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Der Schöpfer des barocken Rom
Gianlorenzo Bernini (1598-1680) hat Rom geprägt wie kein anderer Künstler. Im Laufe seines langen Lebens diente er nicht weniger als acht Päpsten, und zwar nicht nur als Architekt, sondern vor allem auch als Bildhauer. Arne Karsten entwirft in seinem Buch ein komplexes Epochengemälde und führt den Leser, von der Beschreibung eines zugleich höchst individuellen und exemplarischen Lebensweges ausgehend, zu einem tieferen Verständnis der Lebensbedingungen im barocken Rom.
Gianlorenzo Bernini ist heute vor allem als großer Architekt und Bildhauer des römischen
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Produktbeschreibung
Der Schöpfer des barocken Rom

Gianlorenzo Bernini (1598-1680) hat Rom geprägt wie kein anderer Künstler. Im Laufe seines langen Lebens diente er nicht weniger als acht Päpsten, und zwar nicht nur als Architekt, sondern vor allem auch als Bildhauer. Arne Karsten entwirft in seinem Buch ein komplexes Epochengemälde und führt den Leser, von der Beschreibung eines zugleich höchst individuellen und exemplarischen Lebensweges ausgehend, zu einem tieferen Verständnis der Lebensbedingungen im barocken Rom.

Gianlorenzo Bernini ist heute vor allem als großer Architekt und Bildhauer des römischen Barock bekannt. Zu seinen architektonischen Hauptwerken gehören neben zahlreichen Palästen und Kirchen der Petersdom und der Petersplatz, für den er die Kolonnaden entwarf, die den Platz umschließen. Zu seinen berühmtesten Skulpturen zählen die Figurengruppe Apoll und Daphne, die Ekstase der Heiligen Theresa sowie der David. Darüber hinaus war Bernini ein sehr gefragter Porträtist, der von den berühmtesten seiner Zeitgenossen Marmorbüsten fertigte. Doch damit ist die Bandbreite der künstlerischen Tätigkeit dieses Universalgenies, das als Michelangelo seines Jahrhunderts bezeichnet wurde, keineswegs erschöpft: auch als Maler, Karikaturist und Dekorateur, als Autor und Theaterregisseur beeindruckte er die Zeitgenossen. Um die Produktivität Berninis, vor allem aber den gesellschaftlichen Erfolg dieses Hofkünstlers zu verstehen, leuchtet Arne Karsten dessen soziales und politisches Umfeld aus. Zeit seines Lebens verstand es Bernini virtuos, mit seinen nicht selten exzentrischen päpstlichen und adligen Auftraggebern umzugehen. Zugleich jedoch war der Künstler alles andere als ein farbloser Karrierist; auch von seinen Wutausbrüchen, Intrigen und Exzessen weiß der Autor anschaulich zu erzählen.

Rezension:
Karsten, Arne: Bernini. Der Schöpfer des barocken Rom. München: C.H.
Beck Verlag 2006. ISBN 3-406-54085-6; 271 S.; EUR 24,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Dorothea Klein, Kunstgeschichtliches Seminar, HU Berlin
E-Mail:

„Eine schlichte Marmorplatte mit dem Familienwappen bedeckt das Grab des bedeutendsten Künstlers, den Rom im 17. Jahrhundert hervorbrachte. Der heutige Besucher hat Mühe, sie zu finden.“ (S. 229) Mit diesen melancholischen Worten schließt Arne Karstens jüngst erschienene Bernini-Biografie.
Die Unauffälligkeit des Bernini-Grabes steht dabei in deutlichem Kontrast zu der Memorial- und Prestigefunktion seiner Werke, mit denen sich Berninis Auftraggeber sowohl zu Lebzeiten als auch nach dem Ableben ihrer Fama versichern wollten. Die unvergleichliche Produktivität, mit der Bernini das Antlitz der Tiberstadt im 17. Jahrhundert prägte, vermag jedoch die geradezu undankbar erscheinende Gestaltung des Künstlergrabes wettzumachen. Denn bis heute präsentiert Rom die gemeißelten und gebauten Ergebnisse seiner Schöpferkraft in einer Vielfalt, dass ein Rombesucher sich geradezu die Augen zubinden müsste, um sich dieser fast omnipräsenten Form der Memoria entziehen zu können.
Eine Memoria, die sowohl ihrem künstlerischen Schöpfer huldigt, wie auch jene politischen Protagonisten aufleben lässt, die seinerzeit hinter den Palastfassaden die entscheidenden Fäden zogen. Genau darum geht es in Arne Karstens Studie - die zeitgenössischen Bedingungen und ineinander greifenden Verflechtungen zu ergründen, die Berninis Schaffen erst ermöglichten und entscheidend beeinflussten.
Mit der Lebensbeschreibung des römischen „Allroundgenies“ Gianlorenzo Bernini - dem „Schöpfer des barocken Rom“, wie der Untertitel des Buches ihn achtungsvoll bezeichnet - erscheint über 300 Jahre nach Berninis Tod die erste deutschsprachige Biografie des Künstlers. Statt dabei allein auf die Person Berninis zu fokussieren, rekonstruiert Karsten ein lebhaft-kritisches Bild des römischen Barock, das wesentlich geprägt war von politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Konstellationen, Netzwerken und Intrigen, welche die Adels- und Herrscherfamilien um den Thron des Papstes sponnen.

