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Produktdetails
  • Verlag: Vorwerk 8
  • 2000.
  • Seitenzahl: 431
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 606g
  • ISBN-13: 9783930916337
  • ISBN-10: 3930916339
  • Artikelnr.: 08936946
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Gesammelte, aufgeladene Zeit
Alexander Honold stellt den Leser Walter Benjamin und seine Lektüren vor
Walter Benjamin hat eine sensible eschatologische Lupe entwickelt, die nun der Kritiker und Literaturwissenschaftler Alexander Honold, 1962 in Chile geboren, selbst für seine Benjamin-Analyse benutzt. Er nimmt fünf Autoren, die Benjamin in diversen Essays untersuchte – Hölderlin, Goethe, Hebel, Kraus und Kafka – und fördert dabei Erstaunliches ans Tageslicht, Verschüttetes, Entglittenes, Entstelltes, Verblichenes. Honold setzt Benjamins Arbeitsweise als Literat und Leser fort: „Die großen Meisterwerke der Kulturgeschichte sind wie funkelnder Bernstein, der sich um Leichen schließt.” Allgegenwärtig sind der Tod, das Grauen und die Verheißung. Kurz, es geht um die Resurrektion.
Die Theorie des Benjaminschen Lesens und seiner Strategien gehen von den Kraftzentren Kritik und Magie aus. Der Akt der Lektüre ist eng verknüpft mit dem, nicht nur für Honold, reichlich „irritierenden” Messianismus des Geschichtsverständnisses von Benjamin. Materialistische Kritik ohne das Bewusstsein der Magie, deren „Technik” zu entwickeln sei, schlägt fehl. Geschriebene Texte adäquat zu kritisieren, heißt sie umzuschreiben. Und das bedeutet: Die Magie, der Traum als Urform des Lesens, ist eine Macht, „die nur in der Suspendierung zweckrationaler Bemächtigung erfahrbar ist”, im Herauslesen aus Sternbildern, Eingeweiden, Zufällen – als etwas, das sich bewusster Steuerung entziehe. Wie später bei Heiner Müller – der überraschenderweise mit keinem Sterbenswörtchen von Honold erwähnt wird – kommt bei Benjamin das Moment des Todes und seiner Überwindung dazu. Lesen wir tote Texte, leben sie: „Mortifikation der Werke”, als Neuanfang.
Honold beginnt bei Benjamins Lektüre der „Dichtermut”-Versionen Hölderlins. Orpheus, der älteste Sänger, also auch der älteste Dichter, wird von den thrakischen Mänaden zerrissen, weil er sich nach Ovids Lesart weigerte, in die Dienste des Dionysos zu treten, nach dem Tod Eurydikes stattdessen Helios-Apollon huldigte – ein „Arbeitsunfall”, nach Honold: das „berufsbedingte Risiko des Sängers”, der fähig ist, Menschen, Tiere, gar Steine zu rühren, bestünde darin, auch selbst vernichtet zu werden.
Eine weitere „Rätsel-Gemeinschaft” scheint sich für Benjamin in Goethes durchaus pythischen „Wahlverwandtschaften” aufzutun. Goethe fragt sich, was passiert, wenn mehrere (heterogene) Körper aufeinandertreffen, und er umschreibt dies als quasi-chemischen Vorgang. Ähnlich versteht Benjamin Kritik als chemische Reaktion: „Die wahre Kritik geht nicht wider ihren Gegenstand: sie ist wie ein chemischer Stoff der einen anderen nur in dem Sinne angreift, daß er ihn zerlegend dessen innre Natur enthüllt, nicht ihn zerstört” (Brief an Herbert Blumenthal, 1916). Auch in den „Wahlverwandtschaften” regiert der Tod: der ertrunkene Knabe etwa, verursacht durch Ottilies Missgeschick, ein Boot mit nur einem Ruder zu benützen. Benjamin beharrt, und da wohl hätte ihm der minder zart besaitete Goethe widersprochen, auf einer promesse de bonheur: Glück als „Zeit, die in dem Augenblick enthalten ist, da das Licht der Sternschnuppe für einen Menschen aufblitzt”. Goethe schrieb: „Die Hoffnung fuhr wie ein Stern, der vom Himmel fällt, über ihre Häupter weg.” Dieser astrale Funkenflug ist der der Resignation, was Benjamin nicht wahr haben will.
