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"Nichts ist schlimmer, als nicht mehr den Überblick über Freund und Feind zu haben."Hermann Kants brisanter Roman ist ein zur Groteske getriebenes Spiel um Einfluss, Beschränktheit und Arroganz eines Machtapparats. Das Beispiel der jungen DDR dient als Folie für die Ambivalenz des Verhältnisses zwischen Machthabern und Künstlern.Linus Cord gilt als "aufstrebender Kritiker", sein Ehrgeiz ist es jedoch, ein "beträchtlicher Essayist" zu werden. Der Aufsatz, an dem er jetzt, im Frühjahr 1961, schreibt, soll ihm die erhoffte Anerkennung bringen.Eines Vormittags steht einer der auffällig…mehr

Produktbeschreibung
"Nichts ist schlimmer, als nicht mehr den Überblick über Freund und Feind zu haben."Hermann Kants brisanter Roman ist ein zur Groteske getriebenes Spiel um Einfluss, Beschränktheit und Arroganz eines Machtapparats. Das Beispiel der jungen DDR dient als Folie für die Ambivalenz des Verhältnisses zwischen Machthabern und Künstlern.Linus Cord gilt als "aufstrebender Kritiker", sein Ehrgeiz ist es jedoch, ein "beträchtlicher Essayist" zu werden. Der Aufsatz, an dem er jetzt, im Frühjahr 1961, schreibt, soll ihm die erhoffte Anerkennung bringen.Eines Vormittags steht einer der auffällig unauffälligen Herren mit der Klappkarte vor seiner Tür. Ohne Umschweife erkundigt er sich, ob Cord noch die Nummer seiner Wehrmachts-Erkennungsmarke wisse. Da Cord verneint, fragt er, ob er bereit wäre, sich bei der Westberliner Auskunftsstelle danach zu erkundigen. Cord lehnt gewunden - immerhin ist er überzeugter Genosse -, aber deutlich ab.Als der ungebetene Besucher gegangen ist, ist Cord mit sich im Reinen. Noch ahnt er nicht, welches Szenarium für ihn vorgesehen ist. Was er von nun an auch tut, es wird ihn hineinziehen in die alltägliche Absurdität eines Macht- und Ränkespiels und zerstören.
Autorenporträt
Kant, HermannHermann Kant wurde 1926 in Hamburg geboren. Er machte eine Lehre zum Elektriker. Im Zweiten Weltkrieg war er Soldat, befand sich von 1945-1949 in polnischer Kriegsgefangenschaft. Der Mitbegründer des Antifa-Komitees war im Arbeitslager Warschau und Lehrer an der Antifa-Zentralschule. Ab 1949 besuchte er die Arbeiter- und Bauern-Fakultät Greifswald und studierte von 1952 bis 1956 Germanistik in Berlin. Danach arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent und Redakteur. Als freier Schriftsteller lebte er seit 1962 in Berlin und war von 1978 bis 1989 Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR. Er starb 2016 in Neustrelitz.Wichtigste Werke: "Die Aula" (1965), "Das Impressum" (1972), "Der Aufenthalt" (1977), die Erzählungsbände "Ein bißchen Südsee" (1962), "Eine Übertretung" (1975), "Der dritte Nagel" (1981), "Bronzezeit" (1986), "Lebenslauf, zweiter Absatz" (2011). Zuletzt erschien: "Therapie. Erzählungen und Essays" (2021).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2010

Der General und der Geistesmensch

Weiß er noch, wovon er redet? Der Schriftsteller Hermann Kant war selbst Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Jetzt hat er einen Roman über die Arbeit der "Firma" geschrieben, der mehr verdunkelt als erhellt.

Gerade erst schilderte uns die Dokumentation "Günter Grass im Visier" aus dem Berliner Christoph Links Verlag, wie der Schriftsteller Grass bei Besuchen in der DDR von Helfern der Staatssicherheit überwacht wurde (F.A.Z. vom 6. März), unter den Wächtern auch der IM "Martin", Grass' Kollege Hermann Kant. Und gleich danach erreicht uns aus dem Berliner Aufbau Verlag ein neuer Roman von Hermann Kant mit dem Titel "Kennung", dessen Thema das Wirken der DDR-Staatssicherheit ist.

