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Im heutigen Kulturbetrieb setzt man auf erlebnisstarke Angebote, aber vielfach werden diese nur flüchtig konsumiert. Es ist eine „Ergebnisgesellschaft“ entstanden, teilweise fähig zur reaktionsschnellen Verarbeitung, oft aber darauf reduziert, dass immer mehr in immer kürzeren Abständen lediglich abgehakt wird. Diese Ergebnisgesellschaft konturiert Hermann Bausinger an einer Fülle von Beispielen aus unserem Alltag: im Sport, beim Einkauf, im Verhältnis zum Geld und zur Liebe, im Umgang mit Medien und in der Kommunikation, beim Spiel und auf Reisen.

Produktbeschreibung
Im heutigen Kulturbetrieb setzt man auf erlebnisstarke Angebote, aber vielfach werden diese nur flüchtig konsumiert. Es ist eine „Ergebnisgesellschaft“ entstanden, teilweise fähig zur reaktionsschnellen Verarbeitung, oft aber darauf reduziert, dass immer mehr in immer kürzeren Abständen lediglich abgehakt wird. Diese Ergebnisgesellschaft konturiert Hermann Bausinger an einer Fülle von Beispielen aus unserem Alltag: im Sport, beim Einkauf, im Verhältnis zum Geld und zur Liebe, im Umgang mit Medien und in der Kommunikation, beim Spiel und auf Reisen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2015

Zum Ergebnis drängt, am Ergebnis hängt doch alles

Wie sollen wir nur die hohe Frequenz unseres Alltags in den Griff bekommen? Der Ethnologe Hermann Bausinger untersucht, mit welchen Tricks sich unsere Gesellschaft durchs Leben zappt.

Geisteswissenschaftler haben einen Hang zum Bügeln. Das liegt an der Sichtbarkeit der Arbeit: Wenn sich Hemd auf Hemd und Hose auf Hose stapeln, ist auf den ersten Blick erkennbar, was sich sonst, nach einem Tag in der Bibliothek zum Beispiel, eben nicht so ohne weiteres zeigt. Oder sich verflüchtigt, denn was bleibt von zweihundertsiebenunddreißig gelesenen Seiten am Ende schon übrig? Vielleicht viereinhalb Gedanken?

Andererseits ist Bügeln die reine Vergeblichkeit, der Berg Wäsche ist ja nächste Woche wieder genauso groß, alles geht dann wieder von vorne los: Man muss sich Sisyphos als bügelnden Menschen vorstellen.

Aber, sagt der Tübinger Ethnologe Hermann Bausinger: Wir halten uns an solchen Ergebnissen fest, wie es ein Stapel fein gefalteter Hemden wäre. Er selbst wählt in seinem neuen Buch ein anderes Beispiel und zitiert Albert Einstein dafür: "Holzhacken", habe der einmal gesagt, "ist deswegen so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht." Bausinger spricht aber nicht von Erfolg, sondern vom "Ergebnis" als Ziel: Es sind solche Ergebnisse, die das unübersichtliche System, das unser Alltag ergibt, sortieren. Ergebnisse verkürzen das Denken über komplexe Prozesse und machen sie so behandelbar, ohne sie zu durchdringen.

Die "Ergebnisgesellschaft", die Bausinger ausmacht und die seinem kurzen Buch den Titel gegeben hat, zeige sich am Kontostand genauso wie beim Sammeln von Panini-Fußballerbildchen, im Sportteil einer Zeitung genauso wie im Modegeschäft, selbst in der Krankheit und der Quizshow. "Die Kulturtechnik flüchtiger Ergebnisorientierung", erklärt er, "ist eine Antwort auf die Vielzahl von Möglichkeiten und die hohe Frequenz angebotener Reize." Was er meint, zeigt sich beim Fernsehen vielleicht am klarsten: "Das Zappen ist eine ziemlich reine Form der raschen Orientierung an Ergebnissen; man kann so sicherstellen, dass man nichts Wichtiges versäumt." Die Reflexion, behauptet er an anderer Stelle, schrumpft zum Reflex, die Menschen erhöhen die Geschwindigkeit, weil sie selbst mit erhöhter Geschwindigkeit konfrontiert sind, aber die Kontrolle behalten wollen.

