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Unter dem Namen »Die Weisse Rose« hatten Hans Scholl und Alexander Schmorell im Sommer 1942 mit Flugblättern zum Widerstand gegen den nationalsozialistischen Staat aufgerufen. Nach dem Krieg wurde der Begriff zu einem Synonym für den Widerstandskreis um die Geschwister Scholl, der nach und nach zum Symbol des antinazistischen Widerstands avancierte. Die dazwischen liegenden Ereignisse, von der personellen Erweiterung des Kreises über die einzelnen Aktionen bis hin zu den Verhaftungen und Todesurteilen maßgeblicher Protagonisten im Jahre 1943, sind bis heute in zahllosen Publikationen, in…mehr

Produktbeschreibung
Unter dem Namen »Die Weisse Rose« hatten Hans Scholl und Alexander Schmorell im Sommer 1942 mit Flugblättern zum Widerstand gegen den nationalsozialistischen Staat aufgerufen. Nach dem Krieg wurde der Begriff zu einem Synonym für den Widerstandskreis um die Geschwister Scholl, der nach und nach zum Symbol des antinazistischen Widerstands avancierte. Die dazwischen liegenden Ereignisse, von der personellen Erweiterung des Kreises über die einzelnen Aktionen bis hin zu den Verhaftungen und Todesurteilen maßgeblicher Protagonisten im Jahre 1943, sind bis heute in zahllosen Publikationen, in Filmen und Dokumentationen dargestellt worden, wobei die Suche nach der historischen Wahrheit oft einer mythisch überhöhenden Idealisierung geopfert wurde. Da auch die historische Forschung bisher viele Fragen offen gelassen oder undifferenziert beantwortet hat, schließt die vorliegende Gesamtdarstellung nicht nur bestehende Lücken, sondern eröffnet auch neue Perspektiven auf die »Weisse Rose«. Kenntnisreich skizziert der Autor Porträts der einzelnen Akteure und beleuchtet ihre Motive und Beziehungen zueinander. Vor dem geistigen Hintergrund, der auch nach Einflüssen durch Mentoren und Literatur fragt, folgt er dem Verlauf des Widerstands und nimmt dabei erstmals die Gesamtstruktur des Kreises hinreichend in den Blick. Basierend auf Auswertung des umfangreichen, bisher teilweise unbekannten Quellenmaterials entsteht am Ende ein Bild des Widerstandskreises, das ohne den Schleier des Legendären auskommt und die großen Leistungen sowie die menschlichen Schwächen der Studenten gleichermaßen bestehen lässt.
Autorenporträt
Zankel, Sönke§Dr. Sönke Zankel ist Lehrer in Uetersen und Mitarbeiter an der Universität Kiel im Bereich der Lehrerbildung. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher, fachdidaktischer und pädagogischer Beiträge und wurde mit dem Deutschen Lehrerpreis - Unterricht innovativ 2013 - ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2006

Aufgeputscht?
Angebliche Neuerkenntnisse über den Widerstandskreis "Weiße Rose"

Der Widerstand der "Weißen Rose" ist nicht zuletzt durch die mehrfach prämierte und auch im Ausland erfolgreiche Filmproduktion "Sophie Scholl - Die letzten Tage" in der Öffentlichkeit präsenter denn je. Zwei aktuelle Buchveröffentlichungen zum Thema bieten zusätzlichen Diskussionsstoff. Sönke Zankel möchte "ein anderes, ein kritischeres" Bild der Widerstandsgruppe zeichnen. Dagegen ist nichts zu sagen, genausowenig wie gegen den Wunsch, unter Verwendung von neu bekanntgewordenen Akten einer ahistorischen "Heldenverehrung" entgegenzuwirken. In seinem Bemühen, die "Weiße Rose" zu entmythisieren, schießt der Verfasser allerdings weit über sein Ziel hinaus, ja mehr noch, er verrennt sich in geradezu aberwitzige Unterstellungen, die in keinem Fall genügend durch Quellen abgesichert sind. Zwei angebliche Neuerkenntnisse, nämlich Drogenkonsum und Antijudaismus bei den Mitgliedern der "Weißen Rose", sollen an dieser Stelle näher betrachtet werden.

