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Frankreich Ende der fünfziger Jahre. Überall im Land sind amerikanische Truppen. Marie-José und Patrick sind ein Liebespaar seit ihrer Kindheit. Auch in dem Dorf, in dem die beiden aufwachsen, ist eine Base der "Amerikanischen Besatzung". Faszination für die Amerikaner und Abscheu für die Besatzer teilen nicht nur das Dorf, der Gegensatz greift auch in die Pubertät von Marie-José und Patrick ein und beginnt, eine Jugendliebe zu zerstören.

Produktbeschreibung
Frankreich Ende der fünfziger Jahre. Überall im Land sind amerikanische Truppen. Marie-José und Patrick sind ein Liebespaar seit ihrer Kindheit. Auch in dem Dorf, in dem die beiden aufwachsen, ist eine Base der "Amerikanischen Besatzung". Faszination für die Amerikaner und Abscheu für die Besatzer teilen nicht nur das Dorf, der Gegensatz greift auch in die Pubertät von Marie-José und Patrick ein und beginnt, eine Jugendliebe zu zerstören.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2000

Herzen unter Besatzermacht
Nicht gerade epochal: Pascal Quignards Romanrückblick

Die Protagonisten einer Jugendliebe aus den fünfziger Jahren sitzen auf einer Uferbank an der Loire. Das Mädchen zieht einen Dolch aus der Tasche, stößt ihn unter geflüsterten Liebesworten dem Jungen in den Rücken und wendet die Klinge dann, schon im Wasser stehend, gegen sich selbst: Das Blut vermischt sich mit der Flut und treibt flußabwärts an den amerikanischen Armeecamps vorbei in Richtung Nantes bis zum Meer. So könnte dieser Epochenroman aus den Anfängen der Fünften Französischen Republik enden - wäre er von einem anderen Autor geschrieben. Nie würde Pascal Quignard sich aber eine so werthersche Szene erlauben. Er läßt seine Figuren den doppelten Liebestod nur imaginieren und das Mädchen dann mit geöffneten Adern in der Badewanne sterben.

Die historischen Einschübe vom Rückzug aus Indochina bis zu de Gaulles Ankündigung des Austritts aus der Nato treiben aber sehr wohl wie blutrote Farbmusterdem Horizont der großen Geschichte entgegen. "Wann endet der Krieg?" hebt der Roman gleich im Eingangssatz bombastisch an und holt noch weiter aus: Die Gegend von Orléans sei von den Kelten, den Germanen, den Römern, den Vandalen, den Alanen, den Franken, Normannen und Engländern, den Deutschen und eben den Amerikanern besetzt worden.

Das Okkupiertsein gerät bei Quignard, der in seinen bisher acht Romanen bald im alten Rom, bald im siebzehnten Jahrhundert des Kupferstechers Geoffroy Meaume oder im Glanz des Sonnenkönigs bei den Musikern Sainte Colombe und Marin Marais zu Hause war, zu einer epochal eingefärbten Grundbefindlichkeit. Mit den Liedern von Buddy Holly, dem Mythos von Coca-Cola und blonden Zigaretten, dem Reiz des Strümpfetragens und der plötzlich knisternden Alltagserotik verlagert sich vor den Kulissen des nächtlich auf die Mauern gepinselten "US go home" das Wort "Besatzung" vom politischen Begriff zur anschaulichen kulturhistorischen Metapher.

Der 1948 geborene Erzähler, Essayist und Verlagslektor Pascal Quignard schreibt aber alles andere als Historienliteratur, die romaneske Einzelschicksale effektvoll mit Zeitkulisse verstrickt. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum er in Deutschland noch kaum bekannt ist, obwohl er in der französischen Gegenwartsliteratur längst seinen Platz hat. Statt durch ausschmückende Szenenschilderung besticht er durch eine Art subtil komponierter Metaliteratur voller Anspielungen. Trocken, spröde, ja dumpf fallen in diesem Roman die Jahreszahlen und Namen in den Fluß des narrativ flachen Gefälles. So ist die Erzähldynamik nie mitreißend, sondern bildet stets nur kleine Wirbel um die faktischen Fremdkörper im Handlungsverlauf: Diese Literatur ist mehr parabolische Andeutungskunst als ausmalende Wirklichkeitssuggestion.

