Produktdetails
  • Verlag: Aufbau-Verlag
  • Seitenzahl: 190
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 326g
  • ISBN-13: 9783351028718
  • ISBN-10: 3351028717
  • Artikelnr.: 23988627
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2000

Traufseitiges
Orakel
Ein Kurzroman Harald Gerlachs
Das Buch könnte heißen: „Zonendödel und Westschlampen im alten Audi” oder: „Der Künstler und die Füchsin” – es heißt aber Rottmanns Bilder, und Rottmann ist ein malender Lehrer, der Minderjährige nicht nur Modell stehen lässt und von den Höhlenmalereien in Lascaux schwärmt und sich am Ende aufhängt.
Es ist schwer zu sagen, wovon Harald Gerlachs kurzer Roman handelt – am nächsten kommt man dem Berichteten, wenn man es als eine Folge von Missverständnissen sieht: Der Komponist Scheerbarth aus dem Südthüringischen sieht mit der Wende seine kleine DDR-Karriere beendet, ohne das erhoffte opus magnum, die Helena-Oper, geschrieben zu haben, seine Frau stirbt, er sucht Hilfe in Lascaux, nimmt eine Anhalterin mit, und nun beginnt der Besinnungsaufsatz, in dem viel Kaffee getrunken, viel missverstanden und nur wenig gelebt und geliebt wird.
Am Ende ist Scheerbarth allein und nur wenig klüger als zuvor. Auch die eingeschobenen und kursiv gedruckten Mitteilungen eines alten Freundes helfen nicht. Dieser Held bleibt unberaten, er ist nur durch sein falsches Selbstbild, seine antiquierte Vorstellung vom Künstlerdasein ein wenig von Interesse.
Harald Gerlachs donnernde, falsch originelle Sprache tut ein Übriges, diesen Selbstfindungsversuch scheitern zu lassen: „Traufseitig orakeln die rissigen Balkenköpfe von Endlichkeit. ” So soll es sein.
KONRAD FRANKE
HARALD GERLACH: Rottmanns Bilder. Aufbau Verlag, Berlin 1999. 190 Seiten, 32 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gerlachs Roman "bleibt am Ende einiges schuldig", schreibt Wolfgang Schneider in einer eher mißmutigen Kritik von "Rottmanns Bilder". Ein DDR-Komponist, eher ein Gegner des Systems, fährt einige Zeit nach der Wende nach Frankreich, das für ihn schon Fremde ist, und muss feststellen, dass sein Opferdasein in der DDR ihn nicht automatisch zum großen Künstler gemacht hat. Schneider zeichnet nach, wie Gerlach in melancholisch gesetzter Sprache seinen Helden immerhin zu den Freuden des Lebens zurückführt. Gerlachs Auflösung des Gegensatzes von Kunst und Leben zugunsten des letzteren findet Schneider flach.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Mit Trüffeln den Osten vergessen Harald Gerlach in Frankreich Von Wolfgang Schneider

Der neue Roman des 1940 geborenen Harald Gerlach gibt schon durch den gehobenen Feierlichkeitston der ersten Seiten zu verstehen, dass sich hier nicht irgendwer auf den Weg macht. Der Komponist Scheerbarth ist ein Mann von fünfzig Jahren, der von seiner gut vorbereiteten Frankreichreise die Einlösung "lange gestundeter Wünsche" erhofft. "Sein derzeitiges Unterwegssein im neu erworbenen Audi soll Ausdruck entschiedenster Umkehr sein." Entsprechend bedeutsam ist das Fahrverhalten: "Gelassen steuert Scheerbarth das Automobil über ihm fremde Straßen." Wie die klassizistische Manier des "Tod in Venedig" kaschiert das Prätentiöse mehr schlecht als recht die Verwirrung der Gefühle; tatsächlich sitzt Scheerbarth reichlich verkrampft am Steuer seines "Automobils".

Das hat seinen guten Grund. Der Roman "Rottmanns Bilder" spielt in jüngster Vergangenheit, einige Jahre nach der Wende; der aus der DDR-Provinz stammende Scheerbarth, dessen vorderste Eigenschaft ein ungesundes Misstrauen ist, hat die heimatlichen Grenzen nie überschritten. Jetzt wagt er es. Aus solcher Perspektive wird sogar das allernächste Ausland zum einschüchternden Erlebnis der Fremde. Scheerbarths Ziel sind die Höhlen von Lascaux. Unvergessen ist ihm die Faszination, mit der sein Lehrer Rottmann einst die berühmten steinzeitlichen Felsmalereien erläuterte. Der Komponist will nun am Original neue Inspiration schöpfen: Nach schaler DDR-Zeit eine reinigende Rückkehr zu den Ursprüngen der Kunst. An einer Raststätte steigt eine spärlich bekleidete Frau in Scheerbarths Auto. Wo sie herkommt und hinwill, bleibt vage, eindeutig aber ist ihre Aufgabe: Sie bindet den verdatterten Mann zurück ans Leben und die eigene Triebstruktur. Und sie zeigt ihm, wie er mit seiner EC-Card einen französischen Geldautomaten bedienen kann. Jeder Trüffel, den Scheerbarth nun verzehrt, ist ein postumer Vorwurf gegen die Kargheitsgesellschaft der DDR.

Rückblenden machen indessen deutlich, dass etwas schief ist an Scheerbarths Vergangenheitsbewältigung. Tatsächlich war er nämlich eher ein Profiteur der Misere, der sich mit der Rolle des oppositionellen Künstlers über Stagnation und Einfallslosigkeit hinwegtäuschte. Etwas plakativ illustriert Gerlach die These: Auch das Opferdasein des Künstlers in der Diktatur kann eine Form von Lebenslüge sein. Scheerbarth hatte es von Jugend auf verstanden, eine Aura riskanten Künstlertums um sich zu verbreiten. Immer wirkte der Komponist so, als wäre demnächst das große Werk von ihm zu erwarten. Wenn ein Stück dann nicht aufgeführt werden konnte, weil zum Beispiel die Wasserleitungen im Kreiskulturhaus geplatzt waren, bildete sich schnell das imagefördernde Gerücht, es sei missliebig. Aber seit 1989 sind Scheerbarths Schubladen leer.

Eine Figur aus dem Umkreis Scheerbarths, ein Cellist, berichtet diese Ausschnitte aus dem Vorleben des Komponisten. Als Chronist wollte er die eigene unauffällige Existenz mit der des Künstlers, der berühmt zu werden versprach, verketten. Scheerbarth ist ihm den Anlass zum großen Roman über ein Genie schuldig geblieben. Auch Gerlachs sorgsam formuliertes Buch bleibt am Ende einiges schuldig. Scheerbarths Frankreichfahrt führt nicht zur Inspiration, statt dessen zur absehbaren Einsicht, das Leben versäumt zu haben. Man müsse vielleicht gar keine Oper schreiben, "um den Rest seines Lebens sinnvoll und heiter verbringen zu können". Das leuchtet doppelt ein, denn dass die Kunst heiter sei, behauptet längst niemand mehr. Die etwas verstaubte Antithese "Kunst und Leben" wird zeitgemäß zu Gunsten des letzteren aufgelöst, aber dadurch nicht frischer. Die Botschaft vernimmt man viel zu deutlich, um sie auch noch glauben zu wollen.

Harald Gerlach: "Rottmanns Bilder". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 1999. 190 Seiten, geb., 32,- DM.

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