Hebels viel gepriesener Text „Unverhofftes Wiedersehen” aus dem „Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes” ist ein Sinnbild der „gesammelten, aufgeladenen Zeit”, die sich nicht zurückerstatten lässt (wie auch?), sondern nur erzählt werden kann. Bloch schrieb 1965: „Ein früher, alter Ton kommt herüber, bleibt bei uns. ” Die Erzählung sichert dieses Bleiben, beschwört seine Aura, konserviert den Ton für jene Leser, die seine überwinternde Spur eines Tages wiederentdecken, indem sie zu seinen Hörern werden. Als „Vergegenwärtiger” charakterisiert Benjamin Hebel 1929 und beschreibt damit, wie Bernd Witte meinte, seine eigene Haltung als Journalist. Doch auch hier der Tod, aber auch hier die Erlösung.
Dem Polemiker Karl Kraus widmet sich das vorletzte Kapitel dieses außerordentlichen Buchs – es wirft zugleich einen wichtigen Blick auf Ernst Jünger. Kraus gegen Jünger, das „somnambule Fratzenkabinett, in dessen Verliese Kraus zielsicher hinabsteigt” sind bekanntlich „Die letzten Tage der Menschheit”. Es gibt hier eine Szene, die man sich von Qualtinger vorlesen lassen muss. „Hauptquartier. Kinotheater. In der ersten Reihe sitzt der Armeeoberkommandant Erzherzog Friedrich. ” Man betrachtet einen Sascha-Film: Mörserfeuer, Krieger fallen. „Man hört keinen Laut. ” Nur bei dem Bild, wo die Soldaten zerfetzt werden, kommt aus der vordersten Reihe: „Bumsti!” Ein Wort, betont Honold, das „nichts bedeutet und alles sagt”. Benjamin nahm sich vor, das Desaster dieses Krieges wie die Phantasmagorie eines kommenden mit den dominanten Formen der instrumentellen Vernunft (Technologie, Gas) und des Privateigentums (Kapital) zu erklären.
Endlich liest Honold mit Benjamin, und dieser wiederum mit Bert Brecht. Kafka, den (angeblich!) für Brecht einzig echten „bolschewistischen” Schriftsteller. Die wühlenden Tiergestalten Kafkas rücken in den Blick („Bericht für eine Akademie” ist ein solcher Fall). Und auch eine vehemente, kaum nachvollziehbare Kritik Honolds an neuen technischen Medien, hier die Fotografie. Sie sei „tödlich”, der „Augen-Blick” sei gebannt wie vernichtet. Diese These wird erläutert an zwei Fotografien: der des kleinen Kafka und der des jungen, zigarreschmauchenden Brecht – die letzte Aura sei die der „Kälte”. Das fotografierte oder gefilmte Gesicht habe kein Subjekt, es sei „herrenlos”. Benjamin schreibt, im „Film erkenne der Mensch den eigenen Gang nicht, im Grammophon nicht die eigene Stimme. Experimente beweisen das. Die Lage der Versuchsperson in diesen Experimenten ist Kafkas Lage. ”
Danach besinnt sich der Autor wieder und geht auf den „Angelus Novus” ein, den er zwingend mit dem Affen aus dem „Bericht für eine Akademie” zusammenbringt. Er sei, wie jener, „Kronzeuge des korrumpierten Projekts der Zivilisation”. Vergangenes Leid wird dereinst, so Benjamins Traum, ungeschehen gemacht werden, Theologie und Politik, versöhnt. Diese Apokatastase ist der mystische Pol seines Denkens, ihr treu zu bleiben, unsere Pflicht. Die eschatologischen Sehnsüchte Benjamins werden „fremden” Texten implantiert. Seine negative Theologie, vom scheinheiligen Gershom Scholem heftig kritisiert, mündet in einen heilsgeschichtlichen Vorgang – dem Weltgericht. Zuvor aber müsse Jesus „freilich der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung von allem, was er durch den Mund seiner heiligen Propheten verkündet hat” (Apg. 3,21).
THOMAS ECKARDT
ALEXANDER HONOLD: Der Leser Walter Benjamin. Bruchstücke einer deutschen Literaturgeschichte. Verlag Vorwerk 8, Berlin 2000. 431 S. , 58 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der Sommerhimmel? Nur gemalt!
Lektüre im Exil: Zwei neue Studien zu Walter Benjamin

