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Von den dunklen Anfängen in der Kiever und der mongolischen Epoche führt dieses Buch uns in das Zeitalter Iwans des Schrecklichen, das Jahrhundert Peters des Großen und durch das 18. und 19. Jahrhundert bis zum Untergang des Zarenreiches. Souverän die internationale Forschung beherrschend, gekonnt in der Darstellung, differenziert in seinen Interpretationen bietet Manfred Hildermeier eine Gesamtgeschichte Russlands, die sich einreiht in den Kreis der großen Gesamtdarstellungen der letzten Jahrzehnte. Nach seiner großen Geschichte der Sowjetunion, die 1998 erschien und als Standardwerk gilt,…mehr

Produktbeschreibung
Von den dunklen Anfängen in der Kiever und der mongolischen Epoche führt dieses Buch uns in das Zeitalter Iwans des Schrecklichen, das Jahrhundert Peters des Großen und durch das 18. und 19. Jahrhundert bis zum Untergang des Zarenreiches. Souverän die internationale Forschung beherrschend, gekonnt in der Darstellung, differenziert in seinen Interpretationen bietet Manfred Hildermeier eine Gesamtgeschichte Russlands, die sich einreiht in den Kreis der großen Gesamtdarstellungen der letzten Jahrzehnte. Nach seiner großen Geschichte der Sowjetunion, die 1998 erschien und als Standardwerk gilt, legt der renommierte Historiker Manfred Hildermeier nun eine Gesamtdarstellung der Russischen Geschichte vor, die im Mittelalter einsetzt und dort endet, wo der vorangegangene Band beginnt. Politik und Herrschaftsordnung, soziale Verfassung, Wirtschaft, Industrie und Handel sowie die materielle und geistige Kultur bilden dabei die zentralen Achsen. Der rote Faden des Werkes ist das Verhältnis zu Europa, aus dem sich auch die klare These ergibt: Vor Ausbruch des Weltkriegs gehörte Russland so eng zu Europa wie nie zuvor. Erst die Sowjetunion hat dies geändert - und ihr Zusammenbruch die alte Schicksalsfrage Russlands wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
Autorenporträt
Manfred Hildermeier ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Göttingen und Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Martin Schulze Wessel hat Manfred Hildermeiers "Geschichte Russlands" mit Gewinn gelesen. Erfreut stellt der Kritiker fest, dass seit langer Zeit endlich wieder eine umfassende Gesamtdarstellung der Geschichte Russlands geschrieben wurde. Am Leitmotiv der Rückständigkeit erörtere Hildermeier die Geschichte bis 1917, wobei den Rezensenten insbesondere die Erläuterungen strukturgeschichtlicher Fragen interessiert haben - etwa ob in Russland von einer Gesellschaftsentwicklung eigenen Typus' zu sprechen sei. Allerdings sieht der Kritiker einige wenige, aber wichtige Informationen ausgeblendet: So vermisst er etwa die Geschichte der Muslime, die auch im europäischen Russland siedelten. Nichtsdestotrotz: Ein sehr lesenswertes, erkenntnisreiches und im besten Sinne "unzeitgemäßes" Buch, lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2013

Eine europäische
Macht
Von der Kiewer Rus bis zum letzten Zaren:
Manfred Hildermeiers Geschichte Russlands
VON MARTIN SCHULZE WESSEL
Beim Dauerlauf Geschichte rechnen ohnehin nur die fortschrittlichsten Fortschrittsphilosophen damit, dass er ad finem stattfindet“, schreibt der Philosoph Odo von Marquardt in seinen „Skeptischen Betrachtungen“. Für diese lohne es sich, „sich zu sputen und möglichst jeden zu überholen, um stets ganz vorn zu sein.“
  Russland wurde, nachdem Peter der Große ein „Fenster nach Europa“ geöffnet hatte, zum beliebten Betrachtungsgegenstand „fortschrittlichster Fortschrittsphilosophie“ im Westen und in Russland selbst. Der Befund war stets, dass das Reich an der europäischen Peripherie „rückständig“ sei. Rückständigkeit zu überwinden wurde zu einer wichtigen Antriebskraft der russischen Politik seit dem 18. Jahrhundert. Als Katharina II. 1767 erklärte: „Russland ist eine europäische Macht“, war dies weniger die Feststellung einer Tatsache als ein Programm für die Zukunft. Im 19. Jahrhundert spaltete sich die russische Philosophie an dieser Frage: Lohnte es, fragten die Skeptiker, den Wettlauf mit dem Westen aufzunehmen und der Chimäre der Modernisierung nachzujagen? War die Geschichte Russlands nicht vielmehr aus ihren eigenen Ursprüngen und Bedingungen zu begreifen?
