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Die öffentliche Diskussion über das Wissen wird täglich und in allen Medien geführt: Was wissen wir, was weiß man über uns, und wie können wir die Hoheit über dieses Wissen behalten oder zurückerlangen? Wieso bemühen wir heute, wenn wir etwas wissen wollen, eine Suchmaschine? Warum werden wir zu "Informationsgiganten", laufen aber Gefahr, zu "Wissenszwergen" zu verkommen? Welche Folgen hat die McDonaldisierung des Wissens? Die meisten Beiträge zur Debatte über das Wissen nähern sich dem Thema in praktischen Einzelaspekten oder stochern im Nebel medienwissenschaftlicher Theorien. Niemand außer…mehr

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Produktbeschreibung
Die öffentliche Diskussion über das Wissen wird täglich und in allen Medien geführt: Was
wissen wir, was weiß man über uns, und wie können wir die Hoheit über dieses Wissen
behalten oder zurückerlangen? Wieso bemühen wir heute, wenn wir etwas wissen wollen,
eine Suchmaschine? Warum werden wir zu "Informationsgiganten", laufen aber Gefahr, zu
"Wissenszwergen" zu verkommen? Welche Folgen hat die McDonaldisierung des Wissens?
Die meisten Beiträge zur Debatte über das Wissen nähern sich dem Thema in praktischen
Einzelaspekten oder stochern im Nebel medienwissenschaftlicher Theorien.
Niemand außer Peter Burke wagte sich bisher an eine derart weitgefächerte Analyse unserer
Wissensgesellschaft. Dank seiner enormen Kenntnisse vermag er die komplexen Prozesse
für jeden verständlich zu beschreiben und einzuordnen: etwa die Professionalisierung
und die Demokratisierung, die Anhäufung und die Zerstörung von Wissen. Dabei ist Burke
nicht nur einer der hochrangigsten Denker, sondern auch selbst ein glänzender Vermittler.
Seine Geschichte des Wissens ist ein fundamentaler und hervorragend lesbarer Beitrag zu
den entscheidenden Fragen der Gegenwart und Zukunft. Ein großer Wissenschaftler am Puls
der Zeit!
Autorenporträt
Peter Burke, 1937 in Stanmore in England geboren, besuchte eine Londoner Jesuitenschule und studierte am St. John's College in Oxford. Sechzehn Jahre lehrte er an der School of European Studies der University of Sussex. 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte ans Emmanuel College in Cambridge. Gastdozenturen führten Burke in viele Länder Europas sowie unter anderem nach Indien, Japan und Brasilien. Seine Bücher wurden in über 30 Sprachen übersetzt. Peter Burke ist einer der international bedeutendsten Kultur- und Medienhistoriker.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Einen echten Lehnstuhl-Historiker erkennt Caspar Hirschi in Peter Burke und lässt an dessen Geschichte des Wissens kaum ein gutes Haar: Hirschis Mängelliste beginnt beim Untertitel, denn mit enzyklopädischem Wissen beschäftige sich Burke nur am Rande, zur Wikipedia liefere er eigentlich nur Allgemeinplätze. Statt der versprochenen Universalgeschichte des Wissen, die Sozial-, Kultur und Politikgeschichte umfasst, schaffe Burke lediglich eine "Wissenschaftsgeschichte light", die sämtliche Praktiken, Verfahren und Erkenntnisse oberflächlich antippe, ohne näher auf sie einzugehen. Vor allem aber stört sich der Rezensent daran, dass Burke die von ihm selbst immer wieder angeführte Unterscheidung von Information und Wissen kaum beachte, und "viel Rohes, aber wenig Gekochtes" präsentiere. Immerhin indirekt erschließt sich dem Rezensenten somit, wie die Anhäufung von Information der Vermittlung von Wissen im Wege steht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2014

Wir sind Zwerge in Datenströmen
Unnützes im Sekundentakt, während wertvolles Wissen verfällt: Peter Burke eilt durch die Geschichte der Informationsgesellschaft

In den mehr als fünfzig Jahren seiner Lehrtätigkeit an den Universitäten von Sussex und Cambridge hat Peter Burke vom handschriftlichen Karteikartensystem über Mikrofiche und Powerpoint bis zum heute allgegenwärtigen Apple-Produkt die unterschiedlichsten Formen der Wissensorganisation im akademischen Kontext miterlebt. Für seine erste Sozialgeschichte des Wissens, die er 2001 unter dem deutschen Titel "Papier und Marktgeschrei" veröffentlichte, ging er noch einmal einige hundert Jahre zurück und legte die Veränderungen in der Ansammlung und Verbreitung von Wissen von Kolumbus bis zur Jahrtausendwende in einer Chronik dar. Burkes neues Buch kann ausdrücklich als Fortsetzung dazu gelesen werden, funktioniert jedoch auch als eigenständige Lektüre hervorragend.

"Wir mögen vielleicht ,Informationsgiganten' werden, laufen aber Gefahr, zu ,Wissenszwergen' zu verkommen", prophezeit Peter Burke einer Welt, die auf den ersten Blick einen so leichten Zugriff auf eine so riesige Menge Wissen hat wie noch nie zuvor. Der Luxus, den die unendlichen Kapazitäten virtuellen Wissens, nur einen Mausklick entfernt, uns bieten, läuft Gefahr, uns durch den bloßen Ausstoß "roher" Information vom "gekochten" Wissen zu entfremden. So viel zur derzeitigen Lage, die auch gegen Ende des Essays, wie Burke seinen immerhin dreihundert Seiten starken Text (fast vierhundert mit Bibliographie) nennt, noch einmal thematisiert wird.

Einen deutlicheren Schwerpunkt legt der Historiker aber zuvor auf die geschichtlichen und soziologischen Faktoren, die uns dahin gebracht haben, wo wir mit unserem Weltwissen heute stehen.

Seine Geschichte beginnt im Zeitraum zwischen 1750 und 1850, den Burke "das zweite Zeitalter der Entdeckungen" nennt. In mehreren Stufen legten Pioniere wie Alexander von Humboldt mit ihren präkolonialen Forschungsreisen den Grundstein für die Akkumulation des Wissens. Zu Land und zur See wurde gesammelt, vermessen und kartographiert; als die Umwelt ausgeschöpft schien, wandte man sich dem Menschen als Forschungsobjekt zu. Volkszählungen und gesellschaftliche Erhebungen stellten die Weichen für das, was später unter dem Begriff Soziologie zusammengefasst werden sollte. Burke erzählt das sehr anschaulich und gespickt mit Anekdoten.

Im gleichen Maße wie die Speichermöglichkeiten für gesammeltes Wissen infolge technischer Errungenschaften wie Fotografie und Tonaufzeichnungen wuchsen, löste sich die Gatekeeper-Funktion von Bildungsinstitutionen und Sprachbarrieren in Burkes "zweitem Zeitalter der Entdeckungen" auf. Die Folgen davon stellen die heutige Weltbevölkerung vor nicht unerhebliche Probleme. Die Verbreitung des Wissens hat ihren Zenit ebenso erreicht wie seine schiere Masse und wie der täglich anfallende Abfall scheinbar "unnützen Wissens". In gleichem Maße, wie sekündlich Neues publiziert wird, fällt wertvolles Wissen der Schnelllebigkeit und Grenzenlosigkeit des Internets zum Opfer, sind Einschätzungen und Wertungen immer schwieriger vorzunehmen.

Diese Entwicklung handelt Burke in einem schwindelerregend disziplin- und epochenübergreifenden Rundumschlag ab. Humboldt steht neben Linné, dem großen Klassifizierer der Biologie, Freud neben Foucault und seiner Diskurstheorie, Agatha Christie neben Arthur Conan Doyle. Zweifelsohne ist es hochinformativ, wenn der Kulturhistoriker über die Wissenskultur von Pubs und Kneipen referiert und die großen Weltausstellungen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhundert und ihre Bedeutung auferstehen lässt. Bisweilen hat man jedoch den Eindruck, dass auch ein paar Vorlesungsmanuskripte aus jahrzehntelanger Lehre ihren Weg in das Buch gefunden haben.

Den wirklich brennenden Fragen hätte man durchaus noch die ein oder andere Seite zugestehen können, zumal sich seit "Papier und Marktgeschrei" doch einige neue Entwicklungen aufgetan haben. Wie sollte mit den massenhaft gesammelten Daten der Geheimdienste umgegangen werden? Brauchen wir eine Sammelbeschränkung, ein "No-Spy-Abkommen", oder müssen wir uns nur über klare Regeln zum Umgang mit Daten verständigen? Für den gefährdeten traditionellen Buchmarkt sieht Burke, nachdem dieser seine erzwungene Schrumpfkur durchlaufen habe, eine Zukunft. Eine dauerhafte Koexistenz von gedrucktem und elektronischem Buch scheint ihm möglich. Auf Amazon wird nicht eingegangen, auf Google schon. Dessen "monopolistische Tendenzen" seien beunruhigend, akademische Datenbanken wie JSTOR böten jedoch Abhilfe. Der Vergleich krankt an zwei Enden - das Online-Archiv JSTOR ist kostenpflichtig, und Google ist viel mehr als eine Suchmaschine.

