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"Sammeln Sie so viele verschiedene Materialien wie möglich - Kohle, Öl, Kaminholz, Gras, Torf, Koks, Reisig, Magnesium usw.", so lautete 1969 die Anweisung des amerikanischen Künstlers Robert Morris an die Veranstalter einer inzwischen legendären Kunstausstellung. Die erboste Kritik allerdings setzte die Exponate kurzerhand mit ihren Materialien gleich und bezeichnete sie als "Aschehaufen", "geschmierte Kochbutter" und "alte Filzmatten". Wenngleich der Gebrauch nicht minder inkriminierter "niedriger" Materialien - bis hin zum jüngsten Eklat um Hans Haackes Erdschüttung im Berliner Reichstag -…mehr

Produktbeschreibung
"Sammeln Sie so viele verschiedene Materialien wie möglich - Kohle, Öl, Kaminholz, Gras, Torf, Koks, Reisig, Magnesium usw.", so lautete 1969 die Anweisung des amerikanischen Künstlers Robert Morris an die Veranstalter einer inzwischen legendären Kunstausstellung. Die erboste Kritik allerdings setzte die Exponate kurzerhand mit ihren Materialien gleich und bezeichnete sie als "Aschehaufen", "geschmierte Kochbutter" und "alte Filzmatten".
Wenngleich der Gebrauch nicht minder inkriminierter "niedriger" Materialien - bis hin zum jüngsten Eklat um Hans Haackes Erdschüttung im Berliner Reichstag - die Diskussion ständig neu entfacht, hat die Kunstgeschichte bisher wenig zur Erklärung des Materials von Kunstwerken beigetragen.
Die Autorin versammelt und analysiert in diesem Buch die zentralen Materialien der Kunst des 20. Jahrhunderts, beginnend mit der traditionellen Farbe über die Dinge der Alltagswelt und der Natur bis hin zu flüchtigen Stoffen - der Luft und dem Licht. In exempl arischen Analysen legt sie die Botschaften der Materialien durch das Geflecht ihrer historischen Nutzungen und ihrer sozialen wie geschlechtsspezifischen Zuschreibungen offen. Ausgezeichnete Bildwiedergaben bieten die Möglichkeit, sich eine anschauliche Vorstellung von den vieldiskutierten Kunstwerken zu machen.
Monika Wagner eröffnet mit diesem Buch nicht nur ein neues Verständnis für die Kunst der Gegenwart. Angesichts der rasant fortschreitenden Medialisierung der Alltagswelt wird dem Leser auch bewußt, welche Schlüsselrolle dem Material der Kunst in der Gegenwart durch seine alltägliche Bedeutung für unser Weltverständnis zukommt.
Autorenporträt
Monika Wagner ist Professorin i. R. für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. Ihr besonderes Interesse gilt der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, wahrnehmungshistorischen sowie materialikonographischen Fragen, denen sie zahlreiche Veröffentlichungen gewidmet hat. Sie gab 1991 das Funkkolleg Moderne Kunst heraus.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Schon das Cover der Studie von Monika Wagner, Jana Sterbaks "Vanitas: Flesh Dress for an Albino Anorectic" - eine junge Frau, die ein Kleid aus frischen Ochsenfleischlappen trägt - ist Gudrun Schury einen ganzen Absatz wert. Denn hier wird bereits deutlich, worum es in dem "exzellenten" Werk geht: um moderne Kunst, die sich ihrer Reproduktion entzieht, denn die Autorin hat in diesem Band die Kunst von Sterbaks, Judy Chicago, Josef Beuys, Janine Antoni, Günter Brus oder Hans Haacke analysiert, um nur einige zu nennen, die Kunst als Momentaufnahme betrieben und organisches Material wie Blut und Schweineschmalz verwendeten oder gar den eigenen Körper zum Kunstwerk stilisierten. Die Rezensentin zeigt sich beeindruckt vom Ansatz der Autorin, sich dieser Kunstform mit der Elementen-Lehre zu nähern und Wasser, Erde, Feuer und Luft Licht, Ton Fleisch, Blut, Müll und Acryl zuzuordnen. Wagners Anliegen, den Blick des Betrachters auf den stofflichen Charakter des Exponats und auf das Material aus Ausdruck und Inhalt von Kunst zu lenken, sieht Schury in dieser Studie sehr gelungen umgesetzt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.09.2001

Erde, Fett, Blut und Licht
Monika Wagner erkundet in ihrem Buch „Das Material der Kunst”
Es gibt Buchhändler-Bücher: Sie sind so kunstvoll und appetitlich, dass die Dekorateurin sie mit einem Strauß Rosen auf einem Extra- Tischchen präsentiert. Monika Wagners „Das Material der Kunst” werden sie in den Durchgang zum Klo legen, denn der Verlag hat Jana Sterbaks „Vanitas: Flesh Dress for an Albino Anorectic” aufs Cover gesetzt. Eine junge Frau trägt ein ärmelloses Kleid aus frischen Ochsenfleischlappen.
