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Produktdetails
  • Balázs, Béla, Ausgewählte literarische Werke in Einzelausgaben 2
  • Verlag: Das Arsenal
  • Seitenzahl: 160
  • Erscheinungstermin: 1. Quartal 2017
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm x 125mm x 11mm
  • Gewicht: 196g
  • ISBN-13: 9783931109301
  • ISBN-10: 3931109305
  • Artikelnr.: 11110855
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2003

Man ist so lange bei Bewusstsein, wie man kurbelt
Heraus aus der Obdachlosigkeit der Philosophie, hinein in das Feuilleton der Spaziergänger und Geistesakrobaten: Béla Balázs und sein „Baedeker der Seele”
Irgendwo unten auf der Seite standen früher einmal die Feuilletons. Bescheidenheit war das nicht. Es war Koketterie, die List einer kleinen Form, sich die letzten Worte zu sichern. Vorher waren für die letzten Worte und Dinge die Philosophie und die Theologie zuständig gewesen, und wenn nicht die Kanzel, so mindestens die Bühne. Den optischen Apparaten ähnlich, die im 19. Jahrhundert populär wurden, verkleinerte das Feuilleton die großen Worte und warf die Welt durcheinander wie im Kaleidoskop. Anton Kuh hat dafür im Titel eines seiner Feuilletons die gültige Formel gefunden: „Metaphysik und Würstel”.
Der Berliner Arsenal Verlag hat kürzlich in seiner verdienstvollen Werkausgabedes ungarischen Dramatikers, Essayisten und Filmtheoretikers Béla Balázs (1884-1949) nach dem autobiografischen Roman „Die Jugend eines Träumers” (1947) gedruckte und ungedruckte Feuilletons herausgebracht, die Balázs im Wien nach dem Ersten Weltkrieg zwischen 1920 und 1926 geschrieben hat. Balázs hatte vor dem Krieg im Budapester „Sonntagskreis” um Georg Lukács inbrünstig Dostojewski gelesen und über die Erlösung der Welt aus dem Zeitalter der transzendentalen Obdachlosigkeit debattiert. Als in Ungarn das konterrevolutionäre Horthy-Regime an die Macht kam, ging er nach Wien und vesuchte sich dort als Journalist. Seit 1922 schrieb er vor allem für die neu gegründete Tageszeitung „Der Tag”, als Kollege des Theaterkritikers Alfred Polgar.
Man merkt es beim Blättern schnell: Da ist einer schon seit Budapester Tagen vertraut mit den leichthin formulierenden Spaziergängern und Reflexionsakrobaten des Wiener Feuilletons, insbesondere mit den Trapeznummern des Erfolgsduos „Sentimentalität und Ironie”. Zärtlich ist das kokette Ich – „Mein Name ist Dr. Balázs”– einem kleinen Mädchen bei einem dringenden Bedürfnis behilflich. Mit der gehörigen Portion Aufklärungsskepsis räsoniert Dr. Balázs wie viele europäische Juden seiner Generation über die Geheimnisse des Weihnachtsbaums. Liebevoll blickt er in der Bibliothek auf die nicht gelesenen Bücher und zaubert aus dem Blick auf die Einbände derer, die er gelesen hat, ihre „Stimmungsatmosphäre” hervor.
Wie viele Feuilletonisten der zwanziger Jahre kultiviert Balázs die Aufmerksamkeit auf die neuen Apparaturen und Medien. Enthusiastisch entwirft er die Umrisse des „Radiodramas”, unverkennbar wächst im Filmkritiker des„Tag” der künftige Autor des Buches „Der sichtbare Mensch” heran. Man lese nur „Kurbelndes Bewusstein”, das Feuilleton über den „posthumen Film des Südpolarforschers Kapitän Scott, der sein eigenes Sterben kurbelte”, mit dem Apercu: „Man kurbelt nicht so lange, als man bei Bewusstein ist, sondern man ist so lange bei Bewusstsein, wie man kurbelt. Die Geistesgegenwart wird von außen gleichsam mechanisch gestützt.”
Von Reisen, Träumen, Abenteuern leben viele dieser Feuilletons. Manche wie „Juden unterwegs” und „Nationalismus” zeigen die harten Seiten der zwanziger Jahre. Der „Baedeker der Seele” von 1925, der den zweiten Teil des schönen Bändchens füllt, ist damals zu spät erschienen, als dass Franz Kafka die kleine Theorie der von ihm so gern frequentierten „Schwimmschulen” noch hätte zur Kenntnis nehmen können.
lmue
BÉLA BALÁZS: Ein Baedeker der Seele und andere Feuilletons. Mit einem Nachwort von Hanno Loewy. Arsenal Verlag, Berlin 2002. 160 Seiten, 13,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2003