Dabei geht das Buch chronologisch von den Anfängen der künstlerischen Tätigkeit Berninis bis zu seinem Tod im Jahr 1680 vor, stets jedoch darauf bedacht, dem Leser gelegentliche Vorschauen zu gestatten oder Rückblicke auf Geschehenes zuzulassen. Seinem historischen Ansatz folgend, richtet der Autor die Folge der Hauptkapitel dabei nicht nach künstlerischen Marksteinen aus, wie man zunächst von einer Künstlerbiografie erwarten würde, sondern nach den Pontifikaten, unter denen Bernini tätig war. Dabei verzichtet Karsten ausdrücklich auf „Vollständigkeit im Sinne einer Werkmonografie“ (S. 16) des Künstlers und zieht stattdessen Bildwerke und Bauvorhaben punktuell und gezielt zur Argumentation heran.

Leben und Werk Berninis zu schildern, scheint eine dankbare Aufgabe zu sein, sind doch die überlieferten Quellen zu diesem Künstler ebenso zahlreich wie ausführlich. Die frühesten und bedeutendsten, da quasi aus erster Hand stammenden Berichte, überlieferten Berninis jüngster Sohn Domenico Bernini und der Florentiner Gelehrte Filippo Baldinucci. Zudem berichtet ein bereits zu Lebzeiten Berninis verfasstes Tagebuch des französischen Adligen Paul Fréart Sieur de Chantelou, der als persönlicher Begleiter Berninis während seines Parisaufenthaltes 1665 fungierte, mit protokollarischer Genauigkeit über Allüren, Reflexionen und jegliche Art von geschäftlichen wie privaten Aktivitäten des Italieners während seines Aufenthaltes in Frankreich und gewährt damit einen Blick auf den „alltäglichen Bernini“ (S. 14). Aus diesem Fundus schöpft Karsten, zieht zudem jedoch eine Fülle weiterer Quellen heran, die sich in seinem Buch zum Teil erstmals publiziert finden.