Eine hervorragende Wahl für diese exzellente Studie. Nichts vermag die Moderne in der Kunst so zu verkörpern wie das Material, aus der sie gemacht ist. Wäre das Kleid aus Samt, es wäre kein Kunstwerk. Nach zwei Monaten sähe es noch genauso aus. Das Flesh Dress hingegen ist bis dahin mit Hilfe von Salz zum graubraunen Trockenfleischfetzenkleid mutiert. Was bleibt, ist das Vergängliche, auf Foto dokumentiert, doch auch das ist nicht von Dauer. Ein Kupferstich Dürers: so herrlich wie am ersten Tag. Sterbaks Werk in 500 Jahren: Frau, Fleisch und Foto Staub.
Monika Wagner nähert sich der modernen Kunst in einer Elementen-Lehre. Dem Wasser, der Erde, dem Feuer, der Luft gesellen sich Licht, Ton, Fleisch, Blut, Müll und Acryl zu. Angeregt vom „Ding- und Materialfetischismus” der Gegenwart gelte es, der „Mißachtung des Materials” entgegenzutreten und auch dort auf den Stoff zu sehen, wo scheinbar allein die Form zählt: Es ist entscheidend, ob eine Madonnenstatue dem Typus der Mater Dolorosa oder dem der thronenden Gottesmutter entspricht. Nicht weniger wichtig ist aber die Frage, ob sie aus Sandstein, Lindenholz oder Styropor ist. Im Laufe des 20. Jahrhunderts befreite man die Substanz aus ihrer Rolle als Ancilla artis. Sie sollte nicht länger bloße Dienerin der Werkgestalt, sondern selbst Objekt sein. Das Material ist keine technische Voraussetzung, sondern eine ästhetische Kategorie; anders als ein Stückchen Rötel, das der Meister im Mörser zerreibt, wird es selbst zum Bedeutungsträger. Das sind die beiden großen Anliegen von Wagners Buch: den Blick zu lenken auf den stofflichen Charakter des Endprodukts Exponat und dem Material als Ausdrucksmittel und Inhalt der Kunst die angebrachte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Konsequent schreitet die Autorin vom traditionellen Medium der Farbe über organische und vergängliche Materien zum Kunststoff und schließlich dem Ungreifbaren von Feuer, Luft, Licht, Energie fort. Das ist ein Fortschreiten von der Imitation zur Inszenierung, von der Tarnung zur Entblößung, von der Transsubstantiation zur Profanisierung, von der Repräsentation zur Präsentation. Hat in einem Gemälde Davids die Materie von Rot, Ocker, Grün hinter der Idee „Der ermordete Marat” zu verschwinden, so wird in „Dirt” von Robert Morris – die temporäre Installation eines mit Abfall durchsetzten Erdhaufens – die Idee gänzlich durch die Materie ausgefüllt.
Die ersten, die Kunst auf diese Weise entidealisierten, waren die Futuristen, Dadaisten und Surrealisten. Als Man Ray einen Schneebesen und Marcel Duchamp Flaschenständer und Pissoirbecken zu Exponaten erklärten, war das „Ready-made” geboren. Seither sind Objets trouvés, Collagen und Combines, die Alltagsdinge verwenden, als Speicher der Erinnerung, Spurensicherung und konsumkritische Anmerkung etabliert. Ob Lumpen, Autowracks, Zettelkästen, Papierkörbe, Altkleider oder Schuhe, die Objekte bewahren die Aura ihrer Benutzer und verschaffen dem Wegwerfartikel Dauerhaftigkeit als Relikt, wenn nicht Reliquie menschlicher Biografie.
