Mit der Einstufung der Atomenergie als »nachhaltig« seitens der EU rückt ein Element in den Mittelpunkt aktueller Debatten: Uran. Einige träumen immer noch davon, mit dem strahlenden »Wunderstoff« über die Lösung aller Energieprobleme zu verfügen, doch Uran steht eben auch für Tschernobyl, die Vertreibung indigener Völker und aufgrund der ungelösten Endlagerfrage für eine Kultur der Zukunftsvergessenheit. Der neue Band aus der Reihe Stoffgeschichten lädt auf eine faszinierende Reise durch die Zeit- und Wissenschaftsgeschichte ein - und führt uns in so manchen Abgrund unseres Menschseins.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2023Die Utopie einer uranfreien Welt
Kernkraft? Nein danke: Das Element mit der Ordnungszahl 92 im Fadenkreuz
Uran, ein schwarzgraues Schwermetall, ist das schwerste natürliche Element. Weil sein Atomkern aus 92 Protonen besteht, ist es im Periodensystem mit der Ordnungszahl 92 gelistet. Diese große Zahl an positiv geladenen Kernbausteinen ist auch der Grund für die Radioaktivität des Elements. Uran ist ein wichtiger Rohstoff für die Forschung, für medizinische und industrielle Anwendungen sowie für die Energiegewinnung in Kernkraftwerken. Uran ist aber auch Ausgangsstoff für den Bau todbringender Kernwaffen. Tatsächlich hat der Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945 schätzungsweise 70.000 bis 80.000 Menschen den Tod gebracht. Für den Umweltjournalisten Horst Hamm hat Uran wegen seines hohen Zerstörungspotentials einen ambivalenten Ruf. Denn ohne Uran gäbe es keine menschengemachte Kernspaltung und damit keine Atombombe, aber auch keine Umweltkatastrophen wie Tschernobyl und Fukushima. Es ist überwiegend ein düsteres Bild, das Horst Hamm über das Element mit der Ordnungszahl 92 in seinem Buch zeichnet - "Das unheimliche Element. Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung".
Dass er ein bekennender Kernkraftgegner ist und die Zukunft in den erneuerbaren Energien sieht, daraus macht der Autor von Anfang an kein Geheimnis. Hamm ist geschäftsführender Vorstand der "Nuclear Free Future Foundation", einer Stiftung, die über die Gefahren der Kerntechnologie zu zivilen sowie militärischen Zwecken aufklären will und sich gegen die nukleare Aufrüstung einsetzt. Und so liest sich das Buch über weite Teile als Plädoyer gegen Kernwaffen, vor allem aber auch gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, einschließlich der "schmutzigen" Gewinnung des Rohstoffs.
In jedem Kapitel beleuchtet Hamm eine andere Facette des Elements, das der Apotheker Martin Heinrich Klaproth im Jahre 1789 in Berlin entdeckte, als er ein Stück Pechblende aus Sachsen chemisch analysierte. Wie er aus dem Mineral ein unbekanntes schwarzes Pulver extrahierte, das er nach dem Planeten Uranus benannte, erzählt Hamm ebenso ausführlich und kenntnisreich wie die Entdeckung des Franzosen Antoine Henri Becquerel 1896, dass Uran eine bis dahin ungekannte Strahlung aussendet, deren wahre Natur Marie Curie 1898 enträtselte.
Hat für Hamm die Erforschung des Urans und der Radioaktivität noch große Bedeutung für Wissenschaft und Menschheit gehabt, so ist für ihn die Entdeckung der Kernspaltung durch die deutschen Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann im Jahr 1938 eine klare Zäsur. Denn damit beginne das Atomzeitalter mit all seinen trügerischen Hoffnungen und Schrecken. Vom ersten funktionierenden Kernreaktor in Chicago bis zu der Entwicklung der Atombombe im Zuge des "Manhattan-Projekts" und dem erstmaligen Einsatz der Bombe über Hiroshima vergingen nur wenige Jahre.
