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Die aberwitzige Reisebeschreibung einer feuchtfröhlichen Zugfahrt gehört schon heute zu den modernen Klassikern der russischen Literatur und ist seit Jahrzehnten ein Dauerseller, höchste Zeit also, dieses Poem mit all seinen Untiefen und Höhenflügen von Peter Urban neu übertragen zu lassen. Sein Köfferchen voller Schnaps fest ans Herz gedrückt, besteigt der Moskauer Venedikt Venicka, der den Kreml noch nie gesehen hat, weil er im Suff immer wieder daran vorbeigefahren ist, am Kursker Bahnhof den Vorortzug nach Petuski. In Petuski, wo die Vögel nicht aufhören zu singen, wo sommers wie winters…mehr

Produktbeschreibung
Die aberwitzige Reisebeschreibung einer feuchtfröhlichen Zugfahrt gehört schon heute zu den modernen Klassikern der russischen Literatur und ist seit Jahrzehnten ein Dauerseller, höchste Zeit also, dieses Poem mit all seinen Untiefen und Höhenflügen von Peter Urban neu übertragen zu lassen. Sein Köfferchen voller Schnaps fest ans Herz gedrückt, besteigt der Moskauer Venedikt Venicka, der den Kreml noch nie gesehen hat, weil er im Suff immer wieder daran vorbeigefahren ist, am Kursker Bahnhof den Vorortzug nach Petuski. In Petuski, wo die Vögel nicht aufhören zu singen, wo sommers wie winters der Jasmin nicht verblüht, will er seine rothaarige Geliebte und den gemeinsamen Sohn besuchen. Die Reise gerät allerdings aus der Bahn und wird zu einer einzigen Sauftour: Venicka trinkt, die Mitreisenden trinken, und sogar der Oberschaffner trinkt mit. Von Station zu Station und von Flasche zu Flasche werden Venickas Monologe und sein Gedankenaustausch mit den Reisegefährten absurder. Venickas Schicksal aber ist schon längst besiegelt: "Nach Petuski", meint die Sphinx mit blutsaugerischem Lachen, "kommt überhaupt keiner..." Peter Urban, der sich u.a. als Übersetzer der Werke von Puskin, Turgenev und Cechov einen großen Namen gemacht hat, hat dieses "Poem für Eingeweihte" aus dem Russischen neu übersetzt und mit einem ausführlichen Anmerkungsapparat versehen.
Autorenporträt
Peter Urban, geboren 1941 in Berlin, studierte Slavistik, Germanistik und Geschichte in Würzburg und Belgrad, war Verlagslektor bei Suhrkamp, Hörspieldramaturg beim WDR und ist Lektor im Verlag der Autoren in Frankfurt; er übersetzte u.a. Werke von Gorkij, Ostrovskij, Daniil Charms, Kazakov, Chlebnikov und das gesamte dramatische Werk von Anton Cechov. Für seine Neuedition und -übersetzung der Cechov-Briefe wurde ihm der Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis zuerkannt. Peter Urban verstarb 2013.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2005

Moskau - Paris - Petuschki
Zwei Übersetzungen, ein Streit: Wie der Westen Wenedikt Jerofejews Werk zu Tode liebt
Das berühmteste Cocktail-Rezept der russischen Literatur geht so:
Schiguli-Bier 100 g;
Shampoo „Sadko, reicher Gast” 30 g; Antischuppenmittel 70 g;
Bremsflüssigkeit 30 g;
Leim 50 g;
Insektenvernichtungsmittel 20 g.
