufall, daß eine der interessantesten literaturwissenschaftlichen Neuerscheinungen, "Höllenfahrten" von Isabel Platthaus (Wilhelm Fink), die "Unterwelten der Moderne" von Joyce bis Pynchon ausmißt. Der Abstieg in die Unterwelt ist stets auch ein Blick in die Tiefe der eigenen Seele und die Untiefen der Vergangenheit.

"Da geht's gleich richtig in den Schacht", nennt das Lutz Schaper, eine der Hauptfiguren in Antje Rávic Strubels Roman "Tupolew 134", der auf einem authentischen Fall beruht: 1978 entführten zwei DDR-Bürger eine polnische Linienmaschine auf dem Rückflug nach Schönefeld und zwangen sie zur Landung in Tegel. Wie Strubel die bleierne Atmosphäre jener Jahre sinnlich heraufbeschwört und zugleich die Unmöglichkeit einer authentischen Rekonstruktion der Vergangenheit demonstriert, ist virtuos. Der "Schacht" wird dabei zur zentralen Metapher der Erinnerung, immer wieder geht es nach "ganz unten", wo die Grenzen der Dinge und alle Gewißheiten verschwimmen.

Nicht nur für DDR-Bürger war West-Berlin ein Sehnsuchtsort. Auch mancher bundesrepublikanischer Wehrpflichtiger entzog sich so der Einberufung. Der zweite Roman von Sven Regener "Neue Vahr Süd" (Eichborn) liefert die Vorgeschichte seines Herrn Lehmann nach, der in den frühen Achtzigern nahe bei Bremen zum Bund muß. "Die ihr antretet, laßt alle Hoffnung fahren" könnte hier über dem Kasernentor stehen. Regener liefert die burleske Variante der Höllenfahrt, die immer pünktlich am Wochenende unterbrochen wird. Doch als Heimschläfer kann er nicht sicher sein, ob seine versifftes WG-Zimmer nicht in Wahrheit der allerunterste Kreis der Hölle ist.

Das gleiche gilt für jenen diabolischen Sexclub namens "Klapsmühle", den Abel Nema in Terézia Moras erstem Roman "Alle Tage" (Luchterhand) betritt und nur nackt und zerschunden wieder verläßt. Schlagender als durch Moras grandioses Panorama unserer Epoche der Fluchten und Vertreibungen mit seiner Vielzahl faszinierender Figuren und Geschichten läßt sich das Motto von Kurz und Gut nicht beweisen. Eine ähnliche Stoffülle bietet Thomas Brussig in "Wie es leuchtet" (S. Fischer) auf. Doch der vermeintlich ultimative Wenderoman demonstriert, daß allein die Addition von Episoden noch lange kein Zeitpanorama macht.

Die "Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss ging ja aus dem Plan hervor, Dantes "Commedia" für das zwanzigste Jahrhundert zu schreiben. Der dunkelste Schreckensort war hier Plötzensee, die Schlachtstätte der Hitler-Attentäter. F. C. Delius erinnert in "Mein Jahr als Mörder" (Rowohlt Berlin) an das Schicksal des Widerständlers Georg Groscurth, der im Mai 1944 mit dem Fallbeil hingerichtet wurde und dessen Sohn ein Kindheitsfreund des Autors war. Als 1968 der NS-Richter freigesprochen wird, faßt der Erzähler den Entschluß zur Selbstjustiz. An '68 arbeiten sich gleich mehrere Generationen ab: Gerhard Seyfried, Jahrgang 1948, stellt sich noch einmal unter den "Schwarzen Stern der Tupamaros" (Eichborn), Sophie Dannenberg, geboren 1971, klagt im Namen der unter Spätfolgen leidenden Kinder "Das bleiche Herz der Revolution" an (DVA), und Peter Rühmkorf (1929) veröffentlicht seine Tagebücher 1971/72 (Rowohlt).