Wie geht es weiter, nachdem unser Wissen explodiert, die Druckwelle verebbt ist? Wir leben in einer Informationsgesellschaft, sagt Burke, "in der selbst das Alltagsleben von neuen Formen des Wissens durchdrungen wird". Damit meint er Smartphone, Whatsapp, Twitter und die aktuellsten News via Push-Benachrichtigung. Unser Konsumverhalten hat sich verändert, ob zum Guten oder Schlechten, darauf weiß auch er keine Antwort. "Ich hoffe, die nächste Generation wird diese Erkundung weiterführen", so Burkes Schluss. Als Teil jener Entwicklung wird sie es sogar müssen.

TOBIAS KREUTZER.

Peter Burke: "Die Explosion des Wissens". Von der Encyclopédie bis Wikipedia.

Aus dem Englischen von Matthias Wolf unter Mitarbeit von Sebastian Wohlfeil. Wagenbach Verlag, Berlin 2014. 392 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2014

Anthropologie in den Pubs von Oxford
Die Information ist das Rohe, das Wissen das Gekochte – Peter Burke hat eine opulente Darstellung der „Explosion des Wissens“
geschrieben, in der gesammelt, analysiert, verbreitet und angewandt wird
VON SIMON STRAUSS
Noch nie war Wissen so zugänglich, so weit verbreitet, nie auch so differenziert wie heute. Unaufhaltsam steigt der weltweite Informationspegel. Nach einer Schätzung der Washington Post werden dem Internet täglich mehr als sieben Millionen neue Seiten hinzugefügt. Permanent schreibt und verbessert eine unüberschaubare Masse von „Bürgerwissenschaftlern“ Wikipedia-Einträge. Das Google-Books-Projekt macht immer mehr Bibliotheksbestände sichtbar, öffnet der Internetgemeinde 24 Stunden am Tag die Tore zu einem Lesesaal, der die alte Prophezeiung von Alexandria längst erfüllt hat.
  Wer die Macht des Wissens in Büchern misst, muss überwältigt in die Knie gehen: Um 1800 galt die Göttinger Universitätsbibliothek mit ihren knapp 200 000 Bänden als eine der größten der Welt. Heute umfasst die Library of Congress über 30 Millionen Bücher. Wer aber in der unendlichen Weite der Informationen nach Halt und Orientierung sucht, der kann heute auch unglücklich werden wie nie, der läuft Gefahr, unter dem Gewicht der Datenmasse zusammenzubrechen. Immer stärker wird die Sehnsucht nach der großen Synthese, einer übersichtlichen Zusammenfassung des bisher Erkannten. Nicht mehr Fortschritt, sondern Wählen, Formen, Festhalten wäre da der folgerichtige nächste Schritt.
  Das neue Buch des britischen Kulturhistorikers Peter Burke ist keine solche Synthese. Es ist kein Fels in der Brandung, auf den man sich retten könnte aus dem Datenmeer. Aber es bietet etwas, das für die Psyche des informationsbelasteten Zeitgenossen durchaus wertvoll ist: Es lässt ihn nämlich hineinschauen in die Werkstatt der Wissensproduktion, führt ihn ein in den spannungsvollen Prozess der Beschaffung, Verarbeitung und Transformation von Wissen. Und verweist ihn damit auf die Genealogie und Bedingtheit der Materie, der er oft nur als abstrakte Datenwelt gegenübersteht.
  Ausgangspunkt der von Burke mit angelsächsischem Bescheidenheitsgestus als „Essay“ titulierten Untersuchung ist die Frage, „auf welchen Wegen wir zu unserem heutigen kollektiven Wissen gelangt sind“. Wissen meint dabei vor allem das akademische Wissen der westlichen Welt. Beobachtet wird ein Zeitraum von zweieinhalb Jahrhunderten, von der Publikation der Encyclopédie (1751-1766) bis zur Gründung von Wikipedia (2001). Das Buch stellt in loser Beziehung eine Fortsetzung von Burkes „Papier und Marktgeschrei“ dar, in dem er sich vor dreizehn Jahren unter ähnlicher Fragestellung dem Zeitraum von der Erfindung des Buchdrucks bis zur Aufklärung widmete.
