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Produktdetails
  • Verlag: Engeler
  • Seitenzahl: 85
  • Deutsch
  • Abmessung: 180mm
  • Gewicht: 164g
  • ISBN-13: 9783905591187
  • ISBN-10: 3905591189
  • Artikelnr.: 09643126

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Sprachkämpfe im Paradies
Urs Allemann beherrscht das weiche "d" / Von Christoph König

Gedichte tragen in sich die Anweisung, wie sie ausgelegt sein wollen. Handeln sie vom Schreiben, soll es nichts außer ihnen geben. Ihre Kritik richtet sich dann gegen die Unfähigkeit, die eigene poetische Welt aufzubauen und abzuschotten. Für diese Kritik benötigt der Dichter eine Konstruktion, in der das Neue wie auch das Äußere Platz finden. Im Rollenspiel von Ich und Du beobachtet Urs Allemann das Entstehen seiner Gedichte. Seine Konstruktion geht auf Paul Celan zurück, dessen "Ich", das historische Subjekt, im "Du" eine autonome Kraft schafft, die das Schreiben übernehmen soll und dabei, im Namen des "Er", als Herrn der Dichtung, vom "Ich" beobachtet wird. Celan hatte dafür einen historischen Standpunkt, Allemann möchte in der Kunst bleiben und bringt die Folgen dieses Wagnisses zu Papier.

Er beginnt seinen Lyrikband "Holder die Polder" mit einem Gedicht "Für die Leier" und setzt ein Selbstporträt ans Ende. Beide Gedichte spielen draußen im Leben und sind ganz anders als die übrigen. Das Buch tut so seinen eigenen Prolog und den Epilog ab: Diesen fehle ein auf neue Weise dichtendes Du, das - merkwürdigerweise - die antike Odenform beherrscht. Das Ich derweil hat Ansprüche. Von der eigenen Sentimentalität, die im Selbstporträt ohne artistische Härte ausgestellt wird, spricht es ironisch: Ohne Du, so muß man das lesen, verkommt das Ich. Doch nicht jedes Du taugt zum nötigen Stil, am allerwenigsten das Du der alten Dichter. Was diese mit den herkömmlichen poetischen Vokabeln, von Herz bis Hand, anrichten können, steht im ersten Gedicht. "Die Hand die in die Brust dir greift das Herz rauszureißen fällt ab." Greift die Hand des Du in die Brust, wie man früher in die Saiten griff, fällt die Hand ab; bückt sich das Du, um sie aufzuheben, fällt auch noch sein Herz heraus. Davon sind beide betroffen, denn schließlich verlieren sie auch den Kopf: "Da ist euch im Sturz schon der Kopf von den Schultern geglitten." Ihr zerfallener Körper gilt dem sarkastisch kommentierenden Ich als geeignetes Material für die Leier des Orpheus. "Wenn zufällig Orpheus vorbeikäm / würd ich ihm was vorsingen der fleisch- / fressenden Leier ihren Anteil rüber- / schieben am Nachgefallenen."

Andere, modernere Traditionen sind nicht besser. Nicht nur die romantischen, auch die häßlichen Wörter richten sich aggressiv gegen das Du, seinen Schatz, die Liebste, auf die das Ich zählt: "Bist du der Stein Schatz / der da im Fleisch das uns frißt verblutet." Wie bei Celan ist "Stein" das Wort für seine Poesie. Auf dem Spiel steht die Besonderheit des Ich, das zwar handelt, dem die Handlungen indes vom Du zukommen. In "Alkäisch die vierte" heißt es, mit Übermut im Spiel: "dem Wörterbrei / entsteigt tschau Sämi". Das Du, vom Ich substantiell abhängig, soll konkret und klug sein.

