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Hannah Höchs Bilderbuch stammt aus dem Jahr 1945 und erscheint nun endlich in einer Neuauflage. Die Fabelwesen Rennquicke, Döfchen, Schnifti und Meyer 1 versammeln sich darin zu ganz wunderlichen Geschichten. Die zu Tieren verfremdeten Alltagsgegenstände muten wie Träumereien in einem zoologischen Garten an, umgeben von exotischen Blüten und Pflanzen, welche in einem Märchengarten wurzeln. Mit einem Nachwort von Gunda Luyken. Hannah Höch (1889-1972) ist die wohl bedeutendste deutsche Künstlerin der Klassischen Moderne. Ihr Werk ist bestimmt vom dadaistischen Prinzip der Fotomontage, an deren…mehr

Produktbeschreibung
Hannah Höchs Bilderbuch stammt aus dem Jahr 1945 und erscheint nun endlich in einer Neuauflage. Die Fabelwesen Rennquicke, Döfchen, Schnifti und Meyer 1 versammeln sich darin zu ganz wunderlichen Geschichten. Die zu Tieren verfremdeten Alltagsgegenstände muten wie Träumereien in einem zoologischen Garten an, umgeben von exotischen Blüten und Pflanzen, welche in einem Märchengarten wurzeln. Mit einem Nachwort von Gunda Luyken.
Hannah Höch (1889-1972) ist die wohl bedeutendste deutsche Künstlerin der Klassischen Moderne. Ihr Werk ist bestimmt vom dadaistischen Prinzip der Fotomontage, an deren Entwicklung Hannah Höch gemeinsam mit Raoul Hausmann zu Beginn des 20.
Jahrhunderts maßgeblich beteiligt war. Durch die vielfältige Kombination widersprüchlicher Sequenzen, ausgeschnitten aus Illustrierten, Prospekten und Fotografien, eröffnete sie neue irritierende Bildwelten. Ihre Kritik an den politischen Verhältnissen
und tradierten Geschlechterrollen verarbeitete Hannah Höch subtil verschlüsselt in halluzinatorischen Pflanzenbildern und grotesken Szenerien absurder Mischwesen.

Die englische Ausgabe des Bilderbuchs wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der "Schönsten Deutschen Bücher 2010" prämiert.
Autorenporträt
Hannah Höch (1889-1972) ist die wohl bedeutendste deutsche Künstlerin der Klassischen Moderne. Gerade in den letzten Jahren hat ihr Oeuvre erneut internationale Anerkennung gefunden. Ihre Arbeiten sind bestimmt vom dadaistischen Prinzip der Fotomontage, an deren Entwicklung Hannah Höch zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich beteiligt war. Durch die vielfältige Kombination widersprüchlicher Sequenzen, ausgeschnitten aus Illustrierten, Prospekten und Fotografien, eröffnet sie neue irritierende Bildwelten. Ihre Kritik an den politischen Verhältnissen und tradierten Geschlechterrollen verarbeitete Hannah Höch subtil verschlüsselt in den halluzinatorischen Pflanzenbildern und grotesken Szenerien absurder Mischwesen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008

Die Insel der Hannah Höch

Als 1945 der Zweite Weltkrieg endete, saß die Dada-Künstlerin Hannah Höch in ihrer Wohnung in Berlin-Heiligensee. Sie schnitt, klebte und bastelte: Es wurde eines der schönsten Kinderbücher der Zeit.

Von Julia Voss

Dieses kleine, soeben im Verlag "The Green Box" erschienene Buch hat eine lange Geschichte im Verborgenen, und darum ist es ein umso größeres Glück, es nun in Händen zu halten. Am Anfang steht Hannah Höch, die wir uns in ihrer Berliner Wohnung in Heiligensee vielleicht ein wenig wie Dr. Moreau vorstellen müssen, den verrückten Wissenschaftler aus H. G. Wells' Roman "Die Insel des Dr. Moreau", einer Erzählung von einem abgeschiedenen Stück Land inmitten des Ozeans und neuen Lebewesen, die dort geschaffen werden. Stück für Stück fügt sie Moreau zusammen, aus Tatzen, Köpfen, Bäuchen und Beinen collagiert er sich eine neuartige Menagerie, die sein Reich bevölkert, er gibt ihnen Namen, herrscht über sie, bis es zwei Schiffbrüchige auf seine Insel verschlägt und sein Treiben auffliegt.

Bis dahin reichen die Parallelen: Denn erstens wird es auch im Fall von Hannah Höch lange dauern, bis ihr kleiner im Geheimen geschaffener Zoo das Licht der Öffentlichkeit erblickt, genau genommen vierzig Jahre. In den achtziger Jahren erschien in Leipzig die erste, auf zweihundert Exemplare limitierte bibliophile Ausgabe ihres "Bilderbuchs", die schnell vergriffen war. Geschaffen hatte Hannah Höch ihr Papieruniversum für Kinder allerdings schon 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs: neunzehn Collagen und begleitende Texte - neunzehn neue Arten vom "Unzufriedel" bis zu "Madame Emmchen".

