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Die Rückkehr der Religion stellt auch für das Staats- und Verfassungsrecht eine Herausforderung dar. Zwar scheinen die Strukturen des modernen, freiheitlichen Verfassungsstaates mit umfassender Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bürger einserseits, religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates andererseits fest gefügt. Doch erhebt sich die Frage, ob in das vermeintlich vollständig säkularisierte politische Gemeinwesen sakrale Elemente konstitutiv eingelassen sind oder ihm sonst begrifflich, institutionell oder funktionell innewohnen. Die Frage ist im Ergebnis eindeutig zu…mehr

Produktbeschreibung
Die Rückkehr der Religion stellt auch für das Staats- und Verfassungsrecht eine Herausforderung dar. Zwar scheinen die Strukturen des modernen, freiheitlichen Verfassungsstaates mit umfassender Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bürger einserseits, religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates andererseits fest gefügt. Doch erhebt sich die Frage, ob in das vermeintlich vollständig säkularisierte politische Gemeinwesen sakrale Elemente konstitutiv eingelassen sind oder ihm sonst begrifflich, institutionell oder funktionell innewohnen. Die Frage ist im Ergebnis eindeutig zu verneinen. Der freiheitliche Verfassungsstaat kann und muss auch die Wiederkehr des Religiösen säkular verwalten. Die Trennung von Politik und Religion ist und bleibt die Basis der Freiheitlichkeit des politischen Gemeinwesens.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als Auseinandersetzung mit Carl Schmitt und Hans Joas verdeutlicht dieser Vortragstext des Staatsrechtslehrers Horst Dreier dem Rezensenten Maximilian Steinbeis, dass im Versammlungsrecht, in der Pressefreiheit oder im Wahlrecht mitnichten Heiliges steckt. Maßgeblich für die Überzeugungskraft des Textes scheint Steinbeis der aufklärerisch kühle Juristenblick des Autors zu sein, der es laut Rezensent auch verhindert, dass das Kind gleich mit dem Bade ausgeschüttet, Religion aus dem hier gewährten Blick auf Gesellschaft verbannt wird. Wenn der Autor Genese und Geltung unterscheidet und also die Herkunft strafrechtlicher Konzepte dem Christentum nicht streitig macht, sieht sich der Rezensent überzeugt von Dreiers Versuch, das Verhältnis von Säkularität und Sakralität im Verfassungsstaat zu klären.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2013

Die letzte Instanz sind wir selbst
Diesseitiges Menschenwerk: Horst Dreier erklärt, warum der Verfassungsstaat keine sakrale Aura braucht

Der moderne Verfassungsstaat kann gar nichts anderes sein als säkular. Seine Autorität bezieht er nicht von oben, nicht Glaubenswahrheiten oder der offenbarte Wille Gottes ermächtigen ihn zur Herrschaft über das Volk, sondern das Volk selbst. Was wir glauben, zu wem wir beten, was wir für heilig halten - all das lässt der Verfassungsstaat unsere Privatangelegenheit sein. Er bleibt neutral, auf Distanz und unbeteiligt, hält sich raus. Er ist ganz und gar von dieser Welt. Seine Diesseitigkeit ist für ihn buchstäblich konstitutiv.

Und doch - so leicht lässt sich das Heilige offenbar nicht abstreifen. Michael Stolleis hat in seiner Geschichte des offentlichen Rechts jüngst die zeitdiagnostische Beobachtung gemacht, dass als Ausdruck einer gesellschaftlichen Sinnkrise, in der die Menschen vermehrt nach "Heilswegen" suchen, in den letzten Jahren auch in der Staatsrechtswissenschaft "Strömungen" sichtbar werden, die den Staat und sein Verhältnis zum Bürger in ein sakrales Licht zu tauchen suchen. Kommt da etwas zurück, was wir überwunden glaubten? Müssen wir uns Sorgen machen um unseren säkularen Verfassungsstaat?

Einer, der sich in der Tat Sorgen macht, ist der Würzburger Staatsrechtslehrer Horst Dreier, bekannt als Herausgeber eines wichtigen Grundgesetzkommentars und Beinahe-Verfassungsgerichtspräsident. Im Sommer hat Dreier dazu vor dem Gesprächskreis "Grundlagen des öffentlichen Rechts" der Staatsrechtslehrervereinigung einen Vortrag dazu gehalten, der jetzt als Buch erschienen ist. "Steckt im vermeintlich säkularen, modernen Staat vielleicht unweigerlich und unausweichlich ein religiöser Kern, eine sakrale Substanz?", lautet die Kernfrage. Dreiers Antwort: Nein, das tut sie dezidiert nicht.