Wer hierzulande familiengeschichtliche Grabungen anstellt, stößt irgendwann immer auf eine Kammer des Schreckens. Martin Pollack forscht seinem Vater nach, einem später wohl von Partisanen 1947 ermordeten SS-Offizier und Kriegsverbrecher ("Der Tote im Bunker", Zsolnay). Jakob Hein dagegen erinnert sich anrührend an seine verstorbene Mutter und erkundet dabei die jüdischen Wurzeln der Familie im Dritten Reich ("Vielleicht ist es sogar schön", Piper). Auch einige der wichtigsten Übersetzungen sind Familienromane, doch wer hier angesichts der Titel Erbaulicheres erwartet, täuscht sich: Über der "Liebe" in Toni Morissons gleichnamigem Roman (Rowohlt) scheint ein Fluch zu liegen; in Amoz Oz' gewaltiger "Geschichte von Liebe und Finsternis" (Suhrkamp) droht den knapp den europäischen Schrecken entronnenen Juden in Palästina erneut die Vernichtung. Daß der Amerikaner Denis Johnson nicht allzu optimistisch in die Welt blickt, ist aus seiner Novelle "Train Dreams" (Mare) in aller Konzentration abermals zu erfahren. Endlich übersetzt wurde "Der Besen im System", der hintersinnig-irrsinnige Debütroman des genialischen David Foster Wallace (Kiepenheuer & Witsch). Im Osten Europas taugt der Fortschritt schon lange nur noch als Groteskenstoff. Der Tscheche Péter Zilahy blickt in seinem verspielten "Revolutions-Alphabet" "Die letzte Fenstergiraffe" (Eichborn) mit Kinderblick auf das ehemalige Jugoslawien. Viktor Pelewin stellt in "Die Dialektik der Übergangsepoche von Nirgendwoher nach Nirgendwohin" (Luchterhand) den ganzen postkommunistischen Aberwitz Rußlands bloß. "Das jetzige System nannte sich Fortschritt, drehte sich aber Schritt für Schritt nur im Kreis, was natürlich keiner bemerkte, es ging ja immer so schön geradeaus", so heißt es bei Forte.

Nicht nur die deutsche Literatur also hat jeden Glauben an Fortschritt und Vervollkommnung längst aufgegeben. Das bevorstehende Schiller-Jahr dürfte spannend werden: Zwar ist Schiller ja selbst vor allem in seinen Briefen "Über die ästhetische Erziehung" der schärfste Fortschrittskritiker gewesen, hatte aber doch mit allem Pathos die Kunst als Remedium inthronisiert. Vielleicht ist ja der "ästhetische Zustand", als Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft, gar nicht so weit weg von Pelewins buddhistischer Weltentrücktheit. Neben neuen Werkausgaben erscheinen zwei Biographien: Während Sigrid Damm (Insel) eher das Private erkundet, nimmt Rüdiger Safranski (Hanser) eine ambitionierte Rekonstruktion des Schillerschen Idealismus vor.

Und wo versteckt sich in der Gegenwart das Positive? Natürlich in der literarischen Form - und in der Liebe, die ja auch nur eine Funktion der Sprache ist. Marion Poschmanns Buch "Grund zu Schafen" (Frankfurter Verlagsanstalt) ist einer der wichtigsten Gedichtbände der letzten Zeit und markiert die Rückkehr einer Naturlyrik auf höchstem Sprach- und Reflexionsniveau. Diese in wunderbaren, manchmal zunächst dunklen, dann blitzartig klaren Sprachbildern eingefangene Natur erobert sich auch hier die resignierende industrielle Zivilisation zurück. Und wo die Biologie kein Rätsel mehr offenläßt, muß die Sprache die Welt ins Wundersame und Märchenhafte überführen.

Ein Programm, das auch die große Naturerzählerin Brigitte Kronauer unterschreiben würde. Sie hat mit "Verlangen nach Musik und Gebirge" (Klett-Cotta) einen ausgelassenen, entrückten Liebesverwirrungsroman geschrieben. Wie bei Forte beginnt das Buch mit einer seltsamen Reise ans Meer, nach Oostende. Und wenn man diese beiden Zugfahrten nacheinander liest, dann hat man fast schon das ganze Spektrum dieses Herbstes aufgefächert.

