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In ihrem kurzen Leben schuf Sibylla Schwarz ein erstaunlich reiches und reifes poetisches Werk, das bis heute fasziniert. Mit 13 Jahren trat sie erstmals als Dichterin in die Offentlichkeit, schrieb Verse zu Geburtstagen, Hochzeiten und Todesfallen, dichtete frei nach Ovids Metamorphosen ihre Version der Daphne, erzahlte in der Schaferdichtung Faunus von der Blodigkeit zweier Liebender, machte aus dem vaterlichen Landgut Fretow ihren Helikon und gestaltete dessen Zerstorung durch schwedische Truppen als mythologisches Trauerspiel.All diese Texte zeigen, wie sehr Schwarz die Literaturtradition…mehr

Produktbeschreibung
In ihrem kurzen Leben schuf Sibylla Schwarz ein erstaunlich reiches und reifes poetisches Werk, das bis heute fasziniert. Mit 13 Jahren trat sie erstmals als Dichterin in die Offentlichkeit, schrieb Verse zu Geburtstagen, Hochzeiten und Todesfallen, dichtete frei nach Ovids Metamorphosen ihre Version der Daphne, erzahlte in der Schaferdichtung Faunus von der Blodigkeit zweier Liebender, machte aus dem vaterlichen Landgut Fretow ihren Helikon und gestaltete dessen Zerstorung durch schwedische Truppen als mythologisches Trauerspiel.All diese Texte zeigen, wie sehr Schwarz die Literaturtradition beherrschte - und immer wieder überschritt. Bemerkenswert sind ihre Liebessonette, in denen sie das tradierte Gender-Paradigma um eine weibliche homoerotische Lesart er- weitert. Vom Streit mit der liebsten Freundin oder vom Neid, der ihr das Dichten zu verleiden droht, schreibt sie mit poetischem Witz und findet für diese Zeit ungewohnlich personliche Tone.Im Februar wird in Greifswald der 400. Geburtstag gefeiert der von ihren Zeitgenossen als Wunderding bestaunten Dichterin. Die Veroffentlichung dieser Werkauswahl soll dazu einlaaden, sie in ihrer Einzigartigkeit und in Beziehung zu den europaischen Femmes de lettres ihrer Zeit zu entdecken.
Autorenporträt
Sibylla Schwarz, geboren 1621 in Greifswald als Tochter des Bürgermeisters und dort auch 1638 im Alter von 17 Jahren an der Ruhr gestorben, begann als Zehnja¿hrige Gedichte zu schreiben, die ihr spa¿ter den Ruf der »Pommerschen Sappho« einbrachten. Die erstmals 1650 unter dem Titel Deutsche Poe¿tische Gedichte posthum vero¿ffentlichten Texte machten sie schlagartig beru¿hmt. Zwischenzeitlich vergessen, wurde sie in den vergangenen Jahren als eine der wichtigsten deutschen Barockstimmen wiederentdeckt. 2021 feiert Greifswald ihren 400. Geburtstag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2021

Die Begründerin des weiblichen Parnass

Vor vierhundert Jahren wurde die Barockdichterin Sibylla Schwarz geboren

Von Harald Hartung

Sibylla Schwarz, die früh verstorbene barocke Lyrikerin, galt einst als "Pommersche Sappho" und als "Wunder ihrer Zeit". Aber schon der Polyhistor Daniel Georg Morhof, der diese rühmenden Wendungen fand, wunderte sich, dass man die Dichterin "nicht in größer Hochachtung gehalten" habe. Spätere Zeiten taten das umso weniger, und Sibylla Schwarz war lange Zeit fast verschollen. Inzwischen stehen ihre Gedichte wieder in den Anthologien, und der Feminismus hält ihr Andenken hoch. Auch gibt es Autorinnen und Autoren, die sich von der einstigen Kollegin anregen lassen. Kurz: Im Jahr ihres vierhundertsten Geburtstags scheint Sibylla Schwarz ihren Platz in unserem literarischen Bewusstsein zu finden.