Künstlerische Begabung, unermüdlicher Eifer und väterliche Förderung ließen Bernini bereits in jungen Jahren zum Günstling der römischen Kunstmäzene avancieren. Unter dem Pontifikat Paul V. Borghese
(1605-1621) entstanden die ersten Skulpturen – unter anderem für Maffeo Barberini, jenem Kardinal, der wenige Jahre später als Papst Urban VIII.
zum bedeutendsten Förderer Berninis werden sollte. Als einer der wichtigsten Mäzene der frühen Jahre erscheint Kardinal Scipione Borghese, der Neffe Paul V., der mehrere Skulpturen bei Bernini in Auftrag gab. Eindrucksvoll beschreibt Karsten die Bedeutungsvielfalt und politische Brisanz dieser Werke. Sie stellten nicht nur Teil einer nachhaltigen Imagebildung des Nepoten als geistvollem Kunstmäzen dar, sondern verschmolzen in ihrer Komplexität christliche Theologie, antike Mythologie und nicht zuletzt aktuelle politisch-gesellschaftliche Komponenten in meisterhaft gestalteter Form.
Als im Jahr 1623 Kardinal Maffeo Barberini zum Papst Urban VIII. gewählt wurde und mit 21 Jahren der längste Pontifikat des 17. Jahrhunderts begann, eröffneten sich Bernini Möglichkeiten „wie sie kaum ein Künstler in früherer oder späterer Zeit vorfand“ (S. 51). Durch die exorbitanten Investitionen in Künste und Wissenschaft vermag der Pontifikat Urbans VIII. mit besonderer Deutlichkeit die Doppelrolle des Papsttums in jener Zeit zu demonstrieren. Fungierte der Papst einerseits als Nachfolger Petri als Haupt der katholischen Kirche, hatte er andererseits als Souverän des Kirchenstaates zu handeln – und diese Rolle gewann zunehmend und öffentlich sichtbar an Bedeutung. Anschaulich führt Karsten aus, wie sich nach jedem Tod eines Papstes die verworrenen und vielfältigen Getriebe von Netzwerken in Gang setzten, um Familienangehörige und Verbündete zu protegieren, Konkurrenten hingegen geschickt auszuschalten. War ein neuer Papst auf den Thron erhoben, galt es, die Protegés in Schlüsselämter zu befördern und die begrenzte Zeit der Macht mit wirkungsvollen und nachhaltigen Zeichen auszustatten, bevor sich das Blatt wieder wendete.
Von diesem Anliegen profitierten Gelehrte, Architekten und Künstler und so auch Gianlorenzo Bernini, der unter dem Pontifikat Urban VIII. zum „Michelangelo des Jahrhunderts“ aufsteigen sollte. Als langjähriger „Bekannter“ Maffeo Barberinis sprach derselbe ihm als Papst eine Fülle von prestigeprächtigen Aufträgen zu. Bernini schien dem päpstlichen Wunsch nach einem „neuen“ Künstlergenie in höchstem Maße gerecht werden zu wollen und war bestrebt – nicht zuletzt auch auf Grund der enormen Konkurrenz unter den für den Papsthof arbeitenden Künstlern –, seine Produktivität ins nachgerade Unermessliche zu steigern. Neben Betonung seiner künstlerischen Brillanz, weiß die Biografie dabei immer wieder von dem gesellschaftlichen und diplomatischen Geschick des Künstlers gegenüber seinen Auftraggebern und Gönnern zu berichten - und seiner gleichzeitigen Arroganz gegenüber Mitarbeitern und Konkurrenten, die er mit Geringschätzung, Hinterlist oder Ignoranz zu behandeln wusste.
Gegen Ende seines Lebens sah sich Rom von Berninis Hand geprägt, was allein anhand der Bau- und Bildwerke, die die Strecke des von Norden in die Stadt führenden Pilgerweges säumen, beispielhaft skizziert werden kann (S. 216f.). Mit den von Teilen der Kurie seit der Mitte des 17.
Jahrhunderts immer wieder geforderten Reformen, welche die exzessiven Geldausgaben drosseln und die päpstlichen Kassen sanieren sollten, fand nahezu zeitgleich zu Berninis Ableben auch die exzessive Kunstpatronage dieses Jahrhunderts ihr Ende.

Der lockere und scheinbar mühelose Schreibstil, der den Text durchgehend kennzeichnet, formuliert indirekt den Anspruch, ein großes Fach-, aber auch Laienpublikum als Leserschaft zu gewinnen, was die Lektüre zu einem ebenso bildenden wie unterhaltsamen Vergnügen werden lässt. Gelegentlich schlägt die Sprache dabei freilich in einen allzu umgangssprachlichen Modus um, wenn beispielsweise die zum Katholizismus konvertierte Königin Christina von Schweden als „personifizierte Extrawurst im Rom dieser Jahre“ bezeichnet wird (S. 168). Auch vereinfacht der unbeschwerte Stil in einigen Textpassagen die Komplexität bestimmter Sachverhalte und Konstellationen zu stark. Einige Episoden aus dem Lebens Berninis, wie die Affäre um die Geliebte Costanza Bonarelli, die den Bruder Berninis nahezu das Leben gekostet hätte, bieten ebenfalls kaum grundlegend neue Erkenntnisse für die Wissenschaftswelt, sondern dienen mehr dem unterhaltenden Kennenlernen des „privaten“ Bernini.
Die wesentliche Qualität des Buches liegt indes in der kritischen Kontextualisierung der Werke Berninis in den zeitgenössischen Entstehungshorizont und der Analyse der vielfältigen Bedeutungsebenen, die zahlreiche Arbeiten auszeichnen. Beides vermag Karsten eindrücklich und überzeugend darzustellen, wozu der fesselnde Schreibstil des Autors sein Übriges beiträgt. Dass dabei kunsttheoretische Ausführungen gelegentlich zu kurz kommen, kann dem Autor aufgrund seines deutlich formulierten, sozial-historischen Interesses kaum zum Vorwurf gemacht werden, ist aber dennoch zuweilen bedauerlich.
Insgesamt stellt die Publikation ein fundiert recherchiertes und leserfreundlich verfasstes Werk dar, das jene Aspekte einer Künstlerpersönlichkeit und einer Epoche rekonstruiert, deren ineinander greifenden Verquickungen das hervorgebracht haben, was als „römischer Barock“ bis heute gefeiert wird.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Stefan Gorißen

