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Es ist Abend. Draußen wütet ein Schneesturm. Eine Frau sitzt mit einem Buch auf den Knien da und erwartet niemanden mehr. Da klopft es. Auf der Schwelle steht die befreundete Autorin. Verstört prescht sie in die Wohnung. Sie sagt, sie sei in eine arge Geschichte hineingeraten, aus der sie allein nicht mehr entkommen könne, und beginnt von ihrem Roman zu erzählen. Wie Ingeborg Bachmann oder Elfriede Jelinek lotet Lydia Mischkulnig in ihrem neuen Roman die Grenzen weiblicher Identität aus.

Produktbeschreibung
Es ist Abend. Draußen wütet ein Schneesturm. Eine Frau sitzt mit einem Buch auf den Knien da und erwartet niemanden mehr. Da klopft es. Auf der Schwelle steht die befreundete Autorin. Verstört prescht sie in die Wohnung. Sie sagt, sie sei in eine arge Geschichte hineingeraten, aus der sie allein nicht mehr entkommen könne, und beginnt von ihrem Roman zu erzählen. Wie Ingeborg Bachmann oder Elfriede Jelinek lotet Lydia Mischkulnig in ihrem neuen Roman die Grenzen weiblicher Identität aus.
Autorenporträt
Lydia Mischkulnig, geboren 1963 in Klagenfurt, lebt und arbeitet in Wien. Mehrfach ausgezeichnet, u.a. Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis (1996), manuskripte-Preis (2002) und Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien (2007).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.01.2004