  Aus dem Blickwinkel des postkolonialen Diskurses heute waren die slawophilen Manifestationen kultureller Eigenständigkeitsansprüche ausgesprochen fortschrittlich, indem sie erstmals ein auf autochthone Traditionen pochendes Programm in Abgrenzung vom Westen formulierten. Die Modernisierungsprogramme des Zarenreiches dagegen näherten sich dem weiterentwickelnden Konzept von westlicher Moderne stets nur an, blieben also nach eigenen Maßstäben der Rückständigkeit verhaftet.
  Rückständigkeit ist das Leitmotiv von Manfred Hildermeiers Geschichte Russlands, in der er die Geschichte von den Anfängen der Begründung einer Herrschaft der Rus’ bis zur Oktoberrevolution von 1917 auf 1500 Seiten darstellt. „Viele Bücher enden anders als ursprünglich geplant“, räumt Hildermeier im Vorwort freimütig ein. Sein Buch war ursprünglich nicht als Gesamterzählung, sondern als Darstellung eines Aspekts der Geschichte Russlands, nämlich seiner Verflechtung mit Europa konzipiert. Die Geschichte Russlands nicht umfassend, sondern im Hinblick auf bestimmte thematische Aspekte darzustellen, ist in den vergangenen Jahrzehnten der Königsweg gewesen, den viele innovative Interpretationen gegangen sind: Andreas Kappelers „Russland als Vielvölkerreich“ ist ebenso wie Richard Wortmans Darstellung der zarischen Machtrepräsentationen grundlegend für ganze Forschungsrichtungen geworden. Thematisch fokussiert sind auch Carsten Goerkes Geschichte Russlands und Klaus Zernacks Buch „Polen und Russland“, das Geschichte konsequent beziehungsgeschichtlich konzipiert. Mit Hildermeiers Geschichte Russlands ist nun seit langer Zeit wieder eine umfassende Geschichte Russlands auf dem deutschen Buchmarkt, die zusammen mit seiner 1998 veröffentlichten Geschichte der Sowjetunion eine geradezu monumentale Gesamtdarstellung auf insgesamt 2700 Seiten bietet.
  Das Buch hat seinen Schwerpunkt in der Neuzeit, nur ein Sechstel des Umfangs ist der Geschichte vor der Zeit Peters des Großen gewidmet. Mit Gewinn sind die Erörterungen strukturgeschichtlicher Fragen zu lesen, die das 18. und 19. Jahrhundert durchziehen, etwa die Frage, ob in Russland von einer Gesellschaftsentwicklung eigenen Typus zu sprechen ist, einer „Gesellschaft als staatlicher Veranstaltung“. Dieser und ähnliche Begriffe waren in der Diskussion der Siebziger- und Achtzigerjahre en vogue. Sie suggerieren bis heute eine Dichotomie zwischen der westlichen und russischen Gesellschaftsgeschichte. Hildermeier stellt dagegen präzise dar, wie Gesellschaft in der Zeit Katharinas II. zwar in der Tat staatlich induziert wurde, aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts doch selbständig zu werden begann.
  Den Akteuren dieses Wandels in Kultur und Gesellschaft zwischen 1860 und 1917 gilt Hildermeiers besondere Aufmerksamkeit. Es geht um die soziostrukturellen Betrachtungen verschiedener ländlicher und städtischer Gruppen; fünf Seiten widmet Hildermeier allein der Unterteilung der russischen Unternehmer in sieben verschiedene Typen. Sozialgeschichte verbindet er mit Kulturgeschichte, was gerade in den Passagen über das ausgehende Zarenreich anschaulich wird.
  Tschechows „Kirschgarten“ hat unsere Vorstellung von einer Krise des ländlichen Gutbesitzes geprägt, der sich am Ende gezwungen sah, seinen jahrhundertelang gepflegten Besitz an ignorante nouveaux riches zu verkaufen. Gegen die Vorstellung einer durchgängigen Krise des gutsbesitzenden Adels in den letzten Jahrzehnten des Zarenreichs führt Hildermeier Zahlen ins Feld: Selbst im Gouvernement Moskau, einem Zentrum der frühen Industrialisierung, gehörten um 1890 noch fast fünfzig Prozent der Gutshäuser dem Adel. Hildermeier argumentiert hier nicht nur mit Statistik, sondern auch exemplarisch: Es gab – eher als Ausnahme, denn als Regel – durchaus spektakuläre Fälle des Besitzübergangs aus dem Adel an nichtadlige Unternehmer: etwa den Verkauf von Ivanovo, dem Stammsitz der Grafen Tolstoi, an die Moskauer Industriellenfamilie der Bachrusiny 1894. Die letzte adlige Besitzerin war über den Verlust so verzweifelt, dass sie die Orangerie öffnen ließ, um die uralten Pomeranzen- und Pfirsichbäume zum Erfrieren zu bringen. Soweit entspricht die Geschichte dem „Kirschbaum“-Klischee. Die neuen bürgerlichen Besitzer wussten aber den kulturellen Wert des Erstandenen durchaus zu würdigen, veranstalteten in Ivanovo Theateraufführungen und schenkten später den Besitz der Stadt Moskau mit der Maßgabe, dort ein Kinderheim einzurichten – ein karitatives und mäzenatisches Handeln, das, so Hildermeier, für auffallend viele Angehörige dieser Schicht typisch gewesen sei. Das Klischee vom ignoranten Neureichen, der adligen Besitz aufkauft und den Kirschgarten abholzt, ist zu revidieren.
