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Ismail Kadare, dem in diesem Jahr der erstmals verliehene International Man Booker Prize zugesprochen wurde, ist inzwischen in vierzig Sprachen übersetzt."Ein Homer aus Albanien"(so die Jury) wurde ausgezeichnet, der auch seit langem für den Nobelpreis im Gespräch ist. Piet den Moors Essay berührt die Schlüsselpunkte in den einzelnen Werken dieses immensen literarischen Kosmos'Kadares. Behutsam umkreist er die biographisch und literarisch wichtigen Themen des Autors und seiner verschiedenen Romane und Erzählungen, die einerseits in europäischer aber auch klein-asiatischer Geistesgeschichte…mehr

Produktbeschreibung
Ismail Kadare, dem in diesem Jahr der erstmals verliehene International Man Booker Prize zugesprochen wurde, ist inzwischen in vierzig Sprachen übersetzt."Ein Homer aus Albanien"(so die Jury) wurde ausgezeichnet, der auch seit langem für den Nobelpreis im Gespräch ist. Piet den Moors Essay berührt die Schlüsselpunkte in den einzelnen Werken dieses immensen literarischen Kosmos'Kadares. Behutsam umkreist er die biographisch und literarisch wichtigen Themen des Autors und seiner verschiedenen Romane und Erzählungen, die einerseits in europäischer aber auch klein-asiatischer Geistesgeschichte wurzeln, und öffnet sie für das Verständnis der Leser. Und so gelingt ihm eine Hinführung zu diesem wichtigen Autor, seinen Werken und der deutschsprachigen Werkausgabe, die - in der kongenialen Übersetzung von Joachim Röhm - seit 2001 im Ammann Verlag erscheint und fortgeführt wird.
Autorenporträt
Piet de Moor (1950) ist Schriftsteller und Journalist. Er lebte zwei Jahre lang in Berlin, ein Aufenthalt, der ihm den Osten Europas öffnete. Seit den 80er Jahren unternimmt er viele Reisen nach Mittel-Europa, insbesondere Budapest, Sarajevo und Tirana, um dort mit Schriftstellern, Essayisten, Historikern und Philosophen zu sprechen. Die daraus entstandenen Bücher spüren das scheinbar Unbedeutende und Marginale auf, das sich hinter den großen dogmatischen und totalitären Geschichten verbirgt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2006

Politik ist schlecht für die Figur
Kleinstaatgründung auf eigene Faust: Der albanische Schriftsteller Ismail Kadaré und sein neuer Roman

Zu den frühen Prägungen des Autors gehört die Faszination durch Keller, Brunnen, Zisternen - Hadesschlünde, die seine Phantasie "durcheinanderbringen". Ins Surreale führt auch die Architektur seiner albanischen Heimatstadt Gjirokastra, die so steil an eine Berglehne gebaut ist, daß Betrunkene, die von der Straße abirren, auf den Dächern hoher Häuser zu liegen kommen. Ein literarisches Urerlebnis war die magische Schreckenswelt von Shakespeares "Macbeth", der ungeheuerliche Mord am Gast. Der junge Ismail Kadaré schrieb das Stück ab, um es in seinen Besitz zu bringen.

Magischer Realismus ist für ihn keine Erfindung der Lateinamerikaner, sondern ein ewiger Strang der Weltliteratur. Und das Absurde war in dem Land, dessen literarische Kultur dieser Autor als einziger weithin sichtbar repräsentiert, jahrzehntelang Richtlinie der realen Politik. "Es kam vor", schreibt Piet de Moor in seinem Porträt Kadarés, der in diesen Tagen seinen siebzigsten Geburtstag feiert, "daß Frau und Kinder eines der Sabotage beschuldigten Funktionärs, der Selbstmord begangen hatte, singend auf den Balkon ihrer Wohnung traten und ihrer Freude über den wohlverdienten Tod des Gatten und Vaters Ausdruck gaben."

Da wundert es nicht, daß die oft phantastisch anmutenden Bücher Kadarés durchaus Wurzeln in der grotesken Realität haben. Das gilt schon für sein sinistres Romandebüt, den "General der toten Armee" (1962). Kadaré lernte einen italienischen Offizier kennen, der den Auftrag hatte, die während des Zweiten Weltkriegs in Albanien gefallenen italienischen Soldaten zu exhumieren und nach Italien zurückzuführen. Das Buch, das diese Idee in einem makabren Totentanz entfaltet, brachte Kadaré früh den internationalen Durchbruch. Es war nicht zuletzt diese Reputation, die den ansonsten skrupellosen Diktator Enver Hodscha milde stimmte - mit außenpolitischem Kalkül.

