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Verführte Mädchen, zu nahe verwandte Männer und Frauen, zu tausenden prozessierende Paare, die aus unterschiedlichen Gründen gegen das kirchliche Eherecht verstossen hatten - im Mittelalter war die Ehe niemals ein "weltlich" Ding. In einer Mischung aus erzählender Darstellung, Statistik und umfassender Analyse des sozialen und rechtlichen Hintergrundes berichtet Ehen vor Gericht über die spannenden, fast unglaublichen und bisweilen skandalösen Einzelschicksale und entwirft so ein buntes Panorama des Spätmittelalters.

Produktbeschreibung
Verführte Mädchen, zu nahe verwandte Männer und Frauen, zu tausenden prozessierende Paare, die aus unterschiedlichen Gründen gegen das kirchliche Eherecht verstossen hatten - im Mittelalter war die Ehe niemals ein "weltlich" Ding. In einer Mischung aus erzählender Darstellung, Statistik und umfassender Analyse des sozialen und rechtlichen Hintergrundes berichtet Ehen vor Gericht über die spannenden, fast unglaublichen und bisweilen skandalösen Einzelschicksale und entwirft so ein buntes Panorama des Spätmittelalters.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2008

Meine Ehe ist ungültig
Ludwig Schmugge über eine Alternative zur Scheidung

So hatte sich Maria, erst zwanzig Jahre alt, ihr Eheleben im Dorf Schiers bei Davos nicht vorgestellt. Ihr noch etwas jüngerer Mann Bartholomeus hatte sich als unfähig erwiesen, sie zu entjungfern, und trotzdem die Dreistigkeit besessen, ihre Mitgift einzufordern. In Entsagung und Kinderlosigkeit wollte sie sich aber nicht fügen, sondern klagte auf Auflösung der Ehe vor dem bischöflichen Gericht in Chur. Alle Sorgfalt habe sie beim Liebesspiel aufgewandt, aber trotz einer "leichten Bewegung des Gliedes" und dem Fluss von etwas Sperma sei der bedauernswerte Bartholomeus ohne Kraft geblieben.

Ihrer Offenherzigkeit gab der Mann nichts nach, er führte zu seiner Verteidigung sogar seinen sündigen Lebenswandel an. Bei anderen Frauen sei ihm der Verkehr nämlich gelungen, allerdings auf der Seite liegend, während Maria verlangte, von oben genommen zu werden. Den kanonischen Vorschriften entsprechend hätte der Churer Richter dem Paar auferlegen müssen, es noch drei Jahre zu versuchen, aber er hatte ein Einsehen und verlangte nur noch ein Zusammenleben vom Dezember 1456 bis kurz nach Ostern des folgenden Jahres; Maria und Bartholomeus sollten sich aber "Mühe geben, Buße tun, beten und andere fromme Werke verrichten", erst dann wolle er endgültig befinden.

Wie die Sache ausging, wissen wir leider nicht, aber in Chur herrschte die Tendenz, Ehedispense endgültig durch den Ordinarius entscheiden zu lassen und den unvermögenden Alpenländlern den teuren Klageweg bei der Kurie in Rom zu ersparen. Das weitere Argument des lieblosen Bischofs Heinrich, seine Schäfchen seien ungehobelte Waldmenschen und ohne Kenntnis des Rechts, widerlegt Marias forsches Auftreten. Überhaupt darf man annehmen, dass zweieinhalb Jahrhunderte nach ihrer Dekretierung die kirchlichen Normen in der lateinischen Christenheit allenthalben bekannt waren und von den Betroffenen sogar häufig raffiniert genutzt wurden.

Gebt euch Mühe im Bett!

Die Ehe galt zwar als Sakrament, konnte jedoch ohne Priester geschlossen werden; verlangt waren die freiwillige Zustimmung der Partner vor Zeugen und der körperliche Vollzug. Das Kirchenrecht verbot eine Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft bis zum vierten Grad, die auch dadurch entstehen konnte, dass Mann oder Frau mit einer entsprechenden Person aus der Sippe des jeweils anderen vor der Ehe Geschlechtsverkehr gehabt hatten. Um unrechtmäßige Heiraten zu verhindern und Einsprüche zu ermöglichen, hatte das Vierte Laterankonzil 1215 festgesetzt, dass eine geplante Vermählung in der betreffenden Pfarrkirche durch den Ortsgeistlichen öffentlich angekündigt werden musste.

