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Als Wolfgang Welt (1952-2016) Anfang der 70er Jahre die Bücher von Peter Handke, Franz Kafka und Hesses »Steppenwolf« liest, ist alles klar: Er will Schriftsteller werden - unbedingt. Welt beginnt mit Rezensionen und Porträts, über die Hermann Lenz sagt: »Da gibt's keinen lahmen oder gleichgültigen Satz«. 1981 entsteht im automatic-writing-Verfahren der erste Prosatext, »Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe«. Der Titel umfasst zwei zentrale Pole seines Schreibens: Musik und Leben. Sein persönliches Leben macht Wolfgang Welt zu Literatur. In »Einmal Tchibo und zurück«, »Der Tele-Fick«, »Das dritte…mehr

Produktbeschreibung
Als Wolfgang Welt (1952-2016) Anfang der 70er Jahre die Bücher von Peter Handke, Franz Kafka und Hesses »Steppenwolf« liest, ist alles klar: Er will Schriftsteller werden - unbedingt. Welt beginnt mit Rezensionen und Porträts, über die Hermann Lenz sagt: »Da gibt's keinen lahmen oder gleichgültigen Satz«. 1981 entsteht im automatic-writing-Verfahren der erste Prosatext, »Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe«. Der Titel umfasst zwei zentrale Pole seines Schreibens: Musik und Leben. Sein persönliches Leben macht Wolfgang Welt zu Literatur. In »Einmal Tchibo und zurück«, »Der Tele-Fick«, »Das dritte Ei« oder dem unvollendet gebliebenen Roman »Die Pannschüppe«. Wie diese Geschichten klingen? Ihr Sound ist unverwechselbar, lakonisch-lässig, immer geradeaus. Zwischen den Zeilen: staubtrockener Humor.»Der größte Erzähler des Ruhrgebiets« Willi Winkler»Wolfgang Welts Bücher sind alles, was der Fall ist. Sie verkörpern zuletzt ein einziges Buch: das Buch Wolfgang Welt« Peter HandkeMit zahlreichen (teilweise farbigen Fotos) und QR-Codes zu O-Tönen von Wolfgang Welt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Willi Winkler preist die Geschichten und Literaturkritiken von Wolfgang Welt, herausgegeben von Martin Willems. Dass Welts Musealisierung damit einen Höhepunkt erreicht, geht für ihn in Ordnung. Besser sind sowieso die Texte selbst. Sie erzählen laut Winkler vom Ausbruch aus der Ruhrpottwelt, der niemals stattfand, von Welts bewegter Jugend, von Bier, Musik, Männerwelten, der ewigen Sehnsucht nach den Frauen und vom Glück und Unglück des Schreibens. Sorgfältig findet Winkler die Ausgabe mit den Veröffentlichungen aus Zeitungen und Zeitschriften. Sie bildet die Archäologie, den Soundtrack zum Leben von Wolgang Welt, meint er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2021

Blume im Revier
Gerade mal fünf Jahre tot, schon kommt der Ruhm: Wolfgang Welt geht in den Kanon ein
Er hätte auch einer wie Rolf Dieter Brinkmann werden können, der frühe, versteht sich, der mit dem Buch als Waffe. Zum späten von „Rom, Blicke“ fehlte ihm der Hass auf alle und alles, denn Wolfgang Welt war der sanftmütigste Mensch. Das Unglück, das ihn so großzügig traf, schien ihm nur wenig anzuhaben. „Meine Mutter kommt mit der übriggebliebenen Niere gut zurecht“, meldete er einmal raspelkurz auf einer Karte, „während es mich diesmal schizomäßig nicht ganz so schlimm erwischt hat.“
Das Glück war auch nicht ganz so groß, ursprünglich 14,8 mal 10,5 Zentimeter. Vergrößert hing der Lottoschein in einer Schwarz-Weiß-Kopie über dem Bett in seiner Mansarde oben, Hauptstr. 51 in Bochum, Blick auf Opel II, errichtet über den verfüllten Zechen eines Steinkohlebergwerks. Für fünf Richtige gab es seinerzeit dreitausend Mark, nicht schlecht, aber auch nicht viel, und bestimmt nicht genug, um aus diesem Zimmer, dieser Siedlung, diesem Bochum rauszukommen.