  Von einer Darstellung, die sich vom 9. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erstreckt, darf man keine durchgehend intensive Synthese der Forschung erwarten. Hildermeier strukturiert seine Erzählung, indem er in sechs großen Kapiteln eine zuweilen sehr detaillierte Politikgeschichte vorausschickt, um dann Abhandlungen über Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur folgen zu lassen. Verzahnungen zwischen den Teilbereichen gelingen Hildermeier in den Kapiteln über das 18. und 19. Jahrhundert immer wieder. In den Kapiteln zur vorpetrinischen Zeit laufen die Stränge eher nebeneinander her. Die Darstellung der Politik Iwans IV. (des „Schrecklichen“) etwa beschränkt sich im Wesentlichen auf die bekannten Ereignisse. Wer zum Beispiel über die religiöse Kultur dieser Zeit mehr erfahren möchte, kann sich in dem entsprechenden Unterkapitel informieren. Dass Religion eine politikleitende Kategorie war, wird durch die Kapiteltrennung aber tendenziell ausgeblendet.
  Programmatisch klammert Hildermeier die imperiale Dimension der Geschichte Russlands aus. Er erzählt die Geschichte des russischen Zentrums. Weitgehend ignoriert werden die Geschichte der Ordnung des Imperiums und der Wirkungen, welche die russische Politik in den Peripherien des Reiches hatte. Dafür gibt Hildermeier eine bemerkenswerte Begründung: Das Wesen eines Tausendfüßlers könne man nicht von den Füßen her erfassen. Diese Perspektivierung mag sich aus der ursprünglichen Absicht ergeben haben, eine Geschichte von Russland und Europa zu schreiben. Doch sind gerade im Hinblick auf die europäischen Verflechtungen des Zarenreichs die Einflüsse, die im 17. und 18. Jahrhundert von der Ukraine in das russische Herrschaftszentrum reichten, von fundamentaler Bedeutung. In den 1860er-Jahren machte die Eroberung Zentralasiens das Zarenreich in vieler Hinsicht mit anderen europäischen Kolonialmächten vergleichbar. Russland war im 19. Jahrhundert nicht zuletzt deshalb eine europäische Macht, weil es über Kolonialbesitz verfügte.
  Hildermeiers Geschichte Russlands enthält einige sehr lesenswerte Passagen über die Geschichte der Juden, widmet sich aber nicht der Geschichte der Muslime, die zum Teil auch im europäischen Russland siedelten. Es geht dabei nicht um eine anzustrebende Vollständigkeit aller ethnischen und religiösen Gruppen im Zarenreich. Gerade die Untersuchung der zarischen Politik gegenüber den Muslimen hat aber deutlich werden lassen, welche fundamentale Rolle Religion als Ordnungssystem im Zarenreich gespielt hat. Der Titel von Robert Crews einflussreichem, viel diskutierten Aufsatz „Empire and the Confessional State“ ist dafür bezeichnend. Solche Aspekte fehlen dem Buch, der Tausendfüßler wird nicht als Tausendfüßler erfasst.
  Die Geschichte Russlands als Imperium hat die Fachdiskussion der vergangenen zwei Jahrzehnte in erheblichem Maße beschäftigt, daneben haben in der Forschung Repräsentationen und Wahrnehmungen eine große Rolle gespielt. Beides spiegelt sich in Hildermeiers Darstellung nicht wider. Es ist ein großes, dabei unzeitgemäßes Buch, was kein Nachteil sein muss. Eine aussichtsreiche Aktualitätsstrategie, so Odo von Marquardt, besteht darin, „gelassen zu warten, bis der Wettlauf – von hinten überrundend – wieder an einem vorbeikommt“. Dann gilt man wieder als Avantgarde.   
Lohnte es sich überhaupt,
den Wettlauf mit
dem Westen aufzunehmen?
Es ist ein großes und
dabei unzeitgemäßes Buch,
was kein Nachteil sein muss
    
  
  
  
Manfred Hildermeier: Geschichte Russlands. Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution. Verlag C.H.Beck, München 2013. 1502 Seiten, 49,95 Euro.
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