Wenn die Mitglieder des Widerstandskreises neben Aufputschmitteln auch Opiate und Morphium eingenommen hätten, wäre das an und für sich ja noch nicht einmal schlimm. Aber wer so etwas behauptet, muß es auch beweisen können und sollte nicht einfach "Berichte aus dem Umgang mit heutigen Drogenabhängigen" als Indiz für die "als konsistent und schlüssig" erachtete "Hypothese" anführen, die Geschwister Scholl hätten am Tag, an dem sie ihre Flugblätter auslegten und verhaftet wurden, "unter dem Einfluß von Betäubungsmitteln" gestanden. Typisch für die zweifelhafte "Beweisführung" des Verfassers ist auch die Interpretation der von einem Zeitzeugen überlieferten Haltung der Angeklagten vor dem Volksgerichtshof. Dieser berichtete: "Lediglich an körperlichen Reaktionen konnte man das Übermaß an Anspannung erkennen, dem sie standhalten mußten. Hans Scholl, der aufrecht stand, wurde plötzlich bis zur Ohnmacht blaß, ein Schütteln durchlief seinen Körper." Dem Verfasser, der vorher mit schwachen Indizien Scholl eine mögliche Morphium- und Opiumabhängigkeit bescheinigt hat, "drängt sich die Frage auf, ob sich nicht Entzugserscheinungen während der fünf Tage der Vernehmungen, der Haft und des Prozesses bemerkbar machen mußten". Als ob die Verhandlung vor dem aus Berlin angereisten Roland Freisler nicht ausgereicht hätte, einen Angeklagten vor Todesangst zittern zu lassen!

Von ähnlicher Qualität sind auch die anderen Schlußfolgerungen, die Zankel durch die großzügige Benutzung von Gestapo-Material rechtfertigt. Er glaubt, "eine ,korrekte' Behandlung" der Verhafteten durch die Münchner Gestapo konstatieren zu können. Hieraus wiederum sei "ein hoher Quellenwert der Verhörprotokolle abzuleiten". Einmal ungeachtet der Tatsache, daß über die Verhörmethoden viel zu wenig bekannt ist, bleibt die Heranziehung dieser in einem ganz spezifischen Kontext entstandenen Quellen immer problematisch, wie jedem ernsthaften Historiker bewußt ist, der sich mit Gestapo- und Stasi-Quellen beschäftigt: Diese müssen stets mit der spezifischen handwerklichen Vorsicht interpretiert werden. Die Angeklagten befanden sich in einem psychischen und physischen Ausnahmezustand und formulierten Aussagen, die sie in ein günstiges Licht stellen und ihr Leben retten sollten.

Geradezu abenteuerlich wird es, wenn Zankel den Geschwistern Scholl Antijudaismus vorwirft. Seltsam mutet bereits an, daß noch kein ernsthafter Forscher zur "Weißen Rose" diese Attacke geritten hat - ganz anders als etwa bei den Männern des "20. Juli 1944". Beim Scholl-Schmorell-Kreis bieten die Quellen einfach keine Anhaltspunkte. Im zweiten Flugblatt wurde ausdrücklich beklagt, daß in Polen Hunderttausende Juden "auf bestialische Art ermordet" wurden, um dann fortzufahren: "Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen, ein Verbrechen, dem sich kein ähnliches in der ganzen Menschengeschichte an die Seite stellen kann."