Wie auch? Der Großvater war ganz klassisch bei einer Schlagwetterexplosion gestorben, Bergmann wurde auch der Vater, Steiger der ältere Bruder. „Nur ich schlug aus der Art und machte Abitur. Ich stehe also für den Strukturwandel im Ruhrgebiet, auch wenn aus mir nichts außer Nachtwächter geworden ist.“
Vor fünf Jahren ist Wolfgang Welt mit erst 63 Jahren gestorben – und hast du nicht gesehen kommen Ruhm und Musealisierung! Sein Nachlass ging an das Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf; im September wird ihm die Zeitschrift Text + Kritik ein eigenes Heft widmen. So ist er am Ende sogar in der Literaturwissenschaft angekommen, die er sonst glücklich vermieden hat.
Die sozialdemokratischen Reformer der Sechzigerjahre hatten eigens für ihn die Ruhr-Universität Bochum gebaut, aber er verstand die großen Wörter dort nicht. Zweimal schmiss er das Studium, machte lieber Bierfahrer, DJ, Plattenverkäufer und begann zu schreiben. Wie alle Gerechten seiner Generation lernte er das Schreiben in der Hohen Schule von Peter Handke, der als ganz junger Dichter verkündet hatte: „Ich interessiere mich für die sogenannte Wirklichkeit nicht, wenn ich schreibe. (…) Ich schreibe von mir selber.“
Suhrkamp war das dann doch zu viel Selbsterfahrung. Welt schrieb ausschließlich von sich, von seinem Leben, wie sollte das denn Literatur sein dürfen? Heute ist er, je nach Dachzeile, Stammvater, Pate oder Erfinder der Popliteratur, die doch nichts von ihm gelernt hat. Zwei Bände mit seinen Artikeln sind erschienen, von Martin Willems sorgfältig zusammengetragen, fast alles, was Welt von 1979 an erst im Ruhrgebietsmagazin Marabo, dann in Sounds, in Konkret, in der Zeit, in der taz und im Alltag veröffentlicht hat. Es ist ein archäologisches Unternehmen, aber unerlässlich als Soundtrack zu seinem Leben und Schreiben, das in der anarchischen Phase zwischen Glam, Punk und Neuer Deutscher Welle anhob, als sich jeden Tag neue Bands bildeten, jede Woche ein neuer Club öffnete und das Rheinland in Düsseldorf und das Ruhrgebiet in Bochum eine gigantische Abschiedsparty auf sich selbst feierte, tausendmal lustiger als im überschätzten Subventionsloch Westberlin; außerdem war am Bochumer Schauspielhaus gerade Claus Peymann gemeinsam mit Thomas Bernhard und der Hochkultur eingetroffen.
Von allen Freuden und allen Schmerzen, die die Götter für ihre Lieblinge parat haben, handeln diese beiden herrlichen Bände, das ganze Glück und Unglück des Schreibens. Die beigegebenen Fotos zeigen einen bleichen, aber bereits stämmigen Jüngling, in kurzen Hosen linker Verteidiger beim SuS Wilhelmshöhe, später als Kneipengänger und natürlich als Nachtwächter, mal mit Jeansjacke, mal im Ledermantel, mal mit, mal ohne Pornobalken unter der Nase. Auf dem T-Shirt musste Buddy Holly sein oder wenigstens Peggy Sue. Nach diesem Song hieß sein erster Roman, erschienen 1986 im Konkret-Literaturverlag, vermutlich als unreine Arbeiterliteratur missverstanden und deshalb grandios erfolglos, selbst in Bochum. Auch mit Herbert Grönemeyers Stadtreklame wäre ihm nicht zu helfen gewesen: „Du hast’n Pulsschlag aus Stahl. / Man hört ihn laut in der Nacht. / Bist einfach zu bescheiden! / Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt, / du Blume im Revier!“ Welt wollte weg aus dem Revier.
England war immer Sehnsuchtsziel, er war groß geworden mit der britischen Musikexplosion. In der Kneipe, schönster Synkretismus, drückt er in der Jukebox auf „Speedy Gonzales“ von Rex Gildo, weil darunter in Wirklichkeit „Peggy Sue Got Married“ steckt, so wie unter der Beschriftung Gitte und ihrem Cowboy-Mann „Rave On“, ebenfalls von Buddy Holly; der Wirt duldete es. Das Schreiben bot den Ausweg, das Schreiben über Musik und über Fußball natürlich. Aufstiegsscham spielte dann keine Rolle mehr. Stolz fängt er Reportagen mit „Ich“ an, teilt den Lesern nicht nur mit, wie wenig er von Heinz-Rudolf Kunze hält, sondern auch, wie viel er unterwegs getrunken hat und was für dummes Zeug geredet wurde. Es ist unvermeidlich eine Männerwelt mit viel Bier, und die Frauen fast unerreichbar. An Sex muss er viel denken, vor allem weil er so wenig davon hat, „deshalb schreibe ich auch dieses Buch“.
