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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Arthur Schnitzlers Bühnenstück "Reigen", dessen zehn Dialoge sich um ebenso viele Affären drehten, die selbst freilich nicht mitaufgeführt wurden, wurde seinerzeit ob der verbalen sexuellen Eindeutigkeit zum Skandal, führt Rezensent Andreas Platthaus aus. Der von Max Haberich und Thomas Ballhausen herausgegebene Band greift nun Schnitzlers Strukturprinzip auf, verteilt die Dialoge allerdings, lernen wir, auf sechs Autorinnen und vier Autoren der Gegenwart. Das Themenspektrum, heißt es weiter, wird auf den Liebesdiskurs der Jetztzeit angepasst, weshalb unter anderem auch gleichgeschlechtliche Paare zu Wort kommen. Einigen der Beteiligten sind schöne komödiantische Formen gelungen sind, gleichzeitig werden aber auch andere Theatergenres aufgerufen, lobt der Kritiker, der auch die dem Band beigegebenen Fotografien der historischen Wiener Erstaufführung gern betrachtet hat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2023

Ausgelassene Auslassung
Zehn Autoren aus der jungen Wiener Literaturszene aktualisieren Schnitzlers Skandalstück "Reigen"

Die Überlieferungsgeschichte von Arthur Schnitzlers "Reigen" ist berüchtigt. Geschrieben 1896/97, kam das Bühnenstück 1903 als Buch heraus, verkaufte sich in den Folgejahren achtzigtausend Mal, wurde aber bis 1920 nicht aufgeführt. Grund dafür war die offene Thematisierung von Sexualität in den zehn Dialogen von sich einander ablösenden Gesprächspartnern, obwohl deren jeweils vollzogener Beischlaf im Druck nur als Aussparung enthalten war. Die Uraufführung fand schließlich in Berlin statt; Schnitzlers Heimatstadt Wien, in der die Handlung angesiedelt ist, folgte erst im Februar 1921. Beide Inszenierungen wurden vielfach gestört, und es schlossen sich Klageeinreichungen wegen Unsittlichkeit an, die jedoch zugunsten der Theater entschieden wurden. Schnitzler selbst untersagte dann 1922 jede weitere Aufführung - ein Verbot, das bis 1982 Bestand hatte, als sein Sohn das Stück wieder freigab. Da hatte es längst Literaturgeschichte geschrieben.

Nun wird die Sache fortgeführt: Im Verlag Brot und Spiele, den Max Haberich vor zwei Jahren in Wien gegründet hat, um Kurzgeschichten zu publizieren, haben zehn Autoren der Jahrgänge 1981 bis 1994, davon sechs Frauen, jeweils eine Szene geschrieben, um den "Reigen" zu aktualisieren: nicht dessen Handlung, sondern sein Thema und Konstruktionsprinzip. Die Liebe in ihren vielfältigen Ausdrucksformen ist dabei um homosexuelle Paare erweitert worden, und statt früher charakteristischen Rollen wie Dirne, Soldat, Stubenmädchen, "süßes Mädel" oder Graf sind nunmehr unter anderen Escortdame, Therapeutin, Journalistin, Skilehrerin, Schönheitschirurg und Aktivist (wahlweise auch mit c geschrieben) vertreten. Wie bei Schnitzler geben sich die zehn Beteiligten wechselweise einander hin, wobei diesmal den Frauen nicht mehr bloß die passive Rolle bleibt und sich das Ganze einmal auch im Netz abspielt. Selbstverständlich wird nicht nur dabei der eigentliche Akt wie im Original ausgespart, dafür wird er im Dialog zwischen Regisseur und Therapeutin gleich zweimal vollzogen.

Alexander Estis hat sich dieser Szene angenommen, und sie ist schönste Komödie geworden in ihrer Lust am Klischee. Stefan Reiser hat mit dem ersten Dialog zwischen Escortdame und Regisseur den entsprechenden Ton dafür gesetzt, aber wenn etwa Zarah Weiss und Anna Fercher einen Polizisten sprachlich stark wienern lassen oder der auch als Autor beteiligte Herausgeber und Verleger Haberich als Einziger aus dem strikt auf Paarkonstellationen beschränkten Rollenschema ausbricht und noch drei Gäste in Nebenrollen aufbietet, deren Gespräch ihm die sonst typographisch markierte Sex-Auslassung erspart, kommen noch andere Theatertraditionen mit ins Spiel: Volksstück etwa, Sozialdrama, ja bisweilen geradezu absurd ausgelassenes Theater.

Auslöser für die "Reigen"-Aktualisierung war ein jüngst gemachter Archivfund: zehn bislang nur teilweise durch zeitgenössischen Presseabdruck bekannte Fotos der Wiener Erstinszenierung von 1921, aufgenommen Szene für Szene, ganz wie das Prinzip des Stücks selbst. Angesichts der darauf wohl noch im Zustand der Unschuld festgehaltenen Akteure - die Störungen der Aufführungen, die einmal sogar zum Abbruch der Vorstellung in der neunten Szene führten, setzten erst eine Woche nach der Premiere ein - fragten sich Haberich und sein Mitherausgeber Thomas Ballhausen, was seit damals wohl im Liebesdiskurs geschehen sei. "Schnitzlers Reigen - Der nächste Tanz" gibt darauf eine klare Antwort: Nichts weltbewegend Neues, aber immer noch ist das alte Thema reizvoll genug, um junge Mitstreiter zu begeistern. Die mit Witz zur Sache gegangen sind.

Neben den fünf bereits Genannten sind das Daniela Chana, Katharina J. Ferner, Judith Nika Pfeifer, Lorena Pircher und Gregor Schima - alle Teil einer literarischen Szene, deren Existenz Max Haberich mit einem vor neun Jahren in Anspielung auf die 1891 begründete Autorengruppe Jung-Wien (der auch Schnitzler angehörte) geschaffenen Kreis namens "Jung Wien '14" erst ermöglicht hat. Nun erntet er auch als Verleger die Früchte seiner Initiative. Und die zehn Fotos von 1921 sind dem Resultat beigegeben. ANDREAS PLATTHAUS

Max Haberich, Thomas Ballhausen (Hrsg.): "Schnitzlers Reigen - Der nächste Tanz".

Vorwort von Manuela Pfundner. Brot und Spiele Verlag, Wien 2023. 157 S., 10 Abb., geb., 24,90 Euro.

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