Wurde bis Ende der Fünfzigerjahre Uran überwiegend militärisch genutzt, nahm die friedliche Nutzung der Kernkraft in den Sechzigerjahren allmählich Fahrt auf. Doch die Erwartungen, dass mithilfe der Kernenergie elektrischer Strom in großen Mengen und unendlich billig zu erzeugen sei, wie sie US-Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner Rede "Atoms for Peace" am 8. Dezember 1953 vor der UN-Generalversammlung geweckt hatte, hätten sich, so Hamm, bis heute nicht erfüllt. Im Gegenteil: Kernenergie sei nach wie vor teuer und eine mit großen Risiken behaftete Technologie, wie vor allem die Reaktorunfälle von Tschernobyl und Fukushima gezeigt hätten.
Gegen jegliche Nutzung von Uran sprechen für Hamm auch die negativen Auswirkungen des Uranbergbaus, die in vielen Teilen der Welt zu sehen seien, wo nach Uran geschürft wurde und noch wird. Die Bergarbeiter seien hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt, von den Gesteins- und Schlammüberresten des Uranabbaus, die viele Zerfallsprodukte enthielten, gehe eine große Gefahr für die Bevölkerung aus. Hamm hat die Problematik des Uranbergbaus am Beispiel der Stadt Arlit in Niger recherchiert.
Hamm plädiert dafür, Uran in der Erde zu lassen und nicht anzurühren. Das ist ein unrealistischer Vorschlag, denn selbst beim Schürfen von Gold wird Uran zutage gefördert.
Der Autor sieht auch hinsichtlich der ungeklärten Frage der Endlagerung des Atommülls für die Kernenergie keine Zukunft: "Die Atomwirtschaft neigt sich heute ihrem Ende zu und führt derzeit eher einen verzweifelten Abwehrkampf gegen die wachsende Schar der Atomkritiker*innen und vor allem gegen die erneuerbaren Energien, die überall in der Welt ihr den Rang ablaufen." Dass man heute in vielen Teilen der Welt noch an der Kernkraft festhalte, sei - so Hamms Überzeugung - einzig den Kernwaffen geschuldet, deren Arsenale die Atommächte ausbauten.
Vernünftige Argumente pro Kernkraft sind für Hamm zum großen Teil Argumente der Atomlobby. Dass beispielsweise Frankreich, Belgien, Schweden und Finnland (dort sogar mit Unterstützung der Grünen) die Kernenergie neben den Erneuerbaren mittlerweile als eine Säule für die CO2-neutrale Stromerzeugung betrachten, findet bei Hamm keine große Beachtung. Von der Entwicklung neuer Reaktortypen, die Brennstoff effizienter ausnutzen und mit besseren Sicherheitskonzepten ausgestattet sind und weniger Atommüll produzieren sollen, hält Hamm genauso wenig wie von der Fusionsforschung, die Prozesse wie in der Sonne zur Energiegewinnung auf der Erde nutzen will.
Hamms Argumentation gegen Kernenergie und pro Erneuerbare ist nicht neu und erinnert mitunter an die Anfänge der Anti-Atomkraft-Bewegung. Zur Untermauerung seiner Thesen zitiert der Autor auch zahlreiche gleichgesinnte Vertreter von Umweltverbänden. Expertisen unabhängiger Wissenschaftler, die seit Jahren auf dem Gebiet der Kernenergie forschen, liest man dagegen nicht.
Hamm will mit seiner Abrechnung die Leser auf seine Seite ziehen und Argumente gegen Kernkraft an die Hand geben, wie er in seinem Nachwort schreibt. Ob das bei allen Lesern fruchtet, darf bezweifelt werden. Zumal in Deutschland Kernkraftwerke seit dem 14. April dieses Jahres ohnehin der Vergangenheit angehören. MANFRED LINDINGER
Horst Hamm: Das unheimliche Element. Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung.
Oekom Verlag, München 2023. 240 S., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kernkraft? Nein danke: Das Element mit der Ordnungszahl 92 im Fadenkreuz
Uran, ein schwarzgraues Schwermetall, ist das schwerste natürliche Element. Weil sein Atomkern aus 92 Protonen besteht, ist es im Periodensystem mit der Ordnungszahl 92 gelistet. Diese große Zahl an positiv geladenen Kernbausteinen ist auch der Grund für die Radioaktivität des Elements. Uran ist ein wichtiger Rohstoff für die Forschung, für medizinische und industrielle Anwendungen sowie für die Energiegewinnung in Kernkraftwerken. Uran ist aber auch Ausgangsstoff für den Bau todbringender Kernwaffen. Tatsächlich hat der Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945 schätzungsweise 70.000 bis 80.000 Menschen den Tod gebracht. Für den Umweltjournalisten Horst Hamm hat Uran wegen seines hohen Zerstörungspotentials einen ambivalenten Ruf. Denn ohne Uran gäbe es keine menschengemachte Kernspaltung und damit keine Atombombe, aber auch keine Umweltkatastrophen wie Tschernobyl und Fukushima. Es ist überwiegend ein düsteres Bild, das Horst Hamm über das Element mit der Ordnungszahl 92 in seinem Buch zeichnet - "Das unheimliche Element. Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung".