Natürlich weiß auch Dreier, wie viel Kirche im Staat steckt, wenn man ihn historisch betrachtet. Hierarchische Verwaltung und Beamtentum wurden von der mittelalterlichen Papstkirche erfunden, ebenso die Macht, hoheitlich Recht zu setzen und durch Beschluss zu verändern. Die römische Amtskirche war vielleicht der erste "Staat" überhaupt. Aber was folgt daraus für unseren Staat und unsere Verfassung heute? Wie etwas entstanden ist, so Dreier, sagt nichts darüber aus, ob und auf welche Weise es heute für uns Verbindlichkeit entfaltet. Das strafrechtliche Konzept der Schuld verdanke seine Entstehung sicherlich dem christlichen Konzept der Sünde. Aber trotzdem gehe es bei der Schuldfrage heute allein um das Verhältnis zur Gesellschaft, nicht zu Gott. Genese ist das eine. Geltung das andere.

Keiner hat das intellektuelle Abenteuer, dem säkularen Verfassungsstaat mit sakral aufgeladenen Begrifflichkeiten zu Leibe zu rücken, raffinierter und wirkmächtiger betrieben als Carl Schmitt. Dessen "Politische Theologie" von 1922 mit ihrer zum Gemeinplatz gewordenen Behauptung, alle prägnanten Begriffe der Staatslehre seien in Wahrheit nichts anderes als säkularisierte theologische Begriffe, ist Referenzpunkt allen Bemühens, das Verhältnis von Säkularität und Sakralität im Verfassungsstaat zu klären.

Dass Begriffe wie Souveränität und Ausnahmezustand in der Theologie wurzeln, hält Dreier schon als Herkunftsbehauptung für fragwürdig - aber selbst wenn: Hilft uns das, ihren Gehalt besser zu verstehen? Im Gegenteil, sagt Dreier: Säkularisierung heiße nicht, dass diese Begriffe abgeleitet und geprägt von theologischen Urbildern seien, sondern dass sie diesen gegenüber "ihre eigene, selbsttragende Legitimität" behaupteten. Genau dies sähe Carl Schmitt gern rückgängig gemacht. Hinter seinem als Begriffssoziologie getarnten Argument verstecke sich der Appell, Herrschaft wieder auf Transzendenz zu gründen, diametral entgegengesetzt zu allem, was den freiheitlichen Verfassungsstaat kennzeichnet.

Den jüngsten Versuch, das Heilige im Verfassungsstaat zu suchen, hat Hans Joas in seinem 2011 erschienenen Buch "Die Sakralität der Person" unternommen. Die Menschenwürde, so seine These, sei unantastbar im religionskultischen Sinne, wie ein Altar oder ein heiliger Bezirk, dem man nicht zu nahe kommen dürfe. Mag sein, so Dreier, aber was hat das mit unserer Grundrechtsordnung zu tun? Kennzeichnend für Menschenrechte ist, dass sie miteinander kollidieren. Sie zirkeln keine Sakralbereiche wechselseitiger Unantastbarkeit ab, sondern sichern und kalibrieren im Gegenteil die Freiheit, einander permanent in die Quere zu kommen. Was ist sakral daran, wenn die Meinungsfreiheit mir erlaubt, meine Mitmenschen aufs schärfste zu kritisieren? Wo steckt das Heilige im Versammlungsrecht, in der Pressefreiheit, im Wahlrecht? Vom mythischen Zauber, den Joas' Versuch einer "Genealogie der Menschenrechte" entfaltet, bleibt unter Dreiers kühlem Juristenblick nicht viel übrig.

Die große Stärke seines Buches ist die aufklärerische Kühle, die es auch davor bewahrt, ins andere Extrem zu verfallen und die Religion mit laizistischem Furor aus dem forum publicum verbannen zu wollen. Dreier geht es um den freiheitlichen Verfassungsstaat, die freie Religionsausübung dabei ausdrücklich eingeschlossen, der "keiner sakralen Aura und keines Mythos" bedarf. "Beides schadet eher, weil es den Blick darauf verstellt, dass es sich bei dieser fragilen Gestalt um Menschenwerk handelt. ... Darin liegt die ganz eigene und besondere Dignität säkularer Ordnung. Die letzte Instanz: das sind in weltlichen Dingen, wie es der moderne Staat nun einmal ist, wir selbst."

MAXIMILIAN STEINBEIS

Horst Dreier: "Säkularisierung und Sakralität". Zum Selbstverständnis des modernen Verfassungsstaates.

Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2013. 151 S., br., 14,- [Euro].

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