URL zur Zitation dieses Beitrages
Autorenporträt
Arne Karsten ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Kunstgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2006

Die göttliche Theatermaschine
Heldenrolle gegen Charaktercharge, Weltmann gegen Weltschmerz: Bernini, Borromini und die Schöpfung des barocken Rom
Im Rom des 17. Jahrhunderts schätzte man vielleicht nur das Theater noch mehr als die Baukunst. Auch Gianlorenzo Bernini, das große Genie dieser Epoche, der Gestalter und Impresario des barocken Rom, war durch und durch ein Theatermensch. Deswegen vor allem lag die Stadt ihm zu Füßen, und deswegen ist es mehr als nur eine hübsche Pointe, dass der römische Hochbarock seine Erfindung sei. „Du bist geschaffen für Rom, und Rom ist geschaffen für dich”, soll Kardinal Maffeo Barberini schon dem Jüngling gesagt haben. Viele Jahre später, der Kardinal regiert nun als Papst Urban VIII., wird Bernini als Baumeister und Bildhauer in päpstlichen Diensten über Entfaltungsmöglichkeiten und Aufgaben verfügen wie vor ihm wohl kein anderer Künstler. Er herrscht über die großen Bauprojekte Roms, vor allem aber über die Ausgestaltung des Petersdoms, wie ein allgewaltiger Theaterdirektor.
Doch dieser uomo universale des 17. Jahrhunderts bewährte sich auch auf den richtigen Theaterbühnen. Er schrieb, natürlich, Komödien, trat gerne und gern gesehen als Schauspieler auf, und als die öffentlichen Bühnen in Rom vorübergehend geschlossen wurden, eröffnete er ein privates Theater. Bernini liebte die Possen, den drastischen Spott und vor allem die spektakulären Bühneneffekte. In diesen „Komödien mit Maschine”, wie sie genannt wurden, erschien am Ende, wenn die Apparaturen auf Höchsttouren liefen, (fast) immer der Tod, schillernd und makaber, und ärgerte die Narren auf der Bühne, „zerschneidet er doch den Faden jeder Komödie und zerstört die Lust am Treiben der Welt”, wie es in einem der Stücke heißt.
Für Francesco Borromini mag die ganze Welt wohl aus Narren bestanden haben - ganz sicher jedenfalls empfand er das Leben nicht wie Bernini als herrliche Posse. Niemand hat ihn je lachen gesehen. Berüchtigt war er für sein „spanisches Gewand”: immer nur sah man ihn, von Kopf bis Fuß, in traurigem Schwarz gekleidet, allein die roten Strumpfbänder und die roten Rosetten auf den Schuhen setzten einen Farbakzent. Vielleicht bevorzugen angehende Architekten deswegen noch heute schwarze Kleidung.
Denn Borromini, der Meister der nervösen, dunklen, bizarren und genialischen Formen, des kühnen Entwurfs, ist so etwas wie eine Märtyrerfigur für den ganzen Berufsstand: Im steten Hader mit den Auftraggebern, unverstanden und ungeliebt, gilt gerade er als der eigentliche, der größte römische Architekt des Barockzeitalters, der nur das Pech hatte, in einer Zeit zu leben, die dem weltmännischen Charme, den versierten Schmeicheleien und trickreichen Manövern des Cavaliere Bernini erlegen war.
Fontänen und Melancholie
Während Bernini schon in seiner Kindheit wegen seiner Kunstfertigkeit als Wunderknabe gefeiert wurde, blieb Borromini, dem Verschlossenen, Jähzornigen und Chimärischen, nur die Rolle des Stiefkinds im barocken Rom. Borromini ist nicht märchenhaft reich gestorben wie sein großer Rivale, sondern einsam und verbittert. Er hat sich umgebracht. Wie ein Samurai hat er sich in sein eigenes Schwert gestürzt. Denn die „Lust am Treiben der Welt”, die sich noch in Berninis pompös-makabren Grabmonumenten äußert, blieb ihm, der seine Architektur als „Studien in praktischer Mathematik” verstand und Geometrie als göttliche Ekstase, gänzlich verschlossen.