Die Plattenfirmen zahlten Musikjournalisten damals Reisen zu den Interviews, für kurze Zeit gelingt der Ausbruch, wenn er Stars interviewt oder im Flugzeug von Paris nach London plötzlich neben Jane Birkin zu sitzen kommt und nicht weiß, wie ihm geschieht, wo er doch im zweiten Teil seines roman fleuve, „Der Tick“ (2001), mit Susanne im Jugendheim zu „Je t’aime“ nicht folgenlos getanzt hatte.
In der Literatur- und Plattenkritik gibt es für Wolfgang Welt wie für jeden guten Rezensenten keine Kriterien, sondern nur Herzenssachen oder eben Beschimpfungen. Nina Hagen: „Es ist einfach unerträglich … als habe sie zu oft Heinrich Lübke zugehört.“ Eine längst vergessene Band: „Empfehlenswert für Lebensmüde, denen der letzte Anstoß zum Suizid fehlt.“ Lemmy Kilmister und die anderen von Motörhead sind nett, höflich, friedliche Brüder: „Nur, Lemmy, warum macht ihr eigentlich so schreckliche Musik?“ Eine Liste der Platten des Jahres 1980/81 beginnt unweigerlich mit Buddy Holly, sie endet mit einer Aufnahme von Bruno Ganz, der „Wunschloses Unglück“ liest: „Die Musik ist nicht gerade berauschend, aber der Text ist astrein.“
„Ich schweife nämlich zu viel in meine Jugend ab“, schweift er ab, doch etwas Besseres kann er gar nicht tun. Den Weltroman schreiben andere, die wissen, was sie zusammenhält oder auch nicht, er weiß dafür die Aufstellung des VfL Bochum von 1965 und was damals in der Hitparade war. Anders als die Leute bei Sounds hält er auch die Schlagersänger in Ehren, feiert regelmäßig den Balladier Willy Hagara („Fini im Bikini“) und ist dafür wieder bei den Schriftstellern ungnädig: „Walser hat somit auch ein Buch über unsere Alten geschrieben. Nach der Lektüre werden wir sie besser verstehen können und ihnen artig gehorchen.“
Sein gesamtes Werk ist ein einziger Ausbruch, nur dass es nicht klappte. Aber wollte er überhaupt da raus? Schreiben wollte er, und wenn er schreiben wollte, setzte er das Lithium ab, das ihn kontrollieren sollte und schrieb sich, wie er so schön schrieb, „verrückt“.
Das Schauspielhaus Bochum ernährte ihn, jahrzehntelang machte er dort den Nachtwächter. Morgens kamen die Zeitungen, er konnte das Feuilleton vor allen lesen. So blieb er in der Kultur, die ihn nie aufnehmen wollte, für ihn aber systemrelevant war. Kafka hätte es vielleicht anders formuliert, bei Wolfgang Welt war der Wahn stark genug, dass er glaubte, er müsse bereits für sein ungeschriebenes Werk den Nobelpreis bekommen. „Das Leben“, hofft er, „schrieb den Roman ohne Maschine. (...) Es würde immer für mich gesorgt.“ Ein bisschen ist es so auch so gekommen durch sein quasi-ozeanisches Weltvertrauen. „Ich war endlich wieder wahnsinnig und fühlte mich ganz wohl dabei.“
WILLI WINKLER
Als Arbeiterliteratur blieb das
missverstanden und legendär
erfolglos, sogar in Bochum
Vater der Popliteratur, aber gelernt hat sie nichts von ihm. 2016 ist Wolfgang Welt (hier auf einem Foto aus den frühen 80ern) in Bochum gestorben.
Foto: Andreas Böttcher
Wolfgang Welt:
Die Pannschüppe und andere Geschichten und Literaturkritiken.
Herausgegeben von Martin Willems.
Verlag Andreas Reiffer, Meine 2020.
400 Seiten. 20 Euro.
Kein Schlaf bis
Hammersmith und andere Musiktexte. Herausgegeben von Martin Willems.
Verlag Andreas Reiffer, Meine 2020.
364 Seiten. 20 Euro.

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