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März 1991. Mehrere tausend Albaner drängen auf den Ozeandampfer "Partizani", der zur Abfahrt nach Italien im Hafen von Durres bereitliegt. Kurz bevor das Schiff die Anker lichtet, kehrt Thesar Lumi an Land zurück; Für ihn ist es zu spät zum Fliehen. Er blickt auf das Albanien seiner Jugend zurück. Aufgewachsen in einer Kleinstadt, gelingt es ihm, sich in Tirana einen Studienplatz zu ergattern. Er lernt den trügerischen Erfolg in einer korrupten Gesellschaft kennen, doch einer der Mächtigen im Lande wird er nie.

Produktbeschreibung
März 1991. Mehrere tausend Albaner drängen auf den Ozeandampfer "Partizani", der zur Abfahrt nach Italien im Hafen von Durres bereitliegt. Kurz bevor das Schiff die Anker lichtet, kehrt Thesar Lumi an Land zurück; Für ihn ist es zu spät zum Fliehen. Er blickt auf das Albanien seiner Jugend zurück. Aufgewachsen in einer Kleinstadt, gelingt es ihm, sich in Tirana einen Studienplatz zu ergattern. Er lernt den trügerischen Erfolg in einer korrupten Gesellschaft kennen, doch einer der Mächtigen im Lande wird er nie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2000

Der Verlorene
Trauriger Traum: Fatos Kongolis Roman "Die albanische Braut"

Im letzten Augenblick merkt er, daß er gar nicht fliehen kann. Nicht vor Albanien und nicht vor sich selbst. Thesar Lumi verläßt den Ozeandampfer wieder und geht an Land. "Für jeden Menschen kommt einmal der Tag, da ihm scheint, er sei mit der Welt im reinen, der Kreis habe sich geschlossen, und es mache keinen Sinn mehr, noch weiter auf dem Vergangenen herumzukauen."

Mit diesen Sätzen beginnt Thesar Lumi seine Geschichte. Er will nichts mehr. Allenfalls noch ein Bekenntnis. Der Kreis hat sich geschlossen. Ein Teufelskreis. Aus dem angekündigten Bekenntnis des Thesar Lumi wird eine Abrechnung. Eine Abrechnung mit dem nicht gelebten Leben. Und schon bei seinen ersten Sätzen, wenn er sich erinnert und Schneisen in den Nebel des Vergessens schlägt, hat man das Gefühl, hier schreibt sich einer frei, schreibt um sein Leben, atemlos und bedrängt von den Gespenstern der Vergangenheit.

In kurzen Sätzen und mit vor Aufregung kippender Stimme erinnert sich Thesar. Sein Leiden begann in der Schulzeit, damals, als der junge Thesar zum ersten Mal merken mußte, daß es die anderen sind, die sein Leben in der Hand haben. Der Schuldirektor Xhoda, der ihn verprügeln durfte, ohne das Thesars Vater aufmucken konnte. Thesar spielt seine Rachegelüste auf eigene Faust aus, vergiftet den Hund von Vilma, der geliebten Tochter des Direktors. Vilma und ihr Vater werden Thesar begleiten, ein Leben lang, nicht nur in Thesars Gedanken. Vilma ist die albanische Braut aus dem ein wenig dämlichen deutschen Titel des Buches, das im Original den schönen Titel "Der Verlorene" (I humburi) trägt, der freilich schon Hans-Ulrich Treichels Erzählung schmückt. Leider. Denn verloren ist Thesar von Anbeginn an, und er bleibt es, egal, wohin er geht.

In Albanien ist das Buch 1992 erschienen, also ein Jahr nach den demokratischen Reformen. Der albanische Schriftsteller und Journalist Fatos Kongoli wurde 1944 in Elbasan geboren. Er studierte Mathematik in China und Tirana, wo er heute lebt. "Die albanische Braut" ist das erste Buch Fatos Kongolis, das in deutscher Übersetzung vorliegt. In Frankreich sind mittlerweile schon zwei weitere erschienen. Doch nach diesem überzeugenden Auftakt werden die deutschen Ausgaben wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Der Antiheld Thesar Lumi erzählt sein Leben, und Fatos Kongoli sieht ihm dabei zu, läßt ihn vor den Augen der Leser auf und ab spazieren wie eines der endlos einsamen Geschöpfe aus den Filmen von Theo Angelopoulos. Fatos Kongoli gelingt die schonungslose Perspektive dank einer äußerst verknappten Sprache, die dennoch alles sagt. Seine klaren Sätze klirren wie Eis, doch der Nebel ist sein Leitmotiv und seine Lieblingsmetapher. Der Nebel läßt die Konturen verschwinden, schleift harte Konturen rund und weich. Bevor er alles verschluckt, ist Thesar zur Stelle, um sich noch einmal zu erinnern, ein letztes Mal. Doch auch seine eigene Geschichte verschwindet im Unwirklichen, Traumhaften.

