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Produktdetails
  • Bibliothek der Böhmischen Länder
  • Verlag: Arco, Wuppertal
  • Seitenzahl: 390
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 552g
  • ISBN-13: 9783980841009
  • ISBN-10: 3980841006
  • Artikelnr.: 11210305
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2003

Sprache als Weltrest
Würdevoller Untergang: Fritz Beers unverwüstlicher Idealismus

Das zwanzigste Jahrhundert war kurz. Es reichte von 1914 bis 1990, vom Ersten Weltkrieg bis zum Zusammenbruch des Ostblocks. Fritz Beer schreibt als Zeitzeuge über ein sich veränderndes Europa, über die Macht des Gedächtnisses und über das Gewissen, das sich nicht betrügen läßt. Er kam 1911 zur Welt, in Brünn, der mährischen Hauptstadt, und auch daran kann man den Lauf der Zeit ermessen: Als 1929 Milan Kundera in der gleichen Stadt geboren wird, heißt sie schon Brno, man spricht und schreibt in ihr nicht mehr deutsch, sondern tschechisch, Mähren kennen nur noch die Historiker. Fritz Beer lebt seit 1939 in London, Kundera seit 1975 in Paris. In den dreißiger Jahren war Beer Kommunist. Das ist nicht immer so geblieben, weil ihm nichts wichtiger war als die Freiheit, aber von einer besseren Welt träumt er noch heute. Nur ist er nicht mehr sicher, daß sie sich allzu bald einstellen wird, und der frühen Ungeduld stellen seine seit dem Zweiten Weltkrieg verfaßten Texte ihre feine Ironie entgegen.

Er schreibt sie als Essayist, als Erzähler und als Journalist. Unter anderem war er von 1946 bis 1975 für den deutschen Dienst der BBC als politischer Kommentator tätig. Beer gehört zu jener Generation, der der Krieg die Heimat geraubt hat. Übriggeblieben ist nur die Erinnerung an eine Kultur, die es dort früher gab, und die Sprache, in der sie lebte: das Deutsche.

Die Sprache, aus der man nicht auswandern kann, ist der letzte Rest einer untergegangenen Welt. "Ich lebe seit dreiundfünfzig Jahren in England", heißt es 1993 in einem Vortrag über Heimat und Exil, "und in dem immer angstvollen ersten Augenblick vor dem leeren weißen Blatt fällt mir oft zunächst ein englisches Wort ein. Ich übersetze es ins Deutsche, um mich daran weiter zu haspeln." Beer muß die Muttersprache in der Fremde schreiben, denn im Gegensatz zu anderen Vertriebenen konnte er in der Bundesrepublik keine neue Heimat finden, weil er kein Volksdeutscher war, sondern ein Jude. Er hat nicht nur seine Heimat verloren, sondern auch seine Familie; im Titeltext des Bandes leistet er eine ergreifende Trauerarbeit und stellt auf subtile Weise zugleich das Schuldgefühl des Überlebenden dar.

Im Jahr 1992 wurde Fritz Beer zum Präsidenten des "PEN deutschsprachiger Autoren im Ausland" gewählt. Es gehört zu den Folgen der deutschen Wiedervereinigung, die auch die Spaltung innerhalb des deutschen PEN aufgehoben hat, daß die Auslandsorganisation zunehmend um ihre Existenzberechtigung zu kämpfen hatte. Ende 2001 wurde dann auf Initiative Fritz Beers und des Generalsekretärs Uwe Westphal die Auflösung des Auslands-PEN beantragt, weil er nicht mehr genügend Mitglieder habe und eines natürlichen Todes zu sterben drohe. Das ist nicht unwidersprochen geblieben, und es gibt heute Bemühungen, den Club wieder ins Leben zu rufen. Es zeigt aber auch an, daß hier eine Generation abzutreten beginnt: Noch diesen letzten Schritt der Selbstauflösung einer Exilkultur wollte Fritz Beer als einen Akt der Freiheit gestalten.

JAKOB HESSING

Fritz Beer: "Kaddisch für meinen Vater". Essays, Erzählungen, Erinnerungen. Arco Verlag, Wuppertal 2002. 390 S., br., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Mit einiger Melancholie hat Rezensent Jakob Hessing diese Texte gelesen und am meisten hat ihn wohl deren feine Ironie berührt. Entstanden, schreibt Hessing, seien die Essays und Erinnerungsstücke des Bandes im Exil und die deutsche Sprache erscheint ihm darin wie "der letzte Rest einer untergegangenen Welt". Besonders im Titeltext des Bandes leistet Fritz Beer nach Ansicht des Rezensenten "eine ergreifende Trauerarbeit" und stellt "auf subtile Weise zugleich das Schuldgefühl des Überlebens dar".

© Perlentaucher Medien GmbH"