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Das Tagebuch des Abschieds ist Machado de Assis' letztes Werk, es erschien im Sommer 1908 in Rio de Janeiro, kurz bevor der Autor im Alter von neunundsechzig Jahren starb. Die Handlung spielt vor der Abschaffung der Sklaverei 1888, die 1889 zum Sturz der brasilianischen Monarchie und zur Ausrufung der Republik führte. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der Bankvorsteher Aguiar und seine Frau Carmo, beide in ihrem letzten Lebensabschnitt, deren innige Beziehung ein wenig getrübt ist, weil sie kinderlos geblieben sind. Sie haben Ersatz- bzw. "Herzenskinder" gefunden: die schöne Fidélia, die…mehr

Produktbeschreibung
Das Tagebuch des Abschieds ist Machado de Assis' letztes Werk, es erschien im Sommer 1908 in Rio de Janeiro, kurz bevor der Autor im Alter von neunundsechzig Jahren starb.
Die Handlung spielt vor der Abschaffung der Sklaverei 1888, die 1889 zum Sturz der brasilianischen Monarchie und zur Ausrufung der Republik führte. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der Bankvorsteher Aguiar und seine Frau Carmo, beide in ihrem letzten Lebensabschnitt, deren innige Beziehung ein wenig getrübt ist, weil sie kinderlos geblieben sind. Sie haben Ersatz- bzw. "Herzenskinder" gefunden: die schöne Fidélia, die wegen ihrer Heirat von den Eltern verstoßen und früh verwitwet, sich immer enger an Dona Carmo anschließt. Und Dona Carmos Patensohn Tristão, den die Aguiars aufgezogen haben, als seine Eltern in Portugal ihr Glück suchten. Tristão ist als Student seinen Eltern nach Lissabon gefolgt und scheint seine Pateneltern vergessen zu haben. Mit seinem überraschenden Besuch in Brasilien beginnt eineZeit ungetrübten Glücks. Die beiden jungen Leute Tristão und Fidélia verlieben sich, heiraten und brechen nach Lissabon auf. Sie versprechen zwar, sobald als möglich nach Rio zurückzukehren, doch ist dieser Abschied für die Waiseneltern wohl endgültig.
Ihren literarischen Reiz erhält die Geschichte durch den meisterhaft gestalteten Erzählrahmen: die Aufzeichnungen des pensionierten Botschaftsrats Aires in loser Tagebuchform. Mit heiterer Gelassenheit und freundlicher Ironie notiert er kleine Beobachtungen und Gedanken, mit viel Mitgefühl für die beiden "Alten", mit Sympathie für das junge Paar und einem halb eingestandenen Begehren für die schöne Fidélia.
Den Roman durchzieht der Klang der saudade, jene Stimmung zwischen Wehmut, Sehnsucht und Abschiedsschmerz, die durch Sachlichkeit und Ironie gemildert wird.
Autorenporträt
Joaquim M. Machado de Assis (1839-1908) wurde in Rio de Janeiro geboren. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, war Autodidakt, zunächst Druckerlehrling, dann Journalist und schließlich hoher Regierungsbeamter. Er gilt als bedeutendster Erzähler der brasilianischen Literatur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2009

Die Heimkehr des Geheimrats
Ein hundert Jahre alter Roman aus Brasilien voll feinen Taktgefühls
Wer einen Roman aus Brasilien zur Hand nimmt, der tut das, ob er es sich eingesteht oder nicht, mit bestimmten Erwartungen, die dieses, man darf sagen, machtvollste aller exotischen Länder unwiderstehlich weckt. Und er braucht, wenn er das letzte Werk des 1908 verstorbenen Joaquim Machado de Assis beginnt, einige Seiten, um über die dumme spontane Enttäuschung hinwegzukommen und zu erkennen, dass er stattdessen etwas viel Besseres erhält.
Der verwitwete Geheimrat Aires ist aus dem diplomatischen Dienst in Europa in seine Heimatstadt Rio de Janeiro zurückgekehrt, um hier seinen Lebensabend zu verbringen. Es ist seine vertraute Umgebung, die er nun endlich nach den Jahren in Europa mit den dort herrschenden befremdlichen Jahreszeiten wieder erleben darf.
Gleich in den ersten Zeilen ertönt der anheimelnde Ruf eines Straßenverkäufers: „Besen feil, Staubwedel feil!” Das ist das Lokalkolorit, wie es nicht dem Touristen, nur dem Heimkehrer auffällt, während er die steilen Urwaldfelsen und die ganzjährige Blütenpracht im Weichbild der Stadt für kaum der Rede wert erachtet.