RICHARD KÄMMERLINGS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.09.2004

Nie wieder Wendland!
Mit Hass-Schrittmacher: Sophie Dannenbergs Romanpamphlet „Das bleiche Herz der Revolution”
Ist beim besten Willen und mit aller Bereitschaft, in der Überspitzung ein didaktisch hilfreiches, ja unumgängliches Verfahren zu sehen, im Jahre 2004 eine Professorin vorstellbar - und lehrte sie auch seit neunundzwanzig Jahren an der Universität Bremen und käme aus dem tiefsten 68er-Sumpf -, die bei einem Soziologenkongress in Bielefeld auf die Anrede „Liebe Kollegen” aufsteht und erklärt: „Ich bin Tamara Bendixen (. . .) und ich spreche im Namen meiner Kolleginnen und Kollegeusen, die genauso begrüßt werden wollen wie die Kollegen, du Chauvi”?
Nun gibt es in der Tat gerade in den akademischen Redeordnungen mancherlei ideologisch motivierte Sprachregelung, die zu geißeln kleinerer Mühe wert sein mag. Und die Wirklichkeit - zugegeben - dürfte deprimierender sein, als wir ahnen. Aber auch im missgünstigsten Klischee kann man selbst einer linksdogmatischen Lehrstuhlinhaberin mit Forschungsschwerpunkt Gender Studies nicht den Ausdruck „du Chauvi” in den Mund legen, ohne sich um alle Plausibilität, Glaubwürdigkeit und soziologische Treffsicherheit (Bielefeld!) zu bringen. Denn gerade die stramme „Kollegeuse” (was immer das meinen soll) hat sich auf ihrem Marsch durch die Institutionen einer gewissen Wandlungsfähigkeit unterzogen, ihr Vokabular upgedatet und sich im Jahr 2004 längst vom ubiquitären „Du” getrennt.
Die Autorin Sophie Dannenberg, Jahrgang 1971, wollte mit „Das bleiche Herz der Revolution” eine Abrechnung mit der Studentenrevolte schreiben, mit den 68ern, mit ihrer eigenen Elterngeneration. Und sie ist dabei in genau jenen unerbittlich-herrischen Gestus verfallen, in dem diese 68er einst selbst ihre „Nazi-Eltern” auf die Anklagebank zerrten. Der Name Dannenberg, so liest man, sei ein Pseudonym. Die Autorin habe es gewählt, um ihre Eltern nicht preiszugeben. Denen nämlich stellt sie - um das mindeste zu sagen - kein günstiges Zeugnis aus. Der Name verweist auf Lüchow-Dannenberg in der Republik freies Wendland, wohin sich in den Siebzigern der nicht-urbane, ökologisch mutierte Teil der Revolte zurückzog. Sophie Dannenberg schreibt als gebranntes Kind.
Aus Ressentiment zur Feder zu greifen, kann ein sehr gutes, ein sehr produktives Schreibfundament sein. Verletzungen wecken Kräfte, und Hass beflügelt die Einbildungskraft. Der Hass sollte aber - anders als die Liebe - nicht blind machen, sondern erbarmungslos hellsichtig und gnadenlos durchschauend sein, damit der Feind keine Chance hat, den scharfen Pfeilen zu entgehen. Er darf auch unfair sein und Schaum vor dem Mund haben, aber er muss treffen.
Eine chilenische Kommunistin
„Das bleiche Herz der Revolution” führt auf eher lieblose Weise zwei Lebensgeschichten zusammen. Die eine spielt im Hochschulmilieu. Der Philosophieprofessor Wisent, einst Galionsfigur der progressiven Studenten, weigert sich, ein Flugblatt zu unterzeichnen, das dem Konsumterror des Kapitalismus den Kampf ansagt, indem es zu Kaufhausbrandstiftungen auffordert („burn, ware-house, burn”). Wisent, der in sehr plumper Weise an Adorno erinnern soll, gerät daraufhin zur Zielscheibe des studentischen Mobs, den die revolutionäre Stimmung und Dynamik anheizt und davonträgt. Wisent wird als „Pentagon-Jude” diffamiert, es wird ein Busenattentat inszeniert, dem ein Molotowcocktail folgt: Der Professor verbrennt bei lebendigem Leibe. Sein Assistent und einzig wahrer Nachfolger, Hieronymus Arber, wird daraufhin von dem skrupellosen Revolutionsgewinner Mueller-Skripski ausgebootet und um Wisents Lehrstuhl gebracht. Das alles ist völlig holzschnitthaft und ödeste Kolportage: Die linken Karrieristen triumphieren auch in den nächsten Jahrzehnten und der unglückliche Arber muss sich noch 2004 ein „Du Chauvi” von seinen Widersachern vorhalten lassen.
