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Wie kann die Erinnerung an die Shoah wachgehalten werden, wenn die letzten Zeugen nicht mehr leben? Werden die kommenden Generationen noch glauben können, was geschah? Ein Roman von seltener Kraft, zart, poetisch und beschwörend. Morgen wird Samuel seine Frau und seinen neugeborenen Sohn von der Entbindungsstation holen. Die letzten Stunden allein verbringt er mit Erinnerungen: an die Geschichte seiner Familie, von der nur der Großvater und dessen Schwester Rosa den Holocaust überlebten. An die eigene Kindheit, als er mit seiner Schwester und seinem Cousin all das, was ungesagt blieb, mit…mehr

Produktbeschreibung
Wie kann die Erinnerung an die Shoah wachgehalten werden, wenn die letzten Zeugen nicht mehr leben? Werden die kommenden Generationen noch glauben können, was geschah? Ein Roman von seltener Kraft, zart, poetisch und beschwörend. Morgen wird Samuel seine Frau und seinen neugeborenen Sohn von der Entbindungsstation holen. Die letzten Stunden allein verbringt er mit Erinnerungen: an die Geschichte seiner Familie, von der nur der Großvater und dessen Schwester Rosa den Holocaust überlebten. An die eigene Kindheit, als er mit seiner Schwester und seinem Cousin all das, was ungesagt blieb, mit Fantasie ausfüllte, wenn sie in den Sommerferien in den Vogesen den Mythos der fernen Großtante Rosa in Texas weiterspannen. Und daran, wie er mit siebzehn im jüdischen Pfadfinderlager seine heutige Frau und die Liebe kennenlernte. Rosas Geschichte - Pogrome in Polen, Exil in Frankreich, Deportation im Alter von 12 Jahren, der Tod fast der gesamten Familie, die Gräuel im KZ - kennt Samuel aus einem Brief, in dem sie ihm alles erzählte. So wie sie allabendlich davon in ihrem Cabaret der Erinnerungen erzählte, das sie nach der Emigration aus Europa in der texanischen Wüste gegründet hatte. Oder haben sich die spielenden Kinder dieses Cabaret in ihrer Fantasie nur ausgedacht? Ein so ergreifender wie zarter Roman, der von der Dringlichkeit erzählt, die Erinnerung an die Shoah zu bewahren, zu beleben und weiterzugeben.
Autorenporträt
Joachim Schnerf, geb. 1987 in Strasbourg, ist Schriftsteller und Lektor für internationale Literatur in Paris. »Wir waren eine gute Erfindung« (2019) wurde in Frankreich mit mehreren Preisen ausgezeichnet. »Das Cabaret der Erinnerungen« ist sein dritter Roman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2023

Neurosen bitte erst später weitergeben
Joachim Schnerfs Roman "Das Cabaret der Erinnerungen" erzählt vom fortgesetzten Trauma der Schoa

Wer mit aller Konsequenz danach fragt, welchen Platz das Lachen im Leben und in der Kunst haben kann, gerät bei der Suche nach Extrembeispielen auch hier zum Holocaust: Roberto Benignis Film "Das Leben ist schön" (1997) ist ein viel diskutierter Grenzfall, Roy Kifts Theaterstück "Camp Comedy" (1999) und der Comic "Zweite Generation - Was ich meinem Vater nie gesagt habe" (2014) von Michel Kichka wären weitere. Auch Joachim Schnerf hat mit seinem zweiten Roman "Wir waren eine gute Erfindung" die Frage angerissen: Er zeigte den Auschwitz-Überlebenden Salomon als KZ-Witzereißer vor dem Herrn, denn "um die Shoah zu erwähnen, hatte ich nur meine Witze" - Schreckensdarstellung braucht manchmal den komischen Filter. Die Erinnerung ist in dem Roman ebenfalls übermächtig: die an die Schoa sowie jene an Salomons Frau Sarah, die er erst vor zwei Monaten verloren hat.