Das Buch, so kommt es dem europäischen Leser vor, hätte auch unter einem kühleren, unter seinem eigenen Himmel angesiedelt sein können; und das Nachwort hat sicher recht, als den Geistesverwandten Machados Theodor Fontane in Anspruch zu nehmen, vorzüglich als den Autor des „Stechlin”. Machados Roman spielt nicht in den Tropen, er spielt eigentlich überhaupt nicht, denn das dramatische Element ist völlig zurückgedrängt; sondern er verweilt im Land eines feinfühlig ironischen, notwendig vereinsamenden, dabei aber doch wesenhaft geselligen Alters.
Das erste größere Bild zeigt Aires in Begleitung seiner Schwester Rita, verwitwet auch sie, auf dem Friedhof; sie macht ihn mit der schönen Witwe Fidélia Noronha bekannt, die das Grab ihres Gatten pflegt, und bietet ihm schalkhaft eine Wette an, ob diese junge Frau sich wohl nochmals vermählen würde. Damit sind die Themen Liebe und Tod so unspektakulär wie möglich angeschlagen.
Was an dem Buch bezaubert, sind Haltung und Sprache des alten Diplomaten, der sich seinem Tagebuch anvertraut, noch inniger als seinem geliebten „Schwesterherz”. Er schreibt: „Als ich sie nunmehr sah, fand ich sie nicht weniger appetitlich als auf dem Friedhof oder zuvor im Hause meiner Schwester Rita, und keine geringere Augenweide. Ihre Figur scheint gedrechselt, ohne den leisesten Anflug von Starrheit, woran man bei dieser Vokabel vielleicht denken könnte; ganz im Gegenteil, sie ist geschmeidig. Damit meine ich nur die Makellosigkeit der Linie, der sichtbaren Linien wohlgemerkt, die übrigen errät und beschwört man.”
Wenn ein älterer Mann eine jüngere Frau „appetitlich” findet, so könnte das leicht ins Verfängliche geraten. Aber mit welch feinem Takt berichtet er von der Wirkung, die die Reize dieser Frau auf seine Phantasie ausüben! Er beherrscht die hohe Kunst des Kompliments, das zu berühren versteht, ohne zu betasten. Man beachte vor allem die sorgfältige Unterscheidung, die zwischen den sichtbaren, den erratenen und den beschworenen Linien statthat.
Aires wäre wohl über die modernen Jeans-Trägerinnen nicht glücklich gewesen, weil sie ihm diese erotisch so ergiebige kategoriale Dreiteilung zunichte machen müssten. Den Charme der schon älteren Ziehmutter Fidélias, Dona Carmo Aguiar, charakterisiert er folgendermaßen: „Dona Carmo besitze alle Arten der Zärtlichkeit, die eheliche, die töchterliche, die mütterliche. (…) Sie habe keine Geschwister, doch ihre Geschwisterliebe sei in der Freundesliebe aufgehoben, die gleichfalls zu ihrer Zärtlichkeit gehöre.”
Die Höhe einer Kultur beglaubigt sich in den Differenzen, die sie zu machen versteht. Wäre heute eine Talkshow denkbar zum Thema, wie viele Arten der Zärtlichkeit es gibt? Die indirekte Rede des Abschnitts rührt daher, dass der Geheimrat sein Schwesterherz zitiert, denn über solche Dinge spricht man selbstverständlich auch.
Neben dem Kompliment verfügen diese Menschen noch über eine zweite Kunst, die man allzu leicht geringschätzt, weil sie nur als hochgradig konventionelle gedeiht: die der Konversation. Sie geht über ins Tagebuch, für den Geheimrat ein Mittel, in einen so kritischen wie zärtlichen Dialog mit sich selbst zu treten (wieder eine neue Art von Zärtlichkeit!), fast als spräche er mit sich in Vertretung seiner verstorbenen Frau: „Mein alter Aires, du Tölpel meiner Seele, wie konntest du nur am 3. August den Jahrestag des Kabinetts Ferraz begehen, wo dieses doch am 10. August eingesetzt wurde? Heute wäre das Jubiläum, mein alter Aires. Da siehst du, wie gut es ist, laufend zu notieren, was vor sich geht, sonst würdest du dich an nichts erinnern oder alles verwechseln.”
Machado klammert, wie man sieht, das größere Weltgeschehen nicht aus, und kaum ein Zufall ist es, dass das schon im neuen Jahrhundert publizierte Buch sich zwanzig Jahre früher zuträgt, in den für Brasilien entscheidenden Jahren 1888/89; dass die Sklaverei abgeschafft wird, findet noch seinen Ort darin, der Sturz des Kaisertums kurz darauf schon nicht mehr. Doch werden politische Fragen am Rand und soziale im Privaten abgehandelt.