Bei den Verlagen erntete sie allerdings damit nur hochgezogene Augenbrauen, zu abseitig sei der Stoff, zu aufwendig das Druckverfahren, das die Umsetzung der Vorlagen erfordert hätte. Die Zeitschrift "Welt der Frau" publizierte 1952 sogar eine Abbildung, um für das Buch zu trommeln und doch noch einen begeisterungsfähigen Verleger an Land zu ziehen. Auf die ersten Liebhaber stieß das Projekt trotzdem erst im Jahr 1975, als es in der Berliner Ausstellung "Als der Krieg zu Ende war. Kunst in Deutschland 1945-50" dem Publikum gezeigt wurde. Drei Jahre später starb Hannah Höch achtundachtzigjährig in Berlin; die erwähnte erste bibliophile Ausgabe dieses Bilderbuchs sollte sie also nicht mehr erleben.

Wie eine surrealistische Version von Falladas Angestelltenwelt

Und es gibt noch eine zweite Parallele. Wie der schnippelnde, flickende Dr. Moreau klaubte sich auch Hannah Höch das Ausgangsmaterial aus bereits Vorhandenem zusammen. Die Welt wird zum Steinbruch, aus dem eine neue geschaffen wird. Dr. Moreau, ein aus England wegen illegaler Experimente geflohener Physiologe, lässt sich in Wells' Erzählung Tiere aus exotischen Ländern anliefern, Affen oder Großkatzen, um sie dann auseinanderzubauen und umzumontieren. Hannah Höch holt sich ihren Rohstoff aus der illustrierten Presse, die sie verhackstückt, zerreißt, zerfieselt und schließlich mit Klebstoff und Schere zu Prototypen neuer Arten zusammenfügt. Schon im September 1939 notiert sie erschöpft in ihren Terminkalender: "Tagelang mit Zeitschriften durchsehen und ausschneiden beschäftigt."

Und damit enden natürlich die Ähnlichkeiten: Schließlich ist Dr. Moreau als Schauergestalt in die Literatur eingegangen, der erbarmungslose Wissenschaftler, der jede Grenze übertritt; seine Kreaturen sind dementsprechend tragisch, verletzt und zerrissen. Höch dagegen schafft ein Paralleluniversum mit außerordentlich sympathischen, wenn auch skurrilen Einwohnern, in dem wir uns vielleicht zuerst dem rechtschaffenen "Meyer I" zuwenden sollten, dem berechenbarsten von Höchs Geschöpfen, über den uns der beigefügte Text verrät:

"Allmorgentlich kann man ihn sehn

zum Amte geh'n.

Er ist ein kluger Mann und ein

weitgereister

der die Dinge überblicken kann.

Nächstens wird er Bürgermeister.

Längst schon sprach sich das herum

im Aquarium."

Ein weiterer Bewohner, der in der mutmaßlich bald von Meyer I geführten Stadt residiert, ist der "Unzufriedel". Mit aufgerissenen Schmetterlingsaugen und dicken Lampionsgliedern winkt er uns zu. Seine Misere ist die folgende:

"Verzweifelt schwingt er die Arme

im Kreise.

Er wollte ein schwarzes Kleid.

Gott gab ihm das Weisse.

Vorwurf um Nase und Blick

geht er durch's Leben.

Er pflegt nun mal den Tick

man hab' ihm das falsche gegeben."

Es ist merkwürdig, sich vorzustellen, wie Hannah Höch im zerbombten Berlin 1945 ausgerechnet diese Miniaturen entwirft, die scheinen, als hätte jemand die Zeit zurückgedreht. Das Personal ihres "Bilderbuchs" wirkt wie die surrealistische Version von Hans Falladas kleinbürgerlicher Angestelltenwelt, das Schwarz-weiß ihrer Körper verleiht ihnen etwas eigentümlich Formales, fast Verbeamtetes. Die Umwelt mag bunt sein, die Tiere aber, so anrührend und liebenswert sie sind, bleiben in ihrem Graustufendasein gefangen. Und es sind auch nie ganz glückliche Kreaturen, eingeklemmt in Befindlichkeiten oder in Erwartung, Hoffnung auf ein Besseres, das noch kommen muss - so wie im Fall des kleinen "Graumann", der mit hängendem Kopf beim Sonnenuntergang sitzt. Als sei es sein innnerer Monolog, lesen:

"Eine müsste freundlich zu ihm sein,

denn seht, er ist immer allein.

Eine müssten ihn lachen lehren

und den schrulligen Grillen wehren.

Eine und dieser gemeinsam

wären nicht mehr einsam."

