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GOOGLE VERGISST NIE! Weshalb es lebenswichtig ist zu vergessen Das digitale Zeitalter ist eines der perfekten Erinnerung: niemals zuvor haben wir so viele Informationen sammeln können wie heute. Immer größer und billiger werdende Speichermedien, neue Methoden zur Erschließung von Informationen und der Zugriff auf Daten aus aller Welt über das Netz machen dies möglich. Welche Folgen hat diese Entwicklung? Wird nur noch das als wahr gelten, was die Form digitaler Daten annimmt? Oder werden wir für das, was dauert, für Verträge und sprachliche Kunstwerke, beim Papier bleiben? Ist das Vergessen…mehr

Produktbeschreibung
GOOGLE VERGISST NIE!
Weshalb es lebenswichtig ist zu vergessen
Das digitale Zeitalter ist eines der perfekten Erinnerung: niemals zuvor haben wir so viele Informationen sammeln können wie heute. Immer größer und billiger werdende Speichermedien, neue Methoden zur Erschließung von Informationen und der Zugriff auf Daten aus aller Welt über das Netz machen dies möglich.
Welche Folgen hat diese Entwicklung? Wird nur noch das als wahr gelten, was die Form digitaler Daten annimmt? Oder werden wir für das, was dauert, für Verträge und sprachliche Kunstwerke, beim Papier bleiben? Ist das Vergessen nicht ein exzellenter, evolutionär bewährter Mechanismus zur Gewichtung von Informationen? Beeinträchtigt das permanente Erinnern nicht unser Urteils- und Entscheidungsvermögen und damit unsere Entwicklungsfähigkeit? Sind aus ihrem Kontext gerissene Informationen nicht anfällig für Manipulationen?
Mayer-Schönberger öffnet uns die Augen für die Gefahren der ewigen digitalen Erinnerung und zeigt die wichtige Rolle auf, die das Vergessen in unserer Geschichte gespielt hat. Er plädiert für eine genial einfache Lösung: Dateien aller Art mit einem Verfallsdatum auszustatten, damit das Gedächtnis der Menschheit nicht unter der Datenflut zusammenbricht.
Autorenporträt
Viktor Mayer-Schönberger gründete im Jahr 1986 die Software-Firma Ikarus mit Entwicklungsschwerpunkt in der Datensicherheit und entwickelte Virus Utilities, eines der am meisten verkauften österreichischen Software-Produkte. Heute ist er am Oxford Internet Institute tätig und berät zudem Unternehmen, Regierungen und internationale Organisationen. Derzeit beschäftigt er sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Nutzung von Big Data und propagiert das Recht auf Vergessenwerden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2010

Der Speicherplatz ist viel zu billig
Viktor Mayer-Schönberger überlegt, wie sich dem totalen digitalen Gedächtnis das Vergessen abringen lässt

Vergessen ist lästig, manchmal auch peinlich. Nicht zu vergessen ist jedoch ein echtes Handicap. "Da sind all diese Weggabelungen, Momente, in denen man sich entscheiden muss - und zehn Jahre später grübele ich immer noch darüber nach, ob ich richtig gewählt habe": A. J. hat ein beinahe vollkommenes Gedächtnis, es ist eine Bürde, keine Begabung.

Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte war das Vergessen normal und das Erinnern, Speichern und Weitergeben von Informationen teuer und deshalb beschränkt. Geschichten mussten auswendig gelernt, Bücher abgeschrieben, Bilder gemalt werden: so blieben nur wenige kostbare Ausschnitte der Vergangenheit erhalten. Im digitalen Zeitalter hat sich das Verhältnis nun umgekehrt, schreibt der Jurist, Programmierer und Internetexperte Viktor Mayer-Schönberger. Speichern ist billig, auswählen und löschen dagegen zeitaufwendig und teuer geworden. Die Standardeinstellung der Gesellschaft lautet deshalb: alles merken! Google wirbt damit, der Kunde müsse nie wieder eine E-Mail löschen, Yahoo stellt gleich unbegrenzten Speicherplatz zur Verfügung.

Damit tilgen wir einen der grundlegendsten Verhaltensmechanismen der Menschheit aus unserer täglichen Praxis. Mayer-Schönberger erzählt die Geschichte des Speicherns und Vergessens nach, reflektiert die Folgen des von keinem Rauschen verzerrten Erinnerns und macht Vorschläge, wie das Vergessen zu retten sei. Denn dass es gerettet werden muss, steht für den Autor außer Frage.

Da ist die fertig ausgebildete Lehrerin, die nicht eingestellt wird, weil sie ein albernes Foto, betitelt "Betrunkene Piratin", von sich ins Internet gestellt hat, da ist der Psychotherapeut, der nicht mehr in die Vereinigten Staaten einreisen darf, weil er in einer wissenschaftlichen Zeitschrift erwähnt hatte, einmal LSD probiert zu haben. Der Mausklick eines Grenzbeamten oder Arbeitgebers holt Ereignisse in die Gegenwart, die eine analoge Gesellschaft längst vergessen oder nie gefunden hätte und die für das Leben des Einzelnen vielleicht längst keine Rolle mehr spielen. Menschen verändern sich, ihre Vorlieben, ihre Meinungen, doch im Netz sind sie zeitlos und kontextfrei dokumentiert.