Als Aires entdeckt, dass sein Diener das Ausbürsten der Westen seines Herrn benutzt, um das in den Taschen enthaltene Kleingeld einzustreichen, besteht seine Gegenmaßnahme darin, diese Restsummen zu verkleinern, aber nur schrittweise, damit der Diener sich nicht ertappt fühlen und schämen muss. „Wegen des Diebstahls oder der Beschimpfungen bin ich ihm nicht gram. Er dient mir gut und mag mich; er könnte mehr mitgehen lassen und schlimmer auf mich schimpfen.”
Das Buch ist, was sein Titel besagt, ein Tagebuch des Abschieds; nicht zuletzt für den Autor, der noch im Jahr der Veröffentlichung starb und seinen Tod wohl kommen fühlte. Nur kurze Zeit kann es scheinen, als würde Aires die schöne junge Fidélia zufallen. Er gewinnt und verliert seine Wette, indem sie statt seiner das andere Ziehkind des alten kinderlosen Ehepaars Aguiar heiratet (die Familienverhältnisse stellen den komplexesten Teil dieses sonst recht unverwickelten Buchs dar), den ehrgeizigen jungen Politiker Tristâo, der mit ihr nach Portugal geht und damit, im Zeitalter vor dem Flugzeug, in die nahezu unumkehrbare Ferne.
Die Alten bleiben betrübt, ja verwaist zurück und wissen doch, dass es so sein muss. Einem Freund sagt Aires: „Obergerichtsrat, wenn die Toten schnell vergehen, so vergehen die Alten noch schneller als die Toten... Es lebe die Jugend!” Die Toten hinterlassen immerhin noch Witwen und Witwer, ein Familienstand, dessen Angehörige in diesem Buch mit unverhältnismäßiger Häufung in Erscheinung treten; die Alten aber niemanden mehr; und es bleibt ihnen nur die graziöse Geste, mit der sie den Jungen das Feld räumen. Der letzte Satz des Buchs, und der einzige, der über das Kultivierte, Warmherzige, Geistvolle ins Dunkle hinausreicht, lautet: „Was sie tröstete, war ihre Sehnsucht nach sich selbst.”
Wenn Weltliteratur wirklich sein soll, was ihr Name verheißt, Literatur, die aus den Einzelsprachen ihre Wirkung in die ganze Welt trägt, so gelingt ihr das nur von Gnaden der Übersetzer. Der Rezensent hat keine Ahnung vom Portugiesischen, wohl aber den bestimmten Eindruck, dass Berthold Zilly, der einer in jeder Hinsicht weit entfernten Sach- und Seelenkultur so zartfühlend-lebendige Sprache verleiht, hier Vorbildliches geleistet hat. Und er tut noch mehr: Seine Anmerkungen liefern das Notwendige und nichts Beschwerliches darüber hinaus; und sein Nachwort beleuchtet knapp, sachkundig und liebevoll Werk, Autor, Land und Zeit. Zilly übersetzt ein Buch, das von einem Diplomaten handelt, und er vollbringt es in Augenhöhe, indem er selbst zum Botschafter wird. So sollte es immer sein. BURKHARD MÜLLER
JOAQUIM MACHADO DE ASSIS: Tagebuch des Abschieds. Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt und herausgegeben von Berthold Zilly. Friedenauer Presse, Berlin 2009, 231 S., 22,50 Euro.
Sie besitzt alle Arten der Zärtlichkeit: die eheliche, die töchterliche, die mütterliche
„Was sie tröstete, war ihre Sehnsucht nach sich selbst.”
Im machtvollsten aller exotischen Länder: Die Bucht von Rio de Janeiro, um 1880 Foto: ullstein bild
Klassiker der brasilianischen Literatur: Joaquim Maria Machado de Assis (1839 – 1908) Foto: oh
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dies ist selbst ein Abschiedswerk am Ende des erstaunlichen Wegs des brasilianischen Mulatten Joaquim M. Machado de Assis hinein in die Weltliteratur. Durchzogen ist das Buch, das von der unerfüllten Liebe eines alten Mannes zu einer sehr viel jüngeren Frau erzählt, von der typisch portugiesisch-brasilianischen "Saudade". Diese zählt der Rezensent Thomas Sträter in einer geradezu ausufernden Einleitung seiner Besprechung zu den unübersetzbaren und darum der Bemühung um Übertragung umso bedürftigeren Begriffen. Als "Tagebuch-Roman" ist das ganze verfasst, gemahnt den Rezensenten als "Zeitroman" an Fontane und wurde, wie er sehr ausdrücklich lobt, von Berthold Zilly kongenial übersetzt.

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