Kein albanischer Autor durfte ins Ausland reisen, nur Kadaré; keiner durfte einen Hauch von Kritik äußern, nur Kadaré. Er hatte zweifellos ein privilegiertes Verhältnis zur Macht, das ihm ermöglichte, künstlerische Ziele zu verfolgen, die andere hinter Gitter oder in ein einsames Grab gebracht hätten. Wenngleich auch er Repressalien auszustehen hatte, tauchte er aus den Verliesen zwischenzeitlicher Ungnade doch immer wieder auf, und seine Werke wurden Pflichtlektüre.

Es stellt sich die Frage, ob Kadaré nicht doch mehr Günstling als Gegner war. Inzwischen haben sich einige vormals erstickte Stimmen zu Wort gemeldet. Mancher, der Jahre im Gefängnis oder Arbeitslager verbrachte, hat gar vom "Hodscha-Kadaré-Regime" gesprochen. Während Kadaré bei seinen europäischen Lesereisen als Dissident auftrat, war er, so der Vorwurf, ein bedeutender kulturpolitischer Organisator und Repräsentant der Diktatur, der auch vor Hodscha-Huldigungslyrik gelegentlich nicht zurückscheute. Für einige ist es unerträglich, wie der begünstigte Autor heute immer noch und immer mehr mit internationalen Ehrungen überhäuft wird - und dabei geadelt erscheint durch das Leiden unter dem Totalitarismus.

"Chronik in Stein" (1970), das international gefeierte Meisterwerk über Kadarés Heimatstadt während des Zweiten Weltkriegs, geschildert aus der Perspektive eines Kindes, ließ sich offenbar auch als Hommage auf Hodscha verstehen, denn der Diktator erblickte ebenfalls in Gjirokastra das Licht der Welt - die Distanz zwischen den Geburtshäusern beträgt zweihundert Meter; das Sträßchen dazwischen nennt sich "Narrengasse". Im Roman "Der große Winter" läßt Kadaré Hodscha persönlich auftreten, und der Stalinist fand sich durchaus schmeichelhaft dargestellt. De Moor schreibt dazu, Kadaré wollte den Diktator "von seinen Dämonen befreien". Gab er sich wie ein Stephan Hermlin der Illusion hin, er könne den Fürstenerzieher spielen?

Die merkwürdige Spannung von Opportunismus und Widerstand findet sich bereits früh. Kadaré studierte drei Jahre am Gorki-Institut in Moskau, was nur ergebenen Parteimitgliedern möglich war. In seinen künstlerischen Ansprüchen zeigte er sich jedoch renitent: "In Moskau habe ich sehr schnell begriffen, daß ich von Literatur viel mehr verstand als meine Professoren - diese Institutsbürokraten, die sich den lieben langen Tag in Sophistereien über den sozialistischen Realismus ergingen, wobei jeder Text, der auch nur ein Jota von dieser offiziellen Linie abwich, sofort als ,dekadent' und ,morbid' verdammt wurde." Kadarés Werke schildern dagegen Angst- und Albtraumwelten, die dem befohlenen Optimismus der albanischen Diktatur zuwiderliefen. Des weiteren hat der Autor historische Romane geschrieben, die sich aus den Epen und Balladen des Balkans nähren und vom Widerstand gegen die Türken handeln ("Die Festung", "Der Schandkasten"). Neben der patriotischen Lesart gibt es auch hier eine regimekritische: Das Osmanische Reich ist Kadaré in vielen Werken ein Muster des übermächtigen Staatsapparates. So konnte er sich in chiffrierter Form mit dem Kommunismus auseinandersetzen.

Das in Albanien sogleich verbotene Meisterwerk "Der Palast der Träume" (1982) handelt von einem Überwachungsstaat, der sämtliche Träume der Bevölkerung in einer Großbehörde systematisch auswertet. Der Roman gehört zu den großen Kafka-Nachfolgedichtungen. Wo Schriftsteller gefoltert und auch getötet wurden, bewies es großen Mut, Parabeln über totalitäre Mächte zu schreiben.

