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Die Geschwindigkeit, mit der Josh, Pitje, Nora und all die anderen durch die Welt stürmen, kann einen schwindlig machen. Ihre Neugier ist ebenso unbezähmbar wie mitreißend. Alle Oberflächen müssen abgetastet, alles muß im Bild festgehalten werden - freilich nicht 1:1 und schon gar nicht akribisch geordnet für die wohligen Erinnerungen der Enkel. Vor allem gilt es, die Geschwindigkeit der Neuronen im eigenen Kopf mit dem ekstatischen JETZT zu synchronisieren. Was fertig aussieht, ist nur Rohmaterial und muß immerzu neu zusammengesetzt und abgemischt werden. Selbstverständlich werden dabei die…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschwindigkeit, mit der Josh, Pitje, Nora und all die anderen durch die Welt stürmen, kann einen schwindlig machen. Ihre Neugier ist ebenso unbezähmbar wie mitreißend. Alle Oberflächen müssen abgetastet, alles muß im Bild festgehalten werden - freilich nicht 1:1 und schon gar nicht akribisch geordnet für die wohligen Erinnerungen der Enkel. Vor allem gilt es, die Geschwindigkeit der Neuronen im eigenen Kopf mit dem ekstatischen JETZT zu synchronisieren. Was fertig aussieht, ist nur Rohmaterial und muß immerzu neu zusammengesetzt und abgemischt werden. Selbstverständlich werden dabei die 10 goldenen Regeln der Lomographie hochgehalten, ebenso aber Super 8-Filme, Digitalkameras und Fotofixautomaten genutzt sowie alte Fotos durchgeblättert - und unweigerlich taucht die Frage auf, wie das unstillbare Nasenbluten zu erklären ist, das seit über drei Generationen die Familie plagt. Überall lauern Geschichten: von Lis und ihren Edelweißpiraten in den dreißiger Jahren, von Burkhard und dessen Freunden in den Sechzigern, und schließlich sogar solche aus der eigenen Vergangenheit zwischen Schallplatten, Filmsequenzen und drei schlagenden Herzen. Jörg Albrecht erzählt sie auf eine Weise, wie wir sie noch nicht vernommen haben.
Autorenporträt
Der AutorJörg Albrecht, geboren 1981 in Bonn, lebt in Dortmund. Studium der Komparatistik, Geschichte, Literatur- und Theaterwissenschaft in Wien und Bochum. Veröffentlichte Prosa in Anthologien und Zeitschriften, schrieb ein Libretto für die Staatsoper Hannover, gewann Preise bei Literaturfestivals, u.a. beim open mike der Literaturwerkstatt Berlin 2005.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2006

Aus Sehnsucht geblutet
Auf der Literatur-Spur: Jörg Albrechts Roman „Drei Herzen”
„Auf der obersten Tonspur: Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein. Auf der obersten Bildspur: Pitjes Gesicht, Joshs Gesicht, mein Gesicht, die ineinander übergehen, digital.” „Digital ist besser” haben Tocotronic Mitte der 90er Jahre ihre erste Platte betitelt und darauf neben vielem anderen beklagt, dass es der heutigen Jugend verwehrt ist, in einer Bewegung aufzugehen. Jörg Albrechts Roman „Drei Herzen” handelt von Jugendbewegungen in ganz verschiedenen Zeiten, von Speichermedien und davon, wie die analoge sich in der digitalen Welt spiegelt. Zumindest aber geht es in „Drei Herzen” darum, wie sich Vergangenes immer wieder vergegenwärtigen ließe.
