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Gernot Wolframs Geschichten erzählen von Menschen, die plötzlich in eine Situation des Zweifelns, der Anspannung oder der Irritation geraten, weil ihre Überzeugungen brüchig werden, nicht mehr stimmen, sich verändern. Zum Beispiel geht es um einen Mann, der glaubt einem Verbrechen auf der Spur zu sein, dann, weil er das falsche Foto schießt, selbst unter Verdacht gerät. Oder ein Exilchinese in Deutschland sieht sich allabendlich an seinem Radio die Verbindung der verschiedenen Weltkulturen herstellen, bis ein Beschwerdebrief wegen Ruhestörung ihm die Fäden aus der Hand nimmt.
Gernot Wolfram
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Produktbeschreibung
Gernot Wolframs Geschichten erzählen von Menschen, die plötzlich in eine Situation des Zweifelns, der Anspannung oder der Irritation geraten, weil ihre Überzeugungen brüchig werden, nicht mehr stimmen, sich verändern. Zum Beispiel geht es um einen Mann, der glaubt einem Verbrechen auf der Spur zu sein, dann, weil er das falsche Foto schießt, selbst unter Verdacht gerät. Oder ein Exilchinese in Deutschland sieht sich allabendlich an seinem Radio die Verbindung der verschiedenen Weltkulturen herstellen, bis ein Beschwerdebrief wegen Ruhestörung ihm die Fäden aus der Hand nimmt.

Gernot Wolfram besticht durch seine komprimierte Schreibweise, durch die feine psychologische Ausarbeitung seiner Charaktere, die nicht zuviel verrät, durch seine Fähigkeit, Atmosphären, mit wenigen Strichen Welten im Kleinen entstehen zu lassen.
Autorenporträt
Gernot Wolfram wurde 1975 in Zittau geboren und lebt in Berlin, arbeitet als Journalist und Autor. Er hat Gedichte und Erzählungen in Zeitschriften veröffentlicht. 1995 erhielt er den Landespreis für deutsche Sprache und Literatur Baden-Württemberg. Für die Erzählung "Am Radio" aus diesem Buch Die kleine Täuschung wurde ihm letztes Jahr der Walter-Serner-Preis verliehen.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2003

Weltempfänger am Ohr
Man kann sich nicht immer einig sein: Gernot Wolframs Erzähldebüt

Manche Geschichten lesen sich wie Kapitel eines Romans. Zwar sind die Figuren nicht identisch, aber Milieu, Personal und vor allem das Lebensgefühl besitzen großen Wiedererkennungswert, was den Lektüregenuß maßgeblich erhöht. Raymond Carver oder Judith Hermann schreiben so, aber nicht der 1975 in Zittau geborene Gernot Wolfram, der mit dem Erzählungsband "Der Fremdländer" ein beeindruckendes Debüt vorlegt. Bei aller Konkretion im Detail bleibt die beschriebene Welt vielgestaltig, man könnte auch sagen: diffus. Die Figuren sind zu einzelgängerisch, um in einem Milieu aufzugehen.

"Am Radio", die Eröffnungsgeschichte, hat dem Autor im vergangenen Jahr den Walter-Serner-Preis eingebracht. Herr L., ein "schriftstellernder Exilchinese", hat eine nicht ganz stille Passion - er kurbelt nachts am Weltempfänger und lauscht den Radioprogrammen ferner Länder. Das größte Vergnügen bereitet ihm ein Sender aus Kairo, der allwöchentlich eine knappe Stunde Peking-Oper spielt. Aber die Wände im Haus sind dünn, und bald bekommt es der Chinese mit seinem Nachbarn, dem Steuerprüfer Sanddorn, zu tun. "Wie der Beerenstrauch, ja!" - so stellt er sich leutselig vor, und ebenso leutselig teilt er mit, daß er gerade wegen der Stille in dieses Haus gezogen sei. Es ist eine skurrile Geschichte über menschliche Dissonanzen und den erzwungenen Verzicht auf Vertrautes, in einem ganz eigenen, knappen Ton erzählt.

Wolfram verzichtet auf spektakuläre Konflikte; meist handeln seine Erzählungen von Verunsicherungen, Täuschungen oder Mißverständnissen. Ein fehlgegangenes Rendezvous schildert die Titelgeschichte: ein Deutscher und eine Polin in einem Hotelzimmer in Posen. Ost-Komplexe und West-Verunsicherung lassen alle Gesten mißglücken. Das war wohl unser letztes Treffen, meint die Frau schließlich. Der junge Mann versucht sich zu beruhigen: "So etwas kommt alle Tage vor. Man kann sich nicht immer einig sein, das ist das Natürlichste von der Welt, ein Mißverständnis." Und der letzte Satz, mit dem auch andere Erzählungen dieser Sammlung enden könnten, lautet: "Es ist ja nichts geschehen, es ist ja nichts geschehen." Keine Frage, wer sich so zureden muß, weiß, daß etwas geschehen ist, auch wenn es im Ungesagten bleibt.

