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Das wahre Gesicht des deutschen Kolonialismus: Im neuen Buch 'Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialisierung' der renommierten Historikerin Rebekka Habermas geht es um koloniale Sehnsüchte, fragile Macht und Gewalt. Im Mittelpunkt steht ein Skandal, der sogar den Reichstag im fernen Berlin auf den Plan rief: 1900 soll der Kolonialbeamte Geo Schmidt eine junge Afrikanerin vergewaltigt haben. Doch solche Übergriffe waren in den Kolonien nahezu alltäglich, warum also die Aufregung? Hier erfahren wir, worum es wirklich ging: Der Kolonialbeamte, eigentlich der mächtigste Mann vor Ort, rang…mehr

Produktbeschreibung
Das wahre Gesicht des deutschen Kolonialismus: Im neuen Buch 'Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialisierung' der renommierten Historikerin Rebekka Habermas geht es um koloniale Sehnsüchte, fragile Macht und Gewalt. Im Mittelpunkt steht ein Skandal, der sogar den Reichstag im fernen Berlin auf den Plan rief: 1900 soll der Kolonialbeamte Geo Schmidt eine junge Afrikanerin vergewaltigt haben. Doch solche Übergriffe waren in den Kolonien nahezu alltäglich, warum also die Aufregung? Hier erfahren wir, worum es wirklich ging: Der Kolonialbeamte, eigentlich der mächtigste Mann vor Ort, rang nicht nur mit der afrikanischen Bevölkerung. In Togo waren auch christliche Missionare tätig, die vor allem Gottes Wort verbreiten wollten und ihre Bemühungen durch Geo Schmidt gefährdet sahen. Ihre unzähligen Briefe nach Berlin, in denen sie Schmidts Treiben schildern, sind beredte Zeugnisse eines grundlegenden Konflikts im kolonialen Raum. Und sie führten dazu, dass im Berliner Reichstag Abgeordnete wetterten, die Mission der Zivilisierung in Afrika werde durch brutale Kolonialbeamte gefährdet. Lebendig schildert Rebekka Habermas die Beziehungen, Interessen und Motive der Beteiligten, den Rassismus und Alltag vor Ort und die kolonialen Echos, die der Skandal in der Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs hervorrief. Damit bietet sie neue, erstaunliche Einblicke - eine glänzend erzählte Mikrogeschichte des Kolonialismus und ein wichtiger Beitrag zur Kolonialgeschichte.
Autorenporträt
Rebekka Habermas, geboren 1959, lehrte von 2000 bis 2023 Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität in Göttingen. Sie war unter anderem Gastprofessorin an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris und Fellow am St Antony's College in Oxford. 2015 wurde ihr Artikel 'Lost in Translation: Transfer and Non-Transfer in the Atakpame Colonial Scandal' durch das Higby Prize Committee ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihr die Bücher 'Diebe vor Gericht. Die Entstehung der modernen Rechtsordnung im 19. Jahrhundert' (2008), 'Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne' (hg. mit Alexandra Przyrembel, 2013) und 'Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert' (hg. mit Richard Hölzl, 2014). Rebekka Habermas verstarb 2023 nach schwerer Krankheit.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Mit der Studie "Skandal in Togo" hat Rebekka Habermas einen wichtigen, geradezu "bahnbrechenden" Beitrag zur deutschen Kolonialismusgeschichte vorgelegt, verkündet Micha Brumlik. Dass die Historikerin ihre präzise und klare Fallstudie als "Microstoria" anordnet, findet der Kritiker klug: Mehr noch als eine großangelegte Gesamtdarstellung vermittelt ihm Habermas die tatsächlichen, ambivalenten Züge des Herrschaftsmodells. Und so erfährt der Rezensent hier nicht nur, wie wenige weiße deutsche Männer, die ihr rassistisches Sexualregime über schwarze Frauen ausübten, mit gebildeten und humanitär gesinnten Missionaren konkurrierten, sondern auch, dass die von den Missionaren verteufelte Polygamie den Frauen stabile Lebensverhältnisse garantierte. Darüber hinaus liest der Kritiker bei Habermas nach, dass Entkolonialisierung und Kolonialismuskritik bereits während der deutsch-britischen Konkurrenz zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2016

Unterschiedlich abgestufte Rassen
Deutsche Kolonialherrschaft in Afrika am Beispiel des Togo-Skandals

Eine scheinbare Provinzposse in Togo ist Ausgangspunkt der Untersuchung. Der ledige Vorsteher der kleinen Verwaltungsstation Atakpame, Georg Schmidt, nimmt im Herbst 1901 die etwa zwölf- bis vierzehnjährige Adjaro Nyakuda in seinen Haushalt auf. Die enge Gemeinschaft der beiden erzürnt den Leiter der Steyler Mission, Franz Müller. Wechselseitige Vorwürfe zwischen Müller und Schmidt erfassen immer neue Bereiche und steigern sich zu Klagen und einem Gerichtsverfahren, in dessen Verlauf die Steyler Missionare sechs Wochen festgesetzt und erst nach Intervention des Gouverneurs freigelassen werden.