Zum Glück hat er da bereits in einer Galerie für sehr moderne Kunst (in der ein Jesus in Pisse badet - die Autorin achtet stets darauf, dass man sie nicht missversteht) Kitty kennen gelernt. Kitty ist - wie Arber - ein 68er-Opfer. Sie ist ein so genanntes Kursbuch 17-Kind, an dem also alle revolutionären Erziehungsmethoden und Menschheitsneuschaffungsphantasien der Bewegung sich erbarmungslos ausgetobt haben. Kitty ist das alter Ego der Autorin, und wir glauben gern, dass eine solche antiautoritäre Kindheit in Lüchow-Dannenberg ein abgründiges Menschenexperiment gewesen sein muss. Bei Sophie Dannenberg bleiben davon aber nur völlig alberne Popanze übrig, Karikaturen von solcher Schlichtheit, dass man sie auch als Feind nicht mehr ernst nehmen kann.
„Du hast Isabel als Putzfrau bezeichnet, du Miststück!”, schreit die Mutter ihre Tochter an. „Das will ich nie wieder hören! Isabel ist keine Putzfrau, sie ist eine chilenische Kommunistin!” Ohnehin bestehen die ewigen Dialoge aus nichts anderem als Schlagwörtern. Und vor allem die ständigen Sexszenen dienen erkennbar keinem anderen Zweck, als die maue politische Ideengeschichte einmal anschaulich aufstöhnen zu lassen: „Oh ja! Fick mir den Grundwiderspruch aus dem Leib!” „O ja, ich geb dir meine Stalinorgel!” Oder auch: „,Was soll das werden‘, stöhnte sie, ,der große Fick der Bourgeoisie?‘ ,Von wegen‘, keuchte Arber, ,gleich kommt es zum qualitativen Sprung! Proletarier aller Länder, vereinigt euch . . . ‘ ,O ja!‘ ,. . . zwischen ihren Schenkeln‘”.
Das Problem ist, dass dieses bitter-ernste, schwer grollende und sehr verbissene Buch für eine saftige Satire viel zu unlustig ist. Weil die kleine Kitty lernen soll, ihr Begehren zu akzeptieren, um ihre Sexualität später „konfliktfrei” auszuleben, zwingen die Eltern sie ins Schlafzimmer, damit sie ihnen beim Geschlechtsakt zusieht. Kurz vor dem Höhepunkt übergibt sich das Kind und kotzt ins elterliche Bett. Die Mutter: „Das hast du doch mit Absicht gemacht, Kitty, weil du neidisch bist! Weil dein Vater mich fickt und nicht dich! Und dabei war ich kurz vor dem Orgasmus, du ödipales Luder!” So geht das seitenweise in diesem plumpen, hanebüchenen Buch. Es taugt allenfalls als warnendes Beispiel dafür, dass es kitschsaure Gesinnungsästhetik nicht nur auf seiten der Alt-Linken geben muss.
Die Vorfahren der 68er sollen immer herumerzählt haben, die Kommunisten fräßen kleine Kinder. Ein Buch, das sich mit dem Kommunismus auseinander setzte und eine gruselige Kinderverspeisungsszene nach der anderen auftischte, würde man auch als absurdes Greuelmärchen kritisieren - ohne deshalb den Tatbestand des GuLags und die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit ihm bestreiten zu wollen. Das Greuelmärchen, das uns Sophie Dannenberg auftischt, ist völlig läppisch. Hinter dieser Schreckensoperette aber mögen sich ganz andere Tragödien abgespielt haben. Nichts ist ungeheuerlicher als der Mensch - und der kollektiv suggerierte, ideologische Ausnahmezustand der Revolte, wie ihn 68ff. forcierte, wird enorme Ungeheuerlichkeiten gezeitigt haben. Von ihnen zu erzählen sollte sich kein Schriftsteller durch Sophie Dannenbergs Beispiel abgeschreckt fühlen.
IJOMA MANGOLD
SOPHIE DANNENBERG: Das bleiche Herz der Revolution. Roman. Deutsche Verlagsanstalt, München 2004. 303 Seiten, 19,90 Euro.
Schon 1968 lief nix ohne Bildung: Angeklagte Studentinnen provozieren das Gericht, indem sie Brechts „Ballade von den sexuellen Richtern” singen.
Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Hubert Spiegel verreißt dieses Buch recht gnadenlos, hat doch die sich hinter einem Pseudonym verbergende Autorin für ihn lediglich Klischees über die Achtundsechziger-Revolte und ihre Folgen zusammengeklaubt. Wer wohl hinter dem Pseudonym steckt? Spiegel mag nicht spekulieren, er betreibt Spurensuche im Roman selbst und findet erstaunliche Parallelen der Protagonistin von Dannenbergs Buch zum Protagonisten des neuen Romans von Joachim Lottmann.
 

© Perlentaucher Medien GmbH