Auf subtile Weise entgleitet der Boden in der Erzählung "Ein zorniges Gesicht": Eine Frau kehrt nach vielen Jahren zurück in ein spanisches Dorf, um sich noch einmal die Gemälde anzuschauen, die sie dort als Studentin im Anbau einer Kirche bewunderte. Alles ist wie damals, bis auf eine Kleinigkeit: "An der Stelle, wo die Bilder gehangen hatten, starrte weißer Kalk." Bald beginnt auch der Leser zu zweifeln: Ist dies überhaupt der Ort und die Kirche, von denen die Frau erzählt hat? "Ich habe mich geirrt. Ich habe mich einfach geirrt", versichert sie schließlich dem Mann, der ihr etwas verwundert den Raum aufgeschlossen hat. Aber das Bild, das sie genau hier gesehen haben will, geht ihr nicht aus dem Kopf.

"Einfach geirrt" hat sich auch der Held von "Eine potentielle Gefahr", ein Journalist, der in Istanbul auf eine Story wartet. Da findet ausgerechnet in seinem Hotel ein Polizeieinsatz statt. Das Haus wird geräumt - ein Attentäter, als Geschäftsmann getarnt, habe möglicherweise Unterschlupf gefunden. Tatsächlich hockt in der Empfangshalle ein Mann, umringt von Polizisten. Der Journalist beschreibt ihn ausgiebig, als wollte er einem unheimlichen, gefährlichen Menschen physiognomisch auf die Schliche kommen. Er weist seinen Fotografen an, heimlich ein Foto von dem Terroristen zu schießen. Da gibt der Fotografierte den Polizisten ein Zeichen; der Film wird beschlagnahmt. Der vermeintliche Verbrecher erweist sich als der "städtische Bevollmächtigte für Hotelschließungen". Das durch Kleist geadelte Thema der Fehlinterpretation wird auf neun atmosphärisch dichten Seiten meisterhaft durchgeführt.

Wolfram verfügt über einen angenehmen, nicht auf Pointen kalkulierenden Humor. Gerne stellt er sonderlingshafte Gestalten in den Mittelpunkt, wie den Komponisten Alan in der Erzählung "Musik". Dieser Fabulierer unzuverlässiger Geschichten ist der Meinung, sein Werk für Oboen, Gitarre und Schlagzeug mit dem Titel "Das Mutterkorn" könne nur von Verbrechern richtig verstanden werden - "weil die ja auch wie ein giftiges Korn an der Gesellschaft entlangwüchsen". Nun ja. Er bemüht sich um ein Konzert im Gefängnis, das zum Desaster wird. Sofern sie nicht längst den Kulturraum verlassen haben, beschimpfen die Häftlinge den Tonsetzer als "Krachmacher". Dem fällt es indes nicht schwer, sich auf die ungünstigen Vorgänge einen vorteilhaften Reim zu machen.

Die Vorliebe für Kunst- und Künstlernovellen ist auffällig. In "Die Fresken" entwendet eine Gruppe von Israelis aus einer westukrainischen Villa die Wandbilder, die Bruno Schulz dort während des Zweiten Weltkriegs für einen deutschen Besatzungsoffizier anfertigen mußte. Die Geschichte hat einen authentischen Hintergrund, der an einen Kulturkrimi gemahnt: Mitarbeiter von Yad Vashem hatten die in Drohobycz wiederentdeckten Fresken in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entfernt und nach Israel gebracht. Wolframs Erzählung haftet indes etwas Gezwungenes an - wie dem plakativen Namen "Zimt" für den Verfasser der legendären "Zimtläden".

Israelis in der Ukraine, Chinesen in Berlin, ein Belgier mit afrikanischen Vorfahren, der im Prager Massagesalon einer Dresdnerin arbeitet (eine der schwächeren Geschichten), ein Mann, der sich als indischer Mischling ausgibt, in Wahrheit aber das Kind eines farbigen Soldaten und einer Mannheimer Krankenschwester ist - Globalisierung ist bei Wolfram Erzählprinzip. Nicht nur die Figuren der Titelgeschichte, sondern alle sind hier überall "Fremdländer". Das wirkt manchmal forciert und kann den Eindruck beliebiger Figuren- und Schauplatzwahl erwecken.