„Nicht speichern, sondern wiederholen, immer wieder das, was wir drei erinnern, neu aufnehmen und abspielen, damit die Filme nicht schwarz oder bruchstückhaft werden / sich löschen.” Albrecht erzählt anhand von Fotografien, Super-8-Filmen, Tonbandkassetten über drei Generationen hinweg eine Familien- und Jugendgeschichte, die man sich als Leser durch den Wust an „technischen”, „medialen”, „neurologischen Fakten” erst einmal erobern muss. Da ist zunächst die Erzählung von der Großmutter väterlicherseits, die sich während des Dritten Reichs im Umfeld der widerständigen Edelweißpiraten bewegt. Dann der Vater, ein Achtundsechziger, der mit seinen Genossen gegen die verkrusteten Verhältnisse ins Feld zieht. Und schließlich der Ich-Erzähler, ein Mittzwanziger, der meist im Plural sich und seine Freunde Pitje, Josh und Nora zusammendenkt, zwischen den Zeiten hin- und herswitcht, sich als Privat-Mythen-Forscher mit dem sich anhäufenden Material auseinandersetzt, die oberste Tonspur nach versteckten Störgeräuschen, die Fotografien nach Schärfentiefen absucht. „Kodak: Damit Vergangenheit eine Zukunft hat”, zitiert er einmal einen Werbespruch, in dem alles enthalten ist, was diesen Roman im Innern zusammenhält.
Die Familienmitglieder sind verbunden durch die seltsame Angewohnheit, in den unmöglichsten Momenten ausgiebig aus der Nase zu bluten. Freud schrieb einmal über eine Patientin, die unter unerklärlichem Nasenbluten litt, „dass sie aus Sehnsucht geblutet hat”. Eine Sehnsucht scheint auch bei Albrechts Figuren am Werk zu sein: Sie wollen sich ihrer selbst und ihrer Gegenwart vergewissern, und vor allem Foto- und Filmbilder scheinen dabei Quelle des Erinnerungsstroms zu sein. Das alles changiert zwischen Vagheit und Prägnanz. „Drei Herzen” von Jörg Albrecht ist ein Buch tiefen Misstrauens: gegen Sprache, gegen Bilder, gegen Töne. Viel mehr aber, und das macht diesen Debüt-Roman reizvoll, ist es ein Buch gärender Leidenschaft: für Sprache, für Bilder, für Töne.
Vor einigen Jahren hätte man, ein solches Werk in der Hand, von einem Poproman gesprochen. Pop zweiter Ordnung allerdings, Pop in seiner aufgeklärtesten Variante: ein hoch reflektiertes Spiel mit alltäglich ab- und anfallendem Material, eine Foto-Safari in den Referenzdschungel. Albrecht ist stark beeinflusst von den Heroen des Genres, von Rolf Dieter Brinkmann und Rainald Goetz. Und er horcht sehr genau dem Sound des Münchener Autors Andreas Neumeister nach, kopiert ihn sogar und probiert zugleich das medienanalytische Werkzeug eines Marcel Beyer an verschiedenen Zeitebenen aus.
Der 1981 geborene Autor, wie er sich auf Fotos präsentiert, würde auch am Schlagzeug der Band Tocotronic durchgehen. Dazu ein bisschen Kittler, ein bisschen österreichische Avantgarde und eine Prise Familienroman, ein wenig Hirnforschung und Stadttopografie – das alles riecht nach forcierter Hipness, die das Buch fürs subkulturell interessierte Publikum sexy machen könnte. The year popliterature broke ist allerdings mindestens acht Jahre her, bei Albrecht geht es aber doch einen Schritt und mehrere Schnitte weiter: Hier dreht sich fast alles um die Form, die den verschiedenen Speicherformaten der Mediensteinzeit und -gegenwart entsprechen könnte. Wie sieht ein Super-8-Film literarisch aus? Wie lassen sich die Regeln der Lomographie in Literatur übertragen, wie funktioniert ein aus der Hüfte geschossener Snap Shot sprachlich? Und was passiert mit all den Erinnerungsbruchstücken im digitalen Speicherzeitalter? So erzählt dieser Roman die Geschichte einer Familie, aber auf sehr spielerische Weise auch eine Mediengeschichte.
Erinnerung ist immer zugleich ein Form- und Erzählproblem: „Das könnte mein Vater sagen, das könnten meine Eltern sagen, anstatt immer wieder dieses Fotoalbum in mein Sehfeld zu rücken, anstatt immer wieder zu vergessen, dass Geschichte doch nur heißt, wie erzählt wird. Kann nicht mal jemand auf Aufnahme drücken.” Albrecht drückt fortwährend die Aufnahmetaste und macht sich bewusst, dass zwischen Erleben, Erfahren und Erzählen etwas zwischengeschaltet ist: ein Aufnahmegerät, ein Fotoapparat, ein Kopf. Das macht „Drei Herzen” zuweilen anstrengend und bei allem sprachverliebten Drive auch kopflastig.
