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Die Autorin zeichnet die Wohlfahrtsentwicklung der breiten Bevölkerung in Deutschland in der Zwischenkriegszeit im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger Jahren nach. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt: Wie veränderte sich die Wohlfahrt im Gesamtzeitraum sowie in den einzelnen Teilperioden? Welche Rolle spielten dabei Veränderungen der verschiedenen Komponenten des Lebensstandards? Wie lässt sich die deutsche Entwicklung während dieses Zeitraumes im internationalen Vergleich verorten? Welche regionalen Disparitäten traten in der Entwicklung des Lebensstandards auf und wie…mehr

Produktbeschreibung
Die Autorin zeichnet die Wohlfahrtsentwicklung der breiten Bevölkerung in Deutschland in der Zwischenkriegszeit im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger Jahren nach. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt: Wie veränderte sich die Wohlfahrt im Gesamtzeitraum sowie in den einzelnen Teilperioden? Welche Rolle spielten dabei Veränderungen der verschiedenen Komponenten des Lebensstandards? Wie lässt sich die deutsche Entwicklung während dieses Zeitraumes im internationalen Vergleich verorten? Welche regionalen Disparitäten traten in der Entwicklung des Lebensstandards auf und wie veränderte er sich, wenn die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern berücksichtigt wird? Dazu wird ein in der historischen Lebensstandard-Forschung bisher nicht benutztes Instrumentarium innovativ eingesetzt, das einen konsistenten Vergleich über die lange Periode hinweg ermöglicht. Als Referenzmaß wird der Human Development Index (HDI) verwendet, der sich aus den drei Wohlfahrtskomponenten Gesundheit/Lebensdauer, Bildung und Zugang zu Ressourcen zusammensetzt. Zur angemessenen Erfassung der historischen und deutschlandsspezifischen Aspekte wurde das Messinstrument HDI angepasst und weiterentwickelt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2009

Wohlfahrt und Seeluft
Der Lebensstandard in Deutschland zwischen 1920 und 1960

"Wohlstand für alle" strebte Ludwig Erhard an - und wie enttäuscht war er, als der gestiegene Lebensstandard nicht dazu führte, dass die Menschen zufriedener wurden. Was überhaupt bestimmt "Wohlstand", und wie ist seine Entwicklung zu messen? 1990 haben die Vereinten Nationen den jährlich erhobenen "Human Development Index" (HDI) als internationales Wohlfahrtsmaß eingeführt. Statt nur nach Bruttosozialprodukt beziehungsweise Pro-Kopf-Einkommen bemisst er sich nach einer Kombination aus Bildung (Alphabetisierungs- und Schulbesuchsraten), Gesundheit (Sterblichkeit bzw. Lebenserwartung bei Geburt) und Einkommen (Bruttosozialprodukt pro Kopf). Dies sind ebenso begrenzte wie standardisierte Indikatoren für Wohlfahrt. Und doch sind sie so aussagekräftig, wie Statistiken und Messzahlen sind: nicht als umfassende qualifizierende Aussagen auf die Stelle hinter dem Komma, wohl aber als Größenordnungen, Vergleichsgrößen und als Indikatoren für Entwicklungsrichtungen.

Dies in historischer Perspektive zu tun, hat sich Andrea Wagner vorgenommen. Während für die fünfziger Jahre eine "Wohlstandsexplosion" in Deutschland unstrittig ist, gehen die Meinungen über die Zwischenkriegszeit auseinander. Die Studie vergleicht beide Zeitabschnitte in drei Perspektiven: einer nationalen im internationalen Vergleich, einer regionalen und einer geschlechterspezifischen. Dabei modifiziert sie die Indikatoren des HDI für deutsche Verhältnisse, indem beispielsweise nicht die wenig aussagekräftigen Alphabetisierungs- und Schulbesuchsraten an sich zugrunde gelegt werden, sondern die tertiäre Bildung.

Dieser breiter als nur materiell-ökonomisch verstandene Wohlstand nahm in den fünfziger Jahren deutlich stärker zu als in der Zwischenkriegszeit, für die aber ebenfalls unter dem Strich eine Steigerung konstatiert wird, freilich mit charakteristischen Unterschieden: In der zweiten Hälfte der Weimarer Republik waren es insbesondere der Faktor Gesundheit, aber auch Bildung, die einen Wohlstandszuwachs trugen. Er fällt umso stabiler aus, je mehr konjunkturell bedingte Indikatoren herausgerechnet werden - was die Wohlstandsindexierung freilich an die Schwelle zum Elfenbeinturm führt, weil der konjunkturelle Faktor "Weltwirtschaftskrise" mit ihren materiellen Folgen von Massenarbeitslosigkeit und -verelendung natürlich elementarer auf einen wie breit auch immer definierten Lebensstandard durchschlug als alles andere.

