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Produktdetails
  • Verlag: Edition Memoria / Schumann
  • Seitenzahl: 652
  • Erscheinungstermin: 13. Februar 2009
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 1064g
  • ISBN-13: 9783930353255
  • ISBN-10: 3930353253
  • Artikelnr.: 25200938
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2009

Sanfter Dichter mit blauen Augen

Er hatte das Hirn, den Mut und die Magie: Der expressionistische Dichter Ernst Blass ist wiederzuentdecken.

Von Harald Hartung

Damals, vor dem Ersten Weltkrieg, als der Expressionismus dem Bürger den Hut vom spitzen Kopf blies, trugen auch die Dichter noch Hüte, und sie mischten sich unter die Flaneure, die aus den mondänen Cafés in die Großstadtnacht hinaustraten. Für diese Stimmung fand ein Zweiundzwanzigjähriger den lyrischen Ton: "So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht, / Den schwarzen Hut auf meinem Dichterhaupt. / Die Straßen komme ich entlang geweht. / Mit weichem Glücke bin ich ganz belaubt."

Das war anno 1912, aber der Charme dieses Flaneurs berührt uns noch heute. Zumal wenn er sein Sonett mit der Verlockung schließt: "Ich bin so sanft, mit meinen blauen Augen."

Ernst Blass - so hieß der Poet - hatte hier ein Selbstbild gegeben. Der sanfte Dichter soll ein schönes Kind gewesen sein, "mit großen blauen Augen und langen blonden Locken", wie ihn eine seiner Schwestern schilderte, "aber auch recht nervös, blaß und anfällig". Blass entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie Berlins, studierte die Rechte und promovierte sogar. Aber sein Herz hing an der Poesie, an Heine und Verlaine. Einen deutschen Verlaine nannte ihn daher sein Entdecker und Förderer Kurt Hiller. Ernst Blass - so Hiller - hat "das Hirn, den Mut und die Magie".

Gleich mit seinem Erstling "Die Straßen komme ich entlang geweht" wurde Blass zu einer Zentralfigur der expressionistischen Bewegung. Mit fast allen damaligen Größen war er bekannt, und in seiner Zeitschrift "Die Argonauten" publizierte er Autoren wie Benjamin, Borchardt, Musil und Sternheim. Das schien wie der Auftakt zu einer großen Karriere. Doch des Dichters Gesundheit war seit seinen Bohemetagen angegriffen, und seine finanziellen Probleme nötigten ihn 1915, bei einer Berliner Bank unterzuschlüpfen. Ausgerechnet Hjalmar Schacht, der nachmalige NS-Wirtschaftsminister, war sein Vorgesetzter. Nach fünf Jahren gab Blass den ihm verhassten Posten auf und begann wieder als Journalist zu arbeiten, als Tanz- und Filmkritiker und als Lektor bei Paul Cassirer. Doch waren die frühen zwanziger Jahre seine beste Zeit, auch wenn er als Lyriker den Erfolg seines Erstlings nicht wiederholen konnte.

Dann aber verließen ihn Glück und Gesundheit. Ein Augenleiden führte zu fortschreitender Erblindung. Für seine literarische Arbeit, ja für die bloße Bewältigung des Alltags war Blass zunehmend auf andere Menschen angewiesen. Seine Ehe scheiterte, die finanziellen Sorgen wuchsen, und nach der Machtergreifung blieb ihm einzig die "Jüdische Rundschau" als Publikationsorgan. Als letztes Buch erschien 1938 eine Übersetzung von Lord Byrons "Kain". Krank und pflegebedürftig verbrachte Blass die letzten Lebensmonate und starb am 23. Januar 1939 im Jüdischen Krankenhaus. Das bewahrte ihn vor dem Schicksal seiner jüngeren Schwester, die ins KZ deportiert wurde. Keine deutsche Zeitung durfte seinen Tod melden. Sein Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee ist nicht mehr aufzufinden.

