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Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte sich zwar die jüdische Teilhabe an der deutschen Gesellschaft, doch eine vollständige Assimilation der deutschen Juden fand nicht statt. Im Gegenteil: Wie Michael Brenner in diesem fesselnden Buch belegt, wurde sich die jüdische Bevölkerung der Weimarer Republik zunehmend ihres Jüdischsein bewußt und schuf in Literatur, Musik und bildenden Künsten, im Bildungswesen und in der Wissenschaft neue Formen einer deutsch-jüdischen Kultur. Brenner legt die erste systematische Studie über diese Kultur vor und gibt dabei ein faszinierendes Portrait von Menschen, die…mehr

Produktbeschreibung
Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte sich zwar die jüdische Teilhabe an der deutschen Gesellschaft, doch eine vollständige Assimilation der deutschen Juden fand nicht statt. Im Gegenteil: Wie Michael Brenner in diesem fesselnden Buch belegt, wurde sich die jüdische Bevölkerung der Weimarer Republik zunehmend ihres Jüdischsein bewußt und schuf in Literatur, Musik und bildenden Künsten, im Bildungswesen und in der Wissenschaft neue Formen einer deutsch-jüdischen Kultur. Brenner legt die erste systematische Studie über diese Kultur vor und gibt dabei ein faszinierendes Portrait von Menschen, die auf dem Wege sind, ihre jüdische Identität neu zu definieren.

Die deutschen Juden vor 1933 entschieden sich weder für einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit noch für eine Rückkehr zur Tradition. Statt dessen kleideten sie jüdische Traditionen in das Gewand moderner kultureller Ausdrucksformen. So machten moderne Übersetzungen klassische jüdische Texte zugänglich; jüdische Museen stellten Kultgegenstände in einem säkularen Rahmen zur Schau; musikalische Arrangements bearbeiteten die Synagogenliturgie für eine Konzertpublikum; volkstümliche Romane riefen Aspekte der jüdischen Vergangenheit in Erinnerung.

Michael Brenners Buch schildert nicht nur den ungewöhnlich produktiven Elan der Weimarer Epoche, es ist auch ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der deutsch-jüdischen Geschichte überhaupt.

Rezensionen:
- "Eine ungemein aufschlussreiche Abhandlung über das lange zu wenig beachtete innerjüdische Leben in einer Zeit gesellschaftlicher und politischer Umbrüche bzw. Verwerfungen." (Hermann Glaser, Das Parlament)
- "Ohne die oft so über aufstoßende Arroganz den deutschen Juden gegenüber schildert der Münchner Historiker, wie es eigentlich gewesen ist. Zudem vermeidet Brenner einen Fehler, den viele Gelehrte - Juden wie Nichtjuden - begehen. Ähnlich wie die Nazis - freilich unter umgekehrtem Vorzeichen - entdecken sie überall dort vermeintlich Jüdisches, wo Juden als Bildende Künstler, Komponisten, Schriftsteller oder Wissenschaftler für die breite Öffentlichkeit tätig waren. Für Brenner ist jüdische Kultur hingegen ausschließlich das, was deutschen Juden "bewußt eine kollektive Identität zu stiften suchte," also alles von Juden für Juden erschaffene Literarische, Künstlerische und Wissenschaftliche. Wohltuend ist dieser eigentlich selbstverständliche, leider seltene Ansatz. Er ist frei von philosemitischem Vorurteil und sentimentalem Schmalz." (Jacques Schuster, Die Welt)
- "Bis zu diesem bemerkenswerten Buch hatten wir nur eine vage Vorstellung von der vibrierenden und vielschichtigen, spezifisch jüdischen Kultur, die die Juden der Weimarer Zeit hervorgebracht haben. Michael Brenner zeigt uns, daß das Weimarer Judentum sich weit stärker mit seinem jüdischen Erbe auseinandersetzte, als wir bislang gewußt haben. Sein gründlich recherchiertes, überzeugend argumentierendes und angenehm lesbar geschriebenes Buch wird Historiker wie interessierte Leser gleichermaßen beeindrucken." (Michael A. Meyer)
Autorenporträt
Dr. Michael Brenner, geb. 1964 in Weiden/Opf., ist o. Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2000