Dennoch ist der Hinweis auf die konjunkturellen Bedingungen von Belang, war doch die Wohlstandsentwicklung während des "Dritten Reiches" vorrangig vom Einkommenswachstum im Gefolge der rückläufigen Arbeitslosigkeit nach der Weltwirtschaftskrise getragen. Demgegenüber bewirkte die nationalsozialistische Herrschaft eine "Unterbrechung der Bildungsexpansion", wie sie in der Weimarer Republik eingesetzt hatte. Die Ausweitung tertiärer Bildung prägte wiederum in hohem Maße den Wohlstandszuwachs der fünfziger Jahre, schon vor den Bildungsreformen der sechziger und siebziger Jahre, wenn auch in geringerem Maße als in anderen westeuropäischen Ländern. Die Studie bestätigt mithin das Bild der fünfziger Jahre als einer keineswegs nur muffigen Vormoderne, und sie belegt zugleich die deutsche Verspätung beim Übergang zur industriellen Dienstleistungswirtschaft.

Dass die Messungen nach dem Muster des Human Development Index andere Akzente hervorbringen als die reine Einkommensorientierung, erweist sich in regionaler Perspektive am Beispiel Schleswig-Holsteins. Das Land galt zwar ökonomisch als Armenhaus, stand aber insbesondere durch den Faktor Gesundheit - wegen der guten Seeluft? - an der Spitze der Wohlstandsentwicklung in den fünfziger Jahren, während sowohl das ebenso ländliche Bayern als auch Nordrhein-Westfalen - trotz seines hohen BSP - demgegenüber abfielen. Dass freilich, während sich regionale Disparitäten in der Bundesrepublik verringerten, die Städte zugleich allenthalben konstant besser abschnitten als das Land, passt mit diesen Befunden nicht erkennbar zusammen - und eröffnet wohl auch den Blick auf die Grenzen der ökonometrischen Analyse.

Im Hinblick auf die geschlechterspezifische Dimension erhebt Frau Wagner - nicht wirklich überraschend - Unterschiede vor allem im Hinblick auf die tertiäre Bildung, die sich in den fünfziger Jahren leicht verringerten. Insgesamt aber war, so ein Befund, der manchem Mainstream zuwiderläuft, die allgemeine Wohlfahrtsentwicklung für beide Geschlechter wichtiger als die geschlechterspezifischen Unterschiede. Nach sozialen Schichten differenziert die Studie nicht, so dass schichtenspezifische Entwicklungen und ihre Unterschiede nicht erfasst werden. Auch vor diesem Hintergrund geben die abstrakten, hoch aggregierten Daten langfristige Entwicklungstrends wieder, die für die Zeitgenossen so aber kaum spürbar waren. Mithin schlug sich die in dieser Studie sorgfältig und reflektiert erhobene Steigerung des Lebensstandards auch nicht unmittelbar in subjektiver Lebenszufriedenheit nieder - und erklärt einen Teil von Ludwig Erhards Enttäuschung.

ANDREAS RÖDDER

Andrea Wagner: Die Entwicklung des Lebensstandards in Deutschland zwischen 1920 und 1960. Akademie Verlag, Berlin 2008. 405 S., 79,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Rödder lässt sich den "Human Development Index" von der Autorin aus historischer Perspektive erläutern. Rödder folgt der Studie in ihrem Blick auf Zwischen- und Nachkriegszeit in drei Perspektiven: einer nationalen im internationalen Vergleich, einer regionalen und einer genderspezifischen. Er erkennt, dass Andrea Wagner dabei sowohl die Erkenntnisse zu den deutschen Verhältnissen beim Übergang zur industriellen Dienstleistungsgesellschaft belegen, als auch manchen herkömmlichen Befund widerlegen kann (wie bezüglich vermeintlich geschlechterspezifischer Unterschiede). Werden dem Rezensenten auch die Grenzen der ökonomischen Analyse hier durchaus bewusst, für Rödder bezeugt der Band auf sorgfältige Weise eine Steigerung des Lebensstandards.

© Perlentaucher Medien GmbH
"[E]ine informative Arbeit [...], angereichert durch eine Fülle statistischen Materials [...]. Konrad Fuchs in: Viertelsjahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 95 (2008) 4 "Wagner argumentiert ausgewogen, methodenkritisch, transparent und nachvollziehbar. Sie bestätigt Bekanntes aus einer anderen Perspektive und kommt zu wichtigen neuen Ergebnissen." Mark Spoerer in: H-Soz-u-Kult, 24.04.2009 "Die Autorin hat [...] mit der vorliegenden Monografie eindrucksvoll gezeigt, dass sich adaptierte moderne Wohlstandsmaße sehr wohl auch für wirtschaftshistorische Untersuchungen eignen und gerade das widersprüchliche wirtschaftsgeschichtliche Bild des ersten Teils des 'kurzen 20. Jahrhunderts' [...] erhellen können." Andreas Weigl in: Wirtschaft und Gesellschaft, 35 (2009) 2 "[G]ut recherchiert [...], eine lesenswerte Studie, der weite Verbreitung zu wünschen ist." Manuel Schramm in: Deutschland Archiv, 4 (2009)