So ergibt sich ein gemischter Eindruck: einige sehr gelungene Texte, einige tastende Fingerübungen. Etwas verloren wirkt das längste Stück des Bandes, "Die Strafe", eine Kindheitserzählung. Es geht um den Aufenthalt in einer "widerlichen Kurvilla", wo Kinder auf ihre Haltungsschäden behandelt werden. Allein Worte wie "sozialistisches Heim" oder "Gemeinschaftsdusche" legen einen Grauschleier über den Text, so daß die im einzelnen beschworene Tristesse sich fast erübrigt. Das Bild des Haltungsschadens scheint jedoch charakteristisch für Wolframs Figuren. "Gerade halten!" wird der Hauptfigur einer anderen Geschichte im Vorübergehen von einem Unbekannten zugerufen. Für den talentierten Autor wäre es wohl der falsche Rat.

WOLFGANG SCHNEIDER

Gernot Wolfram: "Der Fremdländer". Erzählungen. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2003. 160 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003

Ein Hieb aus purer Dankbarkeit
Geschlossen starkes Debüt: Gernot Wolframs Erzählungsband „Der Fremdländer”
Alle Pädagogik ist in ihrem unreflektierten, innersten Kern bloß ein Gegensteuern. Insofern ist auch die Kunstkritik eine natürliche Tochter der Pädagogik: Wo der Tiefsinn triumphiert, fordert sie mehr Leichtigkeit; wo die Artistik ihre Pirouetten dreht, mehr soziale Wirklichkeit; wo die Ironie schaumschlägt, mehr heiligen Ernst. Im Kräfteparallelogramm aus dichterischem Impuls und kritischem Gegensteuern mendelt sich dann zuletzt eine wohltemperierte Tonlage mittlerer Bücher heraus, worauf die Pädagogik des Gegensteuerns nicht säumt, nach mehr Wildheit und Risiko zu verlangen.
Einer der kunstfertigsten Debütanten dieses Bücherherbstes ist Gernot Wolfram. Der 1975 in Zittau geborene, heute in Berlin lebende Autor hat einen Band mit Erzählungen vorgelegt. „Der Fremdländer” heißt er. Die Erzählungen sind von einer Geschlossenheit, tadellosen Ausbalanciertheit und genauen Durchführung ihrer Motivik, die den Schein des Makellosen erzeugen. Nie fallen Anspruch und Können, erzählerische Idee und die Mittel ihrer Umsetzung auseinander. Weder verblasene Überheblichkeit noch falsche Bescheidenheit kennt dieser Erzählgestus. Er ist in jedem Moment seinem Gegenstand gewachsen und dabei so kontrolliert, dass die Sprache nie über das Ziel hinausschießt. Die Pädagogik des Gegensteuerns könnte bei soviel beherrschter Meisterschaft allenfalls mehr Übermut und Durchgängerei vermissen. Aber was sollte das heißen?
Dass kaum stolpert, wer kleine Sprünge macht, wäre nämlich ein sehr ungerechter Vorwurf an den unkoketten Erzähler Gernot Wolfram. Es ist eher von der Art, dass er so behutsam Anlauf nimmt, dass man sich über die tatsächliche Weite seiner Sprünge erst einmal täuschen kann. In der Erzählung „Prager Massage” eröffnet Martha ein Massage-Studio in Prag. Unter den albern kostümierten Kartenverkäufern, die vor der Smetana Hall für Mozart-Konzerte werben, fischt sie sich zielsicher einen jungen Belgier, Saul, heraus, um ihm die Grundtechniken der Massage beizubringen und ihn als Assistenten anzustellen. Der junge Belgier macht das Beste daraus, er knetet und salbt die Kunden, „bis sich in ihnen etwas löste, was Martha ihm (Saul) mit den Worten erklärte: ,Das ist die reine Dankbarkeit‘”. Immer mehr Kunden, meist Männer in edlen Geschäftsanzügen, frequentieren die Praxis, aber von der Dankbarkeit, die Saul bei ihnen auslöst, hatte sich seine Meisterin wohl nicht die richtigen Begriffe gemacht. Einmal tritt sie während der Massage in Sauls Praxiszimmer und überrascht ihn, wie er auf einem nackten Kunden hockt und ihn heftig schlägt. Es sei die reinste „Gewaltorgie”, für die er sich bezahlen lasse, wirft sie ihm vor, ihr Massage-Studio sei doch kein Bordell! Saul hält dagegen: „Diese Leute sitzen zu viel auf ihrem Hintern und verdienen einfach zu viel Geld. Wer zu viel Geld verdient, hat ein schlechtes Gewissen und will dafür eins auf den Arsch.”
