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Im Jahre 1910,"Anna Karenina"und"Krieg und Frieden"sind erschienen, ist Lew Tolstoj der berühmteste Autor der Welt. Aber er zahlt einen hohen Preis für seinen Ruhm. Jünger umlagern Tolstoj, der mit seinen christlich-mystischen und sozialen Idealen Ernst machen will, seine Frau Sofja kämpft um Aufmerksamkeit und Liebe, aber auch um sein Erbe und Tantiemen. Von dem verzweifelten Wunsch getrieben, am Ende seines Lebens Frieden zu finden, flieht Graf Tolstoj in einer dramatischen Aktion von seinem Gut Jasnaja Poljana. Jay Parinis Roman"Tolstojs letztes Jahr"beschreibt dieses letzte, turbulente…mehr

Produktbeschreibung
Im Jahre 1910,"Anna Karenina"und"Krieg und Frieden"sind erschienen, ist Lew Tolstoj der berühmteste Autor der Welt. Aber er zahlt einen hohen Preis für seinen Ruhm. Jünger umlagern Tolstoj, der mit seinen christlich-mystischen und sozialen Idealen Ernst machen will, seine Frau Sofja kämpft um Aufmerksamkeit und Liebe, aber auch um sein Erbe und Tantiemen. Von dem verzweifelten Wunsch getrieben, am Ende seines Lebens Frieden zu finden, flieht Graf Tolstoj in einer dramatischen Aktion von seinem Gut Jasnaja Poljana.
Jay Parinis Roman"Tolstojs letztes Jahr"beschreibt dieses letzte, turbulente Jahr im Leben des großen russischen Schriftstellers aus sechs verschiedenen Perspektiven. Dabei folgt Parini den Tagebüchern Tolstojs und denen seiner Nächsten, seiner Frau, seiner Tochter, seines Arztes und anderer und schafft so einen dichten, spannenden und dramatischen Text, dessen Sog man sich nicht entziehen kann. Auf der Basis genauer historischer und literarischer Recherche entsteht ein faszinierendes Bild eines Lebens, seiner Zeit und seiner Konflikte, das über die Person Tolstojs hinaus auch Allgemeingültigkeit besitzt: Was Tolstoj erlebt und erleidet, ist - so berühmt und erfolgreich, wohlhabend und begehrt er sein mag - zutiefst menschlich und für jeden verständlich. Ein großes literarisches und menschliches Erlebnis.
Autorenporträt
Jay Parini lehrt Englische Literatur und Sprache am Middlebury College in Vermont. Er hat Gedichtbände, Biographien, Essays, eine "Art of Teaching" veröffentlicht und gab u. a. die "Oxford Encyclopedia of American Literature" heraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2008

Schlussakt im Bahnhofshäuschen

Kurz vor seinem Tod verließ Lew Tolstoj fluchtartig sein Zuhause. Jay Parini schildert die dramatischen Ereignisse in "Tolstojs letztem Jahr" aus verschiedenen Blickwinkeln.

Lew Tolstoj, der das Sterben und den Tod in einigen seiner Werke so eindrücklich geschildert hat, erlitt selbst ein dramatisches Ende. Der jahrelange erbitterte Streit zwischen seiner Frau Sofja Andrejewna und den Anhängern seiner Lehre, den Tolstojanern um Wladimir Tschertkow, hatte ihn zermürbt. Die Gräfin versuchte Tolstojs materielles Erbe für die Familie zu retten; die Tolstojaner sahen in Tolstoj einen neuen Christus, dessen Lehre von der gelebten Liebe und Armut sie um jeden Preis zu verbreiten suchten. Abgeschreckt vom "luxuriösen Leben" auf dem Grafensitz Jasnaja Poljana, das seiner Lehre hohnsprach; hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seiner Frau und der Zuneigung zu dem zwielichtigen Tschertkow, verließ der zweiundachtzigjährige Tolstoj am 28. Oktober 1910 heimlich Jasnaja Poljana, begleitet nur von seinem Arzt Duschan Makowizkij und seiner Tochter Sascha. Seine Gesundheit war geschwächt; seine Flucht kannte kein Ziel. Die Krim, Bulgarien, die Türkei kamen ihm in den Sinn, er suchte einen Ort, wo er unerkannt sterben könnte. Wo aber gab es einen solchen Ort?

Schon im Zug, in der dritten Klasse, erkannten ihn die Passagiere; blitzschnell verbreitete sich die Nachricht von seiner Flucht und wurde weltweit zum Medienereignis. Auf der kleinen Bahnstation Astapowo, wo der Flüchtling, von hohem Fieber erfasst, die Reise unterbrechen musste, versammelten sich binnen kurzem zahlreiche Reporter. Tschertkow ließ nicht lange auf sich warten; Sofja Andrejewna kam im gemieteten Sonderzug angereist: Die aus familiären und ideologischen Differenzen sowie aus Eifersucht gewirkte Tragödie nahm ihren Verlauf.

