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Wenn religiöse Überzeugungen aufeinander treffen, scheinen Konflikte besonders gewalttätig zu werden, Gräben besonders tief, Argumente besonders ehrwürdig. Die hier vorgelegten Beiträge europäischer und amerikanischer Religionswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zeigen, wie schwierig unter solchen Umständen Rückkehr zur Normalität ist - gerade wenn die Motive der Beteiligten komplex, der religiöse Faktor wenig offensichtlich ist. Der Band betrachtet gegenwärtige Konfliktlagen vor dem Hintergrund geschichtlicher Entwicklungen und bietet so notwendige Orientierung. Beiträge von Christoph…mehr

Produktbeschreibung
Wenn religiöse Überzeugungen aufeinander treffen, scheinen Konflikte besonders gewalttätig zu werden, Gräben besonders tief, Argumente besonders ehrwürdig. Die hier vorgelegten Beiträge europäischer und amerikanischer Religionswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zeigen, wie schwierig unter solchen Umständen Rückkehr zur Normalität ist - gerade wenn die Motive der Beteiligten komplex, der religiöse Faktor wenig offensichtlich ist. Der Band betrachtet gegenwärtige Konfliktlagen vor dem Hintergrund geschichtlicher Entwicklungen und bietet so notwendige Orientierung. Beiträge von Christoph Auffarth, Johannes Beltz, Sigurd Bergmann, Peter Bräunlein, Peter Burschel, Dorothee Elm, Giovanni Filoramo, Alexandra Grieser, Hans Kippenberg, Benedikt Kranemann, Susanne Lanwerd, Bruce Lincoln, Vasilios Makrides, Elizabeth Picard, Stephan Rosiny, Jörg Rüpke, Thomas Scheffler, Kocku von Stuckrad und Bron Taylor in deutscher und englischer Sprache.
Autorenporträt
Prof. Dr. Jörg Rüpke war von 1995 bis 1999 Professor für Klassische Philologie an der Universität Potsdam und von 1999 bis 2008 Professor für Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Europäische Polytheismen an der Universität Erfurt und dort Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms Römische Reichs- und Provinzialreligion. Seit 2008 ist er Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive und Fellow für Religionswissenschaft am Max-Weber-Kolleg Erfurt. Seit 2011 ist er Honorarprofessor an der Universität Aarhus und im Jahr 2012 wurde er in den Wissenschaftsrat berufen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2005