Es ist das schmerzliche Paradox, dass Lebenszeit und Lebensleistung der Dichterin so auseinanderklaffen. Morhof sprach vom Widerspruch von "zartem Alter" und "großem Geist". Ein Tod mit siebzehn Jahren ist nicht Vollendung, sondern Abbruch. Fünf Jahre liegen zwischen dem ersten und dem letzten Gedicht. Mit dreizehn, Ende 1633, schrieb Sibylla ihre ersten datierbaren Verse. Die "Fretowische Fröligkeit" rühmt das elterliche Landgut am Greifswalder Bodden, das sie so sehr liebte. Ihr letztes Gedicht schrieb die an Ruhr erkrankte Siebzehnjährige auf ihrem Sterbebett. Es war ein Sonett zur Hochzeit ihrer älteren Schwester Emerentia, und eben an diesem Hochzeitstag starb Sibylla Schwarz. Die Leichenpredigt, die im Greifswalder Dom gehalten wurde, stellt die Schwestern in einen biblischen Kontext: Während die ältere Schwester sich auf Erden verheiratet habe, sei Sibylla den Weg der himmlischen Hochzeit gegangen. Die Predigt erwähnt aber auch, dass die "kluge Jungfrau" schöne Bußpsalmen habe dichten können.

Zwar hatte Sibylla Schwarz gewünscht, ihre Sachen zum Druck zu bringen. Dennoch dauerte es zwölf Jahre, ehe eine erste Ausgabe ihrer Dichtungen erschien - damals immerhin die erste Werkausgabe einer Frau. Der Theologe und Dichter Samuel Gerlach, ihr früherer Hauslehrer, hatte die beiden Bände "Deutsche Poetische Gedichte" herausgegeben. Zwei Kupferstiche waren ihnen vorangestellt, die Jacob Sandrart entworfen hatte. Auf dem ersten findet sich das Porträt der Dichterin, umrahmt von antiken Sibyllenfiguren, und die Umschrift "Die Deutsche Sibylla". Das war 1650, ganze zwei Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges.

Man begreift Sibylla Schwarz kaum, wenn man nicht sieht, dass die "deutsche Sibylla" lebenslang nur Krieg gekannt hat. Als jüngstes von sechs Kindern wurde sie in die Familie des Greifswalder Ratsherrn und Bürgermeisters Christian Schwarz hineingeboren. Ehe der Krieg nach Greifswald kam, hatte Sibylla eine glückliche Kindheit. Dann plünderten Wallensteins Truppen die Stadt, Sibyllas Mutter starb während einer Pestepidemie, und 1631 marschierten die Schweden unter Gustav Adolf ein; sie brannten auch das Gut der Familie nieder. Unter solch extremen Bedingungen erwarb sich Sibylla eine ungewöhnliche Bildung: die Kenntnis des Lateinischen und Holländischen sowie der antiken Mythologie und der deutschen Verskunst und Metrik. Samuel Gerlach, zeitweilig ihr Hauslehrer, machte sie mit dem Werk von Martin Opitz und dessen "Buch von der Deutschen Poeterey" bekannt, und Sibylla Schwarz, die Opitz nie begegnete, erwies sich als seine glänzendste Schülerin.

In ihrem "Gesang wider den Neid" rühmt sie Opitz: "Mein Opitz (dem das Lob gebühret / Dass Teutschlandt, seiner Sprachen Pracht / Und edlen Leier halben führet / Weil er den Anfang hat gemacht)/ Wird billig obenan geschrieben / Bei den'n, die Kunst und Tugend lieben."

Ihr Wunsch "o möchte ich halb so gut nur singen" ging in Erfüllung. Sie brillierte in den Gattungen der Zeit, in Schäferdichtung, Trauerspiel, Liebessonett, Epigramm und pindarischer Ode. In ihnen bewegte man sich zwischen imitatio und aemulatio, Nachahmung und möglicher Überbietung. Sibylla übertraf in beiden Kategorien das zeitgenössische Niveau. Ihre Verse sind gelenkiger und eleganter als die der meisten männlichen Konkurrenten. Sie schrieb nicht bloß die obligaten Alexandriner, sondern auch leichte Drei- und Vierheber; etwa im "Lied auf eine französische Melodey". Sie brachte das Sonett zum Tanzen: "Liebe schont der Götter nicht / Sie kann alles überwinden, / Sie kann alle Herzen binden, / Durch der Augen klares Licht."