"Das Cabaret der Erinnerungen": Wie der Titel andeutet, greift Schnerfs dritter Roman die Komik wieder auf, wenngleich in schwächerer Ausprägung als im zweiten; die Erinnerung hingegen fächert er auf in ein eng getaktetes Zusammenspiel mehrerer Ebenen. Basis ist wieder eine existenzielle Extremsituation, diesmal eine schöne: Samuel ist Vater geworden, in wenigen Stunden wird er Lena und ihr Neugeborenes im Krankenhaus abholen. Was anderen ein Grund zur Freude wäre, wird ihm zum Ausgangspunkt radikalen Zweifels: "Ich glaubte, mit meinen Ängsten leben gelernt zu haben, doch nach der Geburt sind sie aufs Neue hochgekommen." Der junge Mann hat keine hohe Meinung von sich: "Düster, gequält, egoistisch und neurotisch" - so das Selbstporträt. Freilich schildert Schnerf nicht einfach einen jener Männer, denen die Vaterschaft Angst einflößt: Es ist sowohl die Erinnerung an die Judenvernichtung als auch deren Verschweigen, die auf Samuel lasten.

Zugang zur Totenwelt der Schoa ermöglicht eine verrückte Grenzgängerin: Großtante Rosa, die Auschwitz als Mädchen überlebt und sich nach dem Krieg eine Existenz in Texas aufgebaut hat - in dem von ihr gegründeten Shtetl City, wo sie allabendlich ihr Stück "Camp Camp" aufführt. Samuel kennt sie von einer einzigen Begegnung her, der Rest des Austauschs beschränkt sich auf einen kurzen Briefwechsel, Familiengeschichten und kindliche Imagination: Lange schon spukt Rosa durch Samuels Hirn. Als Neunjähriger hat er mit seiner Schwester Tania und ihrem Cousin Michaël sogar zwei Tage in den Vogesen nach Rosa gesucht, auf einer imaginären Expedition in den Wilden Westen, in der sich Realität und Phantasie fortwährend überlagerten - der Leser ist gewarnt.

In der durchwachten Nacht baut "Das Cabaret der Erinnerungen" fünf Ebenen auf. Erstens Rosas Erinnerungen an Auschwitz, besonders an ihre Leidensgefährtin Jania, die nicht überlebt hat. Das berühmte Schuldgefühl der Überlebenden belastet Rosa, "eine unsägliche Schuld", nämlich die, "gestohlen, nicht geteilt zu haben, über andere Körper getrampelt zu sein, um selbst zu überleben". Zweitens sind da Rosas Aufführungen von "Camp Camp", die stets mit einer sturen Aufzählung des Horrors enden, den sie nicht darstellen kann; einmal nur hat sie ihn benannt, in ihrem Brief an Samuel. Drittens: Samuels Kinderexpedition in den Vogesen. Viertens, auch das gehört hinein, ein Pfadfinderlager, in dem er mit siebzehn Jahren Lena, die Frau seines Lebens, kennen- und lieben gelernt hat. Schließlich eben die Gegenwart des Dreiunddreißigjährigen, der gerade Vater geworden ist.

Die Vervielfältigung der Schauplätze und Zeitebenen deutet bereits an, dass dieser schmale Roman, der sprachlich unprätentiös daherkommt, komplex angelegt ist. Was Schnerf als Lektor des Verlagshauses Grasset erkennen können muss, setzt er hier weitgehend um: Er arbeitet etwa mit Spiegelungen, besonders die Geschwisterbeziehungen sind zentral. Der Großvater und Rosa, Samuel und Tania: zwei Paare, die große Zuneigung und radikale Unterschiede vereinen. Aber auch die Frage der Filiation, des Weitergebens, wird mehrfach durchgespielt, zwischen Großvater und Enkel, zwischen Vater und Sohn.

