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Das Bild Hans Pfitzners ist, anders als das seiner Generationsgenossen Mahler, Strauss oder Schönberg, noch immer mit einem Firnis von Legendenbildung überzogen: Wohlwollende Biographen stilisierten ihn zum nationalen Kämpfer, zum letzten Romantiker oder zum weltenthobenen Einzelgänger, Kritiker verallgemeinerten negative Einzelzüge und sahen in ihm einen Querulanten und Misanthropen, einen Reaktionär und Konservativen. Tatsächlich liegen die Wurzeln seines Denkens und Musizierens im 19. Jahrhundert, und erst heute scheint man in gewachsener historischer Perspektive die Eigenständigkeit und…mehr

Produktbeschreibung
Das Bild Hans Pfitzners ist, anders als das seiner Generationsgenossen Mahler, Strauss oder Schönberg, noch immer mit einem Firnis von Legendenbildung überzogen: Wohlwollende Biographen stilisierten ihn zum nationalen Kämpfer, zum letzten Romantiker oder zum weltenthobenen Einzelgänger, Kritiker verallgemeinerten negative Einzelzüge und sahen in ihm einen Querulanten und Misanthropen, einen Reaktionär und Konservativen. Tatsächlich liegen die Wurzeln seines Denkens und Musizierens im 19. Jahrhundert, und erst heute scheint man in gewachsener historischer Perspektive die Eigenständigkeit und Originalität seiner Werke deutlicher wahrzunehmen. Der Autor entwirft, ausgehend vom detaillierten Studium aller Quellen, ein ebenso verständnisvolles wie kritisches und differenziertes Porträt Pfitzners und lenkt den Blick, über das Hauptwerk "Palestrina" hinausschauend, auf ein vielgestaltiges Œuvre.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2000

Mehr Anstrengung als Genuss
Pfitzner schlürft man nicht einfach ein: Die Einfälle und Ausfälle des Meisters geben Nachwelt und Fachwelt immer noch zu kauen

Hans Pfitzner gehört nicht zu den Komponisten, die im Zuge der Ausgrabungswelle der achtziger und neunziger Jahre neu entdeckt wurden. Dabei hat sein Werk Qualitäten, die es dem seiner Zeitgenossen Schreker, Korngold und Franz Schmidt in nichts nachstehen lassen. Und zumindest sein Hauptwerk, die Oper "Palestrina", verdiente es, als eine der herausragenden Schöpfungen des Musiktheaters nach Wagner öfter gespielt zu werden, wenngleich dem Stück durchaus etwas Sperriges, allem Reißerischen Abholdes anhaftet. Diesem nicht einfach zu beurteilenden Meister widmet sich nun eine auf den ersten Blick neue, ausführliche Biografie, die aus der Feder des Berliner Rechtsanwalts und langjährigen Pfitzner-Apologeten Johann Peter Vogel stammt. Vogel hatte neben seinem Jurastudium auch Kompositionsunterricht bei Gerhard Frommel, der seinerseits Schüler Pfitzners gewesen war. Dies gleicht durchaus den Nachteil aus, dass er, "anders als die bisherigen Biografen, Pfitzner nicht mehr persönlich kennen lernen konnte", wie er im Vorwort bedauert.

Das Buch besteht aus drei großen Abschnitten, deren erster die Biografie des Komponisten schildert, während der zweite musikwissenschaftliche Analysen einiger wichtiger Werke enthält. Im dritten kommt der Meister selbst zu Wort durch die Wiedergabe seines theoretischen Hauptwerkes, der "neuen Ästhetik der musikalischen Impotenz", allerdings in stark gekürzter Form. Die erste Freude, eine nagelneue Pfitzner-Biografie in Händen zu halten, weicht allerdings bald dem bitteren Eindruck, alten Wein in neuen Schläuchen erworben zu haben. Der Pfitzner-Freund hatte sich nämlich im Jahre 1989 bereits über eine als rororo-Monografie erschienene Lebensbeschreibung des Meisters gefreut. Der vorliegende Band erweist sich nun in seinem ersten Teil als ein nahezu unveränderter Nachdruck des Rowohlt-Bändchens, wie der Autor im Vorwort auch en passant zugibt. Gleichwohl ist das Werk flüssig zu lesen, hervorragend recherchiert und bietet ohne die Schwerfälligkeit voriger Biografen wie Abendroth oder Adamy alles Wesentliche zu Pfitzners Leben und Schaffen.

