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In den Jahren 1936/1937 unternahm der dreißigjährige Samuel Beckett eine sechsmonatige "Winterreise" durch Deutschland. Ab dem 11. Dezember verbrachte er fünf Wochen in Berlin. Hier interessierte sich der junge Schriftsteller vor allem für die Kunstmuseen, die er häufig besuchte. Während der Reise führte Beckett Tagebuch. Erika Tophoven, seit langem Übersetzerin der Werke Becketts, erhielt Zugang zu diesen bislang unveröffentlichten Aufzeichnungen. Sie schildert seine Erlebnisse und Eindrücke und zitiert exklusiv auszugsweise aus dem Tagebuch. Es entsteht das einzigartige Bild einer…mehr

Produktbeschreibung
In den Jahren 1936/1937 unternahm der dreißigjährige Samuel Beckett eine sechsmonatige "Winterreise" durch Deutschland. Ab dem 11. Dezember verbrachte er fünf Wochen in Berlin. Hier interessierte sich der junge Schriftsteller vor allem für die Kunstmuseen, die er häufig besuchte. Während der Reise führte Beckett Tagebuch. Erika Tophoven, seit langem Übersetzerin der Werke Becketts, erhielt Zugang zu diesen bislang unveröffentlichten Aufzeichnungen. Sie schildert seine Erlebnisse und Eindrücke und zitiert exklusiv auszugsweise aus dem Tagebuch. Es entsteht das einzigartige Bild einer Kunstreise, die einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts in politisch hoch brisanter Zeit unternahm.

Eine einzigartige Entdeckung: Die Beckett-Übersetzerin Erika Tophoven präsentiert exklusive Tagebuchauszüge, Berlin und seine Kunst gesehen mit den Augen eines großen Schriftstellers. Das eindringliche Bild einer politisch brisanten Zeit, unverzichtbar für alle Beckett- und Berlin-Fans.
Autorenporträt
Erika Tophoven studierte Englisch und Französisch und lebte vierzig Jahre in Paris, wo sie zeitgenössische französische Autoren übersetzte. Als Mutter zweisprachig aufwachsender Kinder sammelte sie englische und französische Kinderreime und -gedichte. Sie lebt seit 2005 in Berlin und ist weiter schriftstellerisch und übersetzend tätig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2006

