Produktdetails
  • Verlag: Aufbau-Verlag
  • Seitenzahl: 184
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 265g
  • ISBN-13: 9783351029180
  • ISBN-10: 3351029187
  • Artikelnr.: 24001010
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2001

Berufswunsch Antonym
Der Friseur erzählt: Kathleen Martin hat für Außenseiter etwas übrig

Die sechzehnjährige Vollwaise Penny Maybe hat es schwer, aber sie klagt nicht. Sie lügt. Und das macht sie untragbar. Dabei spricht aus ihren Lügen nur eine Sehnsucht nach Geborgenheit und Anerkennung, die ihr von den häufig wechselnden Pflegeeltern verwehrt bleiben. In einem wichtigen Moment hat sie einmal die Wahrheit gesagt, aber das zahlte sich nicht aus. An einer Bushaltestelle lernte sie eine Frau namens Marilyn mit ihrem Buben kennen, folgte den beiden in den Zoo und gestand zum Abschied, daß sie fortan nicht nur auf Besuch kommen wolle, sondern gleich mit ihnen leben möchte. "Ich fürchte, das geht wirklich nicht", antwortete Marilyn.

Es gibt eine zweite Marilyn im ersten Roman der Kanadierin Kathleen Martin: Marilyn Bell, die 1954 den fünfundachtzig Kilometer breiten Ontariosee durchschwommen hat, in Kanada eine Legende. Penny Maybe liest ihre Memoiren und will ihr nacheifern. Speziell, um ihre unglückliche Liebe zu vergessen, allgemein, um etwas Großartiges zu schaffen. Möglicherweise will sie auch Mrs. Canyon beeindrucken, die herbe, aber gerechte Physiklehrerin, die ihre Trainerin werden sollte. Zu Pennys literarischen Helden zählen die Helden aus den Krimis von Dorothy Sayers, Colombo und - "natürlich" - Holden Caulfield aus "The Catcher in the Rye". Der Leser mag die Wahlverwandtschaft zu J. D. Salingers einsamem Protagonisten längst geahnt haben, aber just in dem Moment, da sie im Buch selbst zur Sprache kommt, nimmt die Geschichte eine Wendung, die von der bittersüßen Befindlichkeit einer jugendlichen Außenseiterin Abschied nimmt.

Denn die Erwachsenen lernen Pennys Eigenwilligkeit plötzlich schätzen. Gewiß kann man das Buch, in dem durchgängig aus der Perspektive der Heldin erzählt wird, auch jetzt noch als Jugend- oder gar als "Mädchenroman" lesen. Aber mit einfachen, souverän eingesetzten Mitteln hat Kathleen Martin die Story von Penny zu einer Geschichte über die Hoffnungen und Enttäuschungen von Erwachsenen geweitet. Da ist beispielsweise die Mutter von Lisa, die zuviel trinkt, um noch als Redakteurin arbeiten zu können, und sich nun zu Hause mit der Schöpfung von Kreuzworträtseln über Wasser hält. "Als wäre sie einem Roman von Jane Austen entsprungen", sagt sie von ihrer eigenen, schrecklich braven Tochter. In lakonischen Szenen erfährt man von der Tristesse von Vorstadtexistenzen, die den Rasenmäher schieben oder schon zu müde dazu geworden sind, irgendwann gegen Ende des letzten Jahrhunderts, als man noch kein Handy hatte.

Die Autorin ist in Kanada hervorgetreten mit ihrem Drehbuch zum Film "I'll Never Get to Heaven". Zum Handwerk einer Drehbuchautorin gehört der Dialog, und an pointierten Wechselreden mangelt es nicht in ihrem kurzen Roman. Auf wenigen Seiten wird den Dialogen sehr viel, eigentlich alles aufgebürdet, sollen sie doch jene wunderbare Wandlung im Verhältnis von Penny und ihren Mitmenschen beglaubigen.

Pennys hartnäckig verfolgtes Vorhaben mit dem Ontariosee läßt zuerst den unbeholfenen, aber gutmütigen Pflegevater Dan, einen Klempner, von seinem geheimen Wunsch berichten, Friseur zu werden - angeblich "zum ersten Mal". Es wäre dies an sich kein besonders raffiniertes Motiv, würde sich nicht beiläufig herausstellen, daß er seine Sehnsucht noch jedes Mal verraten hat, wenn sich eine flüchtige Vertrautheit einstellte. Und es wäre nicht haarscharf am Kitsch vorbei, wenn er gegen Ende nicht tatsächlich in einem Friseursalon arbeiten würde, mit Bev aber in erster Linie deshalb eine Beziehung angefangen hat, weil sie die Besitzerin von "Cuts 'n' Curls" ist. Seine dunkelhäutige Ehefrau Helen dagegen, die er immer noch liebt, will von ihm nicht mehr viel wissen, sondern schreiben - die Bezüge zur Literatur nehmen so im Laufe der Handlung zu, ohne daß die Autorin dem Genre des Jugendromans untreu würde.

Helen sagt einmal zu Penny: "Du wirst nie Schriftstellerin werden, Penny, wenn du allen Ernstes ,unglanzvoll' als Antonym zu glanzvoll vorschlagen kannst." Doch Penny will weder Schriftstellerin noch Dauerschwimmerin, sondern einfach nur selber ein "Antonym", ein lebender Gegensatz sein. Nicht nur ein Englischlehrer, der für einmal etwas anderes als immer wieder den "Fänger im Roggen" durchnehmen möchte, könnte mit Gewinn zu diesem Buch greifen.

MICHAEL ANGELE

Kathleen Martin: "Penny Maybe". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Uda Strätling. Aufbau Verlag, Berlin 2001, 184 S., br., 29,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Angele mag dieses Buch nicht nur Englischlehrern empfehlen, die "einmal etwas anderes als immer wieder den 'Fänger im Roggen' durchnehmen" möchten. Zu diesem Buch sieht er zwar einige Parallelen, doch auch einen entscheidenden Unterschied: Die Außenseiterin bleibt im Laufe des Buchs keine Außenseiterin mehr, sondern schafft es, dass die Erwachsenen ihre "Eigenwilligkeit plötzlich schätzen". Nach Angele hat das Buch durchaus viel von einem Jugendroman, doch werden auch die "Hoffnungen und Enttäuschungen von Erwachsenen" thematisiert, etwa Alkoholprobleme oder berufliches Scheitern. Die Mittel, die die Autorin verwendet, bezeichnet Angele als "einfach, souverän", und auch die Dialoge begeistern ihn.

© Perlentaucher Medien GmbH