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Mit gespannter Aufmerksamkeit überwacht Jakob Stephan das lyrische Treiben des Poesiebetriebs und unterzieht die Dichter und ihre Werke einer Untersuchung auf Herz und Nieren. Und siehe da: Mancher junge Medienliebling sieht auf einmal ganz schön alt aus, manche gefeierte Großdichterin steht plötzlich ziehmlich bloß da, Fastvergessene wie Nicolas Born und Philip Larkin hingegen bestehen den Gesundheits-Check problemlos ...

Produktbeschreibung
Mit gespannter Aufmerksamkeit überwacht Jakob Stephan das lyrische Treiben des Poesiebetriebs und unterzieht die Dichter und ihre Werke einer Untersuchung auf Herz und Nieren. Und siehe da: Mancher junge Medienliebling sieht auf einmal ganz schön alt aus, manche gefeierte Großdichterin steht plötzlich ziehmlich bloß da, Fastvergessene wie Nicolas Born und Philip Larkin hingegen bestehen den Gesundheits-Check problemlos ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2000

Ratschlag nach Rezept
Nebenwirkungen eines Lyrikdoktors: Jakob Stephans Visite

Kein Leser, der nicht gern mit sich spielen ließe! Die poesiekritische Visite, die unter dem Namen Jakob Stephan seit 1996 in der Neuen Rundschau erschienen ist, trieb das Spiel nur gerade so weit, dass die Leserschaft Lust hatte mitzuspielen. Nun ist ein Buch daraus geworden, das den Untertitel "Ein poetologischer Fortsetzungsroman" trägt. Wenn es ein Roman wäre, dann allerdings sogar ein Schlüsselroman, doch davon später.

Genau wie jene ersten Kolumnen 1996/97 wird das Buch mit seinen Visiten, so etwa bis zur vierten, die Sympathie der Leser finden. Diesem alten Arzt ist man dankbar dafür, eine längst gefühlte Lücke zu füllen. Er spricht als Kenner, aber nicht als Fachmann, er braucht weder auf Brotgeber noch auf akademische Gepflogenheiten Rücksicht zu nehmen, in seinem Alter darf er sich ein bisschen blamieren. Ganz flott macht sich der alte Herr über die Tiere bei Sarah Kirsch, bei C. W. Aigner, bei Hans Löffler lustig, aber bei dem von Harald Hartung ("Jahrgang 1932") und Steffen Jacobs ("Jahrgang 1968") gedichteten Hundetod hält er nur mühsam Distanz, denn da gibt es nun auch für ihn nichts mehr zu lachen: Hinter dem Pseudonym "Steffen Jacobs" verbirgt sich kein anderer als eben jener Dichter, der sich, als Lyrikdoktor verkleidet, das Pseudonym "Jakob Stephan" zulegte.

Die Kritik, welche sich großzügig über die poetische Produktion ergießt, ist durchaus nachvollziehbar, zumal der Doktor auch nur mit Wasser kocht. Friederike Mayröcker mag er nicht und mokiert sich über ihre Widmungssucht. Das darf man, aber warum gleich so furchtbar übertreiben: "Auf diese Weise wird Lyrik zur Geheimsprache unter Eingeweihten." Dass die betreffenden Gedichte alles andere als eine Geheimsprache sprechen, wird er gemerkt haben, und dass dichterische Geheimsprachen unter Eingeweihten sich anderer Mittel als namentlicher Widmungen bedienen, weiß er auch. Für den Leser sind solche Flops eine Ermutigung, selber zu denken. Was bei diesen "heiteren Polemiken" lange noch anregend und unterhaltsam ist, wird mit der Zeit schwerer und zäher, und der Leser ertappt sich, den Doktor schon mal für einen alten Nörgler zu halten.