"Swinging Benjamin" stand in knallbunten Lettern auf dem Einband eines Taschenbuchs aus dem Jahr 1973, dessen Umschlag ein psychedelisch verfremdetes Porträt des Titelhelden zierte. Aus der Feder des Musikkritikers und Popautors Helmut Salzinger stammend, dabei schmal und wohlfeil, begleite das Büchlein den Aufstieg Walter Benjamins zur Ikone unverbrauchten und für beinahe jede aktuelle Geisteslage anschlußfähigen Denkens. "Benjamin live" hieß das Eingangskapitel, das seinem Protagonisten geradewegs auf den Leib rückte, und "Nachspiel: Life live" das Schlußkapitel, das ihn zum postumen Zeugen der turbulenten Gegenwart bestellte. So viel Leben war nie um Walter Benjamin.

Drei Jahrzehnte später sind alle Wunschzeiten der Verbrüderung mit dem einsamen Mann von der Landstraße nach Port Bou dahin, und der vollständig edierte Benjamin schaut auf seine Leser und Kommentatoren aus ähnlich entrückter Ferne zurück wie jener "Erzähler", von dem es am Eingang des gleichnamigen Essays heißt, er sei "keineswegs durchaus gegenwärtig". Die Benjamin-Renaissance ist unterdessen in ein nachbarockes Stadium der Inschriftenkunde eingetreten, darin die Philologen den Relikten ihres Objekts wie arkadische Hirten den steinernen Resten von Grabmälern und Urnen begegnen: Dokumente werden entziffert, deren "Beziehung auf das Subjekt" - mit Benjamin gesprochen, der die Beobachtung an Briefwechseln festmachte - ganz "so bedeutungslos ist wie die Beziehung irgendeines pragmatisch-historischen Zeugnisses (Inschrift) auf die Person seines Urhebers". Im Schattenreich seines Fortlebens ist Walter Benjamins Lebens- und Arbeitsprogramm aufgegangen, und wie der chinesische Maler aus einem seiner Lieblingsmärchen ist er im selbstgemalten Bild verschwunden.

Zwei Neuerscheinungen machen den epigraphischen Antrieb zur Leitmelodie und laden zur Parallellektüre ein: "Was noch begraben lag" heißt eine von Geret Luhr herausgegebene Sammlung brieflicher und anderer Dokumente von Freunden und Bekannten, die mit Benjamin nach seiner Flucht aus Deutschland korrespondierten oder im Exil seine Gefährten und Gesprächspartner waren. Ein Briefbericht von Max Aron, der nach Kriegsausbruch mit Benjamin zusammen interniert war, bezeugt, wie fremdartig dieser bereits auf seine Zeitgenossen wirkte: "Es war etwas Würdevolles, sowohl in seiner Ruhe wie in seiner Haltung. Er paßte so gar nicht in diese Umgebung. Und da saß dieser Mann, als ob das Ganze ihn nichts anginge." Ein rührendes Bild der Gefahr erhielt der Vater von seinem Sohn Stefan, der einem Brief die Kritzelei einer kleinen Szene mit der Erklärung hinzufügte, dies sei "der Teufel, der die Zunge herausstreckt und an der Kette einen kleinen, spindelbeinigen Gelehrten fortführt. (Das ist Papa.)"

Mit dem Abdruck von an Benjamin gerichteten Briefen - sie stammen unter anderen von der geschiedenen Frau Dora, vom Jugendfreund Alfred Cohn, von der Freundin Margarete Karplus-Adorno sowie von den Liebhaberinnen Asja Lacis und Anna Maria Blaupot ten Cate - leistet der Band einen bescheidenen Beitrag zur Kompensation eines Defizits, denn die Briefedition Benjamins verzichtet auf die gleichrangige Wiedergabe der Gegenbriefe. Zu den schönsten Stücken in Luhrs Sammlung gehören die Briefe von Elisabeth Hauptmann. Den ungeduldig nach ihren persönlichen Befindlichkeiten Fragenden beschied sie mit einer souveränen Geste: "Ja, was soll ich Ihnen schreiben. Sie wissen, ich ... habe nie recht Dinge, die mich wirklich betreffen, zu Papier bringen können. Weil ich erst lange Zeit nachher immer erst davon reden kann, wenn ich überhaupt davon reden kann. Wissen Sie noch, ich habe Ihnen mal Verschiedenes aus meiner Kindheit erzählt, als diese längst vorbei war."