Jetzt ist Kadarés Roman "Das verflixte Jahr" in deutscher Übersetzung erschienen. Es geht um den albanischen Staat in seinem ersten Jahr, nach einem halben Jahrtausend der osmanischen Fremdherrschaft, das mit den Balkan-Kriegen 1912/13 zu Ende ging. Ein unabhängiges Albanien wurde ausgerufen, das freilich nicht den Segen der europäischen Mächte bekam. Schließlich wurde der deutsche Prinz Wilhelm zu Wied als Regent eingesetzt. Er schien geeignet, weil er als Protestant keiner der ortsüblichen Konfessionen angehörte und Deutschland unter den europäischen Mächten das geringste Interesse am Balkan hatte. Der importierte Monarch bekam das Territorium jedoch nicht unter Kontrolle. Nach nur 184 Tagen mußte er Albanien verlassen - rechtzeitig zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Dies ist der Hintergrund der Geschehnisse, die Kadaré ins Jahr 1913 verlegt und kräftig zuspitzt. Am Himmel erscheint ein Komet, auf Erden begleitet von bösen Vorahnungen, Psychosen und politischer Unruhe. Vor allem aber liegt das Wort Komet sehr nahe bei "Komit", der albanischen Bezeichnung für Freischärler. Banden und Privatarmeen ziehen durchs Land, liefern sich Scharmützel mit Truppen ausländischer Mächte, die auf dem Schauplatz herumpfuschen: Italiener, Montenegriner, Serben, Franzosen, Österreicher, Holländer, Türken und Bulgaren, zwecks Täuschung oft in falschen Uniformen. So kann der Lagebericht nicht verwundern: "Die meisten Truppenbewegungen erwiesen sich als unverständlich, sinnlos oder sogar komplett verrückt." Es ist eine blutige Farce, "ein in der Geschichte der Menschheit einmaliges Gedränge". Auch der Leser verliert bald den Überblick, kann die Komiten, Giauren, Esadisten, Mokraren nicht mehr voneinander unterscheiden.

Jeder scheint gegen jeden zu kämpfen, um endlich auf eigene Faust einen Kleinststaat zu gründen. Da gibt es das "Separatistische Orthodoxe Fürstentum Vorio-Epirus", da ruft der Orden der Bektaschi-Derwische ein eigenes Königreich mit dem Berg Tomorr als Hauptstadt aus. Parteien, Ligen, Sekten und Ältestenräte liegen im Dauerstreit, Wahrsager und professionelle Verwünscher haben viel zu tun, Thronprätendenten und falsche Prinzen melden Ansprüche an, Doppel- und Dreifachagenten kolportieren Geheimnisse, und zwischen allen wirkt die Hure Sara Stringa, bei der die politische Gerüchteküche brodelt. Kurz: Der Wochenzeitung "Unglückliches Albanien" gehen die Themen nicht aus.

Mag die Gegenwart erbärmlich sein, die Vergangenheit strahlt um so herrlicher. Pflegte doch in Durrës, einer der ältesten Städte der Menschheit, schon Cicero seine Ferien zu verbringen. Das stärkt den Albanerstolz. Stolzgeschwellt präsentieren sich auch die Helden des Romans: Shestan Verdha, Anführer eines bewaffneten Haufens, der singende Doska Mokrari und der hochgewachsene Alush Gjati, Bauern und reichlich grobianische Gemüter, die sich auf die Suche nach dem Krieg machen.

"Der Krieg ist wie eine Kohlroulade", weiß eine der Figuren. "Drinnen muß ordentlich Fleisch sein." An Fleischfüllung mangelt es dem Roman nicht. Da wird gehauen und gestochen, gekreuzigt und lebendig begraben, da werden Bäuche aufgeschnitten und Leiber zerhackt. Piet de Moor spricht vom "sehr aufregenden Zusammenhang zwischen politischem Geschehen und Körperlichkeit" bei Kadaré. Knapp gesagt: Die Politik bekommt den Körpern schlecht.