Ich ist zwei Andere
Moderner und modriger denn je: Lydia Mischkulnigs „Umarmung”
Zittrig hantiert der männliche Kritiker mit seinem phallokrakeligen Bleistift zwischen den Zeilen. Schamlos besudelt er das virginale Weiß des chlor- und säurefrei gebleichten Papiers mit den tintenklecksenden Ejakulationen seiner beckmesserisch pulsierenden Zirbeldrüse. Alterungsbeständig die Seiten des Buches, schnell vergilbend die Bögen der Journaille. Gebärende war die fruchtbare Autorin, steril Mäkelnder bleibt der furchtbare Kritiker. Er entreißt das Werk dem Schoß der allumfassenden Musenmatrix, um es mit jener persistenten Penetranz zu durchdringen, die er mit seinen Geschlechtsgenossen teilt.
So oder ähnlich liest sich streckenweise die Emanzerlprosa der österreichischen Autorin Lydia Mischkulnig, und das ist ja erst einmal lustig. Man muss den Jargon ihres neuen Romans nur als ein stilistisches Merkmal des befremdlichen Genres der Psycho-Phantastik akzeptieren. Und tatsächlich ist „Umarmung” zuallererst eine Gespenstergeschichte. Über Wien ist der Abend hereingebrochen, und die Ich-Erzählerin setzt sich mit Kantorowicz’ Buch über die zwei Körper des Königs und einer Tasse Bergamotte-Tee zur Lektüre. Draußen ist Schneegestöber, aus der Teetasse entfaltet sich das modrige Aroma der Bergamotte-Birne. Geisterstunde. Im Schrank tickt der Holzwurm wie in einem Sarg. Plötzlich läutet es an der Tür. Herein tritt LM, beste Freundin und Doppelgängerin der Erzählerin. Beide schreiben an einem Text über eine dritte Frauengestalt, Agathe. Agathe ist polymorph und absorbiert alle Phantasien der Frauen. Es beginnt eine irrwitzige Fantasie über eine proteushafte Dreifaltigkeit, in der sich die Biographien der drei Figuren voneinander nähren.
Die österreichische Autorin sieht sich als Avantgardistin und fährt Achterbahn im Möbiusband der weiblichen Identitäten. Es geht ihr um den Vampirismus des Schriftstellers an seiner Biographie, um komplexe Schizophrenie, das Unbehagen im eigenen Körper und natürlich um die Entfremdung der Frau unter dem Blick, den Händen und dem Körper des Mannes. LM ist bei ihrer Arbeit aus Versehen in den Körper Agathes geschlüpft und kommt nun nicht mehr hinaus. Mischkulnig schildert die Identifikation des Autors mit seiner Figur plastisch und klebrig wie in einem Horrorfilm. LM steigt in Agathes Körperhülle und befindet sich für den Rest des Romans im Körper des Feindes. Die Grenzen zwischen den Figuren verschwimmen. Mischkulnig entwirft ein Universum der wandelnden Seelen. Die Erzählerin arbeitet als Restauratorin in der Kapuzinergruft und ihr Mann ist Präparator. Solche Berufe geben ausreichend Gelegenheiten zu allerlei österreichischem Totentanz. So weit, so morbid. Gelingt es einem, den Diskursroman als neurotisches Horrorkabinett zu lesen, wird man sich möglicherweise ab und an amüsieren.
Eher so was wie Frau Jelinek?
Doch schnell bekommt man genug von Mischkulnigs willkürlichen Assoziationsritten durch die Themenkomplexe Lactophobie, Waschzwang, Knochensplitter und Totenkult. Der hysterische Ego-Terror dieser in Leib und Seele fremdelnden Frauen ist nervtötend. Man kann sich an einigen geschickt arrangierten thematischen Echos erfreuen, doch leider missbraucht die Autorin ihre Leitmotive, um willkürlich banale Alltagsbeobachtungen zu verklammern. Nachdem Agathe die unterschiedlichsten Inkarnationen durchlaufen hat, verwandelt sie sich schließlich in Nofretete und muss unter den Computertomographen, was sicher auch interessante Schnappschüsse gibt. Das alles bedeutet allerdings so viel, dass es irgendwann gar nichts mehr bedeutet. Man könnte es auch semiotischen Overkill oder metaphorische Überdeterminierung nennen. Mischkulnig lädt ihren Text mit Bedeutungen auf, bis es irgendwann einen Kurzschluss gibt und das Licht ausgeht.
Mischkulnig leidet an der penetranten Bildungshuberei einer frisch gebackenen Abiturientin, die auf dem Abschlussball noch einmal all ihren Paukern zeigen will, was sie so alles gelernt hat. Schließlich wird in diesem sperrigen und zähen Seminartext zu Neurose und Schizophrenie assoziativ so wahllos herumgewurschtelt, dass man jegliche Geduld verliert und gegen Ende gar an der Existenz einer gemeinsamen Sprache zwischen Österreichern und Deutschen zweifelt. Was genau will Frau Mischkulnig? Das Gleiche wie Frau Bachmann? Oder eher so was wie Frau Jelinek? Irgendwann bekommt man eine Maulsperre vom Gähnen. Nun ist das vielleicht das subversive Konzept des Textes: das männliche Hirn durch Einschläfern stillzulegen und so die Phallokratie zu stürzen. Befreiung durch Langeweile. Einschläferungsstrategien. In einer Passage witzelt die Erzählerin über die Verwandtschaft zwischen dem Verb modern und dem Adjektiv modern, und es drängt sich der Verdacht auf, dass der Autorin bei all ihren verkrampften Anstrengungen, modern zu wirken, dieser gewollt avantgardistische Text unter der Hand vermodert ist.
Es ist spät geworden. Der Tee ist kalt. Er riecht modriger und moderner denn je. Im Kopf breitet sich eine Schicht Schnee aus und kühlt die heiße Stirn. Langsam schwillt dem phallokrakeligen Kritiker der Hahnenkamm ab, und er legt sich schlafen.
STEPHAN MAUS
LYDIA MISCHKULNIG: Umarmung. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2002. 269 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2003

Das Original steckt im Schrank
Knödel oder Nockerl? Lydia Mischkulnig spielt mit Identitäten

"Aber wer bin ich? Eine kindische Frage. Und noch kindischer ist, wenn ich mich frage, was will es, diese Ichige?" Diese Einsicht kommt in Lydia Mischkulnigs drittem Roman zu spät. Da hat sich die Erzählerin bereits dreifach im Ichigen und nebenbei im "Gefühl für Pfotigkeit" verstrickt. Nun gibt es keinen ulkigen Einfall mehr, dem nicht nachgegeben würde, und so erscheinen auch die Fragen zwangsläufig immer idiotischer: "Frage mich, wie es wäre, als Klon meiner Mutter Agathe herumzulaufen? Vielleicht bin ich das Original und habe mich kopiert, und meine Kopie lebt nun munter dahin, während das Original womöglich im Schrankraum steckt. Habe ich mich weggesperrt, Platz gemacht, mich selbst entsorgt?"