Diese Sonette, Höhepunkte ihrer Kunst, gehören in die Nachfolge Petrarcas. Sie entwickeln ihre Dialektik zwischen Liebesglanz und Liebesflucht, Keuschheit und Ehebruch: "Ist Lieben keusch? Wo kommt denn Ehbruch her?" Es ist ein weibliches Ich, das sich an die Geliebte wendet. Wenn es die roten Wangen seiner Cloris besingt oder von der liebsten Galathee verlassen wird, kann es eine rhetorische Übung sein, doch auch Ausdruck persönlichen Erlebens. Im Kontext dieses weiblichen Petrarkismus wird etwa die Freundin Judith Tanck genannt, der Sibylla Schwarz ein Hochzeitsgedicht widmete: "Auf der Liebsten Abschied, im Namen eines Andern". Freilich ist hier von Freundschaft die Rede, weniger von Liebe. Das Gedicht setzt dem Trennungsschmerz die Dauer der Freundschaft entgegen: "Freundschaft muss beisammen sein."

Völlig unmissverständlich sind Sibyllas Bekenntnisse in Sachen Weiblichkeit und Literatur. "Ein Gesang wider den Neid" ist die Proklamation ihres weiblichen Selbstbewusstseins, ihres Rechts auf den Beruf als Dichterin. Sie spricht von ihrer Gewissheit, "dass auch dem weiblichen Geschlecht / der Pindus allzeit frei steht offen". Mehr noch, sie sieht sich in einer Reihe mit Sappho und anderen achtundfünfzig Dichterinnen, die sie zu kennen vorgibt. Kurz, sie entwirft einen weiblichen Parnass. Das ist eine starke Botschaft, sie könnte heute formuliert sein.

Unter diesen Auspizien sind auch die Neuausgaben des Werks von Sibylla Schwarz zu begrüßen. Drei Bände sind gerade erschienen oder im Erscheinen. Jeder auf seine Weise interessant und nützlich. Zunächst eine kritische Gesamtausgabe, "Werke, Briefe, Dokumente", herausgegeben von Michael Gratz, der lange in Greifswald gelehrt hat (Sibylla Schwarz: "Werke, Briefe, Dokumente". Kritische Ausgabe, Band 1. Hrsg. von Michael Gratz. Reinecke & Voß, Leipzig 2021. 269 S., geb., 40,- [Euro]). Er bringt das literarische Werk in der Originalgestalt, buchstaben- und satzgetreu, begleitet von zahlreichen Erläuterungen zu Metrik und Inhalt der Texte. Ein zweiter Band soll in Kürze folgen.

Der Band "Ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden", den Gudrun Weiland vom Deutschen Institut der Humboldt-Universität herausgegeben hat, umfasst "ausgewählte Werke" der Sibylla Schwarz. Er ist eine Leseausgabe, versehen mit Erläuterungen und einem Nachwort. Orthographie und Interpunktion der Originale sind dem heutigen Gebrauch angeglichen (Sibylla Schwarz: "Ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden". Ausgewählte Werke. Hrsg. und mit einem Nachwort von Gudrun Weiland. Secession Verlag für Literatur, Zürich 2021. 240 S., geb., 20,- [Euro]).

Schließlich sei auf die demnächst erscheinende Neuausgabe der "Deutschen poetischen Gedichte" hingewiesen. Es ist ein Neusatz der Ausgabe von 1650, der durchgehend den Eigenheiten des Erstdrucks folgt - Gerlachs Druckfehlerverzeichnis eingeschlossen. Der Herausgeber Klaus Birnstiel, Juniorprofessor in Greifswald, hat die Ausgabe mit einem informativen Nachwort versehen (Sibylla Schwarz: "Deutsche poetische Gedichte". Nach der Ausgabe von 1650. Hrsg. von Klaus Birnstiel. Wehrhahn Verlag, Hannover 2021. 304 S., br., 20,- [Euro]).

Wie sagt einer der Herausgeber zu seiner Ausgabe? "Da ist sie nun, da habt Ihr sie! Lest! Lest!"

