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Produktdetails
  • Verlag: Haffmans
  • Seitenzahl: 190
  • Abmessung: 185mm
  • Gewicht: 230g
  • ISBN-13: 9783251004867
  • ISBN-10: 3251004867
  • Artikelnr.: 24570330
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.02.2001

Fallbeilfälle
Ein Wiedertäufer-Roman
An einem schönen Sommertag anno 1534 blickt der Türmer von Sankt Lamberti über die Mauern Münsters hinaus ins platte Land bei Telgte. Am Horizont stehen die Truppen des vertriebenen Fürstbischofs Graf Franz von Waldeck, der die einstmals reiche Stadt belagern und aushungern will. Denn in Münster haben die Wiedertäufer um den Niederländer Jan van Leiden brandschatzend und bilderstürmend die Herrschaft ergriffen und verkünden neben Gütergemeinschaft, Erwachsenentaufe und Vielweiberei mit Brachialgewalt das Tausendjährige Reich eines Neuen Jerusalem. Der Türmer aber „schaut nicht nur durch Fenster und Türen”, heißt es in Norbert Johannimlohs RomanDie zweite Judith”. „Sein Blick drang durch Dächer und Wände und – wenn er sich anstrengte – auch durch Hirnschalen und Brustkörbe”.
Auch der Schriftsteller beobachte „immer nur mit der Reichweite eines Menschenauges”, sagt Johannimloh in seinem neuen Roman, der erzähltechnisch bisweilen die psychologische Vogelperspektive des Münsteraner Türmers nutzt. In drei abgeschlossenen Kapiteln werden so drei Frauenschicksale im Umfeld der Wiedertäuferwirren überblickt: zuerst das der biblisch schönen Hille Feicken, die ins Hauptquartier der bischöflichen Truppen nach Wolbeck pilgert, um als „zweite Judith” Graf Franz von Waldeck zu ermorden und dergestalt die belagerte Stadt zu erretten. Dann das der widerspenstigen Idealistin Elisabeth Wantscherer, die weder von ihrem Ehemann noch vom ehemaligen Schauspieler und jetzigen König von Münster Jan van Leyden gezähmt werden kann. Und schließlich folgt die Geschichte der ebenso einflussreichen wie loyalen Königin Divara, die ihrem Glauben nicht abschwören will und deshalb aufs Schafott muss.
Auf jede der stolzen Frauen wartet nach peinlichem Verhör das Fallbeil des Henkers, und am Ende des ganzen Erzähltriptychons wird Jan van Leiden (getreu der Historie am 25. Juni 1535) von seinem Thron am Domhof gestoßen und zusammen mit seinen Kumpanen grausam zerfleischt. Die sterblichen Überreste lässt der Bischof zur Abschreckung in Käfigen an den Turm von Sankt Lamberti hängen, damit sich die Vögel des Himmels an ihnen gütlich tun. Die Knochengerippe aber „hielten sich viele Jahre und ließen den Türmer mit der Zeit sehr melancholisch werden, weil ihm tagtäglich als Ohrwurm das Lied in den Sinn kam: ‚Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen‘”.
Leider verliert sich Norbert Johannimloh bei seinem Blick auf dieses aufregendste Kapitel der Münsteraner Stadtgeschichte zu oft in sprachlich allzu saloppen Schilderungen sexueller Begehrlichkeiten, statt den dramatischen Bogen geschichtlichen Erzählens über die teuflischen Zwänge der Wiedertäuferbewegung zu spannen und den Kleinstaat Gottes so im Panorama auszubreiten. Ein bisschen freilich hat Elisabeth Wantscherer, die als zweite Susanna im Bade auch über die Bedeutung von Literatur nachdenken darf, dieses Versäumnis bereits angedroht: „Sie erwartete vom Dichter, daß er sie eintauchen ließ in eine ganz andere Welt”, steht da zu lesen. „Aber da die Wörter, die er gebrauchte, auch sonst im alltäglichen Sprechen benutzt wurden, konnte die Reise in eine andere Sphäre nie ganz gelingen. ”
THOMAS KÖSTER
NORBERT JOHANNIMLOH: Die zweite Judith. Roman. Haffmans Verlag, Zürich 2000. 192 Seiten, 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Die vertrackte Lage der begeisterten Schwestern
Norbert Johannimlohs Frauengeschichten aus dem Wiedertäuferreich / Von Dirk Schümer

Dies Buch ist kein historischer Kriminalroman, wie er derzeit in Mode ist. Es handelt sich noch nicht einmal um einen jener Historienschinken, die unterm Deckmantel einer windungsreichen Liebesgeschichte ein Epochenpanorama entwerfen. Der Münsteraner Autor und frühere Dozent für Niederdeutsch Norbert Johannimloh hat sich vom dramatischsten Geschehen seiner heute so angenehm geruhsamen Stadt zu einer Studie in Vergangenheitspsychologie anregen lassen: drei intime Lebensbilder von Frauen, die im kurzlebigen Gottesreich der Wiedertäufer nach 1533 eine Rolle gespielt haben; drei Geschichten, die wie der Versuch, eine radikal endzeitliche Gesellschaft in den Mauern einer spätmittelalterlichen Stadt zu errichten, böse endeten.