Pfitzners Lebensweg entbehrt der heroischen ebenso wie der chaotischen Züge, wie sie etwa die Biografie Wagners so überreich auszeichnen. Die äußeren Stationen seines Lebens sind schnell nacherzählt: Als Sohn eines sächsischen Orchestermusikers und einer russlanddeutschen Mutter in Moskau geboren, wuchs er in Frankfurt am Main auf und wurde Schüler des dortigen Hochschen Konservatoriums, wie später Paul Hindemith. Nach ersten Erfahrungen als Kapellmeister und Kompositionslehrer in Koblenz und Mainz wurde er 1897 Lehrer am Sternschen Konservatorium in Berlin. Seine schöpferischste Phase war die Zeit als Städtischer Musikdirektor und Leiter des Konservatoriums in Straßburg, wo unter anderem der "Palestrina" entstand. Nach der deutschen Niederlage 1918 musste er nach München fliehen; später übte er Lehrtätigkeiten in Berlin und München aus. Er starb 1949, kurz nach seinem achtzigsten Geburtstag, in Salzburg.

Wichtiger als das Datengerüst ist die Persönlichkeit des Komponisten, deren Darstellung der Autor begrüßenswert viel Raum widmet. Hier zeigt sich die Wirkung der Kitsch vermeidenden Künstlerbiografien wie Hildesheimers "Mozart" oder Härtlings "Hölderlin", die Vogel sicher kennt, obwohl er sie nicht erwähnt. Hatten frühere Pfitzner-Biografen noch in der Heldenverehrung geschwelgt oder, wie Müller-Blattau, sich auf Werkanalyse beschränkt, so hält Vogel sein im Vorwort gegebenes Versprechen, "aus der Distanz und den reichlichen Quellen möglichst viele Informationen anzubieten und so einen Zugang zu Pfitzner zu schaffen - objektiv, soweit dies möglich ist; meine Zuwendung zu dieser vielfach unangepassten Musik und auch zu dieser tief zerrissenen Persönlichkeit möchte ich nicht verbergen".

Tief zerrissene Persönlichkeit - dies ist das Stichwort, unter dem Pfitzners Wirken in der Tat betrachtet werden muss: War er nun der "Retter der Musik", als der er sich in der Maske Palestrinas selbst auf die Bühne stellte? War er der Misanthrop, der ewig zeternd und wüste Pamphlete verfassend, seiner Mitwelt auf die Nerven fiel? Oder war er, der stramme Deutschnationale, gar ein "Steigbügelhalter Hitlers", zu dem ihn ein 1994 erschienener Aufsatz erklärt? Offenbar noch stärker als bei Wagner, der das Glück hatte, fünfzig Jahre vor der Machtergreifung zu sterben, hat Hitlers anfängliche Zuneigung zu Pfitzner - er besuchte den gallenkranken Komponisten 1923 in München im Krankenhaus - dessen Nachruhm geschmäht. Dabei wird verkannt, dass sich der Meister schon 1933 vehement bei Nazigrößen für seinen jüdischen Freund Paul Cossmann einsetzte, der ins KZ Dachau eingeliefert worden war.

Abgesehen von solchen politischen Vorbehalten ist es aber auch Pfitzners Musik selbst, die sich einer weiten Verbreitung widersetzt: Vogel zitiert hier einen hervorragenden Ausspruch des Komponisten Wolfgang Rihm: "Pfitzner ist zu progressiv, um einfach eingeschlürft werden zu können, und er ist zu konservativ, um etwa wie Schönberg die Musik hörbar beeinflusst zu haben." Das macht Aufführungen seiner Werke schwierig, lässt aber auch die Hoffnung zu, "dass hier eine Substanz überzeugt, die es wert ist, in den Vorrat präsenter Musik aufgenommen zu werden", die Vogel im (einzig neuen) Schlusskapitel seiner Biografie äußert.

Die Werkanalysen wurden zum Teil schon als Zeitschriftenaufsätze veröffentlicht. Neben einigen Liedern erörtert der Verfasser das fünf Bühnenwerke umfassende Opernschaffen des Meisters, wobei leider das Niveau eines gängigen Opernführers mitunter nicht überschritten wird. Begrüßenswert dagegen ist der Aufsatz zum "Volkston bei Hans Pfitzner und Gustav Mahler". Der Vergleich zwischen dem heute quasi vergötterten Mahler und dem nahezu vergessenen Pfitzner, die sich persönlich durchaus schätzten (bei Pfitzner eine Seltenheit), zeigt als Gemeinsamkeit die Hinwendung zu Themen und Motiven aus der Volksmusik, wie sie etwa auch bei den Zeitgenossen Bartók, Reger und Hugo Wolf erscheinen, aber auch fundamentale Unterschiede: "Anders als Mahler, gewinnt Pfitzner den Volkston nicht durch Komponieren von Volksliedelementen, sondern erfindet aus dem Geist der Romantik volksliedhafte Musik." Hier wird die Gegensätzlichkeit der beiden Tonsetzer, des sich manisch auf Sinfonie und Lied beschränkenden Mahler und des universal nahezu alle Gattungen bedienenden Pfitzner, sehr deutlich.