Schließlich bestimmt eine spiegelbildliche Entsprechung den Roman. Rosa zieht sich zurück, die "letzte Überlebende von Auschwitz" steigt zum letzten Mal auf die Bretter und kündigt an: "Wenn die Vorstellung vorbei ist, werde ich die Bühne verlassen und meine letzten Tage in der Wüste verbringen. Draußen werden Sie ein großes Feuer sehen, in dem schon die Gegenstände brennen, die ich all die Jahre über in meiner Loge aufbewahrt habe. Ich habe keine Energie mehr, aber noch Erinnerungen genug, um eine große Feuersglut bis in die frühen Morgenstunden wach zu halten." Das Abtreten ist das Gegenstück zum neugeborenen Sohn, dem Samuel die persönlichen und familiären Erinnerungen weiterreichen möchte.

Der 1987 in Straßburg geborene Schnerf porträtiert die dritte Generation. Die Schoa-Erinnerung erreicht sie doppelt vermittelt - und sie stehen vor der Schwierigkeit, "sich über das von den Eltern" (der zweiten Generation also) "auferlegte Schweigen" hinwegsetzen zu müssen; bezeichnend ist hier der Schulterschluss mit den Großeltern. Die Bedrohung scheint fern, der Schrecken dauert an und will ausgesprochen, ja ausagiert werden: "Die Shoah zu singen, zu tanzen, zu mimen, sie fiktiv zu verarbeiten, über sie zu lachen." Dafür ist Rosa ein Vorbild. Der Umgang mit der Schoa, das zeigt auch die Vogesen-Episode, muss nun ein freier sein: Er ist nicht mehr durch konkrete Erfahrungen und Objekte bestimmt, wie bei Rosa, vielmehr imaginiert der Erzähler Samuel diese Dinge und zeigt, wie seit seiner Kindheit der Erinnerungsraum durch Phantasie gestaltet wird, sodass sich Realität und Fiktion durchdringen, "eine Mischung aus ihrem Leben und den Träumereien meiner Kindheit".

Glaubwürdig wird "Das Cabaret der Erinnerungen" durch die geschickte Verschachtelung der Ebenen. Weniger geschickt ist er gelegentlich im Tonfall, der einen Hauch zu stark von seiner Mission erfüllt ist - geschichtlich verzeiht man es ihm, ästhetisch nicht - und einen Ton anschlägt, der teils gefühlslastig ist. Zum Glück richtet Lena ihren emotional kippenden Gatten (und mit ihm den Roman insgesamt) wieder auf: "Unser Sohn hat alle Zeit der Welt, um Nacht und Nebel mit dir zu schauen, lass ihn noch ein paar Tage in Ruhe. Wenigstens bis zur Beschneidung, danach kannst du ihm alle deine Neurosen weitergeben." Etwas mehr dieser komischen Trockenheit, das wäre es gewesen. NIKLAS BENDER

Joachim Schnerf: "Das Cabaret der Erinnerungen". Roman.

Aus dem Französischen von Nicola Denis. Verlag Antje Kunstmann, München 2023. 128 S., geb., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auch in Joachim Schnerfs dritten Roman spielt die Shoah wieder eine wichtige Rolle, konstatiert Rezensent Niklas Bender. Und erneut versucht Schnerf, wie im Vorgänger, dem transgenerationalen Trauma mit Humor begegnen. Im "Cabaret der Erinnerungen" treffen mehrere Erzählebenen aufeinander, die sich um den frisch gebackenen Vater Samuel und seine Bekanntschaft mit der Auschwitz-Überlebenden Rosa drehen, verrät Bender, Samuel hat Angst, was die Familiengeschichte in der Shoah mit seinem Sohn macht, wie er damit umgehen soll, Rosa wird von der Schuld der Überlebenden geplagt, dem Gefühl, das eigene Überleben auf Kosten anderer erschlichen und nicht verdient zu haben. Der Rezensent sieht in den verschiedenen Generationen und Erfahrungen, die sich gegenüberstehen, sich spiegelnde, ineinander verwurzelte Erfahrungen, eine Komposition, die ihm aufwendig und anspruchsvoll scheint. Schnerfs Stil kann ihn allerdings nur bedingt überzeugen, eine Spur zu viel Gefühl ist dabei, aber der trockene Humor macht das wett, schließt der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH