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Neunzehn Geschichten von einzigartiger Vielfalt, ein Thema zieht sich durch sie wie ein roter Faden: "Der Buckel" steht für den lädierten Menschen, den Ausgestoßenen und Benachteiligten. Geschichten von wunderbarer Präzision und abgründiger Leichtigkeit, die in Pointen von oft aphoristischer Erkenntnisschärfe gipfeln.

Produktbeschreibung
Neunzehn Geschichten von einzigartiger Vielfalt, ein Thema zieht sich durch sie wie ein roter Faden: "Der Buckel" steht für den lädierten Menschen, den Ausgestoßenen und Benachteiligten. Geschichten von wunderbarer Präzision und abgründiger Leichtigkeit, die in Pointen von oft aphoristischer Erkenntnisschärfe gipfeln.
Autorenporträt
Hugo Loetscher, geboren 1929 in Zürich. Seit 1965 regelmäßige Aufenthalte in Lateinamerika und in den USA, an verschiedenen Schweizer Universitäten und in München. Seit 1969 freier Schriftsteller und Publizist. Am 18. August 2009 im Alter von 79 Jahren in Zürich gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2000

Der Mensch lebt noch im Holozän
Evolutionsroman: Hugo Loetschers "Die Augen des Mandarin"

"Mehr als Abfolgen beschäftigten ihn Nebeneinander und Gleichzeitigkeit", schreibt Hugo Loetscher über seinen Helden Past, der nicht zufällig so heißt. Er ist von der Kulturstiftung, die ihn beschäftigt hatte, gerade entlassen worden, sitzt in seiner Wohnung, die er gerade auflöst, um in eine Alterssiedlung zu ziehen, "Dienstleistungen inbegriffen". Der Roman "Die Augen des Mandarin" handelt von Kreuzworträtseln. Es geht um Nationalhymnen - in jener Liechtensteins ist nicht mehr vom deutschen, sondern vom "jungen Rhein" die Rede. Der Fußball ersetzt den "Krieg wegen irgendwelcher Feindschaften", der Würfel bestimmt, "wer wen zum Gegner hat". Es ist ein Roman über die Jugendunruhen im Zürich der frühen achtziger Jahre und über Vaterfreuden in Thailand. Und über den Verlust des Sohnes Fon, dessen Leichnam in einem großartig beschriebenen Begräbnis verbrannt wird: "Past wich zurück, als ein Windstoß Asche aufwirbelte und ihm einen Funken ins Gesicht warf. Die Alte schaufelte die gesäuberten Knochen in ein irdenes Gefäß."

"Die Augen des Mandarin" sehen alles auf dieser unserer Welt: Loetscher beschreibt Pasts Beziehung zu einer Frau, die grün denkt und kein Fleisch ißt (was aber, wie er anmerkt, ihren sexuellen Beziehungen keinerlei Abbruch tut). In ihre Gespräche verpackt er die Esoterik-Mode und die Umweltdebatten (am Beispiel der Schneekanonen: Kein noch so beiläufig skizziertes Bild ist unschuldig in diesem Roman). "Die Tulpe ist die einzige Schnittblume, die, obwohl todgeweiht, in der Vase weiterwächst" - auch dieses Motiv zieht sich durch das Buch. Es ist auch ein Roman über die Debatten der Nachkriegszeit. Der Hitler-Stalin-Vergleich wird ebenso aufgegriffen wie der Résistance-Mythos und der Streit um die Rolle der Schweizer Banken im Krieg. Von Past, dem politisch engagierten eidgenössischen Intellektuellen, wird eine Stellungnahme erwartet - es sind nicht die ersten autobiographischen Anspielungen.

In seiner Jugend in Zürich hat Past gesammelt. Im Kriegswinter mit der Sammelbüchse Geld für die Soldaten. Später für die Berghilfe und Blindenhunde. Dann, als es politisch wurde, Unterschriften: gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag, für den Beitritt der Schweiz zum Europarat. Auch für die Entwicklungshilfe. Hotelseifen aus der ganzen Welt hat er ebenfalls gesammelt, sie eröffnen ihm - zu Hause - ein erotisches Abenteuer mit seiner Haushaltshilfe Maria aus Apulien. Die vielen Assoziationen zum Thema runden sich zum Bild eines Zeitalters: Der Mensch ist nach wie vor ein Sammler.

Er ist ein Hirte, und er ist ein Jäger. Den Übergang vom Pflanzen- zum Fleischesser reflektiert Loetscher ebenso wie jenen vom hangelnden Affen zum aufrecht gehenden Homo sapiens. Es gibt die Steinzeit und die Eisenzeit. Die Bronzezeit evoziert der Autor mit dem Bild eines Diskuswerfers - der auch für die griechische Antike stehen kann. Das Motiv des Sammelns - von Worten - spielt Loetscher bis zu den Einsichten der modernen Linguistik und zu den postmodernen Code-Theorien durch, die in ihrer Verschlüsselung kaum anders funktionieren als die Glaubensrituale "primitiver" Gesellschaften.