Auch wer über die historischen Details des Täuferreiches nicht auf dem laufenden ist, wird sich in die Protagonistinnen einfühlen können, denn der Autor vermischt klug die Hintergrundinformationen aus dem nicht gerade armen Chronikbestand mit dem Erlebten und Erlittenen, das nirgendwo aufgeschrieben wurde. Wenn man es auch kaum glauben mag, sogar die tollkühne Hille Feicken, die als eine wiedererstandene Judith sich ins Bett des Münsterschen Bischofs schleichen wollte, um den Erzfeind und Belagerer der Täufer zu meucheln, hat es gegeben. Johannimloh gestaltet den Attentatsversuch an der Grenze zum Schwulst als Verzweiflungstat einer unbefriedigten Eiferin: Die Sinnlichste unter den Fanatikern kann am Ende von der rohen Sexualität im Westfalenland nur abgestoßen werden und wählt lieber den Weg der heißblütigen Opferung. Wie alle anderen Rettungsversuche der Wiedertäufer endete auch Hille Feickens Plan schmählich. Von einem Parteigänger verraten, kam sie erst gar nicht in die Nähe ihres Holofernes, wurde gefoltert und hingerichtet. Dieses Schicksal hatte sie gemein mit ihren Schwestern im wiedertäuferischen Geiste: der renitenten Mätresse des Propheten Jan van Leiden, Elisabeth Wantscherer, welcher der Autor eine lesbische Ader andichtet und die von ihrem Seelenführer hingerichtet wurde, weil sie sich weigerte, dem Propheten zu Willen zu sein. Den Reigen der Lebensbilder beschließt Divara, die Erste Königin und Favoritin zweier Täuferpropheten, die das System der Vielweiberei mit installieren half, schließlich aber dem Sektenglauben abzuschwören sich widersetzte und zusammen mit den Köpfen der Täuferbewegung hingerichtet wurde. In seinen Frauengeschichten schildert der Autor drei zentrale Aspekte einer radikalen Ideologie: blinden Eifer, randständigen Opportunismus und knallharte Linientreue - nur daß bei jeder der Frauen diese idealtypische Haltung durch ihr sinnliches Leben eine Veränderung zum biographisch Nachvollziehbaren erfährt. Sie waren - und das interessiert den Autor vorrangig - Menschen aus Blut und vor allem aus Fleisch.

Die Vermittlung der aufregenden Geschichtserzählung gelingt Johannimloh passabel. Wie es mit den Täufern zu Ende ging und wer die wichtigsten Mitspieler waren, weiß man nach der Lektüre ganz gut. Allein, die historische Prosa offenbart manche Mängel. Wie jeder Autor des Genres steht auch Johannimloh vor dem Problem, die Geschichte im Ton einer Vorzeit erzählen zu müssen, der dennoch die heutigen Leser erreichen soll. Die plattdeutschen Münsteraner und Niederländer von 1534 müssen Hochdeutsch sprechen. Es wäre die Aufgabe von Literatur, ihnen dafür einen Duktus mitzugeben, der ihre Andersheit glaubhaft macht und sie außerhalb der Erfahrungswelt der Leser bestehen läßt.

Große Meister des historischen Romans - Wilhelm Raabe, Conrad Ferdinand Meyer oder gar Gustave Flaubert - schufen sich ein angestaubt-geschraubtes Idiom, das von ihren Lesern als irgendwie gestrig akzeptiert wurde und dennoch Spielraum bot für Detailbeobachtungen. Johannimloh indes benutzt im Zweifelsfall eine flotte Alltagssprache und schrammt an unfreiwilliger Komik damit knapp vorbei. Etwa wenn er seiner Protagonistin die rhetorische Frage in den Mund legt: "Kannst du dich überhaupt reindenken in unsere Lage?" Genau diese Frage muß sich jeder Historienautor von den Menschen der Vergangenheit gefallen lassen. Johannimloh kennt zwar seine Quellen und wohl auch die umfängliche Sekundärliteratur, aber die zwischen religiösem Wahnwitz und sozialer Revolte oszillierende Mentalität der Wiedertäufer, wie sie etwa aus ihren Liedern spricht, wird hier allzuoft mit dem Erfahrungshorizont eines Jugendbuchlesers kurzgeschlossen. Die Sprache ist zu forsch und platt. "Es ist phantastisch, was da im Alten Testament alles drinsteht", schwärmt eine der vielen Gemahlinnen des Täuferkönigs Jan van Leiden von ihrer Bibliothek, die bei Johannimloh viel nützlichen "Lesestoff" birgt, wie die von den Täufern vernichteten Kultbilder als "unersetzliche Kunstschätze" gerühmt werden. Solche verkehrten Aktualisierungen und Schnoddrigkeiten dürften einem Autor, der sich in die damalige Welt "reindenken" möchte, nicht unterlaufen.

Auch von den alltäglichen Dramen und Freuden im ausgehungerten Münster finden nur wenige bildhaft Eingang in den Text. Hier und da erwähnt Johannimloh, daß die Menschen Katzen und Hunde brieten, daß bei Revolten gnadenlos gemordet und vergewaltigt wurde - doch stets wird dies als Bericht Dritter, als Wahrnehmung zweiter Hand vorgetragen, während die direkten Eindrücke, die ja die poetische Würze eines solchen Stoffes ausmachen, zu kurz kommen: Bekleidung, Gerüche, Landschaft, Architekturdetails, Interieurs. Solcher Hintergrund, historischer Firnis sozusagen, vor dessen Präsenz sich die Ereignisse erst glaubhaft entspinnen können, ist mühseliger aufzutragen als eine Geschichte nacherzählt ist. Aber diese Akribie macht die Farbigkeit eines Textes aus; bei Johannimloh bleibt leider vieles blaß.

Die Meriten des Buches liegen in der Aufmerksamkeit für die Rolle der Frauen, die zwischen der Vielweiberei der Täufer und der Mätressenwirtschaft der hohen katholischen Geistlichkeit ja erheblich waren für den weltanschaulichen Kampf auf Leben und Tod, der da in Münster ausgefochten wurde. Zwar ist bei Johannimloh ein bißchen viel Altmännernostalgie im Spiel, wenn er seitenweise von den sinnlichen Lippen und den knospenden Brüsten seiner Heldinnen zu schwärmen weiß. Doch daß diese Frauen von beiden Seiten des Konfliktes, den kriegerische Männer und hybride Theologen austrugen, ausgebeutet wurden, daran besteht kein Zweifel.

So waltet historische Gerechtigkeit in den ausufernden Schilderungen roher Sexualität, von biblisch verbrämter Geilheit und Heuchelei - und von der Ausweglosigkeit, die Frauen erfuhren, welche in diesem blutigen Idelogiewettstreit bloß als Objekte vorkamen und darum so oder so zu den Verlierern gehören mußten. Indem er diese Schattenseite der Historie erahnt und bis in die freudlos groben Körperkontakte hinein erzählt, kann Johannimloh plausibel machen, wieso beim Täuferreich Frauen aktiv mitwirkten und sich hinterher für die verlorene Sache hinrichten ließen: Sie hatten nicht allzuviel zu verlieren.

So fügt sich dieses Buch in die lange Reihe von künstlerischen Adaptionen des unerhörten Themas. Jede Zeit, jede Mentalität hat aus dem Täuferreich, das seine Anführer selbst nach Exegese und Vision modellierten, neue Bilder gewonnen. Das fängt bei Heinrich Aldegrevers durchaus achtunggebietenden Kupferstichen der besiegten Rädelsführer Knipperdolling und Bockelszon an, zieht sich über das Pathos des Liberalismus, das in Meyerbeers antirevolutionärer Massenoper "Le Phrophète" waltet, bis Marguerite Yourcenars "Schwarze Flamme" kühl und berechnend von einer entfesselten Welt der Alchemisten und Ideologen erzählt, die ebensogut den Weltbürgerkrieg des zu Ende gehenden Jahrhunderts meinen konnte. Bei Johannimlohs etwas holzschnittiger und flapsiger Darstellung - und das ist hier nicht unbedingt abfällig gemeint - ist das Täuferreich im Kursus zur Frauengeschichte angekommen. Denn auch dies ist die didaktische Aufgabe des Historienromans: der Versuch wenigstens, denjenigen zuzuhören, die in der großen Historie keine Stimme hatten.

Norbert Johannimloh: "Die zweite Judith". Roman. Haffmans Verlag, Zürich 2000. 191 S., geb., 36,- DM

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Nicht ohne Interesse hat Dirk Schümer diesen Roman über das "kurzlebige Gottesreich der Wiedertäufer" als "Studie in Vergangenheitspsychologie" gelesen. Denn der Münsteraner Autor und frühere Dozent für Niederhochdeutsch vermische klug "Hintergrundinformationen aus dem nicht gerade armen Chronikbestand" mit Erlebtem und Erlittenem, das nirgendwo aufgeschrieben wurde. Denn: "die zweite Judith" Hille Feicken hat es wirklich gegeben. Aber so richtig gut fand der Rezensent das Buch dann trotzdem nicht. Johannimloh kenne zwar seine Quellen, aber "die zwischen Wahnwitz und sozialer Revolte oszillierende Mentalität der Wiedertäufer" werde allzu oft "mit dem Erfahrungshorizont eines Jugendbuchlesers kurzgeschlossen". Der Verdienst des Buches liege zwar in der Aufmerksamkeit für die Rolle der Frauen in diesem weltanschaulichen Kampf, aber die "knospenden Brüste" und "sinnlichen Lippen" der Damen hören sich für den Kritiker dann nach "Altmännernostalgie" an. Gegen Ende wird das Buch doch in die "lange Reihe der künstlerischen Adaptionen des unerhörten Themas" aufgenommen: das Täuferreich sei im Kursus zur Frauengeschichte angekommen.

© Perlentaucher Medien GmbH"