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Michael Schindhelm beschreibt die Suche eines jungen DDR-Bürgers nach seiner wahren Heimat. In Ostdeutschland hat sich Robert nie wirklich zuhause gefühlt. Die Suche nach Identität führt ihn in die Weiten des Kaukasus, an die Ostberliner Akademie der Wissenschaften, in Liebesgeschichten und in die Isolation der Kleinfamilie. Doch auch als er mit seiner Frau und Tochter in den Westen zieht, bleibt er heimatlos. Der Autor beschreibt eine Generation, die in Ost wie West auf der Suche nach sich selbst ist.

Produktbeschreibung
Michael Schindhelm beschreibt die Suche eines jungen DDR-Bürgers nach seiner wahren Heimat. In Ostdeutschland hat sich Robert nie wirklich zuhause gefühlt. Die Suche nach Identität führt ihn in die Weiten des Kaukasus, an die Ostberliner Akademie der Wissenschaften, in Liebesgeschichten und in die Isolation der Kleinfamilie. Doch auch als er mit seiner Frau und Tochter in den Westen zieht, bleibt er heimatlos. Der Autor beschreibt eine Generation, die in Ost wie West auf der Suche nach sich selbst ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2000

Mit offenem Hemd
Tote Fische fangen: Michael Schindhelms Roman "Roberts Reise"

Nicht jeder, der ein Buch schreibt, ist ein Schriftsteller. Michael Schindhelm zum Beispiel, geboren 1960 in Thüringen, ist ausgebildeter Chemiker und erfolgreicher Theatermacher. Und man kann sich ihn wunderbar mit offenem weißen Hemdkragen als Mittelpunkt einer Abendgesellschaft vorstellen, die er mit grotesken Anekdoten vom Aufwachsen in der DDR und vom Studieren in der maroden sowjetischen Provinz unterhält. Jetzt hat er seine Lebensgeschichte unter dem Titel "Roberts Reise" aufgeschrieben und darunter das Wort "Roman" gesetzt.

Das Wort klebt so lose an seinem Buch wie der Name Robert an dem Ich, das es erzählt. Man muss nur ein wenig blättern, dann fallen beide ab wie allzu beflissene Namenskärtchen von den Jacketts allzu umtriebiger Kongressteilnehmer, und hinter dem Romancier, der keiner ist, wird wieder der mündliche Erzähler im offenen Hemd sichtbar. Er kann sich auf seinen Stoff, das eigene Leben verlassen. Denn es ist reich an Turbulenzen, kleinen und großen Abenteurern. Da ist der Diebstahl einer zerlesenen Reclam-Ausgabe von Nietzsches "Zarathustra" in der Technischen Hochschule Fichtenburg. Da sind die toten Fische in den verseuchten Seen um Woronesch und die Tücken des Alltags in einem sowjetischen Wohnheim, da ist der dunkle Bergwerkstollen in einem trüben Nest im Kaukasus, der den Studenten fast verschluckt. Und da ist der Reiz, den in den achtziger und neunziger Jahren eine Lebenslinie entfalten kann, wenn sie durch den zerfallenden Sozialismus hindurch von Ost nach West führt und dabei auf wundersame Weise ansteigt und ansteigt, bis das Ich schließlich ein Ferienhaus in den Schweizer Alpen hat und von dort auf die klassischen Landschaften des Comer Sees und des Lago Maggiore hinabblicken kann.