Streckenweise spielt das Buch mit dem Ton eines Forschungsberichts, der kritisch Quellen sichtet und "ausländische Gelehrte" zitiert oder korrigiert ("Entgegen den mannigfaltigen Mutmaßungen der Forscher ..."). Solche Wissenschaftlichkeit steht in komischem Kontrast zum militärischen Dilettantismus der Handlung. Überhaupt wird dem Kriegschaos auch eine amüsante Seite abgewonnen, etwa wenn es heißt: "Die Granaten landeten im Suppenkessel, man glaubte einen Hammelkopf zu kochen, doch in Wahrheit war es eine Kanonenkugel." Oder wenn der Armeeführer Uk Bajraktaris den Begriff "Ultimatum" für ein "unter Homosexuellen gebräuchliches Schimpfwort" hält.

Ein Spielverderber könnte einwenden, er interessiere sich überhaupt nicht für die albanische Geschichte. Aber wenn man Anteil an gut erfundenen Figuren nimmt, interessiert man sich auch für ihre Belange, und seien es die verzwickten Gesetzmäßigkeiten der Blutrache wie in "Der zerrissene April", einem von Kadarés besten Büchern. Die Figuren in "Das verflixte Jahr" sind jedoch, muß man leider sagen, ebenso martialisch wie leblos. Zum Chronikstil gehört der Verzicht auf Innenleben. "Ende Juli stieß ein gewisser Xhemal Lufta zu ihnen und mit ihm noch ein anderer, der sich Hyska Shteti nannte." Derart werden die meisten Figuren vorgestellt: als gewisse Ungewisse, über die man außer dem Namen fast nichts erfährt. Da nützen denn auch gelungene Episoden (etwa über die Baklawa, ein Blätterteiggebäck mit starker politischer Symbolik) oder die Anflüge von donquichotteskem Humor nicht viel.

Es fiele leicht, den 1985 im Original erschienenen Roman als prophetisch zu bezeichnen. Die neue Unübersichtlichkeit auf dem Balkan, das ethnische Großreinemachen der neunziger Jahre scheinen im blutigen Chaos des "Verflixten Jahres" vorweggenommen. Nur gewinnt die Lektüre deshalb kaum an Reiz. Ungern möchte man sich angesichts der archaischen Grausamkeiten auf den Sprachgenuß zurückziehen, den die Prosa Kadarés in den Übersetzungen Joachim Röhms zu bieten vermag.

Die leichte Enttäuschung hindert uns aber nicht, Kadarés nächstem Roman erwartungsvoll entgegenzusehen. Im Herbst wird "Der Nachfolger" (2003) auf deutsch erscheinen, ein bereits vielgerühmtes Buch, das offenbar den Ausschlag gab, daß Kadaré im vergangenen Jahr der erstmals verliehene, mit 60000 Pfund dotierte Man Booker International Prize zugesprochen wurde - gegen die Konkurrenz von Autoren wie Márquez, Grass, Kundera, Updike und Philip Roth.

Ismail Kadaré: "Das verflixte Jahr". Roman. Aus dem Albanischen übersetzt und mit einem Glossar versehen von Joachim Röhm. Ammann Verlag, Zürich 2005. 192 S., geb., 17,90 [Euro].

Piet de Moor: "Eine Maske für die Macht". Ismail Kadaré - Schriftsteller in einer Diktatur. Aus dem Niederländischen übersetzt von Marie-Luise Flammersfeld. Ammann Verlag, Zürich 2005. 93 S., br., 12,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nicht gerade apologetisch, aber doch "wohlwollend" sei die Perspektive Piet de Moors, meint Rezensent Franz Haas. Es gäbe schließlich Stimmen, die Ismail Kadares spätere Selbststilisierung als Regimekritiker für "unerträglich" hielten. Der Rezensent hält sowohl die kritische als auch die verständnisvolle Einschätzung für jeweils berechtigt. Piet de Moor wiederum interpretiere Kadares Romane als "Maskenbälle" mit dem Ziel, das Regime auszutricksen. Uneingeschränkt zustimmen kann der Rezensent, wenn de Moor auf die literarische Qualität des Werks verweist. Der Grund für Kadares Überlebenskunst in der Diktatur ist auch seinem künstlerischen Rang als Aushängeschild Albaniens geschuldet gewesen, nicht allein seinem schlauen Paktieren. Schon sein Roman "Der große Winter" von 1973 hätte Kadare nämlich das Genick brechen können.

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