Anstoß nehmen die Missionare auch an der strengen Verwaltungspraxis des Kolonialbeamten, der zur Durchsetzung der ihm gesteckten Ziele, Straßen- und Eisenbahnbau, Anlage einer großen Baumwollplantage, energisch Prügelstrafen und Zwangsarbeit einsetzt. Schmidt seinerseits vermutet die Missionare als treibende Kraft hinter dem Widerstand und den Forderungen der Eingeborenen, die ihre Beschwerden und Forderungen an den Gouverneur und den Reichstag senden. Diesen Mikrokosmos in Atakpame analysiert Rebecca Habermas gründlich und engagiert in seinen gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen, sozialen und historischen Verästelungen vor Ort und in seiner medialen Behandlung, einerseits im "Gold Coast Leader", der Zeitung der indigenen Oberschicht in Lome und der benachbarten britischen Goldküste, andererseits in deutschen Zeitungen und Zeitschriften und im Berliner Reichstag.

Ihre Darstellung leitet aus der Lage in Atakpame Erkenntnisse ab, die generell für die Verwaltung der Kolonien, auch anderer Staaten, gelten. Die Zielvorgaben für Kolonialbeamte und Missionare sind häufig unrealistisch. Die Einführung europäischer Normen, ebenso die Auflösung der Polygamie und der gewachsenen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen führen oft zu passivem Widerstand oder Wegzug. Die Belastungen der Kolonialbeamten, meist in einer Person für Verwaltung, Rechtsprechung und Normsetzung zuständig, ergeben sich allein schon aus der knappen Personalausstattung. Hinzu kommen sprachliche Hürden. Während die Missionare zur Erfüllung ihres Sendungsauftrags sich durchweg bemühen, schnell die indigenen Sprachen zu erlernen, sind Kolonialbeamte eher abhängig von der sprachlichen Vermittlung einheimischer Hilfskräfte.

Unterschwellig sind Konflikte zwischen Kolonialbeamten und Missionaren auch vorgegeben durch unterschiedliche Herkunft und Ausbildung, Beamte sind zumeist wissenschaftlich ausgebildet, Missionare eher den Handwerkern zugehörig. Auch der Kulturkampf wirkt zwischen protestantischen Reichsbeamten und katholischen Missionaren mitunter noch nach. Einen besonderen Schwerpunkt setzt Habermas in die mediale Behandlung und Wirkung der Konflikte in Lome und in Deutschland. An der britischen Goldküste und in Lome verfolgte eine schmale Schicht indigener gebildeter Kaufleute, oft Afrobrasilianer mit direkten Beziehungen zu London und dem amerikanischen Kontinent, die Missstände der Kolonialverwaltung aufmerksam und rügte sie in der Zeitung vor Ort und in Petitionen an den Gouverneur und an den Reichstag.

Die mediale Behandlung in Deutschland fasst Habermas in dem Begriff des "beredten Schweigens" zusammen. Er meint die mediale Vereinfachung vielschichtiger komplexer Abläufe und Beziehungen, die zu griffigen Schlagworten verkürzt und so stark vereinfacht werden, dass eine objektive Bewertung kaum noch möglich ist. Die Zentrumsfraktion im Reichstag war aufgrund vielfältiger persönlicher Kontakte mit der Steyler Mission bestens über die Vorkommnisse in Atakpame unterrichtet. Der titelgebende "Skandal in Togo" wurde von der Steyler Mission und dem Zentrum seit Sommer 1906 sorgsam inszeniert. Er gipfelte am 3. Dezember 1906 in der Reichstagsrede des Zentrumsabgeordneten Hermann Roeren, der schwerste Vorwürfe gegen den Stationsvorsteher Georg Schmidt erhob und seine Abberufung verlangte. Doch Schmidt war zu diesem Zeitpunkt bereits als Bezirksamtmann in Kamerun eingesetzt.

In der medialen Verkürzung der Sachverhalte sieht Habermas "ein kulturelles Leugnen, eine ungeschriebene Übereinkunft darüber, was öffentlich erinnert und wahrgenommen werden kann und was nicht". Es müsse "von einem mehr oder minder von allen im Kaiserreich geteilten kolonialen common sense ausgegangen werden". Dieser wirke "wie ein Filter, der nur die Deutungen durchließ, die innerhalb des Sag- und damit auch Denkbaren lagen". Im kaiserlichen Deutschland sei das Bild unterschiedlich abgestufter Rassen verfestigt gewesen. Eine indigene Oberschicht in Togo, wie die afrobrasilianischen Kaufleute, die ihre Kinder zur Schulausbildung nach England schicken und englische Rechtsanwälte mit der Durchsetzung ihrer Forderungen beauftragen, übersteige den deutschen Vorstellungshorizont ebenso wie die "Ohnmachts- und Angstgefühle der Kolonialbeamten" und deren "nicht nur sexuelle, sondern auch emotionale Nähe zu manchen Afrikanerinnen". Diese Überhöhung bereits bekannter Einsichten lässt den Rezensenten ratlos zurück.

HANS JOCHEN PRETSCH

Rebekka Habermas: Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 391 S., 25,- [Euro].

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Habermas' Analyse liefert erhellende Erkenntnisse über die Strukturen kolonialer Herrschaft zu Zeiten des Kaiserreichs. Otto Langels Deutschlandfunk 20170123