Ein toller Zufall! Da haben wir, so will es auf den ersten Blick scheinen, endlich einmal Gelegenheit, von den Kenntnissen eines Insiders zu profitieren. Und das nicht im trockenen Stil der Dokumente in der Birthler-Behörde, sondern, viel interessanter, im Rahmen eines Romangeschehens.

Diese Erwartung wird freilich schnell enttäuscht. Schon nach wenigen Seiten erkennt der Leser, dass der Autor keineswegs den einstigen Überwachungsvampir, gar die eigene Beziehung zu jenem Blutsauger ins Fadenkreuz nimmt, sondern stattdessen eine Art Märchen erzählt. Die Handlung prunkt mit einer Fülle rätselhafter Geschehnisse, deren Deutung lange auf sich warten lässt und uns, wenn sie endlich geliefert wird, ganz unmärchenhaft enttäuscht. Dazu kommt, dass die Hälfte des Buchumfangs genügt hätte, um die Romangeschichte mitzuteilen. Die tatsächlich vorhandenen zweihundertfünfzig Seiten sind eindeutig zu viel und nur deshalb zustande gekommen, weil der Autor Kant es liebt, Gesagtes oft zu wiederholen und Fakten so reichhaltig mit Wortgirlanden zu dekorieren, dass man sie unter dem Schmuck kaum erkennen kann.

Held des Romans ist ein Literaturkritiker namens Linus Cord, der noch keine große Karriere gemacht hat, sie aber machen möchte. Er beabsichtigt, ein "beträchtlicher Essayist" zu werden, und werkelt zu diesem Zweck an einer Arbeit, in der er den Schriftsteller Ambrose Bierce, Zeitgenosse des amerikanischen Bürgerkrieges, und den DDR-Autor Stephan Hermlin kritisch vergleicht. Mit Kant hat Linus Cord nicht viel gemein, ein bisschen aber doch. 1927 geboren, ist er ein Jahr jünger als sein Erfinder, musste wie dieser nach knapp begonnenem Arbeiterleben als halbes Kind in den Zweiten Weltkrieg ziehen und geriet in Gefangenschaft.

Doch während Kant vier Jahre in polnischen Lagern verbrachte und dort die Anfänge jener politischen Dressur erfuhr, die sein künftiges Leben prägte, kam der Knabe Linus Cord in sowjetischen Gewahrsam, und das nur kurz. Er, der Siebzehnjährige, hatte sich für sechzehn ausgegeben und wurde von einer Soldatin, die ihm den Schwindel glaubte, heimgeschickt. Im sowjetischen Sektor Berlins, der späteren Hauptstadt der DDR, entwickelte er sich zwar zum braven Genossen, aber keineswegs zu einem Aktivisten nach Kantschem Vorbild.

Der Autor hält sich also einigermaßen fern von seinem Geschöpf, was er noch dadurch betont, dass er im Romantext ab und zu den "Erzähler" sprechen und vernünftige Mahnungen äußern lässt. Man kann durchaus nicht auf die Idee kommen, er trage seine eigene Geschichte vor oder wenigstens ein Stück davon. Damit wahrt er den Abstand, den er braucht, um ein Stasi-Märchen zu erzählen, ohne dass ein Bekenntnis daraus wird.

Was nun will Mielkes Ministerium von dem "beträchtlichen Essayisten"? Im ersten Halbjahr 1961, also noch vor dem Bau der Mauer, kommen nacheinander drei Offiziere der Staatssicherheit in dessen Wohnung, erst ein Leutnant, dann ein Hauptmann, dann ein Major. Sie alle fragen, ob Cord die Nummer seiner Wehrmachts-Erkennungsmarke noch weiß, und wenn nicht, ob er bereit sei, sie bei der West-Berliner Auskunftsstelle zu erfragen. Ein seltsames Begehren, das nicht nur den Heimgesuchten, sondern auch den Leser verblüfft. Welchen Nutzen verspricht sich die Stasi von einem Stückchen Blech, das dem Knaben Linus vor sechzehn, siebzehn Jahren um den Hals baumelte und bei seiner Gefangennahme auf einem Müllhaufen landete?