Wie gesagt, dieser Lebensstoff ist ein Pfund, mit dem sich erzählerisch wuchern lässt. Aber unter den vielen Freunden und vielen Frauen, die den Lebensweg des Helden im offenen Hemd säumen, fehlt der wichtigste: der geduldige Gegenleser, der Zuhörer mit dem empfindlichen Ohr, der Lektor. Dieses Ich braucht jemanden, der ihm hilft, zum Stoff die prägnante Form zu finden. Es ist das Erzählen gewohnt, den unbeschwerten Plauderton, der ihm am besten gelingt. Das Schreiben von Prosa, die Entwicklung von Figuren, die mehr wären als willfährige Begleiter des Ich, will sich der leichten Hand nicht fügen. So locker es sitzt, so eigentümlich schwer lastet das Etikett "Roman" auf dieser leichten Hand, die ihren Stil noch sucht. "Also setzte der Staat bei uns zur Quadratur einer Generation an", schreibt sie dann. Oder sie verkrampft sich bei der Suche nach einem originellen Bild: "Einige Frauen recken sich mit ihren Astralkörpern und riesigen Sonnenbrillen wie pharaonische Statuen." Manchmal flüchtet sie auch in die unfreiwillige Parodie von, sagen wir, Botho Strauß: "Ich bin der Keinheimische." Und nach einem überstandenen Motorausfall auf dem Comer See von Conrad Ferdinand Meyer: "Der Schiffer zieht vorüber und strandet, sein brechender Blick nimmt die geschaute Schönheit mit ins Grab."

Zu den vielen Frauen, die dem Ich im offenen Hemd die Aura eines erotischen Abenteurers geben, gehört die Russischlehrerin Sweta. Sie düpiert den Helden und entzieht sich ihm abrupt. Er schickt ihr zwei knappe Abschiedssätze hinterher: "Sechs Jahre später war sie tot. Sie soll am Ende noch sechsunddreißig Kilo gewogen haben." Eine andere Trennungsgeschichte ist die von Maren. Mit der hat das Ich ein Kind, das im Tschernobyl-Sommer 1986 geboren wird und Zoe heißt. Das Kind gerät dem Vater aus den Augen. Erzählerisch unerlöst wie seine Mutter spukt es durch das Buch. Für ein Ich, das sich selbst auf die Spur kommen will, wären die vielen Abbrüche der Liebe und der Freundschaft ein ernsthafter Widerpart der munter aufsteigenden Lebenslinie. Aber "Roberts Reise" ist nicht nur kein Roman. Es ist auch keine Autobiographie. Dass darin die Anekdoten von deutschen Lehrern, russischem Wachpersonal und afrikanischen Tricksern, die Westwaren in den Osten jonglieren, am besten gelingen, ist kein Zufall. Denn die Anekdote gehört zu den stabilen Grundelementen der Memoirentradition. Das Ich im offenen Hemd probiert auch dieses Genre an, aber auch hier fehlt ihm der Rat des nicht vorhandenen Freundes mit dem Gespür für Formen. Denn Held der Memoiren ist das Ich in Gesellschaft, es kann nicht schaden, wenn sie prominent ist. Der Beruf des Helden, seine soziale Stellung ist in der Regel hierzu der Schlüssel. Schindhelm aber spart die Geschichte seines Aufstiegs als Theatermacher über die Intendanzen von Gera und Altenburg bis zur 1996 angetretenen Direktion in Basel ebenso aus wie den Gegenstand seiner Studien, die Chemie. Irgendeine nicht erzählte Geschichte hat dieses Ich ins Hochplateau der Arrivierten, ins Tessin geführt und zu einem gefragten Mann gemacht, nach dem ständig das Handy klingelt. Was von den Memoiren bleibt, erzählt Schindhelm als kaum verrätselten Schlüsselroman: unter einem Namen, der ihn durchaus nicht verdeckt, begegnet dem Leser Friedrich Schorlemmer, zu dessen protestantischem Oppositionszirkel in der DDR "Robert" eher Distanz wahrt. Echte Freundschaft verbindet den angehenden Chemiker an der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften mit seiner Zimmernachbarin Renate, die ihm die "Toten Seelen" von Gogol schenkt und unschwer als Angela Merkel zu erkennen ist.