Mit dem "Bilderbuch" setzte Hannah Höch, geboren 1889, ihre dadaistischen Collagen fort, mit denen sie in den zwanziger Jahren europaweit Aufsehen erregte. Im Jahr 1912 war sie nach Berlin gezogen, studierte dort an der Staatlichen Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums, wo sie Raoul Hausmann kennenlernte. Sieben Jahre hielt ihre Liebes- und Arbeitsbeziehung, 1919 schuf Höch ihre ersten Fotomontagen. Im Berliner Club Dada ist sie daraufhin die einzige Frau, sie reist durch Europa und lernt unter anderen Piet Mondrian, Theo van Doesburg und El Lissitzky kennen. Von 1916 bis 1926 liefert sie außerdem Handarbeitsvorlagen für den Ullstein Verlag und durchkämmt Zeitschriften auf der Suche nach Material für ihre Collagen, darunter Publikationen wie "Die Dame", "Der Uhu" oder die "Berliner Illustrirte Zeitung". Bis 1933 entsteht ein über hundert Seiten umfassendes Album mit über vierhundert fotografischen Abbildungen, die sie nach Themengebieten ordnet. Dann wird ihre Kunst von den Nationalsozialisten als entartet erklärt, sie arbeitet zurückgezogen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter.

Vielleicht hat niemand besser als André Malraux die unheimliche Ähnlichkeit auf den Punkt gebracht, die die Dinge, die belebte und die unbelebte Natur, im zwanzigsten Jahrhundert auf einmal zusammenrücken lässt. Dieser Effekt, so Malraux, war einer des Mediums, der Fotografie. "Überdies bringt die Schwarzweißfotografie", schreibt er in seinem Werk "Das imaginäre Museum" 1947, "eine gewisse Verwandtschaft der von ihr dargestellten Objekte zustande, so wenig verwandt diese auch untereinander sein mögen. Mittelalterliche Werke, die unter sich so verschieden sind wie Wandteppich, Miniatur, Tafelbild, Skulptur oder Glasfenster, werden zu Verwandten, sobald man sie auf einer Seite reproduziert. Sie verlieren dabei ihre Farben, ihren Materialcharakter, die Skulptur auch einiges von ihrem plastischen Volumen und ihre wirklichen Maße."

Zur gleichen Zeit, als Hannah Höch ihre Collagen schafft, schreibt Malraux: "Die Entwicklung der Reproduktion verfährt aber noch auf wesentlich verstecktere Art. Ein Abbildungswerk oder Kunstband reproduziert die Objekte größtenteils im gleichen Format. Die Werke verlieren ihre Maßverhältnisse. Daher kommt, dass die Miniatur dem Teppich, der Malerei, dem Glasfenster verwandt wird." Die Welt musste also erst durch einen Filter gehen, um neu collagiert zu werden. Illustrierte Presse, Schwarzweißfotografie und die neuen Drucktechniken hatten Kontinente zusammenschrumpfen lassen, dann die Zeit außer Kraft gesetzt, alles schien sich gleichzeitig zu ereignen, alles passte auf eine Seite, alles war fast gleich groß und alles schwarzweiß.

Hannah Höch entlässt die Einwohner dieser zusammengeschobenen Welt in eine neue farbige Umwelt aus Stoffresten, Fäden und Farbspuren. "Unzufriedel", "Meyer I" und "Graumann" verlassen das globale Dorf der Massenmedien, aus dem sie gemacht sind. Und ziehen auf die bunte Insel der Hannah Höch.

Hannah Höch: "Bilderbuch". Mit einem Nachwort von Gunda Luyken. The Green Box, Berlin 2008. 44 S., 19 Abb., geb., 24,- [Euro]. Eine limitierte Edition (50 Exemplare) mit einer CD der von Peter Carlberg, Hannah Höchs Neffen, vertonten Verse erscheint zusammen mit dem Buch und kostet 100,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erstaunlich ist vieles an diesem Buch, meint die Rezensentin Julia Voss, am erstaunlichsten aber vielleicht die Tatsache, dass es im Jahr 1945, unmittelbar nach Ende des Kriegs entstand. Von den düsteren Zeiten ist in den Illustrationen und Bild- und Fotomontagen nichts zu spüren. Erinnert fühlt sich Voss vielmehr an die Anfänge des Surrealismus, freilich in einer Art Hans-Fallada-Version. Zu sehen sind Tiere, aber diese Tiere, die von viel Farbe umtupft und umgeben sind, bleiben stets grau - und das hat, findet die Rezensentin, etwas "Verbeamtetes". Ein wenig unglücklich wirken sie da in ihrer surrealen Umwelt, der "Graumann", der Gesellschaft sucht, auch "Meyer I", der pünktlich ins Büro geht. Oder erst der "Unzufriedel", der weiß ist, obwohl er viel lieber schwarz wäre. Julia Voss vergleicht Höchs Tiercollagen mit Andre Malraux' fast zeitgleich entstandenen Ideen zum imaginären Museum: Hier wie da nähern das Belebte und Unbelebte sich einander an.

© Perlentaucher Medien GmbH