In seinem Buch „Moskau - Petuschki”nannte der russische Dichter Wenedikt Jerofejew den Mörder-Drink auf Russisch „sutschij potroch”, was in den derzeit kursierenden deutschen Versionen als „Schweinegekröse” oder als „Hundekaldaune” oder ganz anders übersetzt wird, und diese Begriffsmixtur ist nur eine Zutat des Gesamtproblems. Denn Jerofejew - Trinker, Philosoph und stiller Querulant -, der in der Sowjetunion nicht gedruckt, aber heimlich verehrt wurde, Jerofejew wird gerade zu Tode geliebt - im Westen. Der Schweizer Verlag Kein & Aber legt in diesen Tagen eine Neuübersetzung von „Moskau - Petuschki” vor (Venedikt Erofeev: Moskau-Petuski, Kein & Aber, Zürich 2005, 269 S., 18,90 Euro) eine zweite im Schweizer Ammann-Verlag ist fertig. Und die konkurrierenden Neuerscheinungen haben eine andere, ältere Geschichte zutage gefördert, einen literarischen Krimi, der nicht ungewöhnlich ist für den Umgang mit einem Dissidenten-Dichter, aber unschön genug, um ihn aufzuschreiben.
Russlands bleierne Zeit, Anfang der Siebziger. Jerofejew vollendet „Moskau - Petuschki”, ein Roadmovie im Vorortzug, eine bacchantische Sinnsuche, komisch, vulgär, tieftraurig. „Nachrichten aus einer bedrängten Seele”, nennt der Verleger Egon Ammann das Buch, „unendlich reich an Anspielungen und Weisheit: ein Maggi-Würfel”, so der Kein & Aber-Verleger Peter Haag. „Moskau - Petuschki” hatte in der Sowjetunion keine Chance. Für diese Fälle aber gab es den Samisdat, und so wurde das Buch abgeschrieben und wieder abgeschrieben, fotografiert, nach Israel geschmuggelt und dort in der Zeitschrift Ami veröffentlicht. Es war eine Pionierarbeit, aber voller Fehler - und in diesem Zustand gelangte sie nach Paris, wo sie der Verlag Albin Michel 1975 veröffentlichte: Jerofejew war im Westen angekommen.
Die erste offizielle russische Ausgabe überlebte Jerofejew um ein Jahr. 1990 starb er mittellos, da verkauften die Franzosen die Rechte längst in alle Welt. Der Piper-Verlag brachte das Buch 1976 als „Die Reise nach Petuschki” heraus. Nur: Mit welchem Recht tat Albin Michel das? Und was hatte Jerofejew davon?
Moskau, im Norden, Plattenbauten wie ein riesiges Dominospiel. Hier wohnt die Schwiegertochter des Dichters, Galina Jerofejewa. Hier hat sie Bücher, Platten und Tagebücher aufbewahrt - und Petuschki-Ausgaben aus Japan oder Lettland, gedruckt mit Lizenzen von Albin Michel. Auf zweifelhafter Grundlage, sagt sie. Der französische Verlag habe keinen rechtmäßigen Vertrag, eine Freundin Jerofejews, die in seinem Namen 1977 einen Vertrag mit Albin Michel unterzeichnet habe, nie eine Vollmacht besessen. Geld sei aus Paris kaum gekommen, Abrechnungen auch nicht: „Sie haben uns nicht mal die Bücher geschickt.” Nun klagt Jerofejewa, die in Deutschland von der Agentin Galina Dursthoff vertreten wird, in Paris auf die Herausgabe der Weltrechte.
Die Rechtekette wankt
Die Lage ist kompliziert, die Fragen an Albin Michel passen kaum auf ein zweiseitiges Fax. Nach einer Woche kommt die Antwort. Es sind fünf Sätze: „Wir haben einen rechtmäßigen Vertrag abgeschlossen. Dieser Vertrag ist noch gültig. Wir haben einen Brief Jerofejews, in dem er Albin Michel für die französische Ausgabe dankt und seine Zufriedenheit ausdrückt. Wir haben alle Abrechnungen und das entsprechende Geld an den Autor, seine Erben oder deren Vertreter geschickt ohne Beschwerden von deren Seite bis heute. Wir sind erstaunt über diese späten und ungerechtfertigten Ansprüche.”