Der amerikanische Architekturhistoriker und Journalist Jake Morrissey lässt sein Buch über diese „Rivalen von Rom” mit dem Selbstmord Borrominis beginnen. Darin schließlich kulminiert die Geschichte des jahrzehntelangen Wettstreits zwischen den beiden großen und wegweisenden Baumeistern, die Morrissey ebenso kenntnisreich wie unterhaltsam erzählt. Es ist ein vorzügliches Buch, eng anhand der Quellen geschrieben und klug vor dem Hintergrund der fieberhaften Bautätigkeit im Rom des mittleren 17. Jahrhunderts entfaltet.
Der Kenner mag zwar über das Werk und die architekturgeschichtliche Bedeutung der Protagonisten nichts Neues erfahren, aber Morrissey interessiert sich (und uns) auch viel mehr für die Geschichte, die mit ihrem Wirken im schillernden Kosmos des barocken Rom verbunden ist. Diese - überaus spannende - Geschichte verfügt über ein geradezu theaterreifes Exposé. Denn dieses Rom ist eine zutiefst theatralische Stadt - deswegen vergibt es aber auch die Hauptrolle nur einmal.
Fast immer ist es Bernini, der die Heldenrolle spielt, als ewig lächelnder Hof- und Hausarchitekt der aufeinander folgenden päpstlichen Familien. Über Jahrzehnte besitzt er das prestigeträchtigste Amt: die Leitung der Bauhütte von St. Peter. Borromini dagegen, berüchtigt für seine Launenhaftigkeit und Starrköpfigkeit und dennoch gerühmt für seine originellen Lösungen heikelster Bauaufgaben, muss sich mit der Rolle des Charakterchargen begnügen; es sind vor allem die neuen katholischen Orden, die Jesuiten etwa oder die Oratorianer, die ihn als Architekten engagieren.
Aber Borromini brilliert in diesen Nebenrollen, und für eine Zeit lang, unter Innozenz X., als Berninis Stern zu sinken beginnt, spielt er sich sogar in den Mittelpunkt: Während die Glockentürme, die Bernini auf die Hauptfront St. Peters setzen sollte, halbfertig wieder abgerissen werden - die Fassade, dies behaupten zumindest Borromini und seine Parteigänger, würde unter ihrem Gewicht unweigerlich einstürzen - besitzt dieses eine Mal Borromini die Gunst eines Papstes.
Doch mit einem Sensationscoup, dem Vierströme-Brunnen auf der Piazza Navona, meldet sich Bernini zurück. Es gelingt ihm nicht nur, Borromini bei der Auftragsvergabe durch eben diesen Papst auszustechen, sondern auch noch, Innozenz X. bei der Einweihung des Brunnens besonders zu entzücken. Nachdem der Papst den enthüllten Brunnen erfreut betrachtet und sich schon mit tapfer erduldeter Enttäuschung von Bernini verabschiedet hatte - weil es noch ganz ungewiss sei, wann endlich das Wasser sprudeln könnte -, hörte er beim Fortgehen plötzlich hinter sich die Fontänen spritzen. Um zehn Jahre, so der glückliche Papst, habe Bernini mit dieser Überraschung sein Leben verlängert.
Auch den Neidern und Kritikern gegenüber revanchierte sich Bernini - auf angemessen komödiantische Weise: Als Gerüchte verbreitet wurden, dass auch der Brunnen einsturzgefährdet sei, ließ er diesen vor aller Augen vorsichtshalber statisch sichern - durch Bindfäden, die er zwischen dem Obelisken und den umliegenden Häusern spannte.
Nichts besaß dort und damals mehr Überzeugungskraft, mehr Autorität als der grandiose und virtuose Bühneneffekt. Bernini wurde zum bedeutendsten Künstler Roms, weil er auch ein Meister in diesem Fach war: „der größte und berühmteste Regisseur der römischen Spiele im 17. Jahrhundert” (K. Chledowski). Borromini dagegen, ein ingeniöser Baumeister, war eine Fehlbesetzung auf der Bühne: ein lausiger Schauspieler, eine Katastrophe als Höfling. Nach dem Desaster auf der Piazza Navona verstritt er sich zunehmend noch mit den wohlwollendsten Auftraggebern. Er floh von den Baustellen und versank, wie die Zeitzeugen berichten, in „fiebrige Melancholie”. Erlösung mag er in seinem Selbstmord gefunden haben. Das barocke Rom aber konnte nur eine Erfindung des Weltmanns und Theatermenschen Bernini sein. Rome - c’est le Bernini, hat Rodin einmal gesagt.
Zitternde Glieder des Papstes
Diesem „Schöpfer des barocken Roms” hat Arne Carsten, ein zwar noch junger, aber ausgewiesener Kenner des päpstlichen Hofes in damaliger Zeit, eine eigene Darstellung gewidmet. Sie bietet zugleich mehr und - leider viel - weniger als eine Biografie Berninis. Denn während Carsten den Blick weitet auf die „Umwelt” des Meisters - es sind dies jedoch vor allem die Auftraggeber Berninis, die jeweiligen Päpste und ihre Nepoten - und ebenso fundiert wie kurzweilig den vatikanischen Dschungel durchstreift, wo die Löwen brüllen und sich die Pfauen spreizen, gewinnen Leben und Werk Berninis nur undeutliche Kontur. Seine künstlerische Entwicklung wird allenfalls summarisch behandelt, und das pulsierende, vom Wettbewerb aufgeheizte, zur Höchstleistung herausfordernde Kunstleben Roms gleich völlig ausgeklammert.
Nur die berühmtesten Hauptwerke Berninis, von der atemberaubenden Skulpturengruppe „Apoll und Daphne” bis zu den Kolonnaden des Petersplatzes, erfreuen sich ausführlicherer Würdigungen, die allerdings kaum über gängiges Handbuchwissen hinausgehen oder gar eine eigene Sicht, eine intensivere Durchdringung der künstlerischen Leistung verrieten. Bernini, dem Mann von Welt, dem epochalen Ausnahmekünstler und großen Theatermenschen, kann Karsten letztlich leider nicht soviel Reiz abgewinnen wie den - ja unbestritten ebenfalls reizvollen - vatikanischen Akteuren, deren Persönlichkeit und Wirken er souverän zu skizzieren und pointieren weiß. Das ist schade, denn eine große moderne Biografie Berninis für den deutschen Leser ist lange schon überfällig.
Bernini war nicht nur der Gestalter, er war auch der heimliche Herrscher des barocken Rom: Als Urban VIII. nach seiner Wahl gleich schwer erkrankte und lange Zeit mit dem Tode rang, hat er sich einmal, um die wachsende Unruhe im Volk zu beschwichtigen, mit zitternden Gliedern am Fenster seines Gemaches der Menge gezeigt. In Rom aber kursierten sofort Gerüchte, diese Gestalt sei gar nicht der Papst, sondern eine von Bernini geschaffene machina gewesen - eine Figurine vom großen Meister des Bühneneffekts.
MANFRED SCHWARZ
JAKE MORRISSEY: Göttliches Design oder Die Rivalen von Rom. Bernini und Borromini im Kampf um die Architektur in der Ewigen Stadt. Aus dem Amerikanischen von Michael Haupt. Europa Verlag, Hamburg 2005. 280 S., 19,90 Euro.
ARNE KARSTEN: Bernini. Der Schöpfer des barocken Rom. Verlag C. H. Beck, München 2006. 272 S., 24,90 Euro.
Zwei Baumeister, Rivalen auf engstem Raum: Einen Coup landete Gianlorenzo Bernini (ganz links) mit seinem 1651 fertiggestellten Vierströme-Brunnen, der Fontana dei Fuimi, auf der Piazza Navona in Rom. Neben dem Brunnen entstand wenig später die von seinem Antipoden Francesco Borromini erbaute Kirche S. Agnese in Agone (oben, mit der Brunnenfigur des Rio della Plata). Fotos: AKG/PA, dpa, privat
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Er hat die ganze Welt opernhaft überhöht
Faszination Katholizismus: Arne Karstens Bernini-Buch ist die Gesamtschau einer Epoche / Von Dirk Schümer

