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Liebe in den Zeiten des kalten Krieges Berlin, November 1958: Die Sowjets fordern in einem Ultimatum den Rückzug der alliierten Truppen aus Westberlin, das innerhalb von sechs Monaten zur "Freien Stadt" erklärt werden soll. In dieser politisch unsicheren Situation setzen sich viele Menschen in den Westen ab. Auch Jenny und Robert, Studenten der Humboldt-Universität und frisch verliebt, wägen die Risiken und Chancen des Bleibens und Gehens ab. Die gewohnte Umgebung, die Geborgenheit des Freundeskreises, die Hoffnung auf ein berufliches Fortkommen stehen gegen die Verlockungen der Freiheit, aber…mehr

Produktbeschreibung
Liebe in den Zeiten des kalten Krieges
Berlin, November 1958: Die Sowjets fordern in einem Ultimatum den Rückzug der alliierten Truppen aus Westberlin, das innerhalb von sechs Monaten zur "Freien Stadt" erklärt werden soll. In dieser politisch unsicheren Situation setzen sich viele Menschen in den Westen ab. Auch Jenny und Robert, Studenten der Humboldt-Universität und frisch verliebt, wägen die Risiken und Chancen des Bleibens und Gehens ab. Die gewohnte Umgebung, die Geborgenheit des Freundeskreises, die Hoffnung auf ein berufliches Fortkommen stehen gegen die Verlockungen der Freiheit, aber auch gegen die Unsicherheit eines Neuanfangs. Besonders schwer wiegt für Jenny die Familie, die sie zurücklassen müsste, insbesondere ihre Mutter, die sich an sie klammert. Trost und Entscheidungshilfe findet sie in den französischen Briefen einer Marquise des 18. Jahrhunderts, die sie in einem abgeschiedenen Winkel der Bibliothek gefunden hat: Spiegelverkehrt scheint hier die Mutter-Tochter-Problematik vorweggenommen zu sein.
Doch Jenny kann nicht ewig in ihr "Parallelenspiel" flüchten, denn sie weiß: In der immer beklemmender werdenden Atmosphäre muss schließlich eine Entscheidung fallen ...
Mit feinem Humor und genauer Beobachtungsgabe besticht diese Geschichte, die den Leser an einem schmerzhaften Entscheidungsprozess teilhaben lässt. Fern von Selbstmitleid oder Betulichkeit gelingt es der Autorin, die Stimmung des geteilten Berlin in den Fünfziger Jahren einzufangen und das Portrait eines politischen und privaten Scheidepunkts zu zeichnen, an dem die Weichen für die Zukunft gestellt werden.

Autorenporträt
Irene Ruttmann wurde 1933 in Dresden geboren, studierte unter anderem Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete als Dozentin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, bei Verlagen und für den Hörfunk. Sie lebt in Bad Homburg und wurde vor allem durch ihre Kinder- und Jugendbücher bekannt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2002

Asche vom Vortag
Rebhühner gegen DDR-Tristesse: Irene Ruttmanns spätes Debüt

Jenny und Robert leben auf Abruf in Ost-Berlin. Ihre Flucht in den Westen ist insgeheim abgemacht, vorerst aber aufgeschoben. Im Interim haben sie sich leidlich eingerichtet, ein Studium begonnen, das sie im Westen fortsetzen wollen, eine bescheidene Unterkunft bezogen, geheiratet. Was sie im Osten hält, sind die "üblichen Gründe": Eltern, Geschwister und "die Hoffnung darauf, daß sie einen hier doch irgendwie leben und vorankommen lassen".

Von der Spannungsruhe zwischen Verharren und Fortgehen handelt Irene Ruttmanns Roman "Das Ultimatum". Er spielt im Ost-Berlin der späten Fünfziger, jener Zeit vor dem Mauerbau also, in der es alltäglich, wenn auch beileibe nicht ohne Risiko war, vom Osten in den Westen der Stadt zu wechseln. Jenny nimmt regelmäßig die S-Bahn nach drüben und wieder zurück. In der Bücherstube Marga Schöller kauft sie Kunstpostkarten, die sie zu Hause in Friedrichshain an die Wände heftet.

Ihr Tagebuch schreibt sie im Lesesaal der Amerika-Gedenkbibliothek, verbirgt die Blätter ("Nichts Geheimes oder so, nur Gedanken") bei Kreuzberger Freunden. Sie schaut "Rififi" in der Filmbühne am Steinplatz, Giradoux und O'Neill im Schillertheater - die kleinen Fluchten helfen ihr über die Gängelei im nachstalinistischen "Demokratischen Sektor" hinweg. Sie sind die Sekunden beschleunigten Pulsschlages und zugeschnürter Kehle wert, die sich bei jedem Grenzübertritt neu einstellen. Ein Buch bewahrt Jenny bei sich, gefunden im entlegensten Winkel ihrer Seminarbibliothek, stockfleckig und brüchig: Es sind die gesammelten Briefe der Marquise de Sévigné an ihre Tochter. Darin findet Jenny die exotische Gegenwelt des absolutistischen Frankreich und zugleich einen Ratgeber für ihr Leben in der DDR. Jenny überblendet die sozialistische Tristesse fortan historisch, gleicht das fade Essen in der Mensa ab mit den Rebhühnern, Feigen und Muskattrauben auf Schloß Grignan, projiziert den pomp funèbre einer hochadligen Totenfeier in Notre-Dame auf das Trauerdefilée für den verstorbenen Johannes R. Becher. Ihr Trick funktioniert jedoch nicht immer, mitunter verschmelzen die Bilder nicht.