Zur Umgehung des Risikos oder Hindernisses schlossen viele Christen klandestine Ehen; sobald ihr Verstoß gegen das Eherecht bekannt wurde, riskierten sie das Einschreiten des Offizials oder eines anderen bischöflichen Amtsträgers ex officio oder auf die Anzeige eines Dritten hin, der sich etwa um eine versprochene Ehe betrogen glaubte. Die bei weitem meisten Eheprozesse wurden um einen Dispens von zu naher Verwandtschaft und Schwägerschaft geführt.

Im Allgemeinen neigten die bischöflichen Gerichte im römisch-deutschen Reich des Mittelalters offenbar zu einer strengen Anwendung des kanonischen Rechts, wenn es auch, wie in Regensburg, Ausnahmen gab. Wer sich benachteiligt glaubte oder nicht fügen wollte, konnte an den Erzbischof appellieren oder ein Gnadengesuch in Rom einreichen. Weniger der Papst selbst beziehungsweise seine Kanzlei und Kammer als eine eigene Behörde, die noch heute tätige "Poenitentiaria Apostolica", suspendierte dann gewöhnlich das Recht zugunsten der Bittsteller. Allerdings konnte diesen Weg nur beschreiten, wer die mehrfach anfallenden Gebühren und auch die Strafgelder für seine Übertretung der Normen bezahlen konnte. Nicht mehr als drei bis fünf Prozent aller kirchlichen Eheprozesse des Spätmittelalters gelangten deshalb bis zur letzten Instanz.

Päpstlicher Gnadenbrunnen

Nachdem der Vatikan der historischen Forschung 1983 den Zugang zu den Akten der Pönitentiarie geöffnet hat, bemüht sich das Deutsche Historische Institut in Rom um die Erschließung der das Reich betreffenden Bittschriften. In seinem Auftrag bearbeitet der Zürcher Mediävist Ludwig Schmugge die Supplikenregister und gab bis heute sieben opulente Repertorien für die Pontifikate von Eugen IV. bis Innozenz VIII. (1431 bis 1492) heraus; ein einziger Band umfasst mehrere tausend Gnadengesuche, von denen sich bei weitem nicht alle auf Eheprobleme beziehen. Schmugges Leistung ist umso erstaunlicher, als die Texte, nach ihren normativen und formalen Vorgaben gestaltet, vielhundertfach nur wenige Problemfelder variieren und sich der Editor Gegenproben in der lokalen Überlieferung der einzelnen Diözesen fast immer versagen musste. Entschädigen für seine Mühen konnte ihn nur die Gewissheit, dass die Suppliken ungewöhnlich nah an die Lebensumstände der spätmittelalterlichen Laien und Kleriker heranführen.

Verständlich, dass der entsagungsvolle Archivforscher jetzt einmal die attraktivste Materie seiner Quellen, eben die Matrimonialprozesse, zur Darstellung bringen wollte. In einer systematisch angelegten Monographie, der er über sechstausend Bittschriften zugrundelegen konnte, informiert er den Leser gut über die Eherechtsprobleme, arbeitet die Fälle statistisch auf und erzählt Hunderte von ihnen nach. So anschaulich und meistens amüsant die Lebensschicksale der schon lange Toten, deren Leiden längst verjährt zu sein scheint, geschildert werden, so ist Schmugge doch der Versuchung vieler Editoren erlegen, dass er glaubt, die Quellen sprächen schon für sich selbst, ja er hält sich allen Ernstes zugute, mit ihnen besser als Boccaccio die Fülle und Authentizität des mittelalterlichen Daseins zu erfassen.

Vergessen hat er dabei allerdings, dass auch "seine" Texte kein unverzerrter Spiegel der Wirklichkeit sein und ohne Fiktionalität nicht auskommen können und dass ungedeutete Erzählungen noch keine Geschichte sind. Kein Wort aber führt der Historiker im Umkreis der Kurie lieber im Mund als das vom "päpstlichen Gnadenbrunnen", der in der Tat die Sorgen der Bedrängten immer fortgespült zu haben scheint. Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass das System nicht funktionierte, ohne den Ortsbischöfen die schwere Arbeit der Gunstversagung zu überlassen, und dass eben nur wenige die Chance hatten, ihr Lebensglück in Rom auch durchzusetzen.