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Fasziniert liest Hans von Trotha die Gedichte der früh verstorbenen Tochter des Bürgermeisters von Greifswald aus dem 17. Jahrhundert. Man nannte sie, bevor sie ganz vergessen wurde, die "pommersche Sappho" - denn tatsächlich sei das Liebesgegenüber in ihren Gedichten eine Frau, teilt er uns mit. Sie schrieb über Freundschaft und Neid  mit "erstaunlichem Selbstbewusstsein" und scheint dem Kritiker in jedem Fall die umfangreiche publizistische Wiederentdeckung wert, die im Moment geschieht. Ihren schriftstellerischen Rang schätzt er ebenso so hoch ein wie den Falladas und Koeppens, die ebenfalls aus Greifswald stammten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.02.2021

Viel von
ihrer Tapferkeit
Zu ihrem 400. Geburtstag wird die
Barockdichterin Sibylla Schwarz begeistert ediert
und gelesen, denn der Kanon soll weiblicher werden.
Vereinnahmen wir sie heute zu sehr?
VON INSA WILKE
Immer will man was von den Toten. Nützlich sollen sie sein, eingemeindbar. Aber dafür muss man sich nicht schämen. Wir Nachgeborenen investieren schließlich Lebenszeit in sie, richten ihnen Feste und Gedenktage aus, retten ihre Werke vor dem Vergessen. Zum Beispiel die einer Barockdichterin, die mit nur 17 Jahren an der Ruhr starb. Welche Gegenleistung will man also von ihr, dieser Sibylla Schwarz aus Greifswald, 400 Jahre nach ihrem Tod?
Drei Ausgaben erscheinen anlässlich ihres Geburtstags, und eine Graphic Novel reicht der Reprodukt-Verlag im Herbst noch nach. Zwei Interessen sind es, die sich abzeichnen, blättert man durch Sibylla Schwarz’ „Deutsche poetische Gedichte“, die neu gesetzte Ausgabe von 1650, vom Germanisten Klaus Birnstiel text- und seitenidentisch herausgegeben, legt dann Gudrun Weilands Auswahl „Ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden“ daneben, um sich schließlich dem ersten Band der ersten Kritischen Ausgabe zu widmen, in die Michael Gratz Jahre seines Lebens gesteckt hat.
Erstens: Sibylla Schwarz soll eine Lücke schließen. Sie soll die Auslöschung rückgängig machen, die eine von Männern bestimmte Literaturgeschichte schreibenden Frauen angetan hat. Sie soll eine weitere „Good night story“ für „rebel girls“ schreiben, sodass heutige Mädchen mit weiblichen Vorbildern aufwachsen können, die ihnen ihre grenzenlosen Möglichkeiten zeigen.
Zweitens: Sie soll historisches Bewusstsein schaffen. Das Bewusstsein dafür, dass die 400 Jahre zwischen ihrer und unserer Lebenszeit kaum zu überbrücken sind, weil heutige Vorstellungen von Kindheit, von den Lebensbedingungen einer Frau, ihrem christlich geprägten Blick auf die Ordnung der Welt, ihren Wünschen und Ängsten nicht einfach übertragbar sind. „Wir wissen es nicht“ muss also der Refrain einer Annäherung an ihre Gedichte sein. Was wir wissen: Ein Blick von heute auf ihr Leben und Tun kann ohne Expertenwissen fast nur anachronistisch sein, was aber die Sache nur interessanter macht, weil man so gleich zwei Zeiten reflektiert, die ihre und die unsere.
Karg sind die Daten zum Leben der Dichterin: Geboren nach dem heutigen Kalender am 24. Februar 1621 in Greifswald, als der Dreißigjährige Krieg ins dritte Jahr ging. Die Stadt an der Ostseeküste erreichte er sechs Jahre später mit Wallensteins Truppen, die als Besatzer kamen und später von den Schweden abgelöst wurden. Familie Schwarz, der Vater war Greifswalds Bürgermeister, floh erst aufs Landgut in Frätow, nach dessen Verwüstung dann weiter. Die Mutter starb an der Pest, als die Dichterin neun Jahre alt war.
Und so klingt die Stimme, die sich vor dieser Kulisse früh Gehör verschaffte:
