Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 13,40 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Tonio und Franz lieben sich, Bruno und Paul lieben sich auch. Die jungen Männer demonstrieren für den Frieden und singen, sie gehen was trinken, sie lesen und lümmeln. Ronald M. Schernikau hat in diesem Buch, das er Mitte der 80er-Jahre publizieren wollte und das erst als "Einlage" in der "legende", veröffentlicht werden konnte, der Schwulenbewegung Westberlins ein Denkmal gesetzt. Und er geht der Frage nach, ob man mehr als einen Menschen lieben kann.

Produktbeschreibung
Tonio und Franz lieben sich, Bruno und Paul lieben sich auch. Die jungen Männer demonstrieren für den Frieden und singen, sie gehen was trinken, sie lesen und lümmeln. Ronald M. Schernikau hat in diesem Buch, das er Mitte der 80er-Jahre publizieren wollte und das erst als "Einlage" in der "legende", veröffentlicht werden konnte, der Schwulenbewegung Westberlins ein Denkmal gesetzt. Und er geht der Frage nach, ob man mehr als einen Menschen lieben kann.
Autorenporträt
Ronald M. Schernikau wurde 1960 in der DDR, in Magdeburg, geboren, wuchs dann aber in Hannover auf. 1980 erfolgte der Umzug nach Westberlin, wo er Germanistik, Philosophie und Psychologie studierte. 1986 nahm er ein Studium am "Institut für Literatur Johannes R. Becher" in Leipzig auf. 1989 erhielt er die Staatsbürgerschaft der DDR und siedelte nach Berlin über. Schernikau war bis zu seinem Tod 1991 Dramaturg beim Hörfunk und beim Fernsehen. Siehe auch www.schernikau.net.Von Schernikau sind u. a. folgende Texte veröffentlicht: "Kleinstadtnovelle" (1980), "die tage in l." (1989), "dann hätten wir noch eine chance" (1992), "legende" (1999) und zuletzt "Irene Binz. Befragung" (2010). Im Verbrecher Verlag erschien 2009 "Königin im Dreck: Texte zur Zeit".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2013

Von der Theorie konnte er nicht lassen

Die Probleme Liebender in liebesfeindlicher Zeit waren nicht seine einzigen Probleme: Ronald M. Schernikaus Erzählung "so schön" zeigt das Drama des Genies.

Wohl kaum ein Schriftsteller hat mit so wenig so viel und mit so viel so wenig erreicht wie Ronald M. Schernikau. Der erste Absatz seiner Erzählung "und als der prinz mit dem kutscher tanzte, waren sie so schön, daß der ganze hof in ohnmacht fiel", die, auf dem Buchumschlag zu "so schön" verkürzt, drei Jahrzehnte nach der Publikation nun als Separatdruck erschienen ist, beginnt wie folgt: "tonio trifft franz. franz geht die treppe hoch, tonio geht sie runter. tonio dreht sich nach franz um, franz lacht und bleibt stehn. tonio traut sich nicht und geht weiter. franz kehrt wieder um. dann rennen tonio und franz über eine straße lachend. es ist ganz hell und sommer, und auf der straße kaufen viele leute ein. es ist eine fußgängerstraße."

Das ist das wenige, das viel erreicht: ein radikaler Sprachminimalismus, der das Bild mehr evoziert denn zeichnet, dichtgedrängte Wirklichkeitserfassung bei möglichst geringer Zahl der möglichst simplen Wörter, eine Reduktion des Erzählens auf die Kraftlinien des Geschehens - als hörte man dem Weltgeist beim Widerspiegeln zu. Die Sprache hat eine mitreißende Bewegung, und diese Bewegung, die auch denen, die an Schernikaus Überzeugungen sonst kein Interesse haben, ein Wohlgefallen sein kann, macht "so schön" so schön, dass man beinahe aufhört mitzudenken.

Den Kunstgriff der minimalistischen Akribie erfunden hat wohl 1960 Peter Weiss mit "Der Schatten des Körpers des Kutschers". Der Titel sollte Programm und dessen Umsetzung sein, Genauigkeit bis ins Detail, knallharter Realismus - herausgekommen ist aber Wirklichkeitsromantik und schon im Titel redundante Geschwätzigkeit: Was denn sollte den Schatten des Kutschers werfen, wenn nicht sein Körper?