Mit der Zuwendung zum Materiellen, Stofflichen, Haptischen kam die Rückwendung zur Natur in die Kunst, freilich nicht mehr als zweidimensionale Illusion, sondern als isoliertes Zitat. In einer „Arte povera” der Primärstoffe eroberte sich das Unerwünschte (Dreck, Unkraut), Marginalisierte (Gras), Amorphe (Wasser, Feuer), Rohe (Basalt) und Vergessene (Reisig, Stroh, verkohltes Holz) ein Stückchen Terrain im öffentlichen, städtischen Raum zurück. Die Objektbeschreibung einer Installation zeigt die fragile Zusammenarbeit zwischen Künstler und Natur, die beide nur kurzzeitige Besucher im musealen Ambiente sind: Hans Haacke: „Gras wächst, 1969. Erde, Samen von Winterweizen, Licht, Wasser.”
Es liegt auf der Hand, dass solche Ausstellungsstücke das Gegenteil von Reproduzierbarkeit darstellen. Lässt sich ein Gemälde an allen Orten der Welt zum Betrachten an eine Wand hängen und in Millionen von identischen Kunstdrucken verbreiten, so ist Yoko Onos „Cut Piece” von 1964, bei dem die Zuschauer ihr das Abendkleid mit der Schere vom Leib schnitten, eine völlig einmalige und nur in Abwandlungen wiederholbare Aktion: Das Kunstwerk steht nicht länger im Verdacht, „einer Semantik des Ewigen zu dienen”. Unbelastet von kunsthistorischen Bedeutungstraditionen konnten die neuen Materialien Plexiglas, Plastikfolie, Vinyl, Polyester als „materia prima” verarbeitet werden. Ihre glatte, hygienische Oberfläche erinnerte an die „Plastifizierung” der Welt, die mit der industriellen Verfügbarkeit der Rohstoffe begann. Kaum aber wurden die Kunststoffe in die Kunst eingeführt, stellte sich die Frage nach ihrer Dauerhaftigkeit und Restaurierbarkeit.
Die zur Schau gestellte Endlichkeit der einst als ewig apostrophierten Werke ist geradezu zum Wesensmerkmal der Moderne geworden. Jene von Beuys bevorzugten Materialien Filz und Margarine sind nur die bekanntesten. Andrea Tippel arbeitete mit Butter, Janine Antoni mit Schweineschmalz und Schokolade. Die dabei verletzte bürgerliche Maxime, Esswaren nicht küchenfremd zu gebrauchen, gehört wie der möglicherweise entstehende Ekel zum kalkulierten Rezeptionsprozess.
Die radikalste Art, den Menschen zum Material der Kunst zu machen, zelebrieren jene, die den eigenen Körper in Performances der Selbstverletzung aussetzen. Günter Brus unterzog sich „Zerreißproben”, arbeitete mit Rasierklingen, Nadeln, Haken, Schnüren, Chris Burden ließ sich auf einen VW- Käfer nageln und die französische Künstlerin Orlan veränderte ihr Gesicht in diversen Verunstaltungsoperationen. Überhaupt wurde mit der Einführung von Blut in die Kunst das größte Tabu verletzt: Dargestellt hatte man es schon immer, aber noch nie als Material verwendet, bis seit Beginn dersechziger Jahre Judy Chicago ihren „Menstruation Bathroom” installierte, Hermann Nitsch und Günter Brus in immer neuen Aktionen Blut vergossenund Marc Quinn fünf Liter seines eigenen Blutes zu einer Kopfskulptur einfror. Am 19. November 1993 wurde auch das Magazin der Süddeutschen Zeitung zum Ort einer spektakulären Aktion. Jenny Holzer gestaltete das Heft mit Fotografien von menschlicher Haut, die mit obszönen und brutalen Texten beschriftet war. Doch nicht das löste einen Skandal aus, sondern die redaktionelle Mitteilung, der Text auf der Titelseite, die man gerade umgeblättert hatte, „wurde nicht mit normaler Farbe gedruckt. Wenn Sie die Schrift berühren, dann berühren Sie Blut, das Blut von Frauen.”
GUDRUN SCHURY
MONIKA WAGNER: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. C. H. Beck Verlag, München 2001. 344 Seiten, 148 Abb., 78,50 Mark.
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