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Auch nach vierzig Jahren hat die Revolte gegen die burgerliche Welt kaum etwas von ihrer Faszination verloren. So oft die »68er« schon bespöttelt und verachtet, fur alles Böse verantwortlich gemacht und in die »verdiente« Rente verabschiedet wurden Totgesagte leben länger. Trotz der erbitterten ideologischen Auseinandersetzungen zwischen links und rechts ist heute unbestritten: 1968 war die historische Zäsur der deutschen Nachkriegsgeschichte seit 1945, vergleichbar nur mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989. Zugleich ist »68« ein Mythos, eine Generationen ubergreifende Erzählung,…mehr

Produktbeschreibung
Auch nach vierzig Jahren hat die Revolte gegen die burgerliche Welt kaum etwas von ihrer Faszination verloren. So oft die »68er« schon bespöttelt und verachtet, fur alles Böse verantwortlich gemacht und in die »verdiente« Rente verabschiedet wurden Totgesagte leben länger.
Trotz der erbitterten ideologischen Auseinandersetzungen zwischen links und rechts ist heute unbestritten: 1968 war die historische Zäsur der deutschen Nachkriegsgeschichte seit 1945, vergleichbar nur mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989. Zugleich ist »68« ein Mythos, eine Generationen ubergreifende Erzählung, deren Wirkungen andauern ein immer wieder neu betrachtetes schillerndes Phänomen, das auch durch eine noch so akribische Analyse schwer zu fassen ist. Zu vielfältig waren die Wurzeln der Rebellion, zu unterschiedlich ihre Ziele und Protagonisten, zu komplex, ja widerspruchlich ihre Einflusse auf die Gesellschaft.
Eines aber bildet bis heute den Glutkern des Planeten »68«: Die Idee von einer freien und glucklichen Gesellschaft, die Utopie vom selbstbewussten Individuum, das keine Ausbeutung und Unterdruckung mehr kennt. »Wir haben sie so geliebt, die Revolution« so erinnerte sich Daniel Cohn-Bendit an jene Zeit, deren diskreter Charme darin lag, mit jeder Konvention zu brechen.
Jenseits von Beschönigung und Verklärung, dafur mit Schwung, Ironie und dem Abstand der Jahre schildert Reinhard Mohr jene Epoche, die noch keine Angst vor der Klimakatastrophe hatte, sondern vom Strand unterm Straßenpflaster träumte: Phantasie an die Macht!
Autorenporträt
Reinhard Mohr, Jahrgang 1955, studierte Soziologie mit Diplomabschluss in Frankfurt am Main. Von 1979 bis 1982 war er Vorsitzender des AStA der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, später Redakteur der Sponti-Zeitschrift Pflasterstrand. Mohr arbeitete u.a. für die taz, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Stern. Daneben schrieb er Kabaretttexte für Michael Quast und Matthias Beltz. Von 1996 bis 2004 war er Kulturredakteur beim Spiegel, von 2006 bis 2010 Autor bei Spiegel Online. Mohr lebt als freier Journalist in Berlin Prenzlauer Berg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2008

1968: Drei Bücher und ein Machwerk
Götz Aly hält die Achtundsechziger für so gefährlich wie Hitlers Horden – weil er auffallen will. Es gibt Seriöseres und Spannenderes zu lesen
Die deutsche Vergangenheitsbewältigung ist jetzt im Jahr 1968 angekommen. Anlässlich des Jubiläums wird entsprechend viel publiziert. Der Historiker Götz Aly hält die Achtundsechziger rückblickend für ebenso gefährlich wie die rechten Horden, die zu Hitlers frühen Zeiten durch deutsche Straßen marschierten. Norbert Frei betrachtet „1968” in internationaler Perspektive und findet viele Gemeinsamkeiten zwischen bundesdeutschen Aktivisten und denen anderer Länder. Reinhard Mohrs Buch ist eine gute Medizin gegen Alys verbissene Generalverdammnis. Albrecht von Lucke erklärt das Tamtam, das heute über 1968 gemacht wird, aus seinem ideologischen Kern.
Reinhard Mohr hat 1968 mitgemischt. In Frankfurt trug er als Student „das Rotbuch ,Wie man gegen Polizei und Justiz die Nerven behält‘ in der Tasche” seiner „schweren Lederjacke”. Wie fast alle Aktivisten jener Zeit behielt Mohr die Nerven, er wurde nicht Terrorist, sondern Journalist. Seine kurzweilige, bisweilen arg launig erzählte Geschichte der deutschen Achtundsechziger soll nebenbei auch deren Andenken retten.
Götz Aly verachtet alle Historiker, die Druckkostenzuschüsse zur Publikation ihrer Arbeiten erhalten. Er braucht das nicht. Aly schätzt extreme Ansichten. Davon zeugt der Titel seines neuen Buches: „Unser Kampf”. Er legt nahe, die Achtundsechziger seien ähnlich fürchterlich gestimmt gewesen wie Adolf Hitler. Und Aly leidet darunter, dass er nicht Ordinarius geworden ist. Das bringt er auch in „Unser Kampf” aufs Tapet: Den Achtundsechzigern hält er vor, sie hätten einander sowohl beim Ausbau der Universitätslandschaft Ende der sechziger Jahre als auch nach der Eingliederung der DDR ins Bundesgebiet Sinekuren verschafft, lukrative Professuren bis zum Lebensende.