Die Kinderbuchautorin Irene Ruttmann, Jahrgang 1933, hat wie ihre Protagonistin Jenny in Ost-Berlin Germanistik studiert, bevor sie in den Westen ging. In ihrem späten Romandebüt verzichtet sie auf erzählerische Kunstgriffe, entfaltet vielmehr eine episodische, sacht von Melancholie angewehte Liebesgeschichte gegen die Verhältnisse. Ein historisches Buch, dessen Brennglas zunächst auf die allerkleinsten Milieus gerichtet ist, auf Hausgemeinschaften, Seminare und Freundeskreise, dann aber mit einem Mal weit aufreißt und die Weltpolitik einfängt: Chruschtschow versetzt Jennys und Roberts im Interim eingependelten Leben einen Stoß. Im November 1958 fordert er die Westmächte auf, West-Berlin binnen sechs Monaten zu entmilitarisieren und in eine "freie Stadt" zu verwandeln. Andernfalls schlösse Moskau einen separaten Friedensvertrag mit der DDR und übertrüge ihr die Aufsicht über sämtliche Zugänge nach Berlin.

"Sie werden den West-Berliner Flughafen kontrollieren, und das bedeutet: du kommst hier nie wieder raus", befürchtet Jenny. "Keine Teilängste mehr in der Eisenbahn und am Potsdamer Platz beim Überschreiten der Grenze, weil es nur noch die große Einheitsangst geben wird." Ein paar Tage darauf ist Jennys Freundin Gudrun geflohen, kurzentschlossen und ohne ein Wort. Noch immer aber rühren sich Robert und Jenny nicht, erstarrt oder nur ermattet vom traumatischen Druck, der seit dem niedergeschlagenen Ungarnaufstand 1956 nicht von ihnen gewichen ist. "Wir haben noch Zeit", sagt Robert. Die verstreicht bleiern im winterlichen Berlin: "Frühmorgendliche graue Dunkelheit, kalte Asche vom Vortag, und Gudrun im Westen."

Doch Nadelstich für Nadelstich rückt die Entscheidung zur Flucht heran: Ein Freund wird verhaftet, der gutmütige Nachbar stirbt, linientreue Kader beziehen dessen Zimmer, ein Verhör droht und zerschlägt sich wieder. "Wir kommen nicht zur Ruhe", notiert Jenny. "Ich weiß nicht, ob ich die Zeit haben werde, alles aufzuschreiben, was passiert." Die Krise, die Chruschtschows Ultimatum auslöst, schwelt drei weitere Jahre, sie führt geradewegs in den 13. August 1961.

Es ist nicht das Kräftemessen der Alliierten, sondern ein Allerweltsgespräch in der Mensa, das Robert und Jenny schließlich veranlaßt, die Koffer zu packen und dem Ablauf ihres persönlichen Ultimatums zuvorzukommen. Wie beiläufig der Entschluß dazu fällt, entspricht dem verhaltenen Ton eines Romans, der große Gesten scheut und sparsam, aber treffend seine Effekte setzt.

TOBIAS RÜTHER

Irene Ruttmann: "Das Ultimatum". Roman. C. H. Beck Verlag, München 2001. 220 S., geb., 19,43 [Euro].

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Ostberlin 1958. Noch sind die Grenzen nach Westberlin offen, noch ist es kein Problem, einfach Freunde zu besuchen, am Kurfürstendamm einzukaufen oder – auch wenn’s verboten ist – ins Kino zu gehen. In dieser politisch unsicheren Zeit setzen sich viele in den Westen ab. Auch Jenny und Robert, frischverliebte Studenten an der Humboldt-Universität, wägen Für und Wider des Bleibens oder Gehens ab. Besonders Jenny fällt die Entscheidung schwer, sie hängt an ihren Freunden, ihrer Familie und ganz besonders an ihrer Mutter. Trost und Entscheidungshilfe findet sie in den französischen Briefen einer Marquise des 18. Jahrhunderts, die sie in einem Winkel der Universitäts-Bibliothek gefunden hat: Deren Geschichte scheint in einem Parallel-Universum zu Jennys Welt stattzufinden. In der immer beklemmender werdenden Atmosphäre muss Jenny eine Entscheidung treffen ... Kinderbuchautorin Ruttmann gelingt in ihrem ersten Roman das Kunststück, die ostdeutsche Gesellschaft und deren bedrückende Überwachungsatmosphäre leicht und gleichwohl eindringlich mit einer Liebesgeschichte zu verweben. (www.parship.de)

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Marion Lühe hat ihre Freude an diesem autobiografisch inspirierten Roman von Irene Ruttman, die bislang hauptsächlich Kinderbücher schrieb. Es geht um die Entscheidung einer jungen Frau und ihres Freundes in der DDR der späten 1950er Jahre, ob sie nun in den Westen gehen oder im Osten bleiben sollen. Der naive, aber genaue Blick der Protagonisten Jenny auf die Absurditäten des täglichen Lebens und seiner Banalitäten ermöglicht eine "im besten Sinne schlichte Prosa, die den Eindrücken und Stimmungen des Augenblicks folgt", findet die Rezensentin. Darüber hinaus nennt sie das Buch einen "in doppelter Hinsicht ... historischen Roman", weil er die DDR der Nachkriegsära beschreibe und gleichzeitig weiter reichende historische Parallelen ziehe, z.B. zum absolutistischen Frankreich.

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