Doch im Grunde ist Albrecht ein Romantiker. Affekt paart sich bei ihm mit dem Hang zur Tiefgründelei, Technikbegeisterung mit unbedingtem Willen zur Poesie: „Die auf Asphalt oder Haut auftreffenden Bluttropfen, die auf die Nervenzellen auftreffende Musik, die davorgeschobenen Bilder. In der Tiefe meines Auges, in der die Dunkelheit immer so viel verspricht, so viel Nacht, in dieser Tiefe tauchen solche Bilder auf, denn innen im Blick, in diesen Bildern, da leuchtet es.” Das Elliptische hat Methode; der Schnappschuss, die verwischte Wahrnehmung ist nicht Breitwand-Blockbuster-Kino, sondern lediglich Wirklichkeitsausschnitt. Erst die Aneinanderreihung diverser Ausschnitte ergibt ein größeres Bild, auf dem Realität (oder die Vortäuschung einer Realität) zu erkennen ist.
Selbstverständlich arbeitet dieses Buch mit Montage. Grobe Schnitte sind die Taktgeber des Erzählens. „Das, was wir Wirklichkeit nennen, ist in Wahrheit ein Film; das, was ich einen biologischen Film nenne”, hat William S. Burroughs einmal geschrieben. „Die Wirklichkeit ist immer möglich”, schreibt Jörg Albrecht. Und so bewegen sich die Neuronen wie aufgeregte kleine Impulsgeber durch den Körper, und die Wörter kommen kaum hinterher. Das Nervensystem kennt keine Grenzen, angeschlossen an Vergangenheit und Gegenwart, und die Wahrnehmung steht auch in Ruhephasen immer auf Stand-by. Jörg Albrechts „Drei Herzen” ist ein erstaunliches Debüt, wenn man bedenkt, dass momentan doch eher risikoloses und traditionelles Erzählen goutiert wird. Das Scheitern ist bei Albrecht gefährlich nah und die Abhängigkeit von (immerhin) interessanten Vorbildern zuweilen groß – er geht nicht auf Nummer sicher. Das hat sich beim letztjährigen Open Mike-Wettbewerb bezahlt gemacht, wo er den zweiten Preis gewann. Sein Roman erzeugt trotz aller Einwände, die sich leicht formulieren lassen, einen Sog – weniger durch die erzählten Geschichten, mehr durch Rhythmus, Form und Schnelligkeit. „It’s cool to be überquick, sagt Pitje.” Genau, sagt der Rezensent.ULRICH RÜDENAUER
JÖRG ALBRECHT: Drei Herzen. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 239 Seiten, 19,90 Euro.
Vor einigen Jahren hätte man von einem Poproman gesprochen.
„Die Wirklichkeit ist immer möglich.”
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht nur wegen seiner Geschwindigkeit ist Jörg Albrechts Debütroman mitunter "anstrengend" zu lesen, meint ein dennoch oder gerade deswegen begeisterter Ulrich Rüdenauer. Was bisweilen "kopflastig" erscheint, ist in seinen Augen die "aufgeklärteste" aller Möglichkeiten, so etwas wie Popliteratur auch heute noch zu schreiben. Jörg Albrecht treibe die Medienanalyse der heutigen Schriftstellerkollegen "mehrere Schnitte" weiter. Neben einer über drei Generationen erzählten Familiengeschichte sei der Roman en passant auch eine Mediengeschichte. Stilistisch gingen bei Jörg Albrecht Technikbegeisterung und "Wille zur Poesie" eine Allianz ein. Das sei oft gewagt, aber gerade dieser Wagemut zeichne dieses "erstaunliche" Debüt im Vergleich mit der Konkurrenz aus. "Rhythmus, Form und Schnelligkeit", lobt der Rezensent, sind hier jedenfalls ausreichend vorhanden.

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