Doch es ist immer noch unsere Entscheidung, in welcher Welt wir leben wollen, erinnert der Autor, die Technik kommt nicht einfach so über uns. Wollen wir eine Welt, in der Schüler nicht mehr frei für ihre Schülerzeitung schreiben können, weil Jahrzehnte später ein Personalchef oder, schlimmer noch, eine totalitäre Regierung jeden Satz nachlesen kann? Wollen wir damit leben, dass millionenfach umfassende Datenprofile gespeichert und gehandelt werden? Dass Suchmaschinenbetreiber genau wissen, wann wir ein Haus gekauft, uns über eine Krankheit informiert oder einen Anwalt gesucht haben? Dass Gesetzgeber private Datensammler zwingen, ihre Bestände den Geheimdiensten zugänglich zu machen? Soll Vorsicht und vorauseilender Gehorsam Facebook-Einträge, Buchbestellungen oder Meinungsäußerungen bestimmen? Das Buch könnte kaum aktueller sein, empfahl doch jüngst eine Fakultät der Columbia University ihren Studenten, keine Wikileaks-Dokumente zu zitieren, um ihre Karrierechancen nicht zu ruinieren.

Auf der gesellschaftlichen Ebene erzeugt das digitale Gedächtnis für Mayer-Schönberger ein Klima der Selbstzensur, das das Fundament der Demokratie untergräbt; und dem Einzelnen nehme es den notwendigen Spielraum, um Individualität zu entwickeln.

Doch so muss es nicht sein: Wir könnten digitale Abstinenz üben. Wir könnten strengere informationelle Selbstbestimmungsrechte durchsetzen. Wir könnten alle Daten mit Metadaten ausstatten, in denen festgelegt wird, wer sie zu welchem Zweck verwenden darf. Vielleicht könnten wir auch einfach darauf hoffen, dass die Generationen, die von Kindesbeinen mit dem Internet aufwachsen, in einer Art kognitivem Anpassungsschub schon lernen werden, mit dem totalen Erinnern umzugehen. Oder enthält das Netz vielleicht noch viel zu wenig Informationen, müssten wir sie vielmehr in weitere Kontexte einbetten, damit ein realistischeres Bild entsteht?

Alle diese Ansätze haben ihre Schwächen, führt der Autor aus, sie sind technisch kompliziert oder verlangen zu viel Einsatz vom Benutzer. Mehr als ein kurzes Nachdenken und zwei Mausklicks darf der Datenschutz realistischerweise nicht kosten. Mayer-Schönberger plädiert deshalb für Verfallsdaten von Informationen. Sie sollen das Vergessen wieder ein klein wenig leichter machen als das Erinnern und so das alte Verhältnis wieder herstellen, mit dem wir Jahrtausende gelebt haben. Ein normaler Schnappschuss könnte so nach drei Jahren automatisch wieder aus dem Netz verschwinden, bei einem historischen Ereignis könnte man den Speicher auf "100 Jahre" stellen.

Der Gesetzgeber könnte Obergrenzen festlegen oder Fristen für bestimmte Informationstypen vorgeben, sie könnten aber auch zwischen Transaktionspartnern ausgehandelt werden. Auch hier gibt es technische Schwierigkeiten zu überwinden, und das Thema Datenschutz ist damit keineswegs erledigt. Doch solche Verfahren würden die Menschen, so meint der Autor, auf die Problematik des digitalen Gedächtnisses aufmerksam machen. Er könne sich sogar ein "rostendes" digitales Gedächtnis vorstellen, bei dem das Aufrufen älterer Informationen schwieriger ist als das neuerer Daten.

Mayer-Schönfelder verspricht keine Patentlösung, er stößt eine überfällige Diskussion an und plädiert für eine Zukunft, die die menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten anerkennt. Unser Gedächtnis ist keine tote Ablage, sondern ein lebendiges Konstrukt, das unter dem Eindruck veränderter Lebenserfahrung und verstrichener Zeit immer weder umgebaut wird. Vielleicht ist es aber doch von Vorteil, wenn das digitale Gedächtnis sich deutlich vom natürlichen unterscheidet: Dann wissen die Menschen immerhin, woran sie sind.

MANUELA LENZEN

Viktor Mayer-Schönberger: "Delete". Die Tugend des Vergessens in digitalen Zeiten.

Aus dem Amerikanischen von Andrea Kamphuis. Berlin University Press, Berlin 2010. 264 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Uwe Justus Wenzel hat internetkritische Bücher gelesen, deren Kritik allerdings an ganz unterschiedlichen Punkten ansetzt. Viktor Mayer-Schönberger macht darauf aufmerksam, dass es mit dem Internet erstmal in der Kulturgeschichte der Menschheit einfacher geworden ist, etwas zu bewahren, als es aus dem Netz zu tilgen, lässt uns der Rezensent wissen. Der Autor führt in seinem mit Gewinn zu lesenden und anregenden Buch sachlich die Gefahren des digitalen Gedächtnisses vor Augen und macht sich dafür stark, Informationen im Netz mit einem "Verfallsdatum" zu versehen, so Wenzel zustimmend.

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