Dass er ein bekennender Kernkraftgegner ist und die Zukunft in den erneuerbaren Energien sieht, daraus macht der Autor von Anfang an kein Geheimnis. Hamm ist geschäftsführender Vorstand der "Nuclear Free Future Foundation", einer Stiftung, die über die Gefahren der Kerntechnologie zu zivilen sowie militärischen Zwecken aufklären will und sich gegen die nukleare Aufrüstung einsetzt. Und so liest sich das Buch über weite Teile als Plädoyer gegen Kernwaffen, vor allem aber auch gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, einschließlich der "schmutzigen" Gewinnung des Rohstoffs.
In jedem Kapitel beleuchtet Hamm eine andere Facette des Elements, das der Apotheker Martin Heinrich Klaproth im Jahre 1789 in Berlin entdeckte, als er ein Stück Pechblende aus Sachsen chemisch analysierte. Wie er aus dem Mineral ein unbekanntes schwarzes Pulver extrahierte, das er nach dem Planeten Uranus benannte, erzählt Hamm ebenso ausführlich und kenntnisreich wie die Entdeckung des Franzosen Antoine Henri Becquerel 1896, dass Uran eine bis dahin ungekannte Strahlung aussendet, deren wahre Natur Marie Curie 1898 enträtselte.
Hat für Hamm die Erforschung des Urans und der Radioaktivität noch große Bedeutung für Wissenschaft und Menschheit gehabt, so ist für ihn die Entdeckung der Kernspaltung durch die deutschen Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann im Jahr 1938 eine klare Zäsur. Denn damit beginne das Atomzeitalter mit all seinen trügerischen Hoffnungen und Schrecken. Vom ersten funktionierenden Kernreaktor in Chicago bis zu der Entwicklung der Atombombe im Zuge des "Manhattan-Projekts" und dem erstmaligen Einsatz der Bombe über Hiroshima vergingen nur wenige Jahre.
Wurde bis Ende der Fünfzigerjahre Uran überwiegend militärisch genutzt, nahm die friedliche Nutzung der Kernkraft in den Sechzigerjahren allmählich Fahrt auf. Doch die Erwartungen, dass mithilfe der Kernenergie elektrischer Strom in großen Mengen und unendlich billig zu erzeugen sei, wie sie US-Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner Rede "Atoms for Peace" am 8. Dezember 1953 vor der UN-Generalversammlung geweckt hatte, hätten sich, so Hamm, bis heute nicht erfüllt. Im Gegenteil: Kernenergie sei nach wie vor teuer und eine mit großen Risiken behaftete Technologie, wie vor allem die Reaktorunfälle von Tschernobyl und Fukushima gezeigt hätten.
Gegen jegliche Nutzung von Uran sprechen für Hamm auch die negativen Auswirkungen des Uranbergbaus, die in vielen Teilen der Welt zu sehen seien, wo nach Uran geschürft wurde und noch wird. Die Bergarbeiter seien hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt, von den Gesteins- und Schlammüberresten des Uranabbaus, die viele Zerfallsprodukte enthielten, gehe eine große Gefahr für die Bevölkerung aus. Hamm hat die Problematik des Uranbergbaus am Beispiel der Stadt Arlit in Niger recherchiert.
Hamm plädiert dafür, Uran in der Erde zu lassen und nicht anzurühren. Das ist ein unrealistischer Vorschlag, denn selbst beim Schürfen von Gold wird Uran zutage gefördert.