Menschenfreunde und Baumbesetzer
Wer stiftet Sinn und Gemeinschaft: Religionen im Konflikt
Die Hoffnung auf einen neuen „Friedenspapst” und die Angst vor einem globalen „heiligen Krieg” sind Beispiele dafür, wie gespannt die Erwartungen an die Religion sind. Zugleich erscheint die Vernetzung der Religion mit anderen Motivlagen und Handlungsfeldern umso schwerer zu entwirren, je mehr man sich einzelnen Konflikten der Gegenwart nähert. Es ist deshalb alles andere als banal, wenn die Erfurter Religionswissenschaftler Vasilios Makrides und Jörg Rüpke darauf hinweisen, dass die „Schlagwortkette ‚Religion’, ‚Konflikt’, ‚Gewalt’, ‚religiöser Terror’” zwar hohe öffentliche Aufmerksamkeit hat, aber zugleich erheblichen Vermittlungs- und Verständnisproblemen unterliegt. Für Aufklärung will der von ihnen herausgegebene Band „Religionen im Konflikt” sorgen.
So fragt Hans G. Kippenberg nach der Bedeutung von Religion in „säkularen Konflikten”. Dabei lehnt er sich an Max Webers These an, dass Religion ein Gemeinschaftshandeln ist, das Sinn konstituiert, indem subjektive Handlungsmotive auf eine Heilserwartung ausgerichtet werden. Dieser religiöse Sinnstiftungsvorgang ist keiner spezifisch „heiligen” Sphäre vorbehalten, sondern kann sich prinzipiell überall anschließen. Entsprechend betrachtet Kippenberg politische Konflikte der Gegenwart wie den Nahostkonflikt als „religiöses Drama”: Konflikte werden durch religiöse Deutung so radikalisiert, dass sie als stellvertretender Entscheidungskampf der Götter ausgetragen werden. Dies sei wiederum nur ein extremes Symptom des Wandels von Funktion und Ort der Religion in modernen Gesellschaften. Gerade nicht die Privatisierung der Religion - über Jahrzehnte ein Lieblingstheorem der Religionssoziologie -, sondern das öffentliche Handeln religiöser Gemeinschaften und Netzwerke sei signifikant: Religion als zivilgesellschaftlicher Akteur.
Einen aufschlussreichen Beitrag hierzu liefert Kocku von Stuckrad, der durch Verbindung von Handlungs- und Ritualtheorie die Religion der radikalen Umweltschützer von „Earth First!” aufschließt. Diese Organisation kennt keine Mitglieder im vereinsmäßigen Sinn. Es handelt sich vielmehr um ein Netzwerk unabhängiger „Zellen”, für deren Zusammengehörigkeitsgefühl so genannte „Rendezvous” veranstaltet werden. Nun finden diese Ereignisse nicht nur vorzugsweise an heiligen Stätten der amerikanischen Ureinwohner statt, sondern sie sind auch mit archaischen Tänzen und Gesängen ritualisiert. Dient das religiöse Ritual so dem Gruppenverbund, verstehen darüber hinaus zahlreiche Earth First!ler ihre Aktionen als „spirituelle Erfahrung”, nämlich als direkte Kontaktaufnahme mit der Natur, die so den Status einer animistischen Gottheit erhält.
Gefallene Männlichkeit
In historischer Perspektive werden die verschlungenen Wege der religiösen Sinnstiftung von Susanne Lanwerd am Beispiel des jüdischen und christlichen Gefallenengedenkens im Ersten Weltkrieg behandelt. Die religiöse Verklärung des Märtyrertodes zur Steigerung der soldatischen Opferbereitschaft war in beiden Religionen gang und gäbe. Eine erhebliche Rolle spielte dafür nach Lanwerd die religiöse Sanktionierung von Geschlechtertypologien. Das Männlichkeitspathos im Gefallenengedenken war zugleich ein Schauplatz des Krieges an der Heimatfront, in dem antisemitische Feminisierungsstrategien einerseits und die Betonung einer spezifisch jüdischen Männlichkeit im Makkabäer-Narrativ andererseits einander gegenüber standen.
Die prekäre Beziehung zum Judentum hat auch in den liturgischen Formen des Christentums ihren Niederschlag gefunden. Benedikt Kranemann nennt dafür zahlreiche Beispiele, darunter die „Improprien”, liturgische Gesänge des römischen Messbuches zu Karfreitag, in denen Christus Anklagen gegen die Juden in den Mund gelegt werden. Daneben gibt es auch rituelle Formen christlichen Lebens, die auf Abschwächung von Konflikten zielen. Kranemann zitiert aus dem „Toleranzlied” des aufgeklärten Benedikt von Werkmeister: „Den Nächsten, wer immer es sey, Türk, Jude oder Heide, Zu lieben stets, vom Stolze frey, Ist Christenpflicht und Freude! Er ist ein Mensch, wie ich, Und ist oft besser noch, als mancher Christ.”
Zwischen aufgeklärten Menschenfreunden und biozentrischen Baumbesetzern, religiös gestützter Eskalation und Deeskalation von Konflikten spannen sich die 17 Beiträge des Bandes auf. Wenn auch manchen Beiträgen ihr spezielles Forschungsgebiet genug zu sein scheint, macht der Band insgesamt darauf aufmerksam, dass die Religion, ob nun als zivilgesellschaftlicher Akteur oder in dem abgegrenzten Bezirk ihrer kirchlichen Formen, eine zutiefst ambivalente Struktur von Sinnstiftung und deren überhöhtem Alleinvertretungsanspruch, von konstruktivem und destruktivem Potenzial aufweist. Dieses Leistungsvermögen ist nicht instrumentell zu beherrschen, sondern nur zu kultivieren. Vor einhundert Jahren hat der Religionsanalytiker Ernst Troeltsch den Satz geprägt, die Wesensbestimmung der Religion sei immer auch Wesensgestaltung. Diese Formel verdient in der Gegenwart neue Aufmerksamkeit.
FRIEDEMANN VOIGT
VASILIOS N. MAKRIDES, JÖRG RÜPKE (Hrsg.): Religionen im Konflikt. Vom Bürgerkrieg über Ökogewalt bis zur Gewalterinnerung im Ritual. Aschendorff Verlag, Münster 2005. 288 S., 14,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Es gilt zu verstehen, fordert Friedemann Voigt, wie Religionen Sinn stiften, auch - und mit Blick auf die Konflikte der Gegenwart: vor allem auch - auf außerreligiösen "Handlungsfeldern": Wenn Religionen zum "zivilgesellschaftlichen Akteur" werden, wenn sie Naturaktivisten Glaubensmuster liefern und dem Gedenken an Gefallene ein metaphorisches Bezugssystem. Deshalb - um die "verschlungenen Wege der religiösen Sinnstiftung" besser zu verstehen - empfiehlt Voigt diesen Sammelband, auch wenn er natürlich nur exemplarische Untersuchungen und keinen endgültigen Aufschluss geben kann. Aber "die Wesensbestimmung der Religion, paraphrasiert der Rezensent den Religionsanalytiker Ernst Troeltsch, ist "immer auch Wesensgestaltung".

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