Allzu leicht ist es, den "Anfängern" wie diesem Henning Ahrens "Anfängerfehler" anzukreiden. Etwas komplizierter wird es bei den Veteranen. Aber Alter schützt vor Torheit nicht, und das ist ein Hebel, mit sich auch Werke geschätzter Autoren aus den Angeln heben lassen. So kann der Doktor bei Robert Gernhardt zwar unterwürfig schreiben: "Im Hallraum des großen Werks gewinnt auch das Kleine an Bedeutung", doch bringt er's auch zu dem harten Satz: "Reife und Verfall gehen in den Entwicklungsprozessen, die das Altern mit sich bringt, bekanntlich Hand in Hand. Der Doktor diagnostiziert "Symptome einer fortgeschrittenen Altersmilde" und kokettiert immer mal wieder mit seinem eigenen Alter, legt Enzensberger für seine weitere Karriere einen "Altersklassizismus" nahe und scheint ganz ausnahmsweise einmal mit einem "überaus wohlgeratenen Band" von Rühmkorf rundum zufrieden zu sein. Aber dies ist wirklich eine Ausnahme.

Freilich hat er sich da seit längerer Zeit auch schon mit anderem beschäftigt als mit Poesie. Dieses Andere hängt mit der Eigenschaft des Buches als "Schlüsselroman" zusammen. Zunächst funktioniert er sozusagen bei offenen Türen: In der vierten Visite geht es um den rumäniendeutschen Dichter Franz Hodjak, aber nicht um seine Gedichte, sondern um die Umstände der Verleihung des Nikolaus-Lenau-Preises durch ein Widmungskartell. Diese Seite des literarischen Lebens ist gewiss von Interesse, vielleicht ist sie sogar eine Bedrohung für die Gesundheit der Patientin Poesie. Dann wäre das also der Grund für den Doktor, sich so angelegentlich mit "Suhrkamps", mit dem Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, mit einer Sondernummer des "Merkur", mit Lyrikförderung durch Frauenzeitschriften, Shampoo-Herstellern und Stadtschreiberpöstchen, schließlich mit einem kuriosen Kritikerkleeblatt zu beschäftigen.

Natürlich geraten die dabei zu untersuchenden poetischen Neuerscheinungen ins Zwielicht der "Preis-Politik". Gleich in der fünften Visite lässt er die Rumäniendeutschen hinter sich und begibt sich zu "Suhrkamps in Berlin, Frankfurt und Darmstadt". Hier tritt die Form des Schlüsselromans voll in ihr Recht, ist doch die Rede von einem nicht genannten, gönnerhaft über andere Suhrkamp-Autoren urteilenden Suhrkamp-Autor, der - Hut ab! - "nahezu die gesamte Lyrikproduktion einer Suhrkamp-Saison" in der Basler Zeitung besprochen hatte. Tratschke fragt: Wer war's? Der schlaue Leser des Buches besitzt den Schlüssel: Das Werk hat ein geradezu macchiavellistisches Register!

Da gibt es zum Beispiel einen Eintrag "X., Frau", mit einem halben Dutzend Referenzen. Die Suche wird belohnt, denn man findet nach sorgfältigem Durchgang dieselben Seitenzahlen auch unter "Oleschinski, Brigitte". So kostet es den Leser auch nur kleine Mühe nachzuprüfen, wer der auf Seite 59 vorkommende nicht namentlich genannte Suhrkamp-Autor ist: Dieter M. Gräf, der seinen Leonce-und-Lena-Preis, unserem allzeit wohlinformierten Doktor Stephan zufolge, jedoch durch eine weniger plumpe Manipulation bekommen haben soll. Dass so einer nur ein ganz schlechter Dichter sein kann, einer, der Hitler verharmlost und "aus dem Stürmer spickt", wundert da keinen mehr.

Die meisten poetischen Visiten haben nun einen Hautgout als Nebengeschmack, so dass man manche bedenkenswerte Kritik nur mit Widerwillen schluckt. Das trifft besonders für die "Dichterfürsten" und "Meisterklassizisten" Raoul Schrott und Durs Grünbein zu. Natürlich weiß man seit der achten Visite, dass Schrott schlechte Gedichte schreibt, obwohl er nicht bei Suhrkamp publiziert. Trotzdem wird er noch einmal als namenloser Epigone gehandelt: das Schlüsselregister gibt seinen Namen preis. Der Poetik von Raoul Schrott in seiner "Erfindung der Poesie" stellt sich der Doktor mit dem ganzen Ernst seines einstigen Literaturstudiums. Zum metrischen Charakter der Poesie, zu ihrer Irrationalität, zur Funktion des Subjekts macht er fast zu ernsthafte Anmerkungen und investiert hier jedenfalls entschieden mehr Gedankenarbeit als für Grünbeins "brillantines Geschreibsel". Wiederum würde man auch in der gröbsten Übertreibung ein Körnchen Wahrheit finden und dem Doktor seinen Eifer nachsehen, wenn er nun nicht auch noch auf seinem blankgebohnerten satirischen Parkett so plump ausrutschen würde.