Mit Michelangelo, dem Universalkünstler der Renaissance, wurde Gian Lorenzo Bernini zu Lebzeiten regelmäßig verglichen. Ein solcher Vergleich fällt schmeichelhaft aus - für Michelangelo. Denn Bernini, für die imposante Spanne von 1612 bis 1678 maßgeblicher Bildhauer, Architekt, Stadtplaner und Festregisseur am päpstlichen Hof, konnte mehr als achtbar malen, Gedichte schreiben und Opern komponieren. Nicht nur letzteres hatte er Michelangelo voraus, obendrein begründete der umtriebige Künstlersohn Bernini das Genre der politischen Karikatur, indem er Kardinäle, mächtige Minister und sogar den Papst auf urkomische Weise mit einigen Strichen einfing und gnadenlos dem öffentlichen Gespött preisgab. So wurde der eitle und arbeitswütige Höfling zum Wunder seiner Zeit. Arne Karstens Biographie trägt der hochverdienten Wertschätzung Rechnung, mit der Bernini heute als "Schöpfer des barocken Rom" gesehen wird.

Den großen Reiz der Monographie macht die intime Kenntnis aus, mit welcher der Autor Berninis Schaffen in der römischen Sozialhistorie des Barocks verortet. Dabei ist ihm ein veritables Kunstbuch gelungen, das dennoch der Deftigkeit und der Spannung nicht entbehrt - eine fundierte Gesamtschau einer Epoche, die mit den Kriminalromanen des italienischen Autorenduos Monaldi/Sorti derzeit als dekadenter Zeitspiegel entdeckt wird.

Berninis steinerne Kunst steht bildhaft für so manche hybride Volte. So ist der trotzig die Schleuder führende "David" punktgenau in dem Augenblick entstanden, in dem Berninis Förderer, Kardinal Scipio Borghese, wieder zu Kräften kam, nachdem die feindliche Nepotensippe der Lodovisi, deren Papst Gregor XV. 1623 gestorben war, ihn zuvor von den reich gefüllten Töpfen der Macht weggedrängt hatte. Nun sollte den Goliath der Lodovisi-Kardinäle, Lodovico, der Schleuderstein Davids treffen. Was heute wie zeitlose Antiken-Überbietung oder als biblische Reminiszenz wirken mag, war also eindeutig als tagespolitische Kunst intendiert. Das gilt insonderheit bei Büsten papistischer Würdenträger: Kardinal Scipio Borghese bekam seine Verewigung durch Bernini spendiert, als dieser bereits exklusiv für die regierende Barberini-Sippe meißelte. Doch der tumbe und fette Würdenträger, der seine Wesenszüge von Bernini in Stein gemeißelt bekam, mußte damals im Tauziehen zwischen spanien- und frankreichfreundlichen Intriganten für die Barberini-Partei gewonnen werden, wozu der berühmte Künstler als Angestellter sein Scherflein beitrug.

In Karstens überzeugenden und gut formulierten Lesarten erstehen die marmornen Bildwerke als Zeugnisse bewegter Aktualität neu. Der weltberühmte Vier-Ströme-Brunnen auf der Piazza Navona sollte mit seinem Obelisken die päpstliche Weltherrschaft (über Rio de la Plata, Donau, Nil und Ganges) genau in dem Moment versinnbildlichen, da der Westfälische Friede auch noch die letzte Geltung des Kirchenstaates unter Europas Großmächten weggewischt hatte. Neben solchen genau berechneten Auftragswerken, die stets gegen die wechselnden Konjunkturen Berninis bei unterschiedlichen Päpsten durchgesetzt werden mußten, hinterließ das Genie aber auch wenige persönliche Duftmarken. Die Büste seiner glutvollen Geliebten Costanza Bonarelli mit wehendem Schopf und Kulleraugen zeugt von einer fatalen Lebensleidenschaft für diese bereits verehelichte Römerin. Bald nach der Affäre hätte Bernini beinahe seinen Bruder und Mitarbeiter Luigi erschlagen, nachdem er ihn als Liebhaber derselben Costanza in flagranti überrascht hatte. Nur ein päpstlicher Dispens sprach ihn nach dem dramatischen Mordversuch in den Gassen von Rom von allen Strafen frei. Demselben - augenscheinlich hormonell überaktiven - Luigi konnte Bernini dank guter Verbindungen indes viele Jahre später aus der Klemme helfen, als der Bruder mit einem Knaben (nach anderen Quellen: einem Schaf) erwischt worden und unter Todesandrohung aus Rom verbannt worden war.

Karsten schreckt glücklicherweise vor solchen Anekdoten aus dem prallen Leben des barocken Rom nicht zurück; dabei gelingt es ihm - mit ganz ähnlichem Gestus schreibend wie sein literaturhistorischer Kollege Roberto Zapperi -, viel von der Gewaltbereitschaft und von den Ritualen der vormodernen Gesellschaft einzufangen und für die psychologische Deutung seines Künstlers nutzbar zu machen. Bernini unterlag eben nicht nur dem individuellen Druck des ruhelosen, manisch-depressiven Allroundkünstlers, sondern er mußte seine immensen Fähigkeiten mit Inszenierungen seiner Kunst, mit genau berechneten Bonmots und ewigem Antichambrieren im Sozialkosmos Rom zur Geltung bringen und stets seine Auftraggeber bei Laune halten. Wie genial er darin war, zeigt seine überraschende Bewässerung des Navona-Brunnens bei einem Besuch des Papstes auf der Baustelle oder der perspektivische Umbau der unansehnlichen "Scala regia" vom Petersplatz zu den Prunkräumen des Papstes - eine Meisterleistung der Renovierungskunst, die Karsten staunend, quasi mit dem Maßband analysiert.