Es gibt aber in diesem Buch einen Kern, zu dessen Gunsten der Lektor-Freund, der ihm fehlt, manches Räsonnement und manches abschweifende Schwadronieren beschnitten hätte: den Reisebericht eines jungen Deutschen aus der Sowjetunion zwischen Breschnew und seinen Nachfolgern. Die Passagen über das Leben in Woronesch und in den kaukasischen Provinzen, wo, noch unerkannt, schon die Nationalitätenkriege toben, sind die stärksten. Und das vor allem dort, wo sie auf alle Aufschwünge in den soziologisch-ethnologischen Dilettantismus verzichten, sondern nur Details notieren: zur Mystifikation der Waren im Sozialismus, zum Ineineinandergreifen von hypertropher Ordnung und allgegenwärtiger Anarchie. Für eine präzise Ausformulierung dieses Stoffes, dieser tristen Reiseberichte aus einer scheinbar ewigen Ära der Stagnation gäbe man manche der essayistischen Ornamente gern her, mit denen das Ich im offenen Hemd die oberitalienischen Seen und den westlichen Kulturbetrieb einrahmt.

Der Rost, der Schrott und die toten Fische im See bei Woronesch bleiben stärker haften als die kulturhistorischen Reflexionen über "die Crux des Barock" anlässlich eines Besuches der Borromeischen Inseln. Aber noch hat kein guter Freund den Reiseschriftsteller, der auf allen Kitsch und allen Chic des gebildeten Räsonnements verzichtet, von dem Romancier befreit, als der er sich missversteht.

LOTHAR MÜLLER

Michael Schindhelm: "Roberts Reise". Roman. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart und München 2000. 316 S., geb., 38,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2000