Der dritte Teil des Buches hinterlässt den Leser zunächst etwas ratlos: Hat Vogel hier tatsächlich die Spreu vom Weizen getrennt und Pfitzners überbordende Polemik auf erträgliches Maß zurechtgestutzt - oder enthält er uns wichtige - und unangenehme - Details vor? Ein Blick in die Originalausgabe von 1920 bringt Klarheit: Die hundertsechsundfünfzigseitige Kampfschrift erwächst aus einer vernichtenden Rezension von Paul Bekkers berühmter Analyse der Beethoven-Symphonien, weitet sich dann zu einer Erläuterung von Pfitzners - etwas wirrer - "Einfallsästhetik" aus und verliert sich schließlich in hemmungslosem nationalistischem Geifern einschließlich Dolchstoßlegende und Judenhetze. Natürlich sollte eine Beurteilung Pfitzners primär seine Musik und die zugrunde liegende Theorie umfassen - aber kann eine "objektive" Auseinandersetzung wirklich auf diesen zeitgeschichtlichen Rahmen verzichten? Die gekürzte (oder doch besser "zensierte") Fassung bietet Pfitzners erzromantische Sicht des Komponierens als Fortspinnen und Erweitern eines nicht analysierbaren, auf Intuition beruhenden "Einfalls", was der konstruktivistischen Art der damals gerade aufkommenden "Neuen Musik" geradezu diemetral entgegengesetzt ist.

An bösen Gegenstimmen zur "Einfallsästhetik" hat es denn auch nicht gefehlt: So fühlte sich Alban Berg zu einer Replik veranlasst, die laut Vogel "allerdings nicht das widerlegte, was Pfitzner gemeint hatte". So ist das Vorhaben, Pfitzner selbst ausführlich zu Wort kommen zu lassen, doch nicht als bloßes Füllsel anzusehen, wie man zunächst argwöhnen könnte. Eine ausführliche Zeittafel, Biblio- und Diskographie (beides erklärtermaßen unvollständig) sowie Register runden den Band ab.

Die vorliegende Biografie ist nicht der große Wurf, der Pfitzners Ruhm endgültig retten könnte: Dazu ist sie zu uneinheitlich strukturiert - ein work in progress, wie es der Autor auch in vielen Kompositionen seines Meisters erkennen möchte. Jedoch sind Werke, die sich fair und ohne Polemik mit diesem Musiker auseinander setzen, dünn gesät. Vogels Fleißarbeit, der juristischen Karriere abgetrotzt, verdient also Respekt; Rettung für Pfitzner gäbe es aber wohl nur durch vermehrte Aufführungen seiner Werke, insbesondere des herrlichen "Palestrina".

THOMAS FISCHER

Johann Peter Vogel: "Hans Pfitzner". Leben - Werke - Dokumente. Atlantis Musikbuch-Verlag, Mainz 1999. 320 S., geb., 78,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine zwiespältige Kritik schreibt Thomas Fischer. Einerseits lobt er, dass Vogel einen zu Unrecht heute fast vergessenen Komponisten einigermaßen sachgerecht und distanziert würdige, andererseits weist er auf deutliche Schwächen des Bandes hin. Der biografische Teil sei quasi identisch mit einer 1989 erschienenen Rowohlt-Monographie des gleichen Autors, die Werkanalysen sänken zuweilen auf das Niveau eines handelsüblichen Opernführers herab, und der Auszug aus Pfitzners eigenen Schriften, der den dritten Teil des Bandes bildet, sei um deutschnationale und antisemitische Passagen bereinigt worden. Dennoch begrüßt der Rezensent das Erscheinen des Bandes, nicht zuletzt, weil er den biografischen Teil "flüssig zu lesen" und "hervorragend recherchiert" findet. Inwieweit Vogel darin auf Pfitzners umstrittene Rolle in der Nazi-Zeit eingeht, ist aus der Kritik nicht ersichtlich. Selbst der Rezensent verteidigt Pfitzner gegen den Vorwurf der Hitler-Nähe mit dem Argument, er habe sich für einen jüdischen Freund im KZ eingesetzt.

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