Man muß sich wundern!
Am Anfang war das Feuilleton: Die Welt, wie Béla Balázs sie sah

Es gehört zum Erfolg des Feuilletons, daß es seine Urform historisch hat werden lassen. Ein Feuilleton begann einmal so: "Ich habe unlängst durch das Mikroskop ein lebendiges Zellenwesen gesehen. Aber das Zellenwesen hat mich nicht gesehen. Dies hat mein Weltbild tief erschüttert." Besser kann man nicht staunen über eine Welt, in der jeder im selben etwas anderes sieht.

Daß man nicht vergißt sich zu wundern, darin liegt das Geheimnis des Feuilletons. Und wenn man bloß damit beginnt, daß man sich wundert, wie man das Sich-Wundern überhaupt je vergessen konnte. Béla Balázs, der ungarische Regisseur, Filmkritiker und Literat, der eigentlich Herbert Bauer hieß, hatte der Dichter Ungarns werden wollen. Statt dessen saß er 1920 in Wien - als deutscher Schriftsteller, Kritiker und Feuilletonist, der er nie hatte sein wollen. Wie sollte er das Sich-Wundern unter solchen Umständen vergessen oder gar verlernen? Er war 1920 vor Admiral Horthy und dem weißen Terror gegen die Anhänger der Räterepublik nach Österreich geflohen, wohin schon viele seiner Bekannten und Freunde ins Exil gegangen waren: Georg Lukács, Karl Mannheim, Julia Láng sowie Balázs' liebste Gesprächspartnerin, Anna Lesznai, eine begnadete Märchenerzählerin und Künstlerin. Märchen waren zu jener Zeit groß in Mode, und auch Balázs wird bald mit nachempfundenen chinesischen Märchen die Aufmerksamkeit der literarischen Szene in Wien wecken. Zwar ist er nach wie vor ein Anhänger der kommunistischen Idee, aber anders als Lukács beteiligt er sich in Wien nicht an der Partei- oder Untergrundarbeit. Balázs will Fuß fassen im Wiener Kulturleben, und es gelingt ihm fast mühelos. Er ist gefragt als Filmkritiker und hat endlich Geld, eine Schreibmaschine zu kaufen. Und er schreibt. Neben Kritiken und Drehbüchern vor allem Feuilletons. Hanno Loewy, dem wir diese schöne und verdienstvolle Sammlung verdanken, hat völlig recht, wenn er in seinem Nachwort feststellt, daß diese Wiener Feuilletons zum Schönsten zählen, was das Genre zu bieten hat.

Locken, auf Glatzen gedreht - das braucht der Leser in dieser Sammlung ebensowenig zu fürchten wie fin-de-siècle-Überflüssigkeiten. Balázs ist ein wacher, aber auch abwartender Beobachter, der den Szenen wie den Gedanken Zeit gibt. Lukács hat ihm später vorgeworfen, Balázs habe in Wien mit seinen Artikeln die "metaphysisch-ästhetische Verklärung der Ruhebedürfnisse der Bourgeoisie" betrieben. Nun, was für eine Bourgeoisie, möchte man heute darauf erwidern. Eine Bourgeoisie, die sich mit Balázcs Gedanken zu machen vermag, was es bedeutet, daß Informationen drahtlos, durch Wellen zu uns gelangen. Eine Bourgeoisie, die sich weiterhin mit der sozialeanthropolgischen Dimension des Grüßens nachdenkt oder über das "Schielen der Sinne". Nicht Ablenkung, sondern Konzentration zeichnen die Feuilletons Béla Balázcs aus. Sie entstehen, wenn aus einer genauen Beobachtung ein tiefer Gedanke entsteht, der so leicht schwebt wie ein Schmetterling. Und Balázs läßt die Schmetterlinge fliegen. Diese Feuilletons sind so frisch wie gerade geschrieben.