Mit absonderlichen und abstrusen Argumenten versucht der Verfasser trotzdem, dem Kreis latenten Antijudaismus zu unterstellen. Selbst die Tatsache, daß die Angeklagten - aus nachvollziehbaren Gründen - in den Verhören bei der Gestapo keine Aussagen zur "Judenfrage" machten, wendet der Verfasser gegen sie: "Die Frage nach der Verfolgung der Juden schien den Scholl-Schmorell-Kreis nicht allzusehr zu interessieren." Die weitere Indizienkette ist so dünn und die darauf aufbauende Argumentation so abstrus, daß man nur mit dem Kopf schütteln kann. Und im ganzen Buch häufen sich die Spekulationen: "Es scheint", "es deutet darauf hin", "es ist durchaus möglich", "die Vermutung liegt nahe" - von dieser Qualität sind die angeblichen Belege, hinter denen sich der Verfasser versteckt. Zwar werden hin und wieder relativierende Bemerkungen eingestreut, aber die insinuierenden Passagen überwiegen. Und wenn gar nichts mehr hilft, wird eine Unterstellung in die Form einer rhetorischen Frage gekleidet.

Zankel vertraut zwar seinen Gestapo-Quellen, ist aber mißtrauisch gegenüber Zeitzeugen. Manche von ihnen seien kaum in der Lage gewesen, auf konkrete Fragen zu antworten und hätten vielmehr ihr "Erinnerungsprogramm" abgespult. Nun weiß jeder Historiker, daß Erinnerung immer auch ein schöpferischer Prozeß ist. Klemens von Klemperer, einer der besten Kenner des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, hat in diesem Zusammenhang einmal treffend bemerkt, daß die Überlebenden des Widerstandes keinesfalls exklusiv die "berufenen Zeugen" seien. Aber wenn das notwendige Korrektiv des Historikers hinzukomme, ergebe sich eine erhellende Spannung, die es erst ermögliche, die Atmosphäre und den Charakter des Widerstands gegen Hitler zu erfassen.

Ein Beispiel für die Stimmigkeit dieser Feststellung bietet eine Veröffentlichung der Fernsehredakteurin Sibylle Bassler, die mit überlebenden Freunden und Angehörigen der "Weißen Rose" Gespräche geführt hat, unter anderen mit Elisabeth Hartnagel, Traute Lafrenz, Anneliese Knoop-Graf, Lilo Fürst-Rahmdohr und Susanne Zeller-Hirzel. Von angeblicher "Heldenverehrung" ist in diesen Interviews nichts zu spüren. Frau Bassler selbst hält sich wohltuend zurück und beschränkt sich auf kluge Fragen. Die nachdenklich stimmenden Gesprächsbeiträge ermöglichen einer späteren Generation, die das Grauen und die Angst des "Dritten Reiches" nicht mehr aus eigener Anschauung kennt, einen vertieften Blick auf die Bedingungen, unter denen sich die Mitglieder der "Weißen Rose" in innerer und äußerer Einsamkeit für den Widerstand gegen die Unmenschlichkeit entschieden.

JOACHIM SCHOLTYSECK

Sibylle Bassler: Die Weiße Rose. Zeitzeugen erinnern sich. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. 256 S., 19,90 [Euro].

Sönke Zankel: Die Weiße Rose war nur der Anfang. Geschichte eines Widerstandskreises. Böhlau Verlag, Köln 2006. 215 S., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Alexander Jürgs muss schon nach wuchtigen Worten suchen, um seine Irritation und seinen Unwillen auszudrücken. "Absurd", "abenteuerlich", "bizarr" sei die Art und Weise, wie der junge Historiker Sönke Zankel hier einen Skandal provozieren wolle. Für keinen seiner Vorwürfe gegen die Geschwister Scholl, antisemitisch und obendrein drogenabhängig zu sein, habe er auch nur den kleinsten Beweis. "Erschreckend" nennt der Rezensent eine solche Vorgehensweise. Eigentlich berühre der Autor tatsächlich einen interessanten Themenbereich, sofern es um den Elitismus von Hans Scholl und damit der meisten Regimegegner gehe. Hier hätte, überlegt der Rezensent, Sönke Zankel fragen müssen, wie der Wandel vom elitären Denken Hans Scholls zum späteren christlich motivierten Liberalismus sich vollzogen habe.

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