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Wie war es möglich, Denken und Sprache zu entwickeln - und über Denken und Sprache diejenigen Welten, die wir in der Geschichte finden? Wie wurde der Schritt aus der Natur- in die Kulturgeschichte möglich? Um solche Fragen zu beantworten, bedarf es einer prozessualen Logik, die nicht - wie die traditionelle - Denken, Sprache und Kommunikation "immerschon" als unhintergehbar voraussetzt.
Wer sich die Aufgabe stellt, die Bedingungen zu rekonstruieren, unter denen sich im Verlauf der Hominisation die menschlichen Lebensformen herausbilden und dann historisch entwickeln konnten, begegnet
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Produktbeschreibung
Wie war es möglich, Denken und Sprache zu entwickeln - und über Denken und Sprache diejenigen Welten, die wir in der Geschichte finden? Wie wurde der Schritt aus der Natur- in die Kulturgeschichte möglich? Um solche Fragen zu beantworten, bedarf es einer prozessualen Logik, die nicht - wie die traditionelle - Denken, Sprache und Kommunikation "immerschon" als unhintergehbar voraussetzt.

Wer sich die Aufgabe stellt, die Bedingungen zu rekonstruieren, unter denen sich im Verlauf der Hominisation die menschlichen Lebensformen herausbilden und dann historisch entwickeln konnten, begegnet allerdings dem Einwand, daß die geistigen Potentiale - wie Denken, Sprache, Kommunikation und Moral - unhintergehbar seien, weil sie in jeder Reflexion immer schon mitgeführt werden. Die absolutistische Begründungsstruktur dieser Logik beherrscht auch noch das Selbstverständnis der Moderne. Doch mit ihrem Begründungsabsolutismus hindert sie sich selbst an einer Erkenntnis der realen, kausalen Prozesse, die für die Herausbildung und Weiterentwicklung von Gesellschaft und Kultur konstitutiv waren.

Um sich von den Denkblockaden der absolutistischen Logik zu befreien, ist es daher erforderlich, den Absolutismus der Logik in ihrer historischen Genese als Subjektlogik zu rekonstruieren und sie durch eine Prozeßlogik zu ersetzen, welche die "Konstruktivität" historischer Welten zu erhellen vermag. Damit schließt die Untersuchung von Günter Dux an die genetische Theorie Piagets an, führt aber die Rekonstruktion von Denkstrukturen über die Ontogenese hinaus und nimmt die Entwicklungslogik der soziokulturellen Organisationsformen in den Blick.

Aus dem Inhalt:
- Auf der Suche nach der wiedergewonnenen Einheit der Welt
- Der Umbruch im Weltverständnis der Neuzeit
- Die kopernikanische Wende. Das Bewußtsein der Konvergenz, Konstruktivität und Historizität
- Die anthropologische Verfassung als Bedingung der Enkulturation. Die Geistigkeit der Kultur
- Die drei Welten
- Die unverstandene Moderne

- Die Subjektlogik vorneuzeitlichen Denkens
- Die Reflexivität der Logik in den Semantiken philosophischen Weltverständnisses
- Die Behauptung der absolutistischen Logik im neuzeitlichen Verständnis von Konvergenz und Konstruktivität
- Der Verlust der Geschichte
- Die prozessuale Logik im Denken der Neuzeit
- Rekonstruktion als Erkenntniskritik und Methode historischen Verstehens
- Die alte und die neue Logik

- Die ontogenetische Wende in der genetischen Theorie Piagets. Ihre Bedeutung für die Geschichte
- Piaget vor der Geschichte
- Von der genetischen zur historisch-genetischen Theorie
- Die Genese von Kommunikation und Sprache
- Sprachpragmatik und Gesellschaft
- Eine Theorie der Kognition in systematischer Absicht