Nehmen wir zum Beispiel die Türkei. Balázs reist, so schreibt er, nach Konstantinopel - obwohl die Stadt seit 1453 Istanbul heißt - und engagiert einen Führer. Der soll ihm irgendwelche türkische Spezialitäten zeigen, woraufhin der Führer verständnisvoll nickt und fragt: "Wollen Sie eine Türkin, eine Armenierin oder eine Jüdin haben?" Es dauert eine Weile, bis Balázs das Mißverständnis aufklären kann: "Ich will türkische Musik hören und türkische Tänze, die man in Europa nicht hören und sehen kann." Da versteht sein Begleiter endlich und sagt: "Ah, Sie wollen zu den Zigeunern gehen!" In dem Moment hat auch Balázs verstanden. Er ist ganz naiv und vorab einer Exotisierung nationaler Lebenswelten erlegen. Die Lebenswelt, die türkische in diesem Fall, hat dafür nur Verwunderung, weil sie noch voller Selbstverständlichkeit ist. Weil sie selbst gar kein Bewußtsein davon hat, daß sie selbst fremd sein könnte. Von dem Moment an, in dem sie das Fremde an sich selbst entdeckt, wird sie touristisch. Der Tourismus sucht und findet so lange das Fremde, das sich selbst fremd zu finden bereit ist, bis nichts mehr übrig ist und das Fremde künstlich produziert und dann inszeniert werden muß.

Balázs merkt, wie die jungen Türken das spezifisch Türkische als überkommen ablehnen und sich als Europäer fühlen wollen: "Unser besonderer Nationalcharakter soll aber sein, keinen zu haben. Wir wollen Europäer sein. Das ist unsere nationale Idee." Eine Haltung, die noch heute verbreitet ist. Es würde Balázs inspirieren, daß das türkische Bad heute in Deutschland beliebter als in der Türkei ist, jedenfalls so lange, bis die Türken entdecken werden, daß sie immer schon "Wellness" hatten. Da liegt dann die Frage nahe, woher man weiß, daß man weit weg ist. Balázs hat eine Antwort darauf, die nicht nur witzig, sondern wahrscheinlich auch richtig ist. Aber über sie darf der Leser sich nun selber wundern.

MICHAEL JEISMANN

Béla Balázs: "Ein Baedeker der Seele". Und andere Feuilletons aus den Jahren 1920 - 1926. Herausgegeben von Hanno Loewy. Verlag Das Arsenal, Berlin 2002. 160 S., br., 13,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"lmue" bietet uns verschiedene Definitionen des Feuilletons an: es besitze die "List der kleinen Form, sich die letzten Worte zu sichern". Eine andere Formel "lmues" lautet, das Feuilleton verkleinere wie die im 19. Jahrhundert so beliebten optischen Geräte die großen Worte und wirbele die Welt durcheinander wie ein Kaleidoskop. Siehe da, der Übergang zu dem ungarischen Filmtheoretiker, Essayisten und Feuilletonisten Bela Balazs ist geschafft. Der hat nämlich eine Zeit lang in Wien für die neugegründete Tageszeitung "Der Tag" geschrieben; und für "lmue" erweist er sich als Meister der kleinen Form. Mit deutlichem Wiener Einschlag, jener typischen Mischung aus "Sentimentalität und Ironie". So versucht Balazs die Geheimnisse des Weihnachtsbaums zu ergründen, philosophiert über seine Bibliothek der nicht gelesenen Bücher oder begeistert sich für Radiodramen und andere neue Medien, in dieser Euphorie vielen Feuilletonisten seiner Zeit sehr ähnlich, stellt "lmue" fest. Ein großes Lob, heißt es in der Rezension, dem Berliner Arsenal Verlag, der diese verdienstvolle Werkausgabe Balazs' hiermit fortsetze.

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