Den erwachsenen Linus macht das Gebohre langsam unruhig. Er beginnt, seine Vergangenheit nach irgendeinem Versehen oder Vergehen zu durchforschen, das ihn heute belasten könnte. Als Halbwüchsiger wurde er einmal Zeuge, wie sowjetische Kriegsgefangene auf einem norddeutschen Raketengelände misshandelt wurden, und verschwieg das bis in die Gegenwart. Und dann war da die Lüge, sein Geburtsjahr betreffend, die er auch nie eingestanden hat. Verlangen die Stasi-Offiziere deshalb so hartnäckig nach seiner Erkennungsmarke, weil sie ihn überführen wollen? Diesen Knabenstreich kann man ihm doch nicht ernsthaft vorwerfen? Linus überlegt, ob er endlich bekennen soll, tut es aber nie. Die Stasi-Frage bleibt. Im Interesse des Buchautors muss sie das auch, denn sie allein ist es, die dem Roman seinen Antrieb liefert und den Leser bei der Stange hält, auch dann, wenn ihn die wortreichen Dauerwiederholungen zu langweilen beginnen.

Wir begleiten also den verstörten Linus Cord auf seinem Weg vom Grübeln zum Entschluss, dem nämlich, endlich doch bei der West-Berliner Stelle nachzufragen. Dies allerdings ganz privat und ohne Wissen der Stasi-Offiziere. Was aber gewahrt er, und wir mit ihm, auf seinen Wegen durch das gegnerische West-Berlin? Die drei Ost-Herren, verkleidet und mit unübersehbaren Drohgebärden. Cord flüchtet heimwärts und bekommt bald darauf den unangenehm bekannten Besuch.

Dieses Mal erscheinen nicht nur Leutnant, Hauptmann und Oberst, sondern überdies noch ein General. Und der sagt endlich, was Sache ist: Sein Chef, der Minister, nimmt Anstoß an den frechen Gedanken so mancher Intellektueller und wünscht Gegenmaßnahmen. Dazu braucht man einen gehorsam funktionierenden Geistesmenschen und hat Linus Cord ausgesucht. Alles, was den in letzter Zeit beunruhigte: die Offiziersbesuche, die Fragen nach der Erkennungsmarke, die Schreckensauftritte im Westen, die offensichtliche Ausstattung seiner Wohnung mit Überwachungsgeräten - nur Theater, einzig dazu inszeniert, den Umworbenen aufzuschrecken und gefügig zu machen. Nichts davon wird es mehr geben, sobald er seine Pflicht tut. Ende der Operation: "Dreifaches Hackenknallen, vierfacher Händedruck, man fuhr davon."

Im Klappentext heißt es, das Ränkespiel habe Cord zerstört. Der Roman bestätigt das nicht, da verabschiedet er sich "erleichterten Herzens und erhobenen Hauptes". Aber vielleicht hat er nur nicht richtig begriffen, dass das dicke Ende mit Gewissheit noch nachkommt. Und wie es dann um Cord bestellt sein wird, das zu schildern erspart Kant seinem Romanhelden und seinen Lesern.

Was immer der Autor von den Methoden der Stasi erzählt, es fällt schwer, ihm zu glauben. In seinem Buch sind ihre Maßnahmen von sanfter Aufdringlichkeit und milder Gewalt, manchmal ein bisschen naiv bis zur Dämlichkeit. Wenn wir die Lektüre beendet haben, müssen wir uns eingestehen, dass sie keinen Nichteingeweihten klüger machen kann, jedenfalls nicht, soweit es das Ministerium für Staatssicherheit betrifft.

Doch etwas kann man aus Kants Geschichte lernen, nämlich, warum die DDR unterging. Ein Staat, der seine Gelder hinauswirft, nur um eigenwilligen Intellektuellen einen Maulkorb zu verpassen, der zu diesem Zweck teures Personal bis hinauf zum General aktiv werden und sogar im Feindesland Possen aufführen lässt, der kann ja nicht anders enden als im Ruin.