Der Glaube an die Sprache scheint verloren, wenn das Du die Wörter entfernen, die "Worthaut" abschaben soll. Ohne Standpunkt von außen ist es nicht leicht, dies im Ablauf eines Gedichts zu bewerkstelligen. Die Syntax, in der die Wörter ihren Sinn erhalten, muß ästhetisch erzeugt werden. Allemann läßt sein Du zu manieristischen Verfahren greifen: zu Vokalfolgen, Buchstabenabwandlungen und Satzverwerfungen, um die Sprache in Material zu verwandeln. Die 36 alkäischen, asklepiadeischen und sapphischen Oden des Gedichtbands (Allemann nimmt noch Elegien hinzu) geben dafür das strenge zerteilende metrische Raster. In ihnen ist vieles möglich. Ziel der Gedichte ist es, die neuen Wortfolgen zu interpretieren; das wäre der Sinn, den das Ich vom Du erwartet. Der Titel des Buchs, "Holder die Polder", meint daher eine Kunst, die sich formal über die Dichtung wie auch über das alltägliche Sprechen hinwegsetzen soll. Sie will weder einen Hölderlin noch ein handfestes "Poltern", sondern eine Welt, in der, beispielsweise, das weiche "d" sinnvoll den Ton angibt.

Allemann möchte die formal freigesetzte Mehrdeutigkeit wieder einfangen. Da er sich der Sprache aussetzt, ist er an ihre Möglichkeiten gebunden. Oft geschieht wenig. Wenn die ineinander geschobenen Satzteile sich ohne weiteres auch konventionell arrangieren lassen, bleibt es bei der poetologischen Behauptung. Etwa in dem Satz: "so mir / daß Flaum daß Rinde / träumts ineinander" aus dem Gedicht "Sapphisch die erste". Die Vereinigung von Ich und Du, von Baum und Mädchenbeinen, von "Rinde" und "Flaum" würde erhalten bleiben, auch wenn man es einfacher ausdrückte, etwa auf diese Weise: "So träumts mir, daß Flaum daß Rinde ineinander". Banal wirkt das Beispiel für das Abschaben der Worthaut: "Das Wort Wunde / schluckt das Wort Wunder."

Oft genug schlägt indes der Autor Kapital aus dem angehäuften Sinnmaterial. Zu den schönsten Gedichten zählt die Ode "Asklepiadeisch die fünfte". Das Du ringt mit der Schlange des Paradieses. Es ist ein sprachlicher Kampf. Die Frage, wer wem in die Ferse beißt, zielt auf die "Verse", die die harte Fügung im Metrum zum Chiasmus nutzen: "Dich die Ferse zertritt oder die Ferse du". Die leicht voneinander abweichenden Buchstaben gewinnen Sinn in einem überlegenen Lallen: "hinzulallen ein Gegengift". Das Du lallt, weil es sich gegen das traditionelle Singen wendet und die Lautähnlichkeit von "g" und "k" nutzt. "Weggesungen und weitersinkt" heißt es von der Schlange, die also gerade darum sinkt, weil sie weggesungen wird. In solchen Momenten hat der Dichter seine eigene Welt geschaffen. Er spricht vom Dichten und gewinnt aus der zersetzten Sprache allein einen Sinn.

Urs Allemann: "Holder die Polder". Oden, Elegien, Andere. Urs Engeler Verlag, Weil am Rhein 2001. 96 S., geb., 29,01 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Hart arbeiten musste augenscheinlich Rezensent Christoph König, um sich dieser Gedichte mit dem flapsigen Titel zu nähern. Im Rollenspiel von Ich und Du beobachte Allemann das Entstehen seiner Gedichte. Das habe er von Celan gelernt. Bloß, dass Celan einen historischen Standpunkt für dies Verfahren gehabt habe, Allemann jedoch in der Kunst bleiben wolle. König vermisst hier außerdem ein "auf neue Weise dichtendes Du". Trotzdem seziert er ordentlich das ein oder andere Gedicht, um den Bauplan vor dem Leser freizulegen. Spaß machen ihm dabei mitunter Allemanns Kapriolen, die er aus "angehäuftem Sinnmaterial" schlägt. Auch ein "schönstes Gedicht" hat schließlich sein Rezensentenherz erfreuen können.

© Perlentaucher Medien GmbH"