- Gesellschaftsgeschichte und Kulturgeschichte
- Die Entwicklung der gesellschaftlichen Strukturen bis zu den archaischen Zivilisationen
- Die Entwicklung der logisch-arithmetischen Strukturen
- Weltbild und materiale Logik von der Frühzeit bis zu den archaischen Zivilisationen
- Die griechische Antike als Vorlauf zur Neuzeit. Gesellschaftliche Entwicklung und philosophische Reflexion
- Der Prozeß der Säkularisierung im Mittelalter. Die Organisationsform der Stadt als Denkform der Neuzeit
- Das Selbstverständnis der Moderne in der historischen Entwicklungslogik des Geistes

Rezension:
- "Bündig in der Argumentation, klar im Stil, übersichtlich im Arrangement des Inhalts, liest sich sein Buch ungemein anregend, spannend geradezu, und gehört mit seinem Plädoyer für eine prozessuale Logik zu den philosophisch wichtigsten Werken dieses Jahres." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Dezember 2000)

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2000

Doch sag, wie hältst du's mit der Konstruktion?
Die Gesellschaftskritik der Gesellschaft einmal anders: Günter Dux stellt die Luhmann-Frage, aber macht der Logik der Systemtheorie den Prozeß

Im vorletzten Kapitel der "Gesellschaft der Gesellschaft", dem letzten Werk, das er noch selbst redigiert hat, kommt Niklas Luhmann auf den Begriff des Begriffs zu sprechen. Begriffe theoriegeleiteter Beobachtung sind Unterscheidungen, erklärt er, und als solche Anweisungen, die durch Unterscheidung gewonnene Grenze zu überqueren. Diese Begriffe gelte es möglichst deutlich zu explizieren, um sie ihrerseits der Beobachtung auszusetzen. Denn je deutlicher eine Theorie ihre Begriffe expliziere, desto mehr exponiere sie ihre blinden Flecken, also das für sie Unsichtbare, dem sie verdankt, was sie sehen kann. Die blinden Flecken zu exponieren habe nicht den Sinn, betont Luhmann, einen Rückgang auf letztlich unbestreitbare Gründe einzuleiten. Der Sinn liege darin, Kritik zu erleichtern und zu erschweren: "Machen Sie es anders, ist die Aufforderung, aber mindestens ebenso gut."

Günter Dux macht es anders, und er tut dies in erklärter Herausforderung der Systemtheorie. Ausgehend von der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit geistigen Lebens, verknüpft Dux die kognitive Entwicklung des Kindes, die Ontogenese, mit der kulturellen Geschichte der Menschheit. Die Verknüpfung erfolgt in Weiterführung von Jean Piagets Stadienmodell der Erkenntnisentwicklung.

Piaget unterscheidet vier Entwicklungsstadien, deren letztes im Alter von fünfzehn Jahren endet. Das sensomotorische Stadium umfaßt die ersten beiden Lebensjahre. Es ist notwendige Bedingung, um Denkvermögen und Handlungskompetenz aufzubauen, und in seiner Verlaufsform für alle Menschen zu allen Zeiten gleich. In diesem Stadium entwickelt sich die Unterscheidung von Ego, Alter ego und Welt, die Vorstellung von Zeit und Raum, die Einsicht in Kausalität sowie das Wissen um Objektkonstanz, also die Gewißheit, daß ein Objekt auch dann existiert, wenn es sich nicht mehr im Blickfeld befindet. Der Spracherwerb im zweiten, im präoperationalen Stadium beschleunigt den Aufbau der Handlungskompetenz und eröffnet die Möglichkeit symbolisch-medialer Verständigung. Zu Recht hebt Dux hervor, daß sich Sprache in ihren eigenen Strukturen erst entwickeln kann, wenn die konstruktive Organisation von Handlungen und Welt bereits angelaufen ist. Sprache potenziert die Differenzierungsfähigkeit, aber initiiert sie nicht. Das präoperationale Stadium endet nach Piaget mit dem achten Lebensjahr und geht in ein konkret-operationales über, an das sich im Alter von zwölf Jahren das formal-operationale Stadium anschließt oder anschließen kann. Denn für die Existenzvorsorge ist dieses Stadium, das sich durch das Verstehen moderner Logiken bestimmt, nicht zwingend erforderlich.