Ähnlich wie Puschkins Ende fordert auch das grausige Sterben Tolstojs die literarische Bearbeitung heraus. Jay Parini, Professor für englische Literatur und Sprache am Middlebury College in Vermont, entwickelte daraus einen Roman, der das Geschehen aus sechs Perspektiven einfängt. Ähnlich hatte seinerzeit Natalja Baranskaja Puschkins Ableben im Jahr der Trauer in den Erinnerungen der Überlebenden gespiegelt. Die Rashomon-Technik setzt auch Parini in freier Nutzung der Tagebücher und Aufzeichnungen der Beteiligten ein, wobei seine eigenen poetischen Einsprengsel am wenigsten zum Gesamtbild beitragen.

Zu Wort gelangen Sofja Andrejewna, die nicht nur das Zerwürfnis mit ihrem Gatten beklagt, sondern auch ihre fast fünfzigjährige Ehe mit "Ljowotschka" in Erinnerung ruft; Tschertkow, aus Sofjas Sicht "ein Teufel", der mit fanatischem Eifer Tolstojs Lehre verbreiten will; Sascha, Tolstojs Lieblingstochter, die ganz auf des Vaters Seite getreten ist und mit der Mutter gebrochen hat; Dr. Duschan Makowizkij, der unbedarfte, Tolstoj ergebene Arzt; Walentin Bulgakow, Tolstojs Privatsekretär, der sich, bei aller Loyalität, eine innere Unabhängigkeit bewahrt hat. Tolstoj selbst äußert sich mit Passagen aus seinen Schriften, zuletzt aus "Der Tod des Iwan Iljitsch", wo es heißt: "Wo war der Tod? Was für ein Tod? Er empfand keine Furcht, weil der Tod nicht existierte. Anstelle des Todes war da Licht."

Auch wenn Parini offenbar nur englischsprachige Quellen für den Roman heranzog, so hat er doch eine "Amerikanisierung" vermieden. Die deutsche Übersetzung von Barbara Rojahn-Deyk ist stilsicher und konsequent in der deutschen Transkription der russischen Namen und Wörter. Nur einige Male unterläuft das angloamerikanische "ts" statt "z" und kommen die in Russland unüblichen Titel "Prinz" statt "Fürst" vor oder "Großherzog" statt "Großfürst". Als Anpassung an den amerikanischen Geschmack muss man hingegen das sexuelle Motiv ansehen, das als Kontrapunkt zu Tolstojs Predigt von Gottsuche und Enthaltsamkeit aufgebaut wird. Dafür gab es im alten Russland nicht einmal ein Wort. Hier aber haben alle Beteiligten, auch Tolstoj, ihre sexuellen Nöte. Bulgakow muss seine Beziehung zu Mascha geheim halten; Sascha ist in Liebe zu ihrer Freundin Warwara Michajlowna entbrannt; hinter Tolstojs enger Verbundenheit mit Tschertkow scheint sich ein homoerotischer Impuls zu verbergen. Nur der unansehnliche Duschan Makowizkij bleibt rein im Tolstojschen Sinne. Die Vielschichtigkeit der beteiligten Personen und ihre vertrackten Beziehungen hat Parini verbürgt und schlüssig eingefangen. "Tolstojs letztes Jahr" ist eine fesselnde Lektüre von Anfang bis Ende.

REINHARD LAUER

Jay Parini: "Tolstojs letztes Jahr". Roman. Aus dem Englischen von Barbara Rojahn-Deyk. Verlag C.H. Beck, München 2008. 359 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Höchst fasziniert gelesen hat Rezensent Ulrich M. Schmid diesen Roman über das letzte, tragische wie chaotische Jahr im Leben des russischen Jahrhundertschriftstellers Lew Tolstoj, der aus Sicht des Rezensenten nichtsdestotrotz eigentlich fast ein dokumentarisches Buch darstellt, da der Autor seinem Protagonisten Tolstoj nur Verbrieftes in den Mund lege. Was das Buch für den Rezensenten zum Ereignis macht, ist seine multiperspektivische Komposition. Jedes Kapitel werde aus der Sicht einer anderen Person erzählt, was ihm Einblick in die unterschiedlichen Deutungen des andauernden Ehestreits der Tolstojs ermöglicht ebenso wie Rückschlüsse auf "die Allianzen und Gräben" zwischen den einzelnen Beteiligten. Nur manchmal geht Schmidts Einschätzung zufolge "das amerikanische Temperament" und auch die Fantasie mit Jay Parini durch.

© Perlentaucher Medien GmbH