MICHAEL BORGOLTE

Ludwig Schmugge: "Ehen vor Gericht". Paare der Renaissance vor dem Papst. Berlin University Press, Berlin 2008. 291 S., Abb., geb., 44,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2008

Warum habt ihr dann überhaupt geheiratet?
Das ideale Hochzeitsgeschenk: Ludwig Schmugge erzählt kundig und unterhaltsam von Irrungen und Wirrungen vor dem päpstlichen Scheidungsgericht
In Mitteleuropa wird heute jede zweite Ehe geschieden. Tendenz steigend. Ja, wenn sich die aktuellsten Trends durchsetzen, wird die Scheidung per Internet bald gang und gäbe: Ein Mausklick, und der lästige Er oder die lästige Sie wird zum/zur Ex. Das reduziert den Aufwand und spart Kosten für die obligatorische Scheidungs-Party.
So einfach war das nicht immer. Ein reguläres Scheidungsverfahren wurde erst mit den Reformationen des 16. Jahrhunderts eingeführt; und die dafür zuständigen Ehegerichte lösten äußerst ungern auf, was ihrer Ansicht nach Gott zusammengefügt hatte. Vor dem Auftreten Luthers, Zwinglis und Calvins aber konnten Ehen nicht geschieden, sondern nur nachträglich für ungültig geschlossen erklärt werden – ein kleiner, aber feiner Unterschied, der in der katholischen Kirche bis heute Bestand hat. So staunte die Weltöffentlichkeit nicht schlecht, als eine Prinzessin von Monaco auf diese Weise 1992 ihre erste Ehe mit einem notorischen Playboy annullieren ließ. Begründung: wegen unüberwindlicher wechselseitiger Abneigung habe das Paar die Ehe nie vollzogen. Doch warum hatten sie dann überhaupt geheiratet?
Das fragt man sich auch bei vielen Fällen, die Ludwig Schmugge in seiner ebenso gelehrten wie anschaulichen Darstellung von Ehegerichtsprozessen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts präsentiert und analysiert. Er wertet die insgesamt 6387 Akten aus, die die soge-nannte Poenitentiaria Apostolica, das dafür zuständige päpstliche Gericht, zwischen 1455 und 1492 für ehemüde oder auch ehewillige, doch nicht ohne weiteres ehefähige Paare aus dem deutschsprachigen Raum angelegt hat.
Der Papst und der Spaß im Bett
Formaljuristisch stand am Anfang eine Bittschrift (Supplik). Sie konnte darauf gerichtet sein, die kirchenrechtliche Entscheidung der ersten Instanz, meist des bischöflichen Gerichts, rückgängig zu machen, doch auch die Aufhebung eines sogenannten Ehehindernisses beantragen. Im Aufstellen solcher Hürden war die mittelalterliche Kirche – wie Luther effektvoll anprangerte – äußerst erfinderisch: Die Tauf- oder Firmpatenschaft genügte, um eine „geistliche Verwandtschaft” herbeizuführen, die eine Heirat ohne römische Dispens ausschloss. Und natürlich hat sich die Poenitentiarie – eine Großbehörde mit mehr als zweihundert Mitarbeitern – ihre Arbeit bezahlen lassen, zum einen als Verwaltungsgebühr, zum anderen als „Komposition”, d. h. Strafgeld für den Verstoß gegen das kirchliche Recht und die entsprechende Dispens. Bekamen Arme in 0,1 Prozent der Prozesse die Kosten erlassen, so konnte es für die Reichen und Mächtigen richtig teuer werden.
Der unübertroffene Meister in sämtlichen Disziplinen der Erpressung, Papst Alexander VI. Borgia, handelte als Gegenleistung dafür, dass er den französischen König Ludwig XII. von seiner ersten Ehe lossprach und damit eine politisch lukrative Zweitheirat eröffnete, einen Adelstitel und Truppen für die Eroberungen seines Sohnes Cesare aus. Das war gewiss ein Extremfall, doch zeigt der Verfasser, der die genauen Tarife kennt und nennt, auf, dass sich auch bei Grafen und reichen Bürgern eine Menge herausholen ließ. Vor allem aber öffnet sich durch seine Quellenauswertung ein Breitband-Panoptikum des Paar-, Sexual- und Sozialverhaltens, das diejenigen, die im 21. Jahrhundert den Verlust der heilen Familie beklagen, zum Verstummen bringen sollte.