Als solche erfährt Past seine Geschichte und Gegenwart, die miteinander verschmelzen: "Was folgte als nächstes, aus welchem Stoff war sein eigenes Zeitalter gemacht?" Aus dem Stoff aller Zeitalter und Epochen vor ihm - ohne daß sich viel geändert hätte. Es gibt keinen Fortschritt, Kritik an den Zuständen ist sinnlos, die Abläufe und Verhaltensweisen ändern sich kaum - nur die Kulisse verändert sich. Past, der für eine Stiftung arbeitete, die als Waschanlage für Geld und Institution zur Steuerhinterziehung verdächtigt wird, hatte in jüngeren und militanteren Jahren eine Kritik der kapitalistischen Verhältnisse geschrieben. Sie machte ihn reich - seine Analyse des Systems, die anprangern und bloßstellen wollte, wurde als Gebrauchsanweisung für doppelte Buchführung und den Umgang mit Schwarzgeld gelesen. So wurde das Buch zum Bestseller, dessen Tantiemen Past den Ausstieg und ein Leben als Frührentner finanzierten. Weil er sich an seine eigenen Ratschläge hielt, an die er nie geglaubt hatte, verlor er den Rest seines Vermögens bei Fehlspekulationen und war ganz froh, daß er der Kulturstiftung beitreten konnte, die fortan seine Reisen finanzierte. Und so bekommt die Geschichte doch noch eine Moral.

Der Mandarin, von dessen Augen sich Past beobachtet fühlt, erscheint zum erstenmal auf dem Schutzumschlag eines Buches in seiner Wohnung. Später klettert er aus dem Umschlag, und die beiden älteren Herren beginnen ihren Dialog zweier Weiser über die Welt und die Zeiten, die sich verschlechtern. Der Mandarin tritt als Würdenträger all jener fremden Kulturen auf, mit denen Hugo Loetscher einen intensiven Austausch pflegt - und ist gleichzeitig ein Sinnbild des abendländischen Intellektuellen. Auch der "Immune" - aus Loetschers gleichnamigem Roman, einer kaum verschlüsselten Autobiographie - feiert eine kurze Auferstehung: als Obdachloser, mit dem Herz eines anderen in der Brust.

Konsequent, aber ohne Verbissenheit, ebenso radikal wie spielerisch resümiert Loetscher ein keineswegs exemplarisches Leben und darin zugleich die Geschichte der Menschen von Adam bis Past. Die wie nebenbei - und manchmal nur der Pointe wegen - angetupften Motive und Assoziationen fügen sich zu einem großen - und großartigen - Gebilde. Mit dieser Geschichte, die auf jegliche Entwicklung zu verzichten scheint, hat Loetscher mit leichter Hand und göttlicher Feder einen Evolutionsroman der Menschheit geschrieben. Es ist auch ein bißchen die Schöpfungsgeschichte eines Romans auf der Suche nach seinem Autor.

Autobiographische Assoziationen finden sich zuhauf. Der Wiedergänger Loetschers - auch dieser ist in vielen helvetischen Kulturgremien tätig - im Roman arbeitet in einer Stiftung, die sich mit dem Erstellen eines weltweit gültigen Kalenders für die globalisierte Zukunft beschäftigt. Er soll lauter Gedenktage enthalten, die von allen begangen werden können. Vor dem Hintergrund seiner raffinierten Retrospektive der Menschheitsgeschichte erweist sich die Idee dieses universellen Kalenders als witziger Beitrag der Literatur zum Jahrtausendwechsel.

JÜRG ALTWEGG

Hugo Loetscher: "Die Augen des Mandarin". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 376 S., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jürg Altwegg weist darauf hin, dass Loetscher in diesem Roman nicht nur die Geschichte eines Mannes erzählt, der eindeutig autobiografische Gemeinsamkeiten mit dem Autor aufweist, sondern dass hier gleichzeitig eine "raffinierte Retrospektive der Menschheitsgeschichte" geboten wird. So facettenreich das Leben des Protagonisten Past erscheint (politisches Engagement spielt hier ebenso eine Rolle wie "Vaterfreuden in Thailand", die Esoterik-Begeisterung von Pasts Frau oder auch die Nachkriegszeit): stets gebe es Verbindungen und Assoziationen zu den verschiedenen Zeitaltern wie der Stein-, Eisen- oder Bronzezeit. Altwegg stellt fest, dass sich seitdem nur wenig verändert hat: "Es gibt keinen Fortschritt". Der Mensch sei immer noch ein Jäger und Sammler, findet er. Allerdings hat diese Erkenntnis den Rezensenten offenbar keineswegs deprimiert. Er hält den Roman für ein "großes - und großartiges Gebilde", dem er einen erheblichen Unterhaltungswert zugesteht und dessen Konstruktion er für äußerst gelungen hält. "Ein witziger Beitrag der Literatur zum Jahrtausendwechsel", lautet sein Fazit.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein Entwicklungsroman der Menschheit: gewissermaßen als Bilanz der eigenen Existenz. Ein großer Roman der dichterischen Reife." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)