Wohn-Haft in Woronesch
Michael Schindhelms autobiografischer Erstlingsroman „Roberts Reise”
Ein Augenbuch. Alles wird gesehen – aus gleich bleibendem Abstand. Also kein Näherkommen und Fernerrücken, kein Zoom, kein Kino, sondern Theater. Gegeben wird ein Reisestück – nicht der Bericht von einer Reise, kein road-movie, sondern ein Stück, das eine Reise nacherleben lassen will, in Erinnerung an Menschen und Stationen.
Die Reise geht von Thüringen ins russische Krähwinkel Woronesch (woronka = Krähe), die provinzielle Millionenstadt achthundert Kilometer südlich von Moskau. Dorthin wird der Ich-Erzähler – der nur im Titel so genannte – Robert, der Absolvent einer Spezialschule für angehende Naturwissenschaftler, delegiert. Er verdankt diese Auszeichung keineswegs seiner politischen Haltung, sondern seiner Begabung. Robert hält von Anfang an Abstand, größtmöglichen. Also Konfirmation statt Jugendweihe, Nietzsche statt Marx und immer genau hinsehen auf das, was vor den Augen geschieht.
Da sieht der Schüler Robert, dass im Regierungs-Sanatorium Licht brennt, während das Land ringsum wegen Stromsperre dunkel bleibt, da sieht er die Homosexualität des Mitschülers, den Überfall einer Motorradbande, aus Verzweiflung trinkende Lehrer.
Die Menschen in dem Reisebericht Roberts sind Figuren, denen die dritte Dimension fehlt, sie haben nur die Aufgabe, Geliebte und Liebhaberinnen darzustellen oder, wenn männlich, andere Lebensstile vorzuführen. Wer Sweta, Tene, Jana, Giuditta, Sarah, Maren oder Helena sind, ist daher unwichtig, es genügt, ihr Äußeres zu kennen und ein paar kennzeichnende Handlungen, dann verschwinden sie einfach und bleiben ein wenig geheimnisvoll. Nicht anders ergeht es einer Gestalt, die Friedrich Schorlemmer gleicht. Warum der Woronesch-Gefährte Pit die Pop-Musik der Physik vorzieht, was den Chemiker Olaf treibt, in einem „Inneres Reich” genannten Intellektuellen-Kreis mitzuwirken bleibt unerzählt, es genügt, dass sie in Roberts Blickfeld geraten.
Woronesch, fünf Jahre Wohnheim in der Sowjetunion der Breschnew-Zeit: Das bedeutet Mangel an allem, Dreck, Traurigkeit – „mit Europa hatte das nichts mehr zu tun”. Robert verweigert sich, der Stadt, dem Essen, den aus Not rücksichtslosen, ständig alkoholisierten Menschen, er fühlt sich belagert, hält aber stand, weil er ins Innere reist, lesend, ruhigen Gemüts.
Kaum ein Wort über das Studium der Chemie. Statt dessen die Geschichte einer Verwechslung mit einem Spitzenfunktionär, die mit einer Bonzen-Limousine beginnt und mit einem Erster-Klasse-Flug endet. Statt der Auskünfte über den Studien-Alltag Szenen einer Reise nach Ossetien, wo Robert sich im Bergwerksdunkel verirrt, von einer Reise nach Moskau, weil er für einen Dissidenten gehalten wurde, von einer Reise mit der rothaarigen Sarah nach Prag, bei der die Bremsen des Tandems versagen. Ab und zu muss Robert den Wartesaal Woronesch verlassen, muss der Aufsicht der Wärterinnen entfliehen.
Am Ende wartet auf den erfolgreichen Absolventen der Schreibtisch in der Akademie der Wissenschaften. Aber Robert sieht schnell auch in der DDR-Hauptstadt Öde, Bitterkeit, dazu eine völlig veraltete Rechenmaschine und ein Telefon, das nur nach Anwendung eines Tricks mit der Außenwelt verbindet. Er flieht: Volksarmee, Vaterschaft, Übersetzen, Trennung und neue Bindung, die Woronesch-Erfahrung hilft beim Entscheiden, beim Aushalten. Aufgeschrieben wird dieser Reisebericht im Tessin, in einer amönen Landschaft, Seen und Berge und Orte werden vielfach und freudig als Kontrast zu Woronesch gesehen, die Tochter Lisa lernt Italienisch – Robert ist aus der Nische herausgetreten, ist im Europa seiner Lektüren angekommen. Schon früher hat er einmal drei Wochen lang nur den „Tristan” gehört, jetzt wendet er sich ganz dem Eigentlichen zu: „Ich tauchte im Theater unter. ”
Michael Schindhelm erzählt sein Leben als Reise zu sich selbst. Er gibt nicht vor, von Anfang an die Widersinnigkeiten der Kalten-Kriegs-Zeit durchschaut zu haben, er erklärt sich und uns, den Lesern, nicht die Welt, sondern den Umweg als Weg: Er berichtet, wie man eine verdeckte Wohnheimküche in Woronesch überlebt, wie man im Stausee neben Fischkadavern badet, wie die „soziale Infanterieausbildung” in der DDR an ihm vollzogen wurde. Einmal riecht man auch „synthetischen Gestank”, einmal hört man: „rostig verschraubte Trauermärsche”. Da ist Breschnew gestorben.
„Roberts Reise” ist dramatisch formuliertes Zeugnis eines Verwandten, eines Überlebenden. Seine Sprache wird bewusst bürokratisch gebraucht, wenn Zeiträume überwunden werden, Schindhelm erzählt aber ruhig und anschaulich, wenn er sich dem Gemeinten zuwendet – wie ein Mensch fast gänzlich unangefochten von sich fern hält, was sich mit Macht an ihn herandrängt und annimmt, was er braucht.
Michael Schindhelm war nach 1989 Theaterintendant in Gera und Altenburg, er leitet seit 1994, erfolgreich,das Theater in Basel.
KONRAD FRANKE
MICHAEL SCHINDHELM: Roberts Reise. Roman. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2000. 316 Seiten, 38,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ursula März nimmt Michael Schindhelms Romandebüt unter die Lupe, ein Buch, das März zufolge autobiographisch ist. Deshalb widmet sie sich zunächst dem Autor und seinem Leben, umreißt kurz den Weg vom Chemiestudium im sowjetischen Woronesch bis zur Übernahme der Intendanz des Baseler Theaters. Dann geißelt sie Verlag und Autor, wirft ihnen vor, die Schwierigkeit, aus einem interessanten Leben auch ein interessantes Buch zu machen, "eklatant unterschätzt" zu haben. Schindhelm bescheinigt sie ein "hochergeiziges Verhältnis zu Metaphern", dem Roman den "Appeal eines verdrehten und intellektuellen Thesenschwulstes". Etwas verbissen stürzt sie sich dann in Schindhelms Sentenzen: seziert, zitiert, führt vor und senkt den Daumen.

© Perlentaucher Medien GmbH