Die erkenntnistheoretische Pointe der Ontogenese sieht Günter Dux darin, daß sich Geistigkeit aus einer kulturellen Nullage heraus auf der Basis rein naturaler Kapazität entwickelt und daß die Entwicklungsstadien einander in ihrer Abfolge notwendig bedingen. Dux bezieht damit zum einen Stellung gegen die These Noam Chomskys, Sprache sei ihrer Tiefenstruktur nach substanziell im Genom eingelagert. Die jüngsten Forschungen zu den Spiegelneuronen des Gehirns geben ihm diesbezüglich recht (F.A.Z. vom 18. Juli). Zum anderen wendet er sich entschieden gegen den Radikalen Konstruktivismus, als dessen Repräsentanten er Luhmann nimmt. Zwar ist, was im Begriff der Welt auf den Menschen konvergiert, ein unhintergehbares Konstrukt, räumt Dux ein, dieses Konstrukt sei jedoch seiner Konstruktion nach keineswegs kontingent in dem Sinne, daß es einer prozessualen Begründungslogik schlechthin enthoben wäre. Weder ließen sich Welt und Gesellschaft ernstlich als Produkt arbiträrer Sprachspiele behaupten noch als Konstrukt neurobiologischer und kommunikativer Selbstexplikation ohne Weltkontakt. Die konstruktive Organisation von Welt laufe vielmehr analytisch einholbar nach Maßgabe der naturalen Organisation des Menschen an und setze sich dann mit Notwendigkeit kulturell so lange fort, bis die Handlungskompetenz einen Grad erreicht hat, der zur Existenzvorsorge befähigt. Den Radikalen Konstruktivismus verwerfend, bezeichnet Günter Dux seinen eigenen Ansatz als einen des Konstruktiven Realismus oder Realen Konstruktivismus.

Soweit es den Radikalen Konstruktivismus betrifft, ist die Kritik legitim; allein Luhmanns Theorie gehört ihm nicht zu oder doch nur, sofern man aufgrund ihrer wohlkalkulierten Paradoxien eine entsprechende Lesart forciert. Luhmann bestreitet keineswegs, daß - in seinen Worten - erkennende Systeme wirkliche Systeme in einer wirklichen Welt sind, die, um erkennen zu können, Weltkontakt halten und halten müssen. Nur unterscheidet er präzise zwischen dem psychischen System, das im Erleben Weltkontakt hält, und dem System der Kommunikation, das Weltkontakt als Sachverhalt kommuniziert. In der Kritik von Dux verschwimmt diese grundlegende Unterscheidung. Luhmann geht gerade nicht von einem absolut gesetzten Begriff der Kommunikation aus, sondern davon, daß Systeme existieren, darunter das der Kommunikation. Von Systemen spricht auch Dux und steht damit Luhmann näher, als es ihm vermutlich lieb ist. So rekurriert er in Thematisierung der Ontogenese ausdrücklich auf die Differenz von System und Umwelt sowie auf den Begriff der Autopoiesis beziehungsweise konstruktiven Autonomie.