„Mancher weis uns vorzusagen / Viel von seiner Tapfferkeit / Wie er manchen Held erschlagen / Ey es ist der Wahrheit weit! / Katzen meint er nur und Mäuse / Wilde Flöh und zahme Läuse.“ Man könnte sagen, hier spottet eine und liest dem „unadelichen Adel“, an den die hämmernden Verse gerichtet sind, die Leviten: „Hohe Schlösser /dicke Mawren / Grosse Dörffer / Gelt und Gut / Schöne Pferde / reiche Bawren / Das macht euch den grossen Muth; / Nun der Krieg euch das genommen / Müßt jhr zu den Bürgern kommen.“ Tja, Pech gehabt, Adel. Titel sind out, Leistung kommt in Mode. Man könnte die letzten Verse aber auch als entschuldigende Unterwerfungsgeste verstehen, die zeigt, dass die Dichterin sich eben doch an die Regeln hält. Wie im Karneval setzt das Gedicht den Rahmen, in dem gespottet und kritisiert werden darf. Sibylla Schwarz ist keine Rebellin, sondern folgt den Themen ihrer Zeit und bringt sie in Formen, die durch Martin Opitz und sein „Buch von der Deutschen Poeterey“ 1624 standardisiert wurden.
So angestrengt man sie so zu sehen versucht, es nützt nichts. Liest man den berühmten „Gesang wider den Neid“, die dialogisch-dynamischen Liebes-Sonette oder das „Christlich Sterbelied“, das Schwarz auf dem eigenen Sterbebett noch schrieb, so kann man nicht anders, man möchte der Schriftstellerin Judith Zander folgen, die über das Gedicht „Auß dem Lob einer Nachtmusic“ in Michael Brauns Lyrik-Taschenkalender geschrieben hat: „Man kann sich dieses Gedicht auf den Arm tätowieren und damit in den nächsten Club ziehen“ oder „dazu kopfüber head over heels im eigenen Kopf tanzen mit der, mit der man gerne tanzen würde.“
Da sehen die „nasenrumpfenden Klüglinge“ damals wie heute alt aus, die Samuel Gerlach in seiner Vorrede zur Werkausgabe von 1650 in die Ecke stellt, darauf vertrauend, dass die Energie der Gedichte von Sibylla Schwarz sie wegpustet wie nichts. Ob man sich also im Bewusstsein der historischen Distanz in ihren Kosmos begibt oder ihre Texte identifikatorisch und emanzipatorisch liest, klar ist: Kein Stäublein, nirgends. Wen interessiert, wie das nach 400 Jahren möglich sein kann, der lese Marion Poschmanns Essay über die etwas spätere Dichtung von Catharina Regina von Greiffenberg in der Reihe „Zwiesprachen“ des Lyrik-Kabinetts München. Welche „ungeheuerliche Geste“ und zu heute wahlverwandte Modernität im Formarsenal des Barock stecken kann, erfährt man da.
Die zugänglichste unter den neuen Ausgaben von Sybilla Schwarz ist die von Gudrun Weiland, inzwischen an der HU Berlin, unter dem Titel „Ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden“ zusammengestellte. Sie eröffnet mit dem „Gesang wider den Neid“ und ordnet die Kapitel überwiegend nach Motiven wie Utopie, Freundschaft und Liebe, Weltverachtung. Man tritt sofort ein ins Powerhouse der Sibylla Schwarz und wird auf die Fährte der feministischen Lesart gelockt, der das Nachwort dann gegensteuert. Weiland verzichtet auf Gegenwartsreferenzen und zeigt das Werk der Barockdichterin selbst als gegenwärtig. Den Eindruck irritiert nur der historisierende Schriftsatz. Ansonsten ein guter Einstieg in die politisch-poetische Reaktivierung der Dichterin.
Eigentlich würde man nun denken, in Michael Gratz’ Kritischer Ausgabe müsste es nüchterner werden. Weit gefehlt. Das liegt nicht nur am knalligen Einband und dem Einstieg mit Zeilen von heutigen Avantgardistinnen und Avantgardisten wie Dagmara Kraus und Bert Papenfuß, die sich auf Schwarz beziehen. Der 1949 geborene, in Rostock ausgebildete Germanist Gratz, der in Greifswald lehrte, beweist die visuelle Kreativität Kritischer Ausgaben durch zueinander versetzt über die linken Seiten tanzende Marginalspalten, die eher Partituren als wissenschaftlichen Kommentaren gleichen und definitiv Sehgewohnheiten brechen: „Wir lesen langsamer und wer weiß, verstehen dafür schneller?“