Unter dem repressiven System des kommunistischen Albanien beginnt Thesar ein Studium in Tirana und lernt die Liebe mit Sonja, der Grauäugigen, kennen. Eine Liebe als Aufstand, als Widerstand. Fatos Kongoli gelingt eine Liebesgeschichte, die die Gier behutsam in Worte faßt und die Sehnsucht gar nicht mehr auszusprechen braucht. Thesar wird verhaftet, ins Arbeitslager gesteckt, verliert sich immer mehr. Die Paranoia der Bevölkerung überträgt sich auf die Leser, die keiner Figur mehr so recht über den Weg trauen. Jeder, der sich bewegt, macht sich verdächtig. Der Schuldirektor läuft längst als Irrer in der Stadt umher und hat seine Tochter Vilma, die nie eine albanische Braut werden durfte, längst begraben.

Fatos Kongolis Roman handelt vom Leben im Albanien der politischen Säuberungen. Er beschreibt und seziert die politischen Wucherungen aus der jüngsten Vergangenheit Albaniens erbarmungslos und drastisch. Doch es geht in diesem Roman um mehr als nur ein System, in dem der Terror staatlich verabreicht wird. Kongoli hat mit Thesar einen Archetypus des Verlorenen erschaffen, der schon sterben wollte, bevor sein Leben begann: "Denn mein Leben ist medioker gewesen, das Leben eines Menschen, der nie jemand war und nie jemand wurde."

SHIRIN SOJITRAWALLA

Fatos Kongoli: "Die albanische Braut". Roman. Aus dem Albanischen von Jochim Röhm. Ammann Verlag, Zürich 2000. 240 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2000