Deutschland ist grässlich
Erika Tophoven reist mit Samuel Beckett nach Berlin
Wenn man Erika Tophovens Band „Becketts Berlin” zur Hand nimmt, dann ist man froh, bei seiner Reise 1936/37 nicht dabei gewesen zu sein. Er zeigt wenig Lust, Neues auszuprobieren, beschwert sich über das „rotten breakfast”, die staatlich verordneten Eintopf-Sonntage und die Hotels, die alle „dreckige Löcher” seien. Er kann wegen eines Geschwürs am After nicht recht sitzen, ist nicht gerade umgänglich und erschließt sich die Reichshauptstadt in stundenlangen, einsamen Gewaltmärschen durch die klirrende Winterkälte, in denen er pedantisch die Routen aus seinem „Grieben”-Reiseführer Sehenswürdigkeit für Sehenswürdigkeit abwandert. Dazu kommt die prekäre finanzielle Lage - im Tagebuch notiert er: „money knapper and knapper”. An Konversation scheint er nicht übermäßig interessiert zu sein; wohl lernt er recht schnell deutsch, aber schon bald notiert er in sein Tagebuch, das er mit buchhalterischer Pingeligkeit führt: „Wie absurd, in einer anderen Sprache schweigen zu lernen!”
Als Beckett im Dezember 1936 in Berlin ankommt, ist er an einem Tiefpunkt angelangt. Sein Roman „Murphy” hat immer noch keinen Verleger gefunden, und finanziell ist der Dreißigjährige auf seine Familie angewiesen. Auch seine Deutschlandreise ist nur durch die regelmäßigen Überweisungen seiner Mutter möglich, auf die er demütig Monat für Monat wartet. Seine Reise ist auch eine Flucht aus London, wo er nicht so recht wusste, was er mit sich anfangen soll. Vor allem wegen der Malerei war er nach Berlin gekommen, dort aber musste er feststellen, dass das Naziregime viele moderne Bilder in die Archive verbannt hatte:„Die Tour ist ein Misserfolg. Deutschland ist grässlich. Das Geld ist knapp. Ich bin die ganze Zeit müde. Alle modernen Bilder hängen im Keller.” Beinahe allein sitzt er abends im bei Künstlern ehemals so populären „Romanischen Cafe” an der Kaiser-Wilhelm-Kirche. Nur drei Monate nach seiner Abreise wird in München die Ausstellung „Entartete Kunst” eröffnet.
Kurz vor dem Platzen
Es ist ein eigenbrötlerischer, mehr an der Kunst als am Leben interessierter Beckett, der einem aus seinen „German diaries” entgegentritt. Bis jetzt sind diese erst vor drei Jahren gefundenen Tagebücher einer breiteren Öffentlichkeit nicht zugänglich, lediglich der Hamburger Teil fand den Weg in eine limitierte bibliophile Ausgabe. Umso verdienstvoller ist der Versuch, den die Beckett-Kennerin und -übersetzerin Erika Tophoven mit dem nun erschienen, liebevoll gestalteten Band unternimmt, für den sie diese Tagebücher offenbar hatte nutzen können: Unauffällig und zurückhaltend folgt sie dem jungen Beckett auf seinen Wanderungen durch Berlin, ohne je der Versuchung zu erliegen, seine einsamen Wanderungen pathetisch zu verklären oder seine misanthropischen Bemerkungen zu beschönigen.
Möglicherweise liegt gerade darin die Bedeutung der frühen Deutschlandreise: dass Beckett hier den absoluten Tiefpunkt erreichte - und dass er durch seine mit eisernen Disziplin verfassten Tagebucheinträge lernte, diese Erfahrung literarisch fruchtbar zu machen. Der Gegensatz zwischen Becketts Gemütslage und der des Landes, das er bereist, hätte kaum größer sein können - während er sich als junger Mann schon beinahe am Ende seiner schriftstellerischen Ambitionen sieht, begreift sich Deutschland am Anfang einer glorreichen tausendjährigen Geschichte, die es selbst schreiben will. Sie brauchen bald einen Krieg, „sonst platzen sie”, schreibt er hellsichtig in sein Tagebuch.
Ein Buchhalter unterwegs
Bald darauf lernt Beckett jedoch, für die Erfahrung der Vereinsamung und des Mangels, die er in Berlin besonders intensiv erlebt, eine literarische Form zu finden, eine Kunst der Reduktion, eine Sprache des Verstummens. Erika Tophovens Band zeigt, dass Becketts Berlin mehr ist als ein geografischer Ort. Der Ire nimmt Berlin als einen Ort äußerster Spannung wahr, an dem sich hinter patriotischen Phrasen die eisige Erstarrung des künstlerischen Lebens ausbreitet. Und es ist diese Stimmung, die sich fortan immer wieder in seinen Werken findet.
Die sparsame, selektive Auswahl der Tagebucheinträge und die von Tophoven mitgelieferten Hintergrundinformationen verleiten zur Spekulation: Die buchhalterische Kleinlichkeit, mit der Beckett seine ereignislose Tage festhält - hat das nicht etwas von Krapps letztem Tonband? Das Wortemachen, zu dem er sich im Tagebuch zwingt, auch wenn es nichts zu sagen gibt, notfalls das reine Protokoll der Ereignislosigkeit - findet sich das nicht auch in „Glückliche Tage” oder im „Endspiel” wieder? Der eigenartige Schwebezustand, in dem sich Deutschland zwischen Machtergreifung der Nationalsozialisten und Kriegsbeginn wiederfand - fließt er auch in „Warten auf Godot” ein? Solange die Berliner Tagebücher unzugänglich sind, bleiben dies Spekulationen. Die Erfahrung des Nullpunkts, der Erstarrung und Hilflosigkeit aber, die Beckett bereits kurz vor Kriegsbeginn auf seiner Deutschlandreise macht, hat er nach dem Krieg den Deutschen voraus - und ist vielleicht ein Schlüssel dafür, warum er gerade hier so früh so populär werden sollte.
RALF HERTEL
ERIKA TOPHOVEN: Becketts Berlin. Nicolai Verlag, Berlin 2005. 144 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Erst vor drei Jahren wurden die Tagebücher entdeckt, die Samuel Beckett auf seiner Reise nach Berlin in den Jahren 1936 und 1937 verfasst hat. Der Öffentlichkeit zugänglich gemacht sind sie noch nicht, weswegen Rezensent Ralf Hertel diese Auswertung der Beckett-Übersetzerin Erika Tophoven sehr verdienstvoll findet. Allerdings gibt es hier einen recht griesgrämigen Beckett zu erleben. Sein Erfolg als Schriftsteller lässt auf sich warten, er hat kein Geld und findet Deutschland einfach nur "grässlich". Die Eintöpfe schmecken ihm nicht, an Konversation scheint er nicht sonderlich interessiert zu sein ("Wie absurd, in einer anderen Sprache schweigen zu lernen"), und geheuer sind ihm die Leute auch nicht. Sie bräuchten bald einen Krieg, zitiert ihn der Rezensent, "sonst platzen sie". Auch wenn Hertel gar nicht genug herausstreichen kann, wie aufschlussreich Becketts Beschreibung der Vereinsamung und der Erstarrung in Hinsicht auf seine spätere Stücke sind, scheint ihm die "Ereignislosigkeit", die Beckett hier mit "buchhalterischer Kleinlichkeit" protokolliert, ein wenig aufs Gemüt geschlagen zu sein.

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