Schon in der achten Visite dürfen wir ihn auf einer Flugzeugreise begleiten, wo er ein Kritikertrio im Umgang mit Dichtern zeigt (mit dem Schlüsselregister lassen sich auch die weiterhin anwesenden, aber nicht namentlich genannten Dichter identifizieren). In Höchstform gerät unser satirischer Hausarzt aber erst gegen Schluss, in der sechzehnten Visite, und erweist sich nun auch als Virtuose der Peinlichkeit. Woher nimmt er den völlig unzensierten Wunschtraum eines Frustrierten und lässt Dieter M. Gräfs Büchlein "Treibender Kopf" in einen Gully gleiten - und eine Kritikerin hinterher! Keine Sorge! Drei Tage später werden die beiden verbliebenen Kritiker ihre Kollegin in den Abwässern der Darmstädter Kanalisation wiederfinden, gottlob lebendig. Leser, welche in der schönen Welt der Poesie oder ihres Betriebs nicht ganz so zu Hause sein sollten wie der Doktor Stephan, finden im Schlüsselregister Auskunft über die hier agierenden Personen - um so schlimmer für den Autor.

HANS-HERBERT RÄKEL

Jakob Stephan: "Lyrische Visite oder Das nächste Gedicht, bitte! - Ein poetologischer Fortsetzungsroman". Haffmanns Verlag, Zürich 2000. 365 S., geb., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Tupfer! Skalpell!
Die Operationen des „Lyrikdoktors” Jakob Stephan
Gegen Ende sieht ihn die Legende ausgesetzt mitten in der Wüste. Etwas unschön speckwulstig um die Hüften, sonst aber kreuzfidel, winkt der Lyrikdoktor den Rettern aus einem Unterstand zu, den er sich aus den Seiten eines Gedichtbandes von Marcel Beyer „zusammengerommelt” hat. „Die Wartezeit vertriebe er sich mit Beyers Gedicht ,Im Fleischland‘ und der Frage, warum der Welt- und insbesondere Deutschlandekel dieses jungen Mannes ihn immer nur als Ekel vor den Gedichten erfassen will. ”
Den „Lyrikdoktor” Jakob Stephan graust sonst vor nichts. Vier Jahre lang hat er für die Neue Rundschau neues Verswerk auf Herz und Nieren, auf Flatulenzen und gern auch auf Pseudo-Kunst geprüft und zwischen Friederike Mayröcker und Albert Ostermaier wenig Rühmenswertes gefunden. Eiskalten Herzens disgnostiziert er die joachimsartoriussche Lyrik als „Luxusgedichte auch in dem Sinn, dass es kaum einen Grund für ihre Existenz gibt”. Bei Raoul Schrott befindet er auf chronischen Befall des gesamten HNO-Trakts, weil sich der neueste Halbgott der Literaturkritik „nur an Orten mit mindestens dreisilbigen, von mindestens zwei Doppelkonsonanten akzentuierten Namen, die mindestens einen attraktiven Kehl-, Zisch-, Keuch-, Heul-, Nasal- oder Röhrlaut enthalten müssen”, zur poetischen Ader lassen kann. Von Mitleid ist dieser inzwischen 72-jährige Doktor Rummschüttel auch sonst nicht angekränkelt, meckert beständig über fehlentwickelte Versfüße und atmosphärische Influenza, montiert die leichenbittersüße Kulturkritik, mit der der Merkur sein Lyrik-Sonderheft einleitet und bringt nicht das mindeste Verständnis auf für das hysterische Gedichtel, in dem die Außen-Reporter Schrott und Grünbein der Frankfurter Allgemeinen von ihren Sehstörungen bei der Sonnenfinsternis berichten.
Der Mann ist böse, der Mann ist gemein und, stellt Euch bloß vor: Der Mann hat auch noch Recht.