Nun gibt es Briefe, in denen sich Jerofejew über die Stummelversion beklagt. Und als der italienische Verlag Feltrinelli 1998 nach der vom Autor korrigierten Version fragte, schrieb Albin Michel: „Für Sie ist es das Beste, die originale, vom Autor selbst autorisierte Version zu veröffentlichen.” Daran aber besitze man nicht die Rechte. Noch aber ist nichts entschieden. Bei Piper will man erst mal das Urteil abwarten: „Die Gerüchte tauchen nicht zum ersten Mal auf”, sagt Verlagsleiter Wolfgang Ferchl: „Wir gehen davon aus, dass die Rechtekette funktioniert.” Dass eine Neuübersetzung dringend nötig war, bestreitet allerdings auch er nicht. Nur: Auf welcher Grundlage? Um Albin Michels fehlerhafte Vorlage aus der Welt zu schaffen, hatten Dursthoff und Jerofejewa die letzte vom Autor korrigierte Version angeboten. Kein & Aber bot, Ammann bot - und bekam den Zuschlag. Dennoch bringt Kein & Aber nun die Neuübersetzung von Peter Urban heraus, mit den Rechten von Piper, eine Ausgabe, so Jerofejewa und Dursthoff, die es nie hätte geben dürfen: Entweder habe Kein & Aber die Fehler der alten Variante übernommen oder das neue Manuskript benutzt, ohne die Rechte zu besitzen: Eine Piratenausgabe.
In der Tat gibt Peter Haag zu, das aktuelle Manuskript benutzt zu haben, doch sei dies nur eine „Korrekturfahne” mit minimalen Ergänzungen gewesen, die ihn gar nicht interessiert habe. In seinen e-mails klingt das anders: „Masslos enttäuscht” sei er über die Absage, schreibt er da. Und ob der Tschechow-Übersetzer Urban die richtige Wahl war, ist ohnehin fraglich. Ja, er lichtet das Dickicht aus Bibel- und Literaturzitaten, er rehabilitiert den Trinker Jerofejew als verzweifelten Humanisten. Aber er macht auch den irrlichternden Argot mit bleischwerem Ton 100 Jahre älter, als er ist.
Egon Ammann, der nun überlegen muss, wann das Publikum wieder für seine Übersetzung von Sergej Gladkich bereit ist, begreift seine Kollegen nicht. Warum habe Albin Michel bis heute keinen Vertrag vorgelegt? Warum wurde kein Konto im Westen für Jerofejew eingerichtet - wie üblich? Und warum habe Haag in dieser ungeklärten Situation nicht getan, was jeder seriöse Verleger tun würde: die Finger davon lassen? „Es gibt nur eine verlegerische Verantwortung - jene dem Autor gegenüber. Dieser Respekt fehlt.” Der Mensch muss sich geben, hat Jerofejew geschrieben, „auch wenn ihn niemand haben will”. Inzwischen liegt das Problem umgekehrt.
SONJA ZEKRI
Ein Trinker, ein Denker, ein stiller Querulant: Der sowjetische Dichter Wenedikt Jerofejew.
Foto: privat
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ulrich Horstmann findet Wenedikt Jerofejews Säufer-Saga richtig gut und vergleicht sie mit einem "Spitzendestillat", das im "obersten Regal" neben Joseph Roths "Legende vom heiligen Trinker" anzusiedeln sei. Wenedikt Jerofejew, ein "Querkopf und Schlitzohr", erzählt darin die Geschichte einer Eisenbahnreise in den Frühling von Petuschki, die sich in eine "Höllenfahrt" verwandelt. Dringend empfiehlt der Kritiker dem Leser, sich diesem "Rausch" hinzugeben; schließlich hat es lange genug gedauert, bis das vom Sowjetregime einst verbotene Buch den Sprung in die Öffentlichkeit geschafft hat. Warum der deutsche Übersetzer das Werk aber nun mit hundert Seiten Erläuterungen versehen hat, kann der Rezensent nicht verstehen. Er findet die "Verakademisierung", den "dozierenden Tritt in die Kniekehlen", der den Leser in eine "Anbetungshaltung" bringen soll, völlig überflüssig und unangebracht. Und gibt dem Leser den Rat, "ohne diese Fahrkarte" in Jerofejews Werk einzusteigen.

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