Unter zerstreuten und bis in die Leerräume zwischen den Zeilen und an den Seitenrändern im Frage-und-Antwort-Spiel des Lesens, Wiederlesens und Überschreibens von vielen Händen beschrifteten Blättern gräbt auch Alexander Honold: Seine Untersuchungen, die nicht nur gedanklich, sondern auch sprachlich aus der Flut der exegetischen und katechetischen Literatur herausragen, gelten Benjamins kometenhaften, auf ferne Korrespondenzen und extreme Konstellationen erpichten Lektüren im Kosmos eines persönlichen Literaturkanons, dessen Fixsterne Hölderlin, Goethe, Hebel, Kraus und Kafka hießen. Honold, der Benjamin liest, indem er sich zu dessen Mitleser macht, stellt seine Arbeit unter eine Devise, die Benjamin selbst bei Hugo von Hofmannsthal aufgelesen hatte: "Was nie geschrieben wurde, lesen."

"Nur am gelesenen Leben", befindet Honold über Benjamins Theorie und Praxis der Lektüre, die sich an durchweg kritischen Punkten der eigenen Biographie in literarische Überlieferungen einschreibt, ließe sich "vor und zurück blättern", und solche Lektüre könne zuweilen "den Eindruck vermitteln, die Kommunion mit dem Vergangenen sei möglich" - bis hin "zu einer Begegnung mit jener Trennungsmacht, die dabei zu überspringen wäre". Das ist nicht einmal weit entfernt vom brieflichen Modell des persönlichen Gedankenaustauschs: Denn wenn zwei ihre Verbindung zueinander brieflich pflegen, so tun sie das nur, weil sie vorübergehend oder dauerhaft voneinander getrennt sind. Dazwischen liegt nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit, die seit dem Schreiben und bis zum Empfang eines einzigen Briefes und erst recht bis zum Durchblättern eines ganzen Bündels vergeht: dieselbe Zeit, deren mortifizierender Fluß doch zu überwinden wäre.

An diesem Punkt setzt Benjamins Freiheitsbegriff ein, den er für seine literarischen und menschlichen Beziehungen reklamiert, um so mehr, als letztere mit der zunehmenden Vereinsamung im Exil auf den vorwiegend schriftlichen Austausch zurückgeworfen sind. Seine Tage verbrachte Benjamin in der Pariser Bibliothèque Nationale, und wenn es unter dem "gemalten Sommerhimmel" des Arbeitssaals einmal zu einer zufälligen persönlichen Begegnung kam, so wanderten im günstigsten und doch zugleich gefährlichsten Fall "die Zettel von Tisch zu Tisch". Dies bezeugen die von Luhr wiedergegebenen Tagebuchnotizen von Werner Kraft, Benjamins zeitweiligem Sternenbruder zwischen zwei Zerwürfnissen.

"Ich habe keine Heimat, kein Vaterland, keine Befreundeten mehr, und wenn ich an das Vergangene denke und mich noch für verbunden halte, so ist das bloß meine Wahl und meine Vorstellungskraft, kein Zwang der Verhältnisse." Mit leiser Kommentatorenstimme zitierte Benjamin diese Stelle eines Briefs von Georg Forster aus dem Pariser Exil in der unter dem Pseudonym Detlef Holz herausgegebenen Brieffolge "Deutsche Menschen" - seiner "Flaschenpost" von der mit wenigen Mitteln erbauten "Arche". Unschwer kann man darin sowohl Benjamins Selbstporträt als auch den Verfahrensmodus seiner Lektüren erkennen, zwischen deren Zeilen er seinen Bleistift spazierenführt. Die Vorzüge einer - wie Forster ebenfalls schrieb - "Lage, wo man an nichts mehr gebunden ist", hatte der Leser und Literaturkritiker Walter Benjamin schon immer gegen einen obsoleten Kanon ins Feld geführt. Der Ausnahmezustand, der mit dem Niedergang der bürgerlichen Welt einherging, sollte auch das regulieren, was Benjamin die "Ökonomie" seines Daseins nannte: von daher die "extremen Positionen", in denen sich - wie es in einem berühmten Brief an Margarete Karplus heißt - "mein Leben so gut wie mein Denken" bewegt: "Die Weite, die es dergestalt behauptet, die Freiheit, Dinge und Gedanken, die als unvereinbar gelten, nebeneinander zu bewegen, erhält ihr Gesicht erst durch die Gefahr." Doch sobald die ",gefährlichen' Beziehungen" ihm aufgrund allzu großer Nähe im Sternenhaus als "unheilvolle Konstellationen" erschienen, brach er sie abrupt ab.