Lange verschollen blieb auch das Werk von Ernst Blass. Zwar hielten sich einige seiner Gedichte in den Anthologien, aber erst 1980 erschien eine Gesamtausgabe seiner Lyrik. Ihre Resonanz blieb bescheiden. Doch ihr Herausgeber Thomas B. Schumann gab nicht auf. In seiner Edition Memoria legt er jetzt in drei Bänden das gesamte OEuvre des Autors vor. Zu den sämtlichen Gedichten treten die Erzählungen und Feuilletons sowie die literarischen Aufsätze; darunter viel Verschollenes oder Nachgelassenes. Vielleicht kann diese Gesamtausgabe die fast vergessene Figur des Dichters in unserem Bewusstsein befestigen.

Ohne Zweifel ist es die frühe Lyrik, deren Charme noch immer zu bezaubern vermag. In ihr hat Blass den Lynkeusblick auf die große Stadt: "Da unten rollen meine Autobusse!" Auch in den 1915 erschienenen "Gedichten von Trennung und Licht" finden sich schöne, stimmungsvolle Verse, so die wunderbare "Süddeutsche Nacht": "Vorgärtennacht! Mit Sträuchern an den Straßen, / Wo Bäume neben Gaslaternen stehn."

Später versuchte Blass, seine Stimmungskunst in die Formstrenge des Klassizismus zu überführen. Er orientierte sich an Rilke und George. 1918, zu Georges fünfzigstem Geburtstag, feierte er ihn als einen "Leitstern auf der namenlosen Reise". Doch solche Nachfolge bekam seiner Lyrik nicht. In den "Gedichten von Sommer und Tod" (1918) und in "Der offene Strom" (1921) blieb vieles unsinnlich und epigonal. Danach gab es keinen weiteren Lyrikband mehr. Das ist schade, denn in einigen Gedichten der zwanziger Jahre traf Blass den lockeren Ton der Neuen Sachlichkeit. Manches hat den Pfiff Erich Kästners. So "Bahnhof" von 1929: "Der Wartesaal! Beim Klang der Kaffeetassen / Verließen wir und wurden wir verlassen." Doch schon in "Trübsinn 1931" kommt zur Tristesse der Zeit die persönliche Not hinzu: "Die Dame Tod - die Dame Leben. / Ich sitze noch allein am Tisch. / Der Kaffee, den ich trank soeben, / Ist problematisches Gemisch."

Trotz allem hatte Blass noch Pläne. Er hoffte auf Romane, in denen er "das Jetzt und Heute des Menschen" aussprechen wollte: "Das Ziel heißt wieder Dostojewski." Aus den hochfliegenden Plänen wurde nichts; es blieb bei Anläufen und Fragmenten. Anrührend ist der autobiographische Text "Ein Höllensturz", der die Hilflosigkeit und Entwürdigung eines Erblindeten schildert. Er blieb zu Lebzeiten von Blass unveröffentlicht. Seine Krankheit und die Zeitumstände standen dem Dichter immer hinderlicher entgegen.

Im Nachlass fand sich ein Manuskript über den Impressionisten Pissarro. Daran hatte Blass in seinen letzten Monaten und sogar noch im Krankenhaus gearbeitet. "Pissarro hat in seinen kleinen und harten Themen die bleibende Realität aufgezeigt", heißt es da. Diesem Ideal ist Ernst Blass in seinen besten Gedichten nahe gekommen.

Ernst Blass: "Werkausgabe in drei Bänden". Herausgegeben von Thomas B. Schumann. Edition Memoria, Köln 2009. Zus. 654 S., geb., 68,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zu großen Hoffnungen Anlass gab der junge expressionistische Dichter Ernst Blass. Sein erster Gedichtband traf den Ton der Zeit, in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Die Argonauten" veröffentlichte er Autoren wie Musil und Sternheim. Was dann aber folgte, waren die Brotarbeit für eine Bank, eine unglückliche lyrische Umorientierung in Richtung Stefan George, gescheiterte Romanpläne, das Ende seiner Ehe, Krankheiten, Erblindung und das Dritte Reich, in dem Blass als Jude bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1939 kaum noch veröffentlichen konnte. Was bleibt, so der Rezensent Harald Hartung, sind vor allem die frühen Gedichte, aber auch der autobiografische Text "Ein Höllensturz" über die "Entwürdigung eines Erblindeten" ist lesenswert. Die Werkausgabe macht nun die Wiederentdeckung möglich.

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