Dass eine kommunistische Lehrerin wegen des Radikalenerlasses in den siebziger Jahren Lehrverbot erhielt und dann ohne Reue ihre Bezüge weiterhin eingestrichen habe, findet er umso verwerflicher, als die Frau nach ihrer Freistellung in eine „Landkommune” umzog. Er spricht von „Parasitenstolz”. Ihm selbst wurde in den siebziger Jahren wegen seiner linken Umtriebe auch von Staats wegen ein Jahr lang Berufsverbot erteilt, vermutlich nicht bei fortlaufenden Bezügen.
Zweifellos ist es schade, dass Aly nicht Professor geworden ist. Schade ist es aber auch, dass er die Thesen seiner Bücher zunehmend im Hinblick auf das Hühnchen formuliert, das er mit der Gesellschaft, der Welt oder wem auch immer zu rupfen hat. So bleibt zum Beispiel unklar, was er den Achtundsechzigern übler nimmt: Dass sie sich Gewaltphantasien hingaben oder dass sie später einkömmliche Posten einnahmen.
Einerseits hält er ihnen – übrigens zu Unrecht – vor, dass sie gegen den sowjetischen Einmarsch in Prag nicht protestiert hätten, andererseits erbittert es ihn, dass sie sich dem Internationalismus verschrieben und wortreich die Befreiungsbewegungen in fremden Ländern unterstützten. Die Hochschulreform hätte es, so Aly, auch ohne die Achtundsechziger gegeben. Die Aufarbeitung der NS-Verbrechen hätten fähige Staatsanwälte damals schon längst in die Hand genommen. Fälschlich behauptet Aly, die
Studenten jener Zeit hätten sich für
diese Prozesse nicht interessiert. Aller-
lei ungerechte Generalisierungen solcher Art geben seinem Buch den Anschein einer Hasstirade – oder sollte es Selbsthass sein?
Im Schützengraben
Für die Polizei, die sich in seiner Schilderung der gewalttätigen Studenten kaum erwehren konnte, hat Aly Sympathie. Als der Journalist Kai Hermann damals von einer Pogromstimmung in Berlin sprach, muss er sich in Alys Augen geirrt haben: Die Medien, so schreibt er, seien der Revolte im Großen und Ganzen „neutral oder verständnisvoll” begegnet. Immerhin konzediert er, dass in Berlin die Springerpresse dominierte, die gegen die Studenten hetzte. Weit davon entfernt, sich für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zu interessieren, so Aly weiter, hätten die Studenten der späten sechziger und frühen siebziger Jahre sich eskapistisch auf den Vietnamkrieg konzentriert und die Vereinigten Staaten zum Sündenbock erkoren: „Im Antiamerikanismus überschnitten sich die Gedankenwelten der von Goebbels verformten Eltern und ihrer zum harten Contra aufgelegten Kinder.”
Weil die Kinder ihre Eltern nicht als Vorbilder ansehen konnten, hätten sie sich unwillkürlich ebenso intolerant gebärdet: Sie seien „aus einer komplexen Welt in die elementar vereinfachte Situation des Schützengrabens” geflohen. Der Name der damaligen Kultband Ton, Steine, Scherben kündet in Alys Ohren von dem alten Lied „Wir werden weitermarschieren / Wenn alles in Scherben fällt.” Er konstatiert eine „formale Ähnlichkeit” der 68er-Revolte mit der NS-Bewegung. Kulminiert habe die studentische Verblendung in einem palästinenserfreundlichen Antizionismus, der allzu oft in Antisemitismus umgeschlagen sei. Auch in diesem Punkt seien die Kinder also nach ihren Eltern geraten.
Bizarre Suggestionen
Immerhin gibt Aly zu, dass viele Aspekte der bundesdeutschen Gesellschaft – von der Prügelstrafe bis zur Sexualaufklärung – reformbedürftig gewesen seien. Reformen seien aber von Parlament und Regierung initiiert worden, keinesfalls von den Studenten, denen Aly nicht einmal ihre antiautoritäre Haltung abnimmt: Er beruft sich auf eine Umfrage, derzufolge die Studenten den Wissenschaftler Carl Friedrich von Weizsäcker sowie Walter Hallstein, Kommissionspräsident der EWG, für die größten Vorbilder hielten. Daran könne man ablesen, dass die Studenten sich nach Autoritäten gesehnt hätten. Aly nimmt wirklich jeden Quark her, um seine Thesen zusammenzukitten. Die radikalen (Berliner) Gewaltapostel, die er in seinem Buch verdammt, waren gewiss keine Bewunderer Hallsteins. In westdeutschen Provinzuniversitäten mochten viele brave Studenten Hallstein schätzen, aber denen stand der Sinn nicht nach Puddingattentaten.