Ob sie Akten studierten oder in St. Peter die Beichte abnahmen, die Mitarbeiter der Poenitentiarie bekamen Haarsträubendes zu hören. Johannes Burchard, der Zeremonienmeister Alexanders VI. wusste, warum er sie im Heiligen Jahr 1500 nach ihren tolldreistesten Geschichten befragte – sie halfen seiner lüsternen Phantasie auf die Sprünge. Das tut dieses Buch, diskret und seriös, wie es ist, wohlweislich nicht. Geschichten, und zwar ungewöhnliche, hat es gleichwohl viele zu erzählen: von eingeforderten Eheversprechen, abgängigen Ehemännern und -frauen, untergeschobenen Kindern, erzwungenen Ehen und dem Widerstand dagegen, von Dreistigkeit, Aufmüpfigkeit, Widerständigkeit und, unerwartet für diese Zeit, „Selbstverwirklichung” gegen die Opposition von Eltern, Geschwistern und Kirche. Manche Episoden stellen – da gibt man dem Verfasser gerne recht – mit ihren atemberaubenden Irrungen und Wirrungen die Phantasie von Novellendichtern in den Schatten. Das entbindet nicht vom Nachdenken darüber, wie man solche Geschichten heute erzählen soll. Gerade das Menschlich-Allzumenschliche verlockt zum Menscheln, nach dem Muster: wir waren und sind alle kleine Sünderlein.
Diese Gefahr vermeidet der Verfasser, emeritierter Mediävist in Zürich, durchweg mit Erfolg. Er sucht einen Mittelweg zwischen juristischer Genauigkeit und Anschaulichkeit für ein breiteres Publikum. Über Formulierungen wie „Spaß im Bett” oder „Regenbogenpresse” mögen manche die Nase rümpfen, Anbiederung wird gleichwohl vermieden. Zu Recht: Ehe und Familienrecht bedeuten im 15. Jahrhundert etwas anderes als heute, und diese Fremdheit scheint bei aller notwendigen Annäherung an die Personen und ihre Probleme weiterhin durch.
Die Stärke des Buchs liegt in den Schilderungen und Deutungen der einzelnen Fälle, weniger in den – knappen – globalhistorischen Auswertungen. Dass die päpstlichen Gerichte allmählich die Freiheit der Eheschließung durchzusetzen vermochten, kann in Anbetracht der dabei bis ins 19. Jahrhundert waltenden sozialen Zwänge nicht recht überzeugen. Und auch der Begriff der Sozialdisziplinierung ist ein Fremdkörper – bei allen Versuchen der Poenitentiarie, der menschlichen Sündhaftigkeit Zügel anzulegen, ist der Weg ins Genf Calvins mit seiner rigorosen Überwachung von Ehe und Sexualität doch noch sehr weit. Ein großer Wurf ist dieses Buch trotzdem – auch und gerade als Hochzeitsgeschenk die ideale Wahl. VOLKER REINHARDT
LUDWIG SCHMUGGE: Ehen vor Gericht. Paare der Renaissance vor dem Papst. Berlin University Press, Berlin 2008. 291 Seiten, 44,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Gefesselt hat die Berner Historikerin und Rezensentin Caroline Schnyder diese Studie über Gesuche an das päpstliche Ehegericht von Paaren in der Renaissance gelesen. Autor Ludwig Schmugge hat die "Registerbände der Pönitentiarie" mit den Gnadengesuchen in Sachen Ehe zwischen 1455 und 1492 sowie Archivbände aus den Bistümern Konstanz und Chur ausgewertet und hatte damit einen "einzigartigen Quellenschatz" zur Verfügung, so die Rezensentin. So manch erstaunlichen Fall hat Schnyder der Studie entnommen, wie das Eheannullierungsverfahren einer 20-jährigen, die wegen Impotenz des Mannes auf Auflösung der Ehe klagte. Mit seinem Buch kann Schmugge so manches Vorurteil über Ehe- und Sexualmoral der Zeit auflösen, stellt die Rezensentin interessiert fest, wobei sie besonders zu überraschen scheint, wie verständnisvoll das päpstliche Gericht mitunter geurteilt hat. So sei ein Hauptbestandteil einer gültigen Ehe die Freiwilligkeit gewesen, so Schnyder, die das Urteil des Autors, dies sei als "emanzipatorischer Erfolg" zu werten, offenkundig teilt.

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