Daraus läßt sich unschwer ersehen, daß es sich in dem Roman wieder einmal um ein Spiel mit Identitäten handelt, in dessen Verlauf sich das "Zellhäuflein" der multiplen Persönlichkeit, das sich unverkennbar "auf österreichischem Boden herausgebildet" hat, im Minutentakt ("Sie formulierte und formulierte") in allerlei Klumpiges verwandelt; in einen "Knödel im Magen" zum Beispiel. Auch der Weiblichkeitsdiskurs spielt sich vorzugsweise im Bereich des Glibbrigen ab: "Die heilige Agathe zwickte sich die Brüste ab und servierte sie in Zinnschüsseln als Wackelpudding zukünftigen Vergewaltigern." Die Männer dagegen werden nach dem Formprinzip Igittigitt lautmalerisch modelliert: "Er quetscht noch sein gefletschtes Gebiß mit den faulenden Fetzen in ihre verzerrten Lefzen."

Die Inspirationsquelle dieser Art des Schreibens "in Denkgeschwindigkeit" scheint einmal mehr der Wiener Opernball zu sein: "Um die Opernballbesucher zu beschämen, brüllten wir ihnen mit wachsender Lust entdeckte Peinlichkeiten zu. Daß die Strümpfe Laufmaschen hätten oder daß braune Flecken am Hintern seien, Hundescheiße am Schuh, Lidstrich verpatzt, Pudelfrisur. Das offene Hosentürl bei Männern . . ." Solche Gemeinheiten, glaubt die Erzählerin, seien etwas "typisch Österreichisches", das die Eingeborenen "vielleicht gerade mit Hitler" gemein hätten. Das soll witzig sein, politisch unkorrekte Pöbellust nach Klagenfurter Art.

Selten nur jedoch erzeugt das pubertäre Prinzip Preziosen von erhabener Albernheit ("Geierkrallen schreiten daher"), der große Rest ist fast durchweg Gequassel. "Ich schreibe, solange ich kann", droht Lydia Mischkulnig noch, wenn dem Leser schon kein vernockerlter Gedanke, kein versemmelter Satz und kein verknödelter Vergleich mehr fremd ist. Zum Glück geht kurz darauf das Licht aus.

FRIEDMAR APEL

Lydia Mischkulnig: "Umarmung". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2002. 272 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Die Autorin ist für ihre sprachliche Kraft und Präzision bekannt, weiß Dorothea Dieckmann, die diese Qualitäten auch in diesem Roman wiederentdeckt. In ihrer Kurzkritik zeigt sie sich trotzdem ganz und gar nicht glücklich mit dem Buch, in dem eine Ich-Erzählerin von dem Roman einer Erzählerin mit den Initialen der Autorin über deren Freundin Agathe erzählt. Mit wachsendem Ärger charakterisiert sie das Buch als "Hirnzirkus", "gehobenem Selbsterfahrungskitsch" und "verquasten Klagegesang", und sie findet dieses Changieren zwischen "Bachmannscher Klage und Jelinekscher Tirade" einfach nur öde. Was nützt die klare Sprache, fragt sie abschließend, wenn die verhandelten Themen sich nur mit "alten Zutaten" im "Fahrwasser" des "Geschlechterkampfs", "Weiblicher Identität" und so weiter bewegt, und das in einer Art, die so abstrakt ist, dass das Ergebnis schlicht "ungenießbaren Brei" ergibt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der souverän an den Vorbildnerinnen Jelinek und Streeruwitz vorbeischreibenden Autorin gelingen immer wieder makabre 'Versuchungen' der Liebe und glaubhafte Heraufbeschwörungen der Leidenschaft." (Hajo Steinert, Die Zeit)