Worum geht es dieser Erzählung? Es macht die Weite von Gernot Wolframs Erzählungen aus, dass sie aus dem raffinierten psychologischen Reichtum ihrer Figuren stets mehrere Parallelgeschichten gewinnen. So ist „Prager Massage” die Geschichte eines postsozialistischen Aufbruchs, denn Martha verlässt in der Zeit nach dem Mauerfall (Ost-)Deutschland, um ein Unternehmertum im Kleinen zu erproben. Mit Saul und seinem triebtheoretischen Geschäftssinn liefert der Erzähler aber auch die Version eines masochistischen Kapitalismus in der neu erwachenden Metropole, die man freilich nicht allzu ernst nehmen sollte: Saul ist in der glänzend komprimierten Exposition der Erzählung als politischer Schwätzer vorgestellt worden, der sich gerne in phantastische Ideen über den politischen Befreiungskampf in Afrika hineinsteigert. Seine schlichte Theorie der geldscheffelnden Ärsche, die sich nach Bestrafung sehnen, ist also auch ein psychische Ventil, mit dem er sich Genugtuung gegenüber jenem System verschafft, das er für das Scheitern seiner politischen Träume verantwortlich macht. Nein, die „Prager Massage” ist keine erzählte Theorie. Sie ist, vor allem, eine Erzählung vom Hingezogensein, das umso stärker ist, je weniger man den anderen durchschaut. Und vom Glanz des Öls, des Massageöls, das, wenn es an den Händen Sauls schimmert, ihn in Marthas Augen doch fast zu jenem „archaischen Krieger” salbt, der der vergebliche Abenteurer so gerne wäre.
Unter der sicheren Hand des Erzählers, hinter dem Wohlgesetzten seiner Worte (die Sätze fallen oft wie wunderbare musikalische Kadenzen), tut sich ein geradezu extravaganter Reichtum an Figurenpsychologie auf. Und die Verankerung in der zeitgenössischen Wirklichkeit bewahrt Wolfram vor der Beschaulichkeit bloß genauen Erzählens. Selbst der Kauz, so oft der unerträglich versponnene und heillos artifizielle Gartenzwerg der Literatur, hat bei Wolfram Rückgrat und eine glaubwürdige Geschichte.
Zum Schluss, gleichwohl: Als Kunstkritiker dem Prinzip des pädagogischen Gegensteuerns verpflichtet, wünschen wir uns für sein nächstes Buch mehr riskante Unbedenklichkeiten und Übermütigkeiten: Denn es muss ein Vergnügen sein, eine solche Begabung mit größeren Gefahren kämpfen und nicht darin untergehen zu sehen.
IJOMA MANGOLD
GERNOT WOLFRAM: Der Fremdländer. Erzählungen. Deutsche Verlagsanstalt, München 2003. 160 Seiten, 17,90 Euro.
In den heiteren Regionen, wo die reinen Formen wohnen!
Foto: R. Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine große Begabung macht Ijoma Magold bei Gernot Wolfram aus, der mit 28 Jahren sein Erzähldebüt gibt. Alles tadellos, schreibt Mangold begeistert: Wolframs Erzählungen seien von geradezu makelloser Geschlossenheit, Ausbalanciertheit, Stringenz. Der Erzähler sei seinem Gegenstand in jedem Moment gewachsen und schieße auch sprachlich nie über das Ziel hinaus. Weil aber alles so makellos, so tadellos wirkt, und weil ihn der Erzähler vollends überzeugt, wünscht sich Mangold, dass er beim nächsten Mal mehr über die Stränge schlagen möge. Soviel Kontrolliertheit und Beherrschung der Mittel findet Mangold unheimlich. Am besten beherrscht Wolfram die Figurenpsychologie, meint der Rezensent, sie sei so reich und raffiniert, dass sich stets aus einer Figur mehrere Parallelgeschichten ergäben. Am beeindruckendsten führt dies wohl die Erzählung "Prager Massage" vor, die vom postsozialistischen Aufbruch handelt. Die konsequente Verankerung seiner Figuren in der Wirklichkeit bewahren Wolfram gleichzeitig davor, lobt Mangold, einer Beschaulichkeit seiner genauen Erzählung zu erliegen.

© Perlentaucher Medien GmbH