Authentisch wird es atonal
Einer Minderheit, die sich ihre Tradition erfindet – Michael Brenner untersucht die jüdische Kultur in der deutschen Moderne
Dieses Buch erzwingt eine Korrektur. Bisher galten die deutschen Juden der Moderne oft als „unjüdische Juden” (Isaac Deutscher), die sich von ihrer Tradition entfernt hatten. Erst 1933, mit Beginn ihrer Entrechtung und Verfolgung, sollen sie ihres Judentums wieder inne geworden sein. Doch es war anders. Spätestens in der Weimarer Republik entdeckten die Juden in Deutschland endgültig ihr Jüdischsein– so erreichte die von Martin Buber um 1900 ausgerufene „jüdische Renaissance” ihren Höhepunkt kurz vor der Katastrophe.
Zurecht weist Michael Brenner darauf hin, dass es bisher keine Studie zur „besonderen jüdischen Kultur” der Weimarer Zeit gab. Insofern leistet der Münchner Professor für Jüdische Geschichte und Kultur Pionierarbeit – und zwar auf Terrain, das bestens bekannt schien, weshalb seine Studie nicht nur Zuspruch finden dürfte. Sie ist 1996 zuerst in den USA erschienen, wo Brenner lehrte und die Quellen des New Yorker Leo-Baeck-Instituts nutzen konnte, das die Hinterlassenschaft des deutschen Judentums bewahrt. Wenn sein Buch die Kraft hat, Mythen und Fehlurteile umzustürzen, dann nicht zuletzt wegen der Vielfalt seiner Quellen – selbst Gemeindeblätter zieht der Autor heran, um der Spur keimenden Selbstbewusstseins nachzugehen. Für die Juden der Zwischenkriegszeit war die deutsche Lebensform jedenfalls nicht mehr das Maß aller Dinge.
Lange wurde der Blick auf deutsch-jüdische Geschichte von zwei Fragen beherrscht: Was haben die Juden den Deutschen gegeben? Und was mussten sie für ihr Leben mit den Deutschen aufgeben? Gershom Scholem bekämpfte den Glauben an einen fruchtbaren Dialog mit dem Wort, dieser sei nur eine Fiktion jüdischerseits gewesen. George L. Mosse reformierte die Dialogthese, indem er die Juden als Hüter des klassischen deutschen Bildungsideals zeigte, nachdem die Deutschen selbst es aufgegeben hatten. Brenner, erzählt nun ungeahnt Neues, für das die Begriffe Dialog, Assimilation und Symbiose nicht gebraucht werden. An ihre Stelle tritt eine komplexere Beziehung: ein von dialektischen Sprüngen gezeichneter Prozess mehrfacher Wechselwirkung – nicht allein zwischen Juden und Deutschen, sondern auch der Juden untereinander. Dabei ersteht vor dem Leser das „Musterbeispiel einer Minderheitenbevölkerung, die sich ihre Tradition erfindet”.
Moderne heißt bei Brenner der Freiraum für Selbstbestimmung. Kultur fasst er als Selbsterschaffung auf, nicht als Bilanz erhabener Leistungen. Um ein Missverständnis zu vermeiden: Brenner meint nicht, die Moderne sei jüdisch gewesen, sondern nur, dass sie auch den Juden in Aussicht stellte, was sie anderen bereit hielt: Authentizität. Sein erstaunlichstes Beispiel ist die Modernisierung der liturgischen Musik. Besonders die Atonalität bot die Chance, die von christlicher Kirchenmusik entliehene Harmonik zu überwinden und zur Disharmonie ältester jüdischer Musik heimzukehren. Die radikalste Moderne versprach das sicherste Geleit zurück zum Eigenen.
Musik schien die wirksamste Kraft im Dienst der „Rejudaisierung”. Das belegt Brenner auch mit Münchner Exempeln, etwa den Aufführungen Heinrich Schalits im frühen Bayerischen Rundfunk. Wie viele der 560 000 deutschen Juden in den Zwanzigern an der Wiederbelebung des Judentums teilhatten, lässt sich nicht beziffern. Es dürfte die Mehrheit gewesen sein, zumal der Aufbruch die jüdische Kultur in ihrer Breite erfasste, von der Synagogenarchitektur, deren moderner Leitstil das Bauhaus war, bis zur Illustration der Pessach-Hag-gada mit expressionistischen Mitteln.
Doch nicht nur die hohe Kunst durfte zu dem beitragen, was Buber die „Auferstehung des jüdischen Volkes von einem partiellen zu einem vollen Leben” nannte. Der offene Kulturbegriff der Moderne erwies sich als hilfreich. Zeitungen und Zeitschriften dienten der Sache nicht minder als Schulen, Bildungsgesellschaften, Lexika oder Gedichte. Zahlreiche Leser fanden die Romane der Wassermann oder Feuchtwanger in den Lesehallen der Gemeinden, die sich von Kultus- in Kulturgemeinden verwandelten, und unüberschätzbar ist die Bedeutung einer Institution wie des „Lehrhauses”.