SABINE BRANDT

Hermann Kant: "Kennung". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 250 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2010

Blitzblank poliert die Ironiemaschine
Hermann Kant, die Stasi und die Gewissheit, schon immer alles durchschaut zu haben
Natürlich kommt die Stasi nicht schlecht weg, das konnte man bei Hermann Kant nicht anders erwarten. Aber wie er es hinbiegt, verrät einige Chuzpe. Hermann Kant, der offizielle Schriftsteller der DDR, Staatsschriftsteller quasi zwischen 1978 und 1990, als er Präsident des DDR-Schriftstellerverbands war, hat schon immer eine erstaunliche Wendigkeit bewiesen. Parallel zu Günter Grass, der gerade seine 2400 Seiten umfassende Stasi-Akte vorlegt, in der Hermann Kant an nicht unwesentlicher Stelle als Informant der DDR-Sicherheitsbehörden vorkommt, geht auch Kant in die Offensive: Er will einen lustigen und listigen Stasi-Roman offerieren. Der immerhin 1926, also ein Jahr vor Grass, geborene Autor legt noch einmal alles in die Waagschale, was er an augenzwinkernder, stilistischer Fertigkeit vorzuweisen hat.
Sein Held heißt Linus Cord und ist ironischerweise 1927 geboren, wie Grass und nicht wie Kant. „Ironischerweise” ist allerdings ein Wort, das man in jeden Satz einer Inhaltsangabe dieses Romans einflechten müsste. Denn das Einzige, was man sofort merkt, ist: Dieser Roman trieft und suppt vor lauter Ironie, sodass man zum Schluss gar nicht mehr recht weiß, wo diese Ironie her kommt. Sie ist von Anfang an da und verdeckt alles andere sofort. So kommt „Linus Cord” gleich als ausgesprochener Kunstname daher. Irgendwann, soviel steht fest, wird die Auflösung folgen, irgendwann wird die Sache mit der Cordhose, die die ganze Zeit in der Luft liegt, ausgesprochen werden. Und tatsächlich: im letzten Drittel des Buches, wenn man schon gar nicht mehr damit rechnet, kommt es, wie aus einem tückischen Hinterhalt. Linus Cord nennt seinen Anzug unversehens „Manchesteranzug” und bewusst nicht „Cordanzug”, denn das wäre ihm peinlich. Ein etwas verzögerter Lacher also. Und genauso verfährt der Roman mit der Stasi.
Linus Cord ist so etwas wie eine Spielfigur für den Autor Hermann Kant, er legt womöglich gewisse Anteile seiner eigenen biographischen Erfahrungen in diesen Helden. Linus Cord ist aber kein Schriftsteller, sondern gehört der „Kritikersektion” des „Schreiberverbandes” an. Ziemlich stolz ist er auf seinen „Blechtrommel”-Verriss. Er arbeitet gerade an einem Essay über die Gemeinsamkeiten zwischen Stephan Hermlin und Ambrose Bierce, als es an der Tür klopft und unverkennbar ein Stasi-Leutnant eintritt. Bald danach gesellen sich zum Stasi-Leutnant noch ein Stasi-Hauptmann und ein Stasi-Major, jeder liebevoll in seiner Rang-Hierarchie charakterisiert und eingepasst, und als Überraschungsgast gibt es dann noch einen General, der der Höchste, aber auch der Liebste von allen ist.
Die Stasi wirkt zunächst schon ein bisschen unheimlich. Sie begleitet, auffällig unsichtbar, Linus Cord auch nach Westberlin – er will plötzlich selber wissen, was es mit seiner Wehrmachts-Erkennungsnummer auf sich hatte, nach der ihn die Stasi-Leute so plakativ gefragt haben. In allen Situationen werden Hollywood-Filme aufgerufen, die besonders markante Agenten- und Bösewicht-Gesten aufbieten, das weist auf das Spielerische hin, mit dem man das Phänomen der Stasi zu nehmen hat. Und die Buchhändlerin bei Kiepert am Steinplatz, die wie Ingrid Bergman aussieht, bringt in ihrem Seitenstrang sogar noch einen Schuss Erotik und Verführung hinein. Aber sie ist halt ein bisschen westlich naiv und kommt deshalb doch nicht in Frage.