Das Rom, vor allem das des prunkliebenden Mäzen-Papstes Urban VIII. aus dem Haus Barberini, ersteht bei der Lektüre als grandios jesuitisches Theatrum mundi, in dem vom Sexualleben der Kleinbürger bis zur Weltpolitik der Diplomaten, vom provinziellen Nepotentum der Päpste bis zur christlichen Heilsgeschichte die ganze Welt opernhaft überhöht erscheint. Und sind es nicht genau diese Relikte der Bernini-Welt - die Bühne des Petersplatzes, der überkandidelte Tabernakel, die prunkvollen Papstmessen mit Hermelin-Kostümen - die bis heute weltweit maßgeblich zur Faszination des Katholizismus beitragen?

Wohl weniger Berninis notorische Grandezza, sondern eher die strukturelle Veronkelung der päpstlichen Politik durch immer neue Neffen und illegitime Kinder brachte den Kirchenstaat trotz aller Peterspfennige an den Rand des Ruins, weil jeder aufgestiegene Neukardinal seinen fraglichen Habitus durch Großprojekte der Baukunst oder wenigstens der Grabskulptur für die persönliche Unsterblichkeit aufwerten wollte. Der Firma Berninis, der zahlreiche devote Assistenten beschäftigte, gelang es meist, mit Intrigen und Mobbing allfällige Konkurrenten wie Borromini, der sich am Ende umbrachte, aus dem Feld zu schlagen. Aber es rückten immer neue Künstler an und machten das prächtige Rom zu einem echten Geldgrab. Als Mitarbeiter eines langjährigen und ertragreichen deutschen Forschungsprojektes zur päpstlichen Funeralkunst mit dem schönen Namen "Requiem" kennt sich Arne Karsten auf dem Gebiet der Auftraggeberschaft blendend aus. Rom saß nach der rund sechzigjährigen Alleinherrschaft des zweiten Michelangelo in der Schuldenfalle. Das ist kein Wunder; Karsten rechnet vor, daß allein der Baldachin überm Petersaltar zweihunderttausend Scudi kostete - einen Betrag, der ein Zehntel der päpstlichen Staatseinnahmen ausmachte. "Man stelle sich", sinniert Karsten, "ein Kunstwerk vor, das ein Zehntel des deutschen Bundesetats verschlingen soll." Man stellt sich ein solches Kunstwerk besser nicht vor, denn einen Bernini hatte noch kein deutscher Kanzler zur Disposition.

Aber weil in der Geschichte nur selten die Schönheit, aber öfter schon die wirtschaftliche Vernunft siegt, sanierte der knausrige und kunstfeindliche Clemens X. den zerrütteten Etat systematisch. Wir Nachgeborenen können von Glück sagen, daß Bernini da bereits sein Bestes geleistet und nur mehr vier Jahre zu leben hatte. Der Schöpfer dauerhaften päpstlichen Ruhms wurde in Santa Maria Maggiore unter einer schmucklosen Platte zur Ruhe gebettet - ein neuer Michelangelo zwar, aber ein Bürgerlicher mit den sozialen Beschränkungen seines Standes allemal.

Arne Karsten: "Bernini". Der Schöpfer des barocken Rom. Verlag C. H. Beck, München 2006. 272 S., 51 Abb., 2 Karten, geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Höchst reizvoll findet Dirk Schümer diese Monografie nicht nur wegen der "intimen Kenntnis" mit der Autor Arne Karsten hier Berninis Schaffen "in der Sozialhistorie des Barocks verortet", sondern auch aufgrund der "Deftigkeit" diese Epochenschau. Laut Schümer gelingt es Karsten, mittels Anekdoten aus dem "prallen Leben" des barocken Rom zu zeigen, dass die marmornen Bildwerke oft tagespolitischen Ereignissen oder bestimmten Ritualen der damaligen Gesellschaft geschuldet sind. Der Schritt zur psychologischen Deutung des Künstlers in der soziologischen Gemengelage ist nicht weit und der Autor geht ihn, wie Schümer anerkennt, schreibend mit dem Gestus eines Roberto Zapperi. Am Ende steht der Rezensent staunend vor einer vom Katholizismus geprägten Welt, die Bernini mit seiner Kunst zur ganz großen Oper erhob.

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