Der Autor sieht auch hinsichtlich der ungeklärten Frage der Endlagerung des Atommülls für die Kernenergie keine Zukunft: "Die Atomwirtschaft neigt sich heute ihrem Ende zu und führt derzeit eher einen verzweifelten Abwehrkampf gegen die wachsende Schar der Atomkritiker*innen und vor allem gegen die erneuerbaren Energien, die überall in der Welt ihr den Rang ablaufen." Dass man heute in vielen Teilen der Welt noch an der Kernkraft festhalte, sei - so Hamms Überzeugung - einzig den Kernwaffen geschuldet, deren Arsenale die Atommächte ausbauten.
Vernünftige Argumente pro Kernkraft sind für Hamm zum großen Teil Argumente der Atomlobby. Dass beispielsweise Frankreich, Belgien, Schweden und Finnland (dort sogar mit Unterstützung der Grünen) die Kernenergie neben den Erneuerbaren mittlerweile als eine Säule für die CO2-neutrale Stromerzeugung betrachten, findet bei Hamm keine große Beachtung. Von der Entwicklung neuer Reaktortypen, die Brennstoff effizienter ausnutzen und mit besseren Sicherheitskonzepten ausgestattet sind und weniger Atommüll produzieren sollen, hält Hamm genauso wenig wie von der Fusionsforschung, die Prozesse wie in der Sonne zur Energiegewinnung auf der Erde nutzen will.
Hamms Argumentation gegen Kernenergie und pro Erneuerbare ist nicht neu und erinnert mitunter an die Anfänge der Anti-Atomkraft-Bewegung. Zur Untermauerung seiner Thesen zitiert der Autor auch zahlreiche gleichgesinnte Vertreter von Umweltverbänden. Expertisen unabhängiger Wissenschaftler, die seit Jahren auf dem Gebiet der Kernenergie forschen, liest man dagegen nicht.
Hamm will mit seiner Abrechnung die Leser auf seine Seite ziehen und Argumente gegen Kernkraft an die Hand geben, wie er in seinem Nachwort schreibt. Ob das bei allen Lesern fruchtet, darf bezweifelt werden. Zumal in Deutschland Kernkraftwerke seit dem 14. April dieses Jahres ohnehin der Vergangenheit angehören. MANFRED LINDINGER
Horst Hamm: Das unheimliche Element. Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung.
Oekom Verlag, München 2023. 240 S., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ausführlich und sachkundig ist dieses Buch des Umweltjournalisten Horst Hamm vor allem, wenn er die Historie der Entdeckung und Erforschung des Elements Uran nachzeichnet, meint Rezensent Manfred Lindinger. Etwas eindimensional findet der Rezensent allerdings Hamms radikale Kritik an der Nutzung von Atomenergie. Zwar seien die meisten seiner Argumente nicht von der Hand zu weisen, wie beispielsweise die Problematik der Endlagerung des Atommülls, gleichzeitig gehe der Autor aber zu wenig auf neue Ansätze und aktuelle Entwicklungen ein. Seine Thesen untermauert Hamm vorwiegend mit den Zitaten ihm Gleichgesinnter, bedauert Lindinger, der gerne auch die Argumente unabhängiger Kernforscher gelesen hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»In einem bemerkenswerten Buch aus dem oekom Verlag lädt der Umweltjournalist Horst Hamm auf eine faszinierende Reise durch die Zeit- und Wissenschaftsgeschichte ein [...]« Bücherrundschau »Ein empfehlenswerter, höchst aktueller Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion um die Atomkraft.« Michael Mücke, EKZ »[...] ein sehr lesenswertes Buch!« Sofortiger Atomausstieg (SOFA) Münster »[W]o noch immer in Atomkraft investiert wird, werden alte Strukturen buchstäblich zementiert und Mittel für eine Zukunft der erneuerbaren Energien anderweitig verbraucht. All das und noch viel mehr erläutert Horst Hamm nicht nur, aber auch im Lichte von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine in seinem Buch [...] mit großer Präzision und Informationsdichte [...]« Hans Sieglbauer, the little queer review »Das Buch führt in so manchen Abgrund unseres Menschseins.« Der österreichische Installateur »[...] eine sehr gute Quelle.« Peter Laufmann, natur »[...] ein wertvoller Beitrag, denn er weitet den Blick auf den Stoff Uran, der mehr ist als nur Brennelement in den Kernkraftwerken.« Katja Maria Engel, Spektum.de »[E]ine wichtige Informations- und Argumentationshilfe für eine gefährliche Entwicklung, die uns alle betrifft.« Michael Lausberg, scharf links