Besonders amüsant sind jene Partien in Alys Buch, in denen er Kurt Georg Kiesinger als weise-väterlichen Staatsmann schildert, der „mutig” genug gewesen sei, die verfemte DDR als „Phänomen” zu bezeichnen – dies zu einer Zeit, da die liberale Presse die DDR schon längst auch sprachlich wie einen normalen Staat behandelte. Weniger spaßig ist Alys Anliegen: Lauter Vorwürfe, die schon Ende der sechziger Jahre und oft in der Hitze der Debatte geäußert wurden, hat er zu der absonderlichen Unterstellung zusammengerührt, die Studentenbewegung (sich selbst zählt er dazu) habe „formal” der frühen NS-Bewegung geähnelt, sei aber zum Glück daran gehindert worden, sich in diesem Sinn ganz zu verwirklichen.
Alys These ist ein bisschen albern, ziemlich degoutant und vor allem unverständlich. Was will er mit seinem Hinweis auf „formale” Ähnlichkeiten insinuieren? Dass die Studenten ein totalitäres System errichten wollten? Dass die Nazis in ihrem Kern auch nicht schlimmer gewesen seien als die Studenten 1968? Wie kommt Aly auf seine bizarre Suggestion von Parallelen zwischen Nationalsozialismus und Studentenrevolte? Der Politologe Albrecht von Lucke hat einen Vorschlag: So wie sich das Bürgertum nach der gescheiterten Revolution 1848 der „Realpolitik” und „national-liberalen Zielen” verschrieb, hätten viele in der realen Wirtschaft gestrandete Achtundsechziger ihr Heil im Rückzug auf konservative bürgerliche Werte gesehen. Lucke belegt seine Ansichten mit gut ausgewählten Einlassungen der Betroffenen. 1968, so zeigt er, wird heute schlecht gemacht, damit die Adenauer-Republik in der Rückschau umso heller strahle.
Aber „1968” spielte sich ja nicht nur in der Bundesrepublik ab. Wer wissen will, was sich damals wirklich zutrug, sollte Norbert Freis Buch lesen. Der Historiker hat farbig und spannend von den Achtundsechziger-Bewegungen in aller Welt erzählt, er hat dargestellt, was sie alle gemeinsam haben, wie sie einander beeinflussten und welche Unterschiede es gab. In Holland zum Beispiel kam es nicht zu größeren Krawallen, weil die Polizei sehr schnell die „Spielregeln” verstand und „konsequent auf Deeskalation setzte”. In den USA verbot sich den Studenten die ausführliche Beschäftigung mit radikalen Gewaltphantasien schon deshalb, weil es in ihrem Land, angefangen mit dem Ku-Klux-Klan, schon genügend Gruppierungen gab, die andere Menschen töteten. Frei hat die Literatur sehr genau und auf ihre Pointen hin studiert: Wer meint, von „1968” in Paris oder Los Angeles oder Tokio nichts wissen zu müssen, wird bei der Lektüre merken, dass diese Geschichten zum einen interessant und zum anderen von Belang sind.
Eine Frage bleibt, sie beschäftigt auch Norbert Frei: Seit langem werde darüber spekuliert, „inwiefern der linke Terrorismus als ein spezifisches Problem der einstigen Achsenmächte des Zweiten Weltkriegs zu verstehen sei”. Der Schoß des Faschismus war in der Tat lange fruchtbar. Er hat aber nur einzelne terroristische Früchtchen erzeugt.
FRANZISKA AUGSTEIN
NORBERT FREI: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 280 Seiten, 15 Euro.
GÖTZ ALY: Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2008. 253 Seiten, 19,90 Euro.
ALBRECHT VON LUCKE: 68 oder neues Biedermeier. Der Kampf um die Deutungsmacht. Wagenbach, Berlin 2008. 96 Seiten, 9,90 Euro.
REINHARD MOHR: Der diskrete Charme der Rebellion. Ein Leben mit den 68ern. WJS Verlag, Berlin 2008. 238 Seiten, 19,90 Euro.
Rudi Dutschke und Mitstreiter (unter anderem Gaston Salvatore/rechts) bei einer Vietnam-Demonstration 1968 in Berlin. Foto: picture-alliance/akg
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Einem der großen Themen der Leipziger Buchmesse 2008 widmet Stefan Reinecke gleich einen ganzen Stapel Besprechungen: Der Debatte um 1968. Reinhard Mohr widmet sich in seinen Essays "Der diskrete Charme der Rebellion" einzelnen Aspekten von 68, wie der verschwurbelten Sprache der 68er und der Eskalation nach dem gewaltsamen Tod Benno Ohnesorgs, fasst der Rezensent zusammen. Unbekanntes findet sich darin allerdings nicht, winkt Reinecke leicht gelangweilt ab. Zwar habe Mohr eine flotte Schreibe, doch habe man, was er zu sagen habe, anderweitig schon "besser, schärfer und klarer aufgebaut" lesen können. Reinecke vermutet daher, dass sich dieses Buch weniger einem inneren Anlass als vielmehr der "Gedenkroutine" zum runden Jahrestag verdanke.

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