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Produktdetails
  • Verlag: Offizin, Hannover
  • Seitenzahl: 582
  • Erscheinungstermin: 25. März 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 245mm x 170mm
  • Gewicht: 1000g
  • ISBN-13: 9783930345618
  • ISBN-10: 3930345617
  • Artikelnr.: 23380840
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2008

Geschürte Angst
Linke Sozialisten in der Ära Adenauer

Wer 2005 beklagte, der Neoliberalismus Schröderscher Provenienz werde nach der vorgezogenen Bundestagswahl "als politischer Zombie" weiter sein Unwesen treiben, weshalb die "PDS bis hin zum linken Rand der SPD und dem sozialkatholischen Flügel versuchen sollten, die eigenen Kräfte weiter zu sammeln und zu einer breiteren Kooperation zu kommen", lässt von vornherein keinen Zweifel daran, dass seine Sympathien jenen linken Sozialisten und ihren Gruppierungen in der Ära Adenauer gelten, die von einer Aktivierung radikaldemokratisch-sozialistischer Elemente für eine antikapitalistisch orientierte Politik und von der Idee einer befreiten, klassenlosen Gesellschaft träumten.

Das unüberschaubare Geflecht der fast vergessenen Protagonisten mit ihren zahllosen Publikationsorganen durchsichtig gemacht zu haben ist verdienstvoll. Allerdings schließt der Autor sich hermetisch der Vorstellungswelt seiner "Helden" an. Wie sie charakterisiert er die frühe Bundesrepublik - unter weitgehender Ausblendung des Modernisierungsschubs der fünfziger Jahre und des einsetzenden Mentalitäts- und Lebensstilwandels der Bevölkerung - als durch Restauration, politischen Stillstand und moralisch-bigotten Rigorismus gekennzeichnet und von ehemaligen NS-Mitgliedern und -Mitläufern geprägt. Der "stetige Prozess der Entdemokratisierung", betrieben von den bürgerlichen Kräften, belaste die Bundesrepublik - "eine verordnete Demokratie" - mit erheblichen Legitimationsdefiziten im Prinzip bis heute. Unter antikommunistischen Vorzeichen sei die demokratische Partizipation auf eine "abstrakte Staatsbürgerlichkeit" beschränkt worden, die den Bürger von der politischen Willensbildung ferngehalten habe. Dass die SPD und auch die Gewerkschaften im Richtungsstreit zwischen Reformern und Revolutionären sich "allzu sehr die antikommunistische Staatsraison zu eigen" gemacht und die demokratisch-sozialistischen Kräfte marginalisiert und ausgegrenzt hätten, habe ihre Niederlagen verursacht.

Diesem düsteren Zerrbild setzt er die Vorstellungen von linkssozialistischen Lichtgestalten wie Erich Gerlach, Victor Agartz, Peter von Oertzen und Kathedersozialisten wie Jürgen Seifert, Wolfgang Abendroth und anderen entgegen, die sich zwischen dem Parteikommunismus sowjetischer Prägung einerseits und dem faschistisch-autoritären und restaurativ-obrigkeitsstaatlichen Spektrum der bundesrepublikanischen Eliten andererseits verorteten und ihre Ideen in Opposition zum "CDU-Staat", zu SPD und den Gewerkschaften in ihren - teils von der DDR oder Jugoslawien finanzierten - Zirkeln propagierten.

Trotz ihrer damaligen Erfolglosigkeit hätten die Linkssozialisten eine entscheidende Brückenfunktion für die politisch-kulturelle Neugründung der Bundesrepublik gehabt, die sich in den sechziger Jahren ihrer starken obrigkeitsstaatlichen Überhänge entledigt habe, ohne dass allerdings die zentralen gesellschaftspolitischen Konflikte beseitigt worden wären. Zwar habe man durch die Protestbewegung von APO und Teilen der Gewerkschaften die Notstandsgesetze von 1968 etwas entschärfen können. Ihre Verabschiedung sei dennoch eine Niederlage gewesen, weil sie sich als verfassungsrechtliches Gründungsdokument eines autoritären Staats erweisen könnten, das in Zeiten ökonomischer Krisen zur Disziplinierung der Arbeiterklasse, des alleinigen Trägers des demokratischen Prinzips, genutzt werden könnte. Die Protestbewegung fiel aber nicht wegen staatlicher Repression - wie Kritidis behauptet - so schnell in sich zusammen, sondern weil die geschürte Angst vor einer Minderung demokratischer Rechte weit übertrieben war und der normale Arbeiter, der mit den Theorien der extremen Linken wenig anfangen konnte, kein Bedürfnis verspürte, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und seinen erreichten Lebensstandard für eine Utopie aufs Spiel zu setzen.

Dieses falsche Bewusstsein sei kein Grund, mit der Erziehungsarbeit erst gar nicht zu beginnen - so Peter von Oertzen, der spätere niedersächsische Kultusminister, einer der wenigen Linkssozialisten, die in und mit der SPD ihre Träume zu verwirklichen suchten. So wurden die Vorstellung von der Erziehung zum "neuen Menschen" und die Bildungspolitik in den sechziger Jahren zu einem neuen Betätigungsfeld der Linken. Auch in der Unterstützung der antikolonialen Freiheitsbewegungen als Vorboten revolutionärer Veränderungen im eigenen Land sahen sie einen weiteren Ansatzpunkt für die Erfüllung der eigenen Ziele.

Doch blieb ihr Traum von der Revolution unerfüllt, da die in sich zerstrittenen Gruppierungen und ihre Protagonisten weder in der breiten Bevölkerung noch in den Parteien und den Gewerkschaften den Resonanzboden fanden, der ihnen politisches Gehör verschafft hätte. Ihre abstrakten theoretischen Konzepte, die ermüdend paraphrasiert werden, waren zu abgehoben von den tatsächlichen Verhältnissen und der politischen Realität. Ob sie heute in der Partei der Altkommunisten und Linkssozialisten auf fruchtbareren Boden fallen, bleibt abzuwarten.

GÜNTER BUCHSTAB

Gregor Kritidis: Linkssozialistische Opposition in der Ära Adenauer. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Offizin-Verlag, Hannover 2008. 582 S., 34,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In Grenzen hält sich Günter Buchstabs Begeisterung für dieses Buch über die linken Sozialisten in der Ära Adenauer, das Gregor Kritidis vorgelegt hat. Den Verdienst des Autors sieht er darin, das Gefelcht von heute fast vergessenen Figuren wie Erich Gerlach, Victor Agartz und Peter von Oertzen, von linken Gruppierungen und Publikationsorganen transparent gemacht zu haben. Andererseits kritisiert er die mangelnde Distanz von Kritidis gegenüber seinem Gegenstand. Er hält ihm vor, sich der "Vorstellungswelt" seiner Protagonisten "hermetisch" anzuschließen. So teile er deren Ansichten zur BRD und zeichne ein "düsteres Zerrbild" der bundesrepublikanischen Gesellschaft in den 1950er Jahren. Außerdem findet Buchstab die Paraphrasierung der abgehobenen, realitätsfernen Konzepte linkssozialistischer Gruppen recht "ermüdend".

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