So wurde „konkret fassbar”, was lang „vage” gewesen war: kollektive Identität. Während der Emanzipation im 19.  Jahrhundert bedeutete Jüdischsein, einer Konfession anzugehören. Als die Religion kein Gemeinschaftsgefühl mehr stiftete, besann man sich auf den Begriff „Abstammungsgemeinschaft”, was manchem zu zionistisch klang. Doch trotz allem Trennenden hatten die Juden von sich selbst das Bild einer Gemeinschaft – woher? Brenner antwortet: Aus dem Wissen um eine gemeinsame, nicht nur, aber hauptsächlich säkulare Kultur, wie sie zuerst von der „Wissenschaft des Judentums” angestoßen worden war. So entstand mehr als nur Geschichtsbewusstsein – nämlich das Verlangen, jüdische „Sonderart” zu leben und zu erhalten. Stärker wurde es jedesmal, wenn der Antisemitismus Konjunktur hatte, etwa im Ersten Weltkrieg, als den Juden bewusst wurde, wie wenig sie sich zum deutschen Volk zählen durften.
Brenner tut sich überraschend leicht, die Tauglichkeit der Kulturhistorie zu beweisen – unausgesprochen auch gegen die Präferenzen jener, die glauben, jüdische Gemeinschaften eigneten sich eher für die sozialhistorische Darstellung, weil sie stets von äußeren Mächten abhingen und über wenig Raum für Autonomie verfügten. Methodisch folgt der Autor vermutlich jenen Kriterien, die der 1996 und 97 von ihm mitherausgegebenen „Deutsch-jüdischen Geschichte in der Neuzeit” zu Grunde liegen und die Michael A. Meyer in einem Vortrag so zusammenfasste: „Man kann die deutsch-jüdische Geschichte als einen Weg verstehen, der durch drei Abschnitte führt: Im ersten werden die Juden von außen wie von innen, und das wird von beiden Seiten anerkannt, allein als Juden bestimmt; im zweiten bestimmen sie sich selbst, ohne dass das freilich von Nicht-Juden eindeutig anerkannt würde, als Deutsche wie als Juden; und am Ende werden sie von außen nur als Juden definiert, und damit geht intern eine partiell, aber nicht vollständig erneuerte Anerkennung der Wichtigkeit des eigenen Judentums durch die Juden selber einher. ” Demnach schriebe Brenner die Kulturgeschichte der dritten Phase, in der das Mischungsverhältnis von Fremd- und Selbstbestimmung einmal weniger ungünstig war. Dabei leistet sein Buch, was Hannah Arendt forderte: Schluss mit der „nivellierenden Prahlerei” jener „Kataloge”, die nur die Freuds und Einsteins kennen! Brenner lässt Gerechtigkeit auch den Namenlosen, Vergessenen und nie berühmt Gewordenen widerfahren.
Letzter Schritt der jüdischen Renaissance sollte das Authentischwerden sein, dem drei literarisch konzipierte Idealtypen vorgegeben waren: der orientalische Jude, der Ostjude und der häretisch-messianische Jude vom Schlage Sabbatai Zwis. Diese drei Vorbilder macht Brenner in der deutsch-jüdischen Literatur der Zeit am häufigsten aus – Moses Mendelssohn, der Wegbahner alles Deutsch-Jüdischen, fehlt. Die Realität sah anders aus. Selbst die Erfinder antiassimilatorischer Träume „waren nicht im Stande, sie in ihrem eigenen Leben zu verwirklichen”. Alfred Döblin etwa wurde nach seiner Vertreibung aus Deutschland katholisch.
Man fragt sich, was dies alles in der Gegenwart bewirken könnte. Brenner selbst lässt es bei dem Hinweis, die jüdische Renaissance beschränke sich auf das moderne Deutschland vor 1933 – „aber die Herausforderung bleibt dieselbe überall in der Diaspora”. Das besagt wohl kaum, dass sich heute an die durch deutsche Gewalt beendete Selbstfindung anknüpfen ließe. Die meisten Juden in der Bundesrepublik haben zu dieser deutsch-jüdischen Vorgeschichte ein zumindest zwiespältiges Verhältnis. Salomon Korn empfiehlt in seinem viel zu wenig bekannten Buch „Geteilte Erinnerung” (1999), sie höchstens als „adoptierte Geschichte” zuzulassen. Sonst werde der Bruch, den Auschwitz verursachte, auf verharmlosende Weise überbrückt. Doch wäre diese Vorgeschichte nicht annehmbarer, wenn sie wie bei Brenner nicht mehr verklärend als „Symbiose” betrachtet würde, sondern als Ära, die weniger im Zeichen eines Kraft raubenden Dialogs stand als der Wiederfindung des Eigenen?
KURT OESTERLE
MICHAEL BRENNER: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik. Aus dem Englischen von Holger Fliessbach. C. H. Beck, München 2000. 340 S. , 68 Mark.
„Der greise Jude des Ostens wahrte sein Gesicht”, meinte Arnold Zweig. In dem Buch „Das ostjüdische Antlitz” 1919 war diese Zeichnung zu sehen. Foto: Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

In den 20er Jahren sprach man gar von einer "jüdischen Renaissance" in Deutschland, das kulturelle Leben der jüdischen Gemeinde blühte wie nie zuvor; umso schwerer hatten es die Schriftsteller der sogenannten zweiten Generation (d.h. die Kinder der Überlebenden des Holocausts), die in der Bundesrepublik einen literarischen Start am kulturellen Nullpunkt versuchten. Und doch gibt es davon mehr als sich die erste Generation überhaupt vorstellen konnte. Andreas Kilcher berichtet über drei Bücher, die sich der jüdischen Kultur in Deutschland vor und nach 1933 annehmen.
1) Michael Brenner: "