Der Ton seiner Ausgabe ist persönlich, flirtet mit dem Gestus barocker Leseransprache und driftet zuweilen in eine Art lässigen Hausbesetzer-Jargon ab. So nennt Gratz die Zusammenkunft von Saturnus, Mulciber, Pluto und Mars in den Gedichten von Schwarz „so etwas wie den ‚Militärisch-Industriellen Komplex‘ der Antike“. Das muss man mögen. Hilfreich ist die kleine Versschule in seinen Anmerkungen. Anderes ist dagegen nicht einfach zu verstehen, zum Beispiel wenn im Vorwort mit einiger Plötzlichkeit und dafür umso schärferer Wertung der arme Samuel Gerlach eingeführt wird, dessen Ausgabe keine Gnade findet vor Gratzens Augen: „Vorliegende Ausgabe“, also seine eigene, „bietet das bisher nur ungeordnet und mit Druckfehlern entstellt vorhandene Werk nach Gattungen geordnet.“
Dieser Ordnungstrieb dürfte wiederum dem Greifswalder Kollegen Klaus Birnstiel nicht behagen, der sich auch um die Rehabilitierung des ersten Herausgebers bemüht, der übrigens als Hauslehrer unter Sybilla Schwarz’ Dach kam. Samuel Gerlachs „Unordnung“ liest Birnstiel als bewusste Inszenierung von weiblicher Autorschaft avant la lettre. Einen starken Eindruck macht ja auch, dass Gerlach nach Vorreden und Briefwechsel sofort den „Gesang wider den Neid“ bringt, dessen kritischer Impetus an Aktualität weniger eingebüßt hat als die Todsünde des Neids an Schrecken.
Gratz hingegen lässt auf die Briefe die Sonette folgen, die Motive wie Freundschaft und Liebe behandeln, ganz regelkonform. Wobei Klaus Birnstiel daran erinnert, dass das Idol von Sibylla Schwarz, Martin Opitz, keineswegs ein Prinzipienreiter war, sondern die deutschsprachige Dichtung revolutioniert hat. Der heutige Blick dafür ist immer noch durch die Autonomieästhetik verstellt.
Kurz, das kritische Nachwort von Klaus Birnstiel ist – ohne den zweiten Band der Kritischen Ausgabe von Michael Gratz schon zu kennen, der Interpretationen und ausführliche Anmerkungen liefern wird – ein Muss. Er hält die größte Distanz, klärt über die Rezeptionsgeschichte auf und erläutert, inwiefern die Forschung in Bezug auf Sibylla Schwarz oft mit „ungedeckten Schecks“ handelt und welche Traditionen und Traditionsbrüche für den fremdartigen literarischen Kosmos wichtig waren, in dem Sibylla Schwarz schrieb. Man merkt – und das ist beglückend –, alle drei Ausgaben sind auf ihre Art enthusiastische, auch verlegerische Großtaten.
Das letzte Wort gehört aber der Dichterin, damals adressiert an den Neid, heute frei zu beziehen auf die „Klüglinge“ unserer Epoche: „Jch weiß / es ist dir angebohren / Den Musen selbst abholt zu sein / Doch hat mein Phoebus nie verlohren / Durch deine List / den hellen Schein.“
Wie im Karneval setzt das
Gedicht den Rahmen, in dem
gespottet werden darf
Ob man sie historisch
oder identifikatorisch liest:
Kein Stäublein, nirgends
Alle drei Ausgaben sind auf
ihre Art enthusiastische, auch
verlegerische Großtaten
Sibylla Schwarz:
Ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden. Werkauswahl. Hg. v. Gudrun Weiland.
Secession, Leipzig.
240 Seiten, 20 Euro.
Sibylla Schwarz:
Werke. Kritische Ausgabe Band 1: Hg. v. Michael Gratz, Reinecke & Voß, Leipzig 2021. 270 Seiten 40 Euro.
Sibylla Schwarz:
Deutsche Poetische Gedichte. Hg. v. Klaus Birnstiel. Wehrhahn Verlag, Hannover 2021.
304 Seiten, 20 Euro.
Der Kupferstich von Jakob von Sandrart zeigt Sibylla Schwarz in der posthum erschienenen Ausgabe „Deutsche Poëtische Gedichte“ mit einer Widmung des Herausgebers Samuel Gerlach. Foto: Michael Gratz/Reinecke & Voß
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