Bausinger, Jahrgang 1926, bis 1992 Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft, erhebt hier aber keine Klage. Im Gegenteil ermahnt er sich alle paar Seiten, bloß nicht zu kulturpessimistisch an die Sache heranzugehen, Multitasking kann man lernen, Telefonieren im Zug ist auch eine Antwort auf die unfassbare Langeweile deutscher Bahndämme. Sein Modus ist die gutgelaunte Skepsis: "Man kann durchaus die Frage stellen", schreibt er zum Beispiel, "ob die Menschen gesünder oder glücklicher werden, wenn sie kontinuierlich auf ihren Armbanduhren ablesen können, wie viele Meter sie sich zu Fuß bewegt haben und wie hoch ihr Blutdruck ist."

Dass seine Theorie erstens nur eine mittlere Reichweite habe und nicht alles umfassend erkläre und zweitens sie auch nicht in allen Fällen exakt aufgehe, gesteht Bausinger selbst zu. Im Grunde sucht auch Bausinger nach Ergebnissen für seine Ergebnistheorie, findet sie aber nicht überall gleich ausgeprägt. Ein paar der Phänomene sind noch dazu auch gar nicht lebensentscheidend: wie die Quizshow, die nicht bildet. Oder die Bundesligatabelle, die eine riesige Zahl einzelner Aktionen auf eine Zahl komprimiere.

Bausinger interessiert sich für Sport, er hat schon oft darüber geschrieben, und es ist schön, wenn er seine Theorie auch im Skispringen unterbringen kann, wo seit einiger Zeit die Sportler im ersten Lauf direkt in Paaren gegeneinander angehen, damit immer einer ausscheidet und der Zuschauer schon ein Ergebnis hat, bevor es das Endergebnis überhaupt gibt.

Und doch ist Sport, jubelt man noch so sehr über Richard Freitag, wenn der bei der Vierschanzentournee in Innsbruck siegt, nicht nur ein Ergebnis, genauso wenig, wie Fußball nur aus Toren besteht. Der Genuss von Fußball ist oft sogar das komplette Gegenteil der Effizienz, die Bausinger am Werk sieht: Der Genuss kann ja gerade auch die Spannung des nicht fallenden Tores sein, des Hin-und her-Wogens. Für das Sammeln wiederum hat Bausinger gar kein Verständnis, er nennt es "ein oft leidenschaftliches Engagement, das niemand nützt. Niemand außer den Sammlern, die nicht nur immer neue Stücke sammeln, sondern auch Ergebnisse, die ihnen die Illusion eines Fortschritts verschaffen." Aber vielleicht ist es ja gerade das Wunderbare am Sammeln, dass es nichts nützt. Warum muss es nützen? Weil alles doch ein Ergebnis haben muss, nur eben ein erbauliches?

In Bausingers Kritik am Abhaken, an der leerlaufenden Effizienz sozusagen, steckt also selbst Effizienzdenken - als dürfte der Tag keine vertane Minute haben, als müsse alles genutzt sein. Bausinger möchte ausdrücklich nicht mit einer Gebrauchsanweisung daherkommen, wie man auf diese neue Kulturtechnik reagiert, er schlägt lediglich lakonisch und kurz den Verzicht vor, einen souveränen, gelassenen Umgang mit den Möglichkeiten der digitalisierten und technisch erleichterten Welt. Gelassenheit kann nie schaden, stimmt. Andererseits kann sie auch angesichts eines Stapels gefalteter Hemden entstehen. Da gibt es eine Kontemplation in diesem Zappen und Abhaken, das Hermann Bausinger beschreibt, man erfährt nichts, man lernt nichts - so kann man sich auch der Effizienz entziehen.

TOBIAS RÜTHER

Hermann Bausinger: "Ergebnisgesellschaft. Facetten der Alltagskultur".

Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 2015. 150 S., broschiert, 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Tobias Rüther scheint Gefallen zu finden an Hermann Bausingers Art der empirischen Kulturwissenschaft. Das liegt zum einen an Bausingers Thema, das die Untersuchung von Quizsendungen, Panini-Sammelleidenschaft und TV-Zapping einschließt, zum anderen an Bausingers schön unaufgeregter Vorgehensweise, die nicht kulturpessimistisch daherkommt und auch nicht großsprecherisch, als wenn sie immer Recht behielte. Erklärt Rüther und freut sich immer dann mit dem Autor, wenn dessen Theorie der leerlaufenden Effizienz zu einem Beispiel passt. Allerdings hat Rüther am Ende auch Zweifel, ob nicht Bausinger selber dem Effizienzdenken anheimfällt, indem er dauernd nach dem Nützlichen sucht. Muss es denn immer nützen, fragt sich der Rezensent.

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