Bekenntnis
eines Verlorenen
Ein Roman aus Albanien
Albanien 1991. Aus dem hoffnungslosen Land drängt die Bevölkerung auf überladene Schiffe. Szenen der Wut und der Verzweiflung und, jenseits des Meeres, der Ratlosigkeit bei den italienischen Behörden. Fatos Kongolis Roman Die albanische Braut (Originalausgabe 1992) erklärt, wie es dazu kam, dass einem ganzen Volk kein anderer Weg möglich schien als die Flucht aus dem eigenen Land.
Thesar Lumi, der 40-jährige Ich-Erzähler, beschreibt das nun zerfallende System im Rückblick. Eine gierige, nur auf ihre Privilegien konzentrierte Nomenklatura herrscht über das abgestumpfte Volk, das sich in seine Nischen drückt und auch dann keine Reaktionen zeigt, wenn die Porträts der Politiker in den Amststuben wechseln. Regelmäßig bringt der interne Machtkampf neue Köpfe nach oben, während die alten rollen. Jeder bespitzelt jeden, im Sumpf der Korruption gedeihen die Heuchler und Schleimer, Angst durchdringt alle Schichten, jeder ist jederzeit erpressbar. Dabei ist keine ideologische Basis, keine politische Zielrichtung zu erkennen; es scheint nur um den Machterhalt einer sich selbst zerfleischenden Kaste zu gehen.
Forschender Rückblick
„Ich erschrecke zu Tode, wie tief wir gesunken sind”, sagt Thesar Lumi. Der „Verlorene” (so lautet der das Thema des Romans wesentlich besser treffende Originaltitel) wird nicht müde, sich als nutzlosen, unbedeutenden Menschen zu denunzieren, der zudem noch Unglück über seine Freunde gebracht hat. Er nennt seinen Bericht ein „Bekenntnis”. Mehr noch ist er aber Ursachenforschung. Woher kommt die Selbstverachtung, die trübe Apathie, bei ihm, bei den andern? Wenn er im eigenen Leben zurückblickt, ist seine erste große Enttäuschung der Vater. Als Kind wird Thesar vom Schuldirektor Xhoda brutal und grundlos verprügelt. Den Vater, den er um Hilfe ruft, erlebt er als Feigling kriechend vor dem Mächtigen. Die Eltern vegetieren in devoter Unauffälligkeit, weil der Bruder der Mutter das Land verlassen hat – eine „biographische Zeitbombe”, ein verborgener Makel, der Thesar auf immer zur Unterwürfigkeit verdammt. Er ist ausgeschlossen aus der Gemeinschaft der anderen. Aufbegehren nützt nichts; wer sich wehrt, gerät nur noch weiter ins Abseits.
Zum Studium nach Tirana kommt Thesar nur über dubiose Beziehungen. Dort lernt er Ladi kennen und mit ihm einen Kreis jugendlicher Snobs, Kinder der Funktionärselite, die in der Hauptstadt ihr Dolce Vita leben. Aber auch hier herrscht Angst. Thesar lässt sich auf eine gefährliche Beziehung zur schönen jungen Witwe Sonja ein. Die Liebe ist auf Hass und Intrige gebaut und geht daran zu Grunde. Ladis Vater fällt in Ungnade und wird erschossen, Ladi hängt sich auf, Sonja kommt ins Lager, Thesar wird von der Universität gewiesen. Er kehrt in sein trostloses Städtchen zurück, das in todesähnlichem Schlaf liegt unter dem Staub der Zementfabrik, in deren Schredderanlage er nun arbeitet. Hass und Gewalt auch hier, Erpressung und Verrat, Terror der Unterdrückten gegeneinander. Die Messer sitzen locker. Schnaps ist der einzige Zeitvertreib. Es wäre eine Liebe möglich zwischen ihm und Xhodas Tochter, der „albanischen Braut”. Vilma lebt aber wie eine Gefangene in einem Gestrüpp von Protektion. Der Vater bewacht sie eifersüchtig gegen jeden Mann, der Bandenführer Fagu unterstreicht seinen Anspruch auf sie erst mit dem Messer in der Faust, dann mit Vergewaltigung. Sie nimmt Gift. Irre geworden hütet Xhoda das Grab seiner Tochter, eine Figur wie König Lear.
Selbstbeschuldigung
Fatos Kongoli, 1944 geboren, Mathematiker und heute Kulturredakteur in Tirana, baut seine Erzählung zwingend und dicht, auf zwei parallel geführten Zeitebenen. 1991, als alle andern nach Italien aufbrechen, geht Thesar nicht mit aufs Schiff, sondern kehrt zurück in die menschenleere Stadt und trinkt sich, während er die ganze furchtbare Geschichte ins Gedächtnis zurückholt, mit Schnaps in einen Zustand „philosophischer Nüchternheit”. Der Erinnerungsprozess ist mühsam und schmerzhaft, darüber kann auch der leicht satirische Ton nicht hinwegtäuschen. Immer wieder vorausweisend auf die Katastrophe und die trostlose Gegenwart begründend deutet er seine Geschichte als ein vorherbestimmtes Schicksal. Klarsichtig beschreibt er die seelische Verkrüppelung, seine eigene und die des ganzen Volkes, die verheerende Wirkung des Systems, die Verbildung durch Unaufrichtigkeit, Heuchelei, das Gefühl der Minderwertigkeit, das ein aktives Leben in Würde unmöglich macht. Aber wie um diese Deformation an sich selbst zu belegen, nimmt er die Schuld an allem Unglück auf sich, er verachtet sich selbst, so wie die anderen ihn verachten. Er weiß „weder, wie man lebt, noch wie man stirbt”. Am Schluss allerdings gibt er seinem Leben etwas Kontur. Er setzt sich nicht ab übers Meer, sondern bleibt bei seinen Toten, Ladi und Vilma.
Ein starkes Stück Literatur voll scharf gezeichneter Figuren, Analyse einer zum Schaudern fremden Welt, aber auch ein politisches Lehrstück darüber, wohin der völlige Wertverlust in einer Gesellschaft führen kann.
EVA LEIPPRAND
FATOS KONGOLI: Die albanische Braut. Roman. Aus dem Albanischen von Joachim Röhm. Ammann Verlag, Zürich 1999. 240 Seiten, 38 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Shirin Sojitrawalla findet zwar den deutschen Titel des in Albanien bereits 1992 erschienenen Buch "ein wenig dämlich". Denn eigentlich heiße "Il humburi" wörtlich übersetzt "Der Verlorene", was die Rezensentin für wesentlich treffender hält. Das Buch selbst gefällt ihr jedoch ausgesprochen gut, und so äußert sie sich zuversichtlich, dass bald noch weitere Bücher des Autors in deutscher Übersetzung vorliegen könnten. Drei Aspekte hebt sie besonders hervor: Da ist zum einen die gehetzte, "äußerst verknappte Sprache, die dennoch alles sagt". Des weiteren gefällt ihr die Betrachterperspektive des Autors, der seinen "Antihelden" wie in einem Film von Theo Angelopoulos agieren lasse. Und nicht zuletzt erfährt der Leser ihrer Ansicht nach allerhand über die entsetzlichen Zustände in Albanien. Das Politische steht für sie jedoch nicht im Vordergrund des Romans. Beeindruckend findet sie vielmehr Schilderungen von beispielsweise der "Paranoia der Bevölkerung", die sich auf den Leser übertrage, so dass dieser den Figuren im Roman zunehmend mit Misstrauen begegne.

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