Daß aus den Romanen dieses Autors dennoch erfolgreiche Kinofilme hervorgingen und auch "Die amerikanische Besatzung" gleichzeitig mit dem Erscheinen vor sechs Jahren von Alain Corneau verfilmt wurde, ist kein Widerspruch, sondern die Kehrseite dieses Verfahrens. Pascal Quignard, ein Meister der kleinen Form, des Apropos, des scheinbar beiläufigen Lesenotats und des spekulativen Impromptus, versteht sich besser aufs knappe Zusammenschneiden als auf die üppige Szenenkomposition. So ist diese Geschichte von der zerbrechenden Jugendliebe zwischen Patrick und Marie-José am dörflichen Ufer der Loire dort am gelungensten, wo sie knapp und trocken die Tempowechsel der Zeitenwende einfängt. Unweigerlich bricht die anfänglich zwischen den toten Flußarmen, Sandbänken und verborgenen Angelbuchten geborgene, nach wilder Minze und Brombeeren duftende Kinderwelt auf im Kontakt mit dem amerikanischen Armeecamp und läßt eine Fülle parabolischer Bildminiaturen des Generationenwechsels hereinströmen.

Ritualhaft stampfen die halbwüchsigen Spielgenossen Patrick und Marie-José ihre Dinky-Toys-Autos, Puppenkochtöpfe und Plastiksoldaten ins ausgebuddelte Erdloch und schwören sich, aus der Kirche gestohlene Hostien schluckend, ewige Treue im erträumten Amerika. Die Szene wird zum Initiationsritus, wenn das Mädchen den Jungen freizügig unter dem hochgezogenen Rock die beim Graben entstandene kleine Verletzung am Schenkel sehen läßt. Nicht solch archetypisch schuldloses Kinderblut wird aber das Schicksal dieser ersten Nachkriegsgeneration besiegeln. Bald spritzt vielmehr das Blut ganz anders, wenn beim Nähen der Platzwunde, die sich Patrick im Kampf gegen die nächtlichen "US go home"-Schmierer zuzog, die Tropfen am Pullover der amerikanischen Leutnantstochter Trudy Wadd hängenbleiben und langsam aufgesogen werden. Die Sinnbilderfülle des Romans schwappt allerdings oft auch über. Wenn die verlassene Marie-José dem auf Bill Haley, Gene Vincent und Elvis Presley abfahrenden Jugendfreund Patrick unter dröhnendem Hubschrauberlärm der amerikanischen Air Force die Gedichte von François Villon zitiert, sitzt der Sinn faustdick zwischen den Zeilen. Auch das Bild von den über den Rundfunkapparat gebeugten Eltern, die vor lauter Schlagzeuglärm des Sohns die feinen Dialoge des Hörspielautors Jean Giraudoux nicht mehr verstehen, wirkt reichlich strapaziert.

Was in den kritischen und spekulativen Texten Pascal Quignards beziehungsreich flimmert, gerät in diesem Roman leicht in den Sog zähflüssiger Featureliteratur. Dem leistet auch die manchmal etwas knarrende Übersetzung, die das Partizipialadjektiv "erobert" zu "desto eroberter" steigert, keine Abhilfe. Die wunderbar kühne Setzung des Romantitels von einer "amerikanischen Besatzung" Frankreichs ist narrativ im Sand des Loire-Ufers steckengeblieben.

JOSEPH HANIMANN.

Pascal Quignard: "Die amerikanische Besatzung". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Jörg Aufenanger. Kowalke Verlag, Berlin. 210 S., geb., 39,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Joseph Hanimanns Besprechung beginnt mit der Beschreibung einer Enttäuschung. Eine üppige Selbstmordszene entpuppt sich als sehr viel undramatischer als zunächst gedacht. Denn: so eine "werthersche Szene" würde sich Quignard nie erlauben. Dann wandert der Rezensent durch das Buch, das immer wieder zum Historienroman, zur Schilderung "epochaler Grundbefindlichkeit" aushole, dann aber bloß "überschwappende Sinnbildfülle" und "parabolische Andeutungskunst" hervorbringe. Wir erfahren, das Quignard in der französischen Gegenwartsliteratur durchaus seinen Platz habe, auch weil er "durch eine Art subtil komponierter Metaliteratur voller Andeutungen" zu bestechen wisse. In diesen Roman allerdings fallen Namen und Jahreszahlen "trocken, spröde, ja dumpf" in den Fluss der Erzählung und machen aus dem Roman "zähflüssige Featureliteratur", konstatiert Hanimann. Auch die Übersetzung findet er reichlich "knarrend".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Pascal Quignard erweist sich als der einfallsreichste und als der bedeutendste Erneuerer unter den Schriftstellern von heute." (Le Monde)
"Ein einzigartiger Roman voller dunkler und bitterer Strudel. Ein schöner Roman, dessen Szenen lange in uns gären werden." (Le Figaro)