"Was passiert", so fragt Honold, "wenn mehrere heterogene Körper aufeinandertreffen?" An Benjamins Schlüssellektüren läßt sich dies ebenso studieren wie an seinen persönlichen Beziehungen. In den von Werner Kraft protokollierten Gesprächen stand nicht zufällig Franz Kafka, Benjamins letzter literarischer Leitstern auf der Umlaufbahn von Briefen und Büchern, im Mittelpunkt: Es war die Geste der Verwandlung, die Benjamin zu Kafka und nach Art einer Koinzidenz der Gegensätze gleichzeitig zu Brecht hinzog: "Was nie geschrieben wurde, lesen" - mit diesen Worten trat in Hofmannsthals Einakter "Der Tor und der Tod" der Schnitter kopfschüttelnd von der Bühne ab, als der Held Claudio ("Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin.") tot zu Boden gesunken war: "Wie wundervoll sind diese Wesen, / Die, was nicht deutbar, dennoch deuten, / Was nie geschrieben wurde, lesen, / Verworrenes beherrschend binden / Und Wege noch im ewig Dunklen finden." Es ist nicht leicht, in der Abenddämmerung das Morgengrauen zu finden.

VOLKER BREIDECKER

Geret Luhr (Hrg.): "Was noch begraben lag". Zu Walter Benjamins Exil. Briefe und Dokumente. Bostelmann & Siebenhaar Verlag, Berlin 2000. 296 S., br., 48,- DM.

Alexander Honold: "Der Leser Walter Benjamin". Bruchstücke einer deutschen Literaturgeschichte. Verlag Vorwerk 8, Berlin 2000. 431 S., br., 58,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Die Benjamin-Renaissance, befindet Rezensent Volker Breidecker, sei in ein "nachbarockes Stadium der Inschriftenkunde" eingetreten, "darin die Philologen den Relikten ihres Objekts wie arkadische Hirten den steinernen Resten von Grabmälern" begegnen würden. Er bespricht zwei Neuerscheinungen zu Benjamin, die "den epigraphischen Antrieb zur Leitmelodie" machten und gleichzeitig zur Parallellektüre einladen würden.
1 Geret Luhr: "Was noch begraben lag"
Diese Sammlung von Briefen und anderen Dokumenten von Freunden und Bekannten, die mit Benjamin auch nach seiner Flucht aus Deutschland noch in Verbindung standen, leistet nach Ansicht von Volker Breidecker "einen Beitrag zur Kompensation eines Defizits". Die Briefedition Benjamins habe nämlich auf "die Wiedergabe der gleichrangigen Gegenbriefe" verzichtet. Möglich, dass jetzt der "vollständig edierte Benjamin" aus nicht mehr ganz so "entrückter Ferne" auf seine Leser und Kommentatoren blickt, wie bisher. Jedenfalls hat der Rezensent in diesem Buch ein paar schöne Stücke gefunden. Einen Brief des Benjamin-Sohns Stefan samt Zeichnung beispielsweise ("ein rührendes Bild der Gefahr") oder ein Schreiben der Brecht-Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann, den Briefbericht eines Freundes, der mit Benjamin kurz nach Kriegsbeginn interniert war sowie Briefe von Ex-Frau und -Liebhaberinnen.
2 Alexander Honold: "Der Leser Walter Benjamin"
In den Augen von Rezensent Volker Breidecker ragen diese Untersuchungen nicht nur gedanklich sondern auch sprachlich "aus der Flut der katechetischen Literatur" heraus. Honold habe Benjamin "gelesen", indem er sich zu dessen Mitleser gemacht habe. Seine Betrachtungen gälten Benjamins "kometenhaften, auf ferne Korrespondenzen und extreme Konstellationen erpichte Lektüren im Kosmos eines persönlichen Literaturkanons". An diesen Lektüren lässt sich, wie Rezensent Breidecker ganz praktisch vorführt, das Bild Benjamins noch einmal ganz eigen zusammenfügen. Und obwohl man gar nicht so recht erfährt, was in diesem Buch eigentlich steht, ist man doch neugierig geworden.

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