Erzählt wird dies alles mit viel indirekter Rede, mit verschraubten bürokratischen Satzkonstruktionen, die das Sujet der Stasi und der Überwachungssprache zitieren und gleichzeitig zu Tode reiten. Der Grundgestus der Ironie verselbständigt sich sofort. Obwohl an Kants Sprache kaum etwas ist, woran man sich berauschen könnte, gibt sie ständig vor, sich an sich selbst zu berauschen – „dann wandte er sich zum Gehen, nicht ohne seinem Schritt über die Schwelle klärende Blicke ins Treppenhaus vorauszusenden”.
Bei Hermann Kant waltet die Ironie als pompöse Herrschaftstechnik. Sie geht über alles hinweg. Sie ist eine Maschine, die sämtliche Oberflächen dieser Welt poliert und sich dann in den Leerlauf dreht. Nach ein paar Pointen über die Stasi als Agenten-B- und C-Movie, mit durchaus waltendem Schrecken bei der Hauptfigur Linus Cord, stellt sich heraus, dass die Stasileute auch nur Slapstick-Figuren sind. Und die Pointe der Geschichte sei spielverderberisch gleich mit verraten: die Stasi verfolgt nämlich mittels Linus Cord den Zweck, den „allwissenden Erzähler‘ abzuschaffen. Der Roman entpuppt sich somit als Literatur-Literatur, und Hermann Kant huldigt dabei einer Art aufgeklärtem sozialistischen Realismus. Er lässt den allwissenden Erzähler sogar als eigene Figur auftreten und diese die Geschichte des Linus Cord referieren. Kant suggeriert also unentwegt, die ganzen formalen Kniffe der bürgerlichen Moderne, und nicht nur dieser, schon längst d’raufgehabt zu haben. Er lässt schließlich in einem seiner pfauenradschlagenden Wortspiele Linus Cord sagen: Es gehe darum, eine angemessene Perspektive zwischen dem allwissenden Erzähler von früher und dem unwissenden Erzähler von heute zu finden, „zwischen Moder und Moderne” also. Die DDR ist zwar verschwunden, die konkrete Macht, durch die Kant seine Herrschaftstechnik, seine Ironiemaschine erst ausbilden konnte – aber das macht gar nichts. Diese Ironie stabilisiert alles und jedes. HELMUT BÖTTIGER
HERMANN KANT: Kennung. Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2010. 250 Seiten, 19,95 Euro.
Und so sandte er seinem Schritt klärende Blicke ins Treppenhaus voraus
Hermann Kant und die Ironie als pompöse Herrschaftstechnik im Jahr 1973. Foto: Ullstein/ADN-Bildarchiv
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Den Eindruck eines Mannes, der über seine Vergangenheit nicht sprechen will, das "aber mit möglichst vielen Worten", hat Hermann Kant in seinem neuen Roman auf Thomas Winkler gemacht. Dessen Geschichte spielt Winkler zufolge wenige Monate vor dem Mauerbau und handelt von einem Literaturkritiker und der allgegenwärtigen Bespitzelung durch die Stasi, für die Kant einst selbst aktiv geworden ist. Das und auch die Seitenhiebe auf Günter Grass und dessen SS-Mitgliedschaft (der im wirklichen Leben Kant für einen auf ihn angesetzten Spitzel hielt, was Kant wiederum bestritt, wie Winkler schreibt) gibt dem Roman aus Sicht des Kritikers eine schlüpfrige, ja pikante Note. Spannender hätte Winkler gefunden, einmal von einem Insider zu erfahren, wie der Sozialismus durch seine "Späher des Friedens" behütet wurde. Stattdessen erzähle Kant seinen Lesern Märchen, strickt dieser Autor den Eindruck seines Kritikers zufolge unziemlich auch an einer dekonstruierenden Ironie, die am Ende auf Winkler lediglich wie das rostige Schutzschild eines Schriftstellers wirkt, der seine Verbitterung nicht eingestehen will.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das Buch Hermann Kants ist keine Lüge. Es ist seine Geschichte, seine Art, die Geschichte zu sehen.« Volker Weidermann Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20100314