Gesellschaft baut sich nach Dux durch Vernetzung von Handlungspraxen der Existenzvorsorge auf. Der Aufbauprozeß stagniere, erklärt er mit Blick auf die archaischen Zivilisationen, sobald ein Organisationsniveau erreicht ist, das Existenzsicherheit gewährleistet, und progrediere, wenn sich Handlungsspielräume der Existenzverbesserung auftun. Die Ausschöpfung solcher Spielräume, fährt er fort, geschieht in der Form von Macht als dem Organisationsmedium schlechthin. Im Begriff der Macht, dessen zentrale Positionierung im Rekurs auf Nietzsche erfolgt, verknüpft Dux so plausibel wie elegant Ontogenese und Phylogenese, Enkulturation und Kulturgeschichte. Denn Macht als Medium basiert auf der praktischen Reflexion, die ihrerseits die kulturelle Ausformung der natural eingeleiteten Handlungsreflexivität ist. Für Reflexion in der Handlungspraxis steht der Begriff der Subjektivität, für Reflexion der Konstruktivität von Welt der Begriff Kultur. Kulturgeschichtlich setzt das formal-operationale Denken mit der griechischen Philosophie ein, bleibt jedoch inhaltlich der subjektivischen Handlungslogik verhaftet. Eben weil auf der Folie der Handlungslogik alles Geschehen aus dem Denken hervorgeht, avanciert Geistigkeit zur Welterklärungsformel und bleibt es bis weit in die Neuzeit hinein.

Im Anschluß an das vielleicht etwas zu geschwinde Durchlaufen der Kulturgeschichte erneuert Dux seine Kritik an der Systemtheorie. Luhmann begreife, so der Vorwurf, Geistigkeit als Produkt reiner Selbstreferenzialität und Autopoiesis, und rücke sie dergestalt in die Position eines unhintergehbar Absoluten ein. Damit schreibe er zum einen auf strukturlogischer Ebene die subjektivische Handlungslogik fort. Zum anderen versperre er sich die Chance, Geistigkeit erkenntnistheoretisch rekonstruieren zu können, weil für die Zirkelschlüsse der Systemtheorie Rekonstruktion eben auch bloß Konstruktion sei. Diese Vorwürfe treffen zu und treffen nicht zu, insofern als es der Umfang des Luhmannschen Werkes den Kritikern leicht- und schwer zugleich macht. Der Luhmann der Paradoxien ist sicherlich angreifbar, der Luhmann der Theorieentfaltung zwischen den Paradoxien hingegen ein realer Konstruktivist, wie ihn sich ein Vertreter der historisch-genetischen Theorie nur wünschen kann. Man vergegenwärtige sich allein die Fülle seiner Aufsätze und Werke historischer Ausrichtung, in denen Prozessualität Evolution und Kompetenzgewinn Komplexitätssteigerung heißt.

Hat es Günter Dux also am Ende gar nicht so viel anders als die Systemtheorie gemacht? Die Frage muß in diesem Rahmen offen bleiben. Mindestens aber hat er es nicht schlechter gemacht. Bündig in der Argumentation, klar im Stil, übersichtlich im Arrangement des Inhalts, liest sich sein Buch ungemein anregend, spannend geradezu, und gehört mit seinem Plädoyer für eine prozessuale Logik zu den philosophisch wichtigsten Werken dieses Jahres.

RALF DROST

Günter Dux: "Historisch-genetische Theorie der Kultur". Instabile Welten - Zur prozessualen Logik im kulturellen Wandel. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000. 516 S., geb., 79,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Obgleich Ralf Drost sich in seiner Besprechung redlich bemüht, die Angriffe des Autors auf die Luhmannsche Systemtheorie und den Radikalen Konstruktivismus zu relativieren, kann er nicht mit Sicherheit sagen, inwieweit hier Übereinstimmungen herrschen, die Günther Dux nur nicht wahrhaben will. Dass dem Autor mitunter grundlegende Unterscheidungen entgehen, die seinen Entwurf eines Realen Konstruktivismus durchaus in die Nähe Luhmanns rücken, will Drost dagegen beschwören. Und dass es der Autor jedenfalls nicht schlechter gemacht hat als dieser: "Bündig in der Argumentation, klar im Stil, übersichtlich im Arrangement des Inhalts", lese sich sein Buch ungemein anregend. Mehr noch: Nach Ansicht unseres Rezensenten gehört es gar zu den "philosophisch wichtigsten Werken dieses Jahres". Und das neigt sich schließlich dem Ende!

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