So auch bei Schernikau. Rennen Tonio und Franz über eine Straße und lachen dabei? Oder rennen Tonio und Franz, während sie über eine Straße lachen? Oder ist - Klamauk der Kleinschreiberei - die Straße, über die sie rennen, eine "Straße Lachend"? Schernikau war ein Anhänger der Klassik. Er schrieb, wie jeder Klassiker, für ein Massenpublikum, das es nicht gibt. Die Klassik hat ein hartes erstes Prinzip: In einem Werk darf nichts stehen, was der Autor nicht beabsichtigt hat - Ungenauigkeiten gehen zu Lasten des Verfassers. So hoch liegt die Latte, und Schernikau springt in "so schön" so offensichtlich nicht darüber, dass man sich fragen muss: Was will er uns damit sagen?

Peter Hacks hatte den 1991 verstorbenen Freund schon zu Lebzeiten zum Genie erklärt, wenn er diese Anerkennung auch später aus Anlass des postumen Erscheinens von Schernikaus Opus magnum, dem Roman "legende", in einem Brief präzisierte: "Schernikau war ein Genie, aber ich kann Ihnen nicht sagen, ob er zu etwas gut war." Jedenfalls, so scheint Hacks angesichts des Romans anzudeuten, nicht zur Belletristik.

Hier sind wir nun im Bereich des vielen, mit dem Schernikau wenig erreicht hat: Drei Phänomene der von Hegel und Marx ausgehenden Theorie von Staat und Gesellschaft hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht, und alle sind sie aus der Theorie geflohen, so schnell und so weit sie konnten: Schernikau in die Belletristik, Sahra Wagenknecht in die Tagespolitik, Dietmar Dath in die Belletristik und den Journalismus.

Der Inhalt von "so schön": Probleme Schwuler in schwulenfeindlicher Zeit, Probleme Liebender in liebesfeindlicher Zeit. Ein spezielles Lebensgefühl wird erzählt. Eingenommen wird eine nichts erklärende noch verändernde Randgruppenperspektive. Sehr gefällig, jedenfalls aus den Moden der achtziger Jahre des sehr vergangenen Jahrhunderts heraus.

Gefragt, was er am liebsten sein würde auf der Welt, sagte Schernikau einmal: Marilyn Monroe. Das ist ein großartiger Tuntenwitz, wahrscheinlich ehrlich gesprochen und so ziemlich das Traurigste, was man sich vorstellen kann. Schernikau konnte Theorie, und er konnte, als guter Hegelianer, in der Bewegung der Sprache die Ideen aufscheinen lassen. Belletristik aber konnte er nicht.

Unser Glück als Leser von Schernikau ist, dass da, wo nichts drin ist, immer noch etwas drin ist, wenn es von Schernikau ist, weil es von Schernikau ist. Der Mann konnte eben einfach nicht keine Theorie. Auch "so schön" wirft grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Gesellschaft und Genie, von Sexualität und Sozialem, von Individuum und Gemeinschaft auf. Jedenfalls wirft das verwirrte Textlein heute die Frage auf, warum diese Fragen nicht aufgeworfen werden.

Wer kann sich heute noch den Luxus neugierig forschenden Lesens leisten? Wir Insassen dieser praktischen Zeit haben für so etwas nicht unmittelbar Verwertbares keine Verwendung. Man kauft diesen Band als Symbol für die Hoffnung, dass die Sache, die der Pragmatismus für sich entschieden hat, noch nicht entschieden sein möge. Dafür, dass der Streit der Alten mit den Modernen, begraben unter einem Berg von Denkschrott à la mode, wiederherstellbar ist - notfalls sogar über das Werk von Hegel und Marx. Man kauft diesen Band von Schernikau als kleines, mag sein: romantisches Zeichen dafür, dass selbst da, wo nichts geht, eben doch etwas geht.

ANDRÉ THIELE

Ronald M. Schernikau: "so schön".

Hrsg. von Thomas Keck. Verbrecher Verlag, Berlin 2012. 116 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"So schön" beginnt so schön, aber dann doch wieder zu schön um wahr zu sein - in André Thieles Kritik läuft es auf eine verzwickte Dialektik hinaus. Der Mann wollte viel, aber dann doch wohl zu viel. Schernikaus sprachlicher Minimalismus erscheint Thiele einerseits durchaus verführerisch, und dann doch wieder vergebens: Schernikau, so schreibt Thiele, habe aus der Theorie (nämlich Hegel und Marx, die in den achtziger Jahren doch gar nicht mehr angesagt waren) heraus gewollt und in die Belletristik hinein (so wie Sahra Wagenknecht in die Politik und Dietmar Dath in den Journalismus), aber "der Mann konnte eben einfach nicht keine Theorie". Und keine Belletristik, da ist sich Thiele mit Peter Hacks einig. Aber träumen wird er doch wohl noch gehabt haben dürfen.

© Perlentaucher Medien GmbH