Wenn er von seinem moosgrünen Sofa herab tadelt, dann ist er vielleicht ungerecht, aber er weist seinen Befund immer am nackten Text nach. Pardon wird aber nicht gegeben, bei Heiner Müller nicht, bei der Weltmeister-Lyrik zwischen Joseph Brodsky, Les Murray und Derek Walcott schon gar nicht. Der Nachwuchs bekommt keine Chance; Dilettanten, Simulanten, Hypochonder alle. Diese „heiteren Polemiken” dürften den Patienten wenig Freude machen, um so mehr aber dem Leser, der erfährt, dass bei Grünbein die Moral „nahe am Textausgang zum Abholen bereit liegt”. Unter den Lebenden lässt Jakob Stephan allenfalls Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf und Robert Gernhardt gelten, ruft nur seinen Kollegen Benn an und verweist ansonsten auf das Deutsch noch kaum entdeckte Werk von Philip Larkin.
Der Lyrikdoktor ist natürlich bloß eine liebevoll ausgemalte Legende. Angedichtet hat sie sich der noch nicht ganz 70-jährige Lyriker Steffen Jacobs. Brav senkt er in der zweiten Folge das kritische Besteck auch in die eigenen Verse, fasst hier nach und klopft da wegen der Reflexe und schickt den jungen Mann wieder nach Hause. Dem fehlt nicht viel, der macht seinen Weg „irgendwo zwischen höherer Spielfreude und tieferem Lebensernst”. Vielleicht.
In der letzten Folge seiner Visiten setzt sich der Lyrikdoktor endgültig auf seinem moosgrünen Sofa zur Ruhe. He da, aufwachen! Betreutes Wohnen hin, Pflegeversicherung her: So billig darf er nicht davonkommen. Es ist höchste Zeit für die zweite Stufe der Reform im Dichtungswesen. Ein Mann wie dieser speckröllchenstolze Dr. med. zyn. hat gerade noch gefehlt. Könnte sich nicht unser guter Minister Naumann ein Herz fassen und dem maladen lyrischen Ich durch eine Theorie-Spritze aufhelfen? Ein Martin-Opitz-Lehrstuhl von der deutschen Poetery als Alterssitz für den Lyrikdoktor und als Panazee für notleidende Dichter wäre nämlich eine feine Sache.
WILLI WINKLER
JAKOB STEPHAN: Lyrische Visite oder Das nächste Gedicht, bitte! Ein poetologischer Fortsetzungsroman. Haffmans Verlag, Zürich 2000. 368 Seiten, 44 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Nach Ansicht von "böt" hat dieses Buch lediglich einen einzigen Haken: Demnach ist der Lyriker Steffen Jacobs, der sich hinter dem Lyrikdoktor Jacob Stephan verbirgt, selber recht immun gegen "weise Ratschläge". Ansonsten ist "böt" äußerst angetan von der "netten, hemdsärmeligenArt" des Jacob Stephan, der mit einer Mischung aus Altersweisheit, Gelassenheit und Pragmatismus siechen Lyrikern ein wenig auf die poetischen Sprünge helfen will. Zwar findet der Rezensent Stephans Diagnosen und Therapien reichlich dubios, wenig vertrauenerweckend und dazu noch seien sie von sehr geringem Nutzen. Aber immerhin sei die Lektüre dieses Buches amüsant. Und Heiterkeit soll ja bekanntlich gesundheitsfördernd sein.

© Perlentaucher Medien GmbH
"In der 'Neuen Rundschau' macht seit einiger Zeit ein rätselhafter Arzt seine 'lyrische Visite'. Ganz ohne Hartmannbund legt er sein 'Stethoskop an die Brust und senkt den Spatel in den Rachen'. Bei Sarah Kirsch, der 'bedeutendsten deutschsprachigen Dichterin aus Tielenhemme', lobt er das 'Bemühen auf dem Domestikationssektor', beim Luxus-Lyriker Joachim Sartorius scheint ihm der Exitus des Patienten unmittelbar bevorzustehen. Jakob Stephan, wie sich der 'lyrische Hausarzt' nennt, ist angeblich in Greifswald geboren und hat 1968 den Gedichtband 'Verse auf Leben und Tod' veröffentlicht. Über diese Gedichte ist nichts bekannt, aber in der Visite zeigt sich ein unabhängiger Geist." (Der Spiegel) "Ein subtiler Stilist und Kenner." (Frankfurter Rundschau)