  Die Darstellung folgt einem geschickten rhetorischen Aufbau. Die ersten vier Kapitel schildern voller Enthusiasmus die Stadien einer metahistorisch gedachten, idealtypischen Wissensgestaltung: Sammeln, Analysieren, Verbreiten und Anwenden. Das Zusammentragen von Wissen findet sein eindrucksvollstes Emblem in den prall gefüllten Bäuchen der Expeditionsschiffe des 18. Jahrhunderts. Fundstücke, die auf eine Interpretation warten. Allein, schon das Aufnehmen an sich ist kein neutraler Akt. Burke verweist auf die – seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Ansätzen reflektierte – Historizität jeder Beobachtung, die bedingt ist von dem jeweiligen Standpunkt des Beobachters, der immer schon teilnimmt, nie ohne Vorurteil und Selektionskriterien einsammelt. Dieser erkenntnistheoretische Grundsatz, der der Wissenschaft nach und nach den Glauben an Objektivität genommen und ihr den „Verlust ihrer Unschuld“ vor Augen geführt hat, werde heute, wo überall nur noch kulturelle Konstrukte entlarvt würden, allerdings „überbeansprucht“, so Burkes Spitze gegen einen radikalen Konstruktivismus.
  Nach dem Sammeln kommt die Analyse, die Bewertung des Gefundenen. Burke reiht eine Fülle von Beispielen aneinander: Linné’sche Klassifizierung, Linear-B-Entschlüsselung, paläontologische Rekonstruktion, Fälschungsnachweis der Ossian-Gesänge, Präzisionsdatierung durch Geochronometrie. Der Akt jeder Bedeutungszuschreibung ist Ausdruck einer rationalen Ordnungslust. Auf seiner Forschungsreise durch Hispanoamerika (1799-1804) führt Alexander von Humboldt über vierzig Messinstrumente mit sich, darunter ein Cyanometer, ein Gerät zur Messung der Himmelsbläue.
  Auf Sammeln und Klassifizieren folgt die Verbreitung: Ausführlich widmet sich Burke den unterschiedlichen Medien des Wissenstransports, hat neben den klassischen Organen wie Museen und Büchern insbesondere auch Formen mündlicher Kommunikation im Blick. Auch das Gespräch in Kaffeehäusern, Salons oder Bars ist für die Vermittlung von Wissen bedeutsam: Die Gespräche in Oxforder Pubs spielten eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der britischen Anthropologie in den 1930er-Jahren, im Eagle in Cambridge präsentierte Francis Crick 1953 erstmals seine Entdeckung der DNA-Struktur, und Tim Berners-Lee prägte den Begriff World Wide Web 1990 in der Cafeteria des Cern.
  Wissen muss aber auch angewandt werden, damit es zum Kanon wird. Der „Slogan“ eines nützlichen Wissens, das Kriege entscheiden, Arbeitsplätze generieren und Epidemien verhindern kann, taucht im späten 18. Jahrhundert auf und setzt seitdem die „Grundlagenforschung“ unter Druck. Der 1875 erstmals in den USA hergestellte Aktenschrank ist ebenso Paradigma jenes abrufbaren Wissens wie die 1909 erschienene Studie „The Bricklaying System“, die vorführt, wie man Bewegungsabläufe beim Mauern reduzieren kann.
  Dem optimistischen ersten Abschnitt folgt ein skeptischer zweiter. Unter der Überschrift „Der Preis des Fortschritts“ geht es darum, wie viel Wissen mit der Zeit abhandengekommen ist. Durch Exilierung von Gelehrten, Zensur und Bibliotheksbrände, aber auch, weil Zuwendungen gestrichen wurden oder bestimmte Forschungstrends dominierten. Burke plädiert entschieden dafür, auch die „Schattenseiten der Paradigmen“ zu untersuchen und den „Müllhaufen der Geistesgeschichte“ zu studieren. Die Frage, wie Wissen zu Abfall wird, warum ganze Disziplinen wie etwa Phrenologie oder Astrologie von der akademischen Bildfläche verschwinden, führt eine Wissensgeschichte aus „Sicht der Besiegten“ vor. Als zweiten, pessimistischen Gegenpol zum „Triumphalismus“ der modernen Wissensexplosion hebt Burke die grassierende Spezialisierung des Wissenschaftlers und den Verlust seines Interesses für die „faustische Allseitigkeit des Menschentums“ (Max Weber) hervor.
  Wer genau liest, findet hier ein Plädoyer, neben Interdisziplinarität und Teamarbeit auch das Überleben der gefährdeten Spezies des Generalisten zu fördern.
  In einem bilanzierenden Schlusskapitel wird „Wissen“ noch einmal in Beziehung zu den strukturellen Parametern Raum, Gesellschaft und Zeit gesetzt. Der geografische Kontext, ob national oder global, ob Zentrum oder Peripherie, hat einen Einfluss auf die Gestaltung von Wissen, ebenso der Ausbau des Eisenbahnnetzes, der internationale Kongresse und damit eine „Entprovinzialisierung“ des Wissens ermöglicht. Die soziologische Relevanz von Wissen tritt in den Vordergrund nicht nur in der Gretchenfrage, wer die Forschung bezahlt, sondern auch, wie Politik ihren Einfluss geltend macht. NS-Ideologie, marxistische Dogmatik und McCarthy-Ära sind dabei nur die krassen Beispiele einer gesteuerten „Wissenspolitik“. Dass schließlich die Chronologie des Wissens immer auch eine des Weltgeschehens ist, dass Französische Revolution oder deutsche Reichseinigung ihre Spuren auch in der Wissenslandschaft hinterlassen haben, ist beinahe zu sehr Common Sense, als dass man es als Abschluss dieses so inspirierten wie reichhaltigen Werks erwartet hätte.
  „Die Explosion des Wissens“ bietet eine Lektüre, bei der es einem bisweilen regelrecht schwindelt angesichts der Menge an Beispielen und Personen (knapp achthundert!). Burke tritt hier nicht wie sonst als Ideenhistoriker auf, er schreibt keine intellektuelle Geschichte des Wissens, sondern legt – wie er betont – in der Tradition von Karl Mannheims Wissenssoziologie eine Sozialgeschichte des Wissens vor. Interessanterweise haben die deutschen Übersetzer den Originaltitel „A Social History of Knowledge“ stillschweigend ersetzt, vielleicht weil das Attribut „Sozialgeschichte“ in Deutschland mittlerweile zu sehr mit der Bielefelder Schule der 70er-Jahre assoziiert wird. Auch das eine interessante Verschiebung im Wertehaushalt von Wissen.
  Burkes Buch überzeugt nicht allein wegen seiner Thesen, sondern vor allem wegen seines Temperaments. Dass die Zeit um 1800 geistesgeschichtlich hoch explosiv war und hier vieles neu „aufgesattelt“ wurde, dürfte nicht nur den Lesern von Reinhart Koselleck keine echte Überraschung bieten. Auch die komplexen Mechanismen, die bei der Herstellung von Wissen greifen, sind etwa bei dem französischen Soziologen Bruno Latour in ähnlicher Weise dargestellt. Eindrucksvoll ist Burkes Buch aber vor allem, weil er seine thematischen Abschnitte mit viel Esprit würzt. Immer gibt es noch einen Chefbibliothekar oder Gerichtsmediziner, Lexikoneintrag oder Zeitungskommentar, der als Indiz angeführt wird. Wie übersichtlich das Buch trotz seiner Vielstimmigkeit geblieben ist, muss daher erstaunen. Durchgängig wird man von ihm auf wunderbare Weise unterhalten. Wenn Burke einmal in Anlehnung an eine Metapher von Lévi-Strauss die „Information“ als das „Rohe“, das „Wissen“ als das „Gekochte“ bezeichnet und vor einer McDonaldisierung von Wissen warnt, dann ist sein Buch die großzügige Einladung zu einem Festmahl.
Auch das Gespräch in Salons
oder Kaffeehäusern ist bedeutsam
für die Vermittlung von Wissen
Das Wissen explodiert, aber die
„faustische Allseitigkeit des
Menschentums“ geht verloren
„Von der Menge und Viele der Bücher“: Die Illustration des Petrarca-Meisters zeigt den Gründer der Bibliothek von Alexandria, Ptolemaeus Philadelphus, und deren Brand.
Foto: akg-images
  
Peter Burke: Die Explosion des Wissens. Von der Encyclopédie bis Wikipedia. Aus dem Englischen von Matthias Wolf unter Mitarbeit von Sebastian Wohlfeil